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Zeitschrift
[Schweizerische Kirchengeschichte,
Revue d’Histoire Ecclesiastique Suisse.
HERAUSGEGEBEN VON PUBLIEE PAR
Aıserr BÜCHI, Jon. Pererr KIRSCH
o. ö. Professoren an der Universität Freiburg (Schweiz)
Lous W/EBER,
Chanoine, professeur au Grand Seminaire, Fribourg.
XX11. Jahrgang — XX11” Annee.
1928
STAns 1928.
\ Hans von MATT, VERLAGSHANDLUNG.
INHALTSVERZEICHNIS. — SOMMAIRE
XXII. Jahrgang. — XXII" Annöe.
1928
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‚Aufsitze. — Grands articles.
Seite- Page
Aebischer, P., Etudiants du Pays de Vaud ä l’Universite de
Montpellier en 378. ... a A ee 301
‚ Biondeau, Georges, Portraits d’eceläsiastigues peints par Wirsch 43, 134
Castelmur, Ant. v., Fragmente eines Churer Missale aus der Mitte
des XI. Jahrhunderts. FERN 186
Dommann, Hans, Die Kiröhenpolitik® im ersten Jahrzehnt Be
neuen Bistums Basel (1828-1838) . . . . ... 1,98, 161, 262
a —
Henggeler, P. Rud. O.S.B., Der Äbte-Katalog von \ Pfäfers En 55
Müller, Jos., Johann Joachim Eichorns deutsche Lebensbeschrei-
bung des sel. Nikolaus von Flüe. . . ; 81
' Scheiwiler, Dr. J. Al., Die Reform im Kloster St. Gallen ; we 122, 198
Schlumpf, E., Quellen zur Biographie der sel. Rachild . . . 284
Winter, Dr. E. K., Johann Jakob Bachofen und die Romantik . 241
Kleinere Beiträge. — Melanges.
Campiche, F. Raoul, archiviste, La chapelle de Tercier . . . 218
Castelmur, Ant. v., Zur Entstehungsgeschichte des X. Gerichten-
bundes in Graubünden a 2 221
Kreienbühler, J., Zur Forschung über die hl. Ida von N Tögsenburp 72
Schlumpf, E., Die hi. Wiborada und die Gräfin Wendelgard . 69
Wymann, Ed,, Gaben aus Uri an das Jesuitenkolleg in Schwyz . 309
Rezensionen. — Comptes rendus.
Anzelet-Hustache, Jeanne, La vie mystique d’un monastere de
Dominicaines au moyen Age, d’apres la chronique de Töss
(L. Waeber) . . . ; 312
Bonjour, Die Schweiz und Savören, im Enanısähen Erbfolgekrieg
SE 9 Be ze 2 229
Bury, Benedikt, Geschichte des Bistums Basel und seiner Bischöfe
(A. Breitenmoser) . . .- i 238
Castelmur, Ant. v., fshrzeitbuch Anl Ürbare von Ruschein
(Oskar Vasella)- = 222 230
Denzinger, Henr. et Clem. Bannwart S.J., Enchiridion Symbo-
lorum (L.W.). }
Dommann, Hans, Franz Bernh. Meyer von ESchaucniee als Staats-
mann und Zeuge seiner Zeit (1763-1882) (Albert Büchi) . .
— — Franz Bernh. Meyer von Schauensee als helvetischer Justiz-
und Polizeiminister und als Politiker (Albert Büchi). . .
Durrer, Robert, Die Schweizergarde in Rom und die Schweizer
in päpstlichen Diensten. I. Band (Albert Büchi)..
Ecclesiastica, Annalen für zeitgenössische Kirchen- und Kultur-
kunde (A. Büchi).
Ermatinger, Emil, Weltdeutung in Gririmelshänseng Simpli-
cissimus (Günther Müller) . i
Fischer, Rudolf v., Die Politik des Sc Hülıheiben job: Friedrich
Willading (1641-1718) (A. Büchi) . Br u
Greven, Dr. J., Geschichte der Kirche. Zweites Zeitalter: Die
Kirche als Führerin des Abendlandes (Eduard Wymann).
Knowles, A. Isobel, Vom Fögfür (Jos. Müller) . . ;
Kriegsgeschichte Schweizer (Albert Büchi).
Müller, P. Gregor O.Cist., en zum diamantenen Priester-
jubiläum (E.W.). . . 2 5
Muri-Gries 1027-1927, Festgabe zur neunten Jahrhundertfeier der
Gründung des Benediktinerstiftes (Albert Büchi) . . .
Naef, Henri, Fribourg au secours de Gen&ve 1525-1526 (A. Büchi)
Pastor, Ludwig Freiherr v., Geschichte der Päpste im Zeitalter der
katholischen Restauration und des 30-jährigen Krieges.
Xll. Band (Ant. v. Castelmur). . . Br
Papsttum und Kaisertum, Forschungen zur Balinchen Geschichte
und Geisteskultur des Mittelalters (Paul Hildebrand). . .
Piaget, Arthur, Les Actes dela Dispute de Lausanne, ı536 (L.Waeber)
Scheiwiller, Dr. P. Otmar O.S. B., Annette von Droste-Hülshoff
(Karl Schönenberger). . . . . .
Schnürer, Gustav, Kirche und Kultur im Mittelalter. Il. Band
(Gallus Jecker O.S.B.) . . . ER
Stähelin, Ernst, Briefe und Akten zum heben Oekolompads
(Albert Büchi). . . . ?
Straßer, Otto Erich, Capitos Besichufigen:: zu Bern (Albert Büchi)
Walz, Angelus M.O.P., De devotione cordis Jesu in ordine Praedica-
torum a saeculo XIll ad saeculum XVII exhibita notulae (L.W.)
Wind, P. Siegfried ©. M.C., Geschichte des Kapuzinerklosters Wil
(P. Adalbert Wagner O.M. Cap.) re er
Freiburg. — St. Paulusdruckerei. — 746. 28
Seite - Page
235
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315
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230
313
233
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| Zeitschrift
schweizerische Kirchengeschichte,
Revue Histoire Eeclösiastique Suisse.
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HERAUSGEGEBEN VON | PUBLIEE PAR
Auserr BUCHI, Jon. Perer KIRSCH
0. ö. Professoren an der Universität Freiburg (Schweiz)
| UND
Lous W/EBER,
Chanoine, professeur au Grand Seminaire, Fribourg. |
XXN1. JAHRGANG, 1. HEFT. — 22” ANNEE, FASC. ].
“ Erscheint viermal jährlich. — Parait quatre fois par an.
Abonnementspreis : 8 Fr. — Prix de l’abonnement : 8 Fr
STans 1928.
Hans von MATT, VWERLAGSHANDLUNG.
Inhaltsverzeichnis — Sommaire-
Hans Dommann. — Die Kirchenpolitik im ersten Jahrzehnt des neuen
Bistums Basel (1828-1838) 2 2 20 on nd
Dr J. Al. Scheiwiler. — Die Reform im Kloster St. Gallen. . . . 20
Georges Blondeau. — Portraits d’ecclesiastiques peints par Wyırsch . 4
P. Rudolf Henggeler, O. S. B. — Der Äbte-Katalog von Pfäfers . . 55
Kleinere Beiträge. — Mölanges -. . . : “2: nenne
Rezensionen. — Comptes rendus . . - 22 vr. 2 0.0072
GRÖSSERE BEITRÄGE, TRAVAUX
welche für die nächsten Nummern que la Revue publiera
in Aussicht genommen wurden. prochainement.
Arnold Winkler, Oesterreich und die Aargauer Klösterfrage. — Marcel
de Weck, Les pelerins fribourgeois de Rome en ı580. — Jos. Müller, Joh.
Joachim Eichhorns deutsche Lebensbeschreibung des sel. Niklaus von Flüe. —
Rud. Henggeler, Der Äbte-Katalog von Fischingen, Rheinau und St. Gallen. —
K. E. Winter, Bachofen als Romantiker. — Fridolin Segmüller, Geschichte
des Kollegs von Ascona. — v. Castelmur, Fragmente eines Churer Missale aus
der Mitte des X]. Jahrh. — Schlumpf, Quellen zur Biographie der sel. Rachild.
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NB. — Alle für die Zeitschrift für schweiz. Kirchengeschichte bestimmten
Rezensionsexemplare sind an die Redaktion, Freiburg, zu adressieren. —
Tous les ouvrages destines ä recevoir un compte rendu dans la Revue
d’Histoire ecclesiastique suisse doivent etre envoy6s directement & la Redaction,
Fribourg. |
Die Zeitschrift | LA REVUE
für Schweizerische Kirchengeschichte D’HISTOIRE ECCLESIASTIQUE SUISSE
erscheint 4 Mal jährlich. parait par fascieules trımestriels.
Joseph Anton Salzmann
Bischof von Basel (1828-1854).
— um
|
|
Die Kirchenpolitik im ersten Jahrzehnt
des neuen Bistums Basel (1828-1838).
Nach Briefen des Bischofs Jos. Anton Salzmann,
des Schultheißen Jos. Karl Amrhyn und anderer.
Von Hans DOMMANN.
Die folgende Darstellung behandelt — hundert Jahre nach der
Gründung des neuen Bistums Basel — das heikle Thema der Grenz-
streitigkeiten zwischen Kirche und Staat in einer heute noch sehr ver-
| schiedenartig und oft von parteipolitischen Gesichtspunkten aus beurteilten
Zeit, weniger in kritischer Auseinandersetzung und lückenloser Voll-
ständigkeit, als durch die Darlegung der psychologischen Motive und der
Einstellung führender Persönlichkeiten. Sie läßt darum in erster Linie
die Briefe sprechen. Die Luzerner Kirchenpolitik steht im Vordergrund ;
sie erhält aber dadurch allgemeinere Bedeutung, daß Luzern die alte Rolle
des katholischen Vororts auch unter den politischen und kirchlichen Ver-
hältnissen der dreißiger Jahre wenigstens formell beibehielt.
Als wichtigste Quellen habe ich benützt: im Familienarchiv am Rhyn
[F-A. A., Kantonsbibliothek Luzern), 79 Briefe des Bischofs Salzmann
an Schultheiß J. K. Amrhyn (1821-1846), Briefe von Kommissar Waldis,
Dekan und Stadtpfarrer G. Sigrist, Staatsrat Louis von Roll in Solothurn,
landammann G. ]J. Baumgartner in St. Gallen, Eduard und Kasimir
Pfyffer, F.L. Schnyder, Laurenz Baumann und Jakob Kopp an Schultheiß
Amrhyn, dessen Briefe an seinen Sohn, den eidgenössischen Kanzler
J.K.F. am Rhyn und Briefe des Schultheißen X. Schwytzer von Buonas an
den Kanzler ; ferner Aufzeichnungen Amrhyns zur Kirchenpolitik und von
diesem gesammelte bezügliche Broschüren und Zeitungsnummern ; — im
Staatsarchiv Luzern (St.-A. L.) zahlreiche Akten mit vielen weiteren Briefen
des Bischofs und anderer ; besonders die folgenden Faszikel: Fach 9,
Fasz. ıı: Bistum Basel (Erweiterung und Organisation), Fasz. 19, 20:
Verhältnis zwischen Kirche und Staat, Fasz. 21: Badener und Luzerner
Konferenz, Fasz. 26- 31 : Verwaltung der Disziplin, Fach 4, B. : Erziehungs-
wesen (Höhere Lehranstalt) ; — in der Bürgerbibliothek Luzern (B.-B. L.)
den Briefwechsel J. A. Balthasar und die betreffenden Jahrgänge der
«Schweizerischen Kirchenzeitung », der « Allgemeinen Kirchenzeitung für
Deutschland und die Schweiz », der « Luzerner Zeitung », des « Waldstätter-
boten » und des « Eidgenossen » (passim). — Als allgemeine Darstellungen
— 2 —
führe ich hier an: Dierauer, Geschichte der Schweiz. Eidgenossenschaft,
Vz, S. 523 ff., besonders 619 ff. ; Gagliardi, Geschichte der Schweiz, II,
S. 362 ff.; Hürbin, Handbuch der Schweizer-Geschichte, II, S. 558 ft. ;
Curti Th., Geschichte der Schweiz im XIX. Jahrhundert, S. 421 ff., 451 fl. ;
Die Schweiz im XIX. Jahrhundert, hrg. von Paul Seippel, IL, S. 104 fi.
(K. Decurtius, Katholizismus) ; Baumgartner G. J., Die Schweiz in ihren
Kämpfen und Umgestaltungen von 1830 bis 1850, Zürich 1854, II, 25 fl.;
Tillier A., Geschichte der Eidgenossenschaft während der Zeit des so-
geheißenen Fortschritts, Bern 1854, I, 247 fl.; Feddersen P., Geschichte
der schweizerischen Regeneration von 1830 bis 1848, Zürich 1867, 179 fl. ;
Hurter Friedr., Die Befeindung der katholischen Kirche in der Schweiz
seit dem Jahre 1831, Schaffhausen 1842, 63 ff. ; Bluntschli J. K., Der Sieg
des Radikalismus über die katholische Schweiz und die Kirche im all-
gemeinen ..., Schaffhausen 1850, 92 fl.; Henne Anton, Geschichtliche
Darstellung der kirchlichen Verhältnisse der katholischen Schweiz, Mann-
heim 1854, S. ı fl. ; Siegwart-Müller Const., Ratsherr Jos. Leu von Eber-
soll ..., Altdorf 1863, 31 fi.; Der Kampf zwischen Recht und Gewalt
in der schweizerischen Eidgenossenschaft ..., Altdorf 1864, 141 ft.;
Vautrey, Histoire des Ev&ques de Bäle, Einsiedeln 1886, II, 533 ft.:
Pfyfer Kas., Geschichte des Kts. Luzern, Luzern 1852, II, 453 ft.;
Derendinger Jul., Geschichte des Kts. Solothurn von 1830 bis 1841, Basler
Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde, XVIII, Basel 1919, 328 ff. ;
Zschokke E., Geschichte des Kts. Aargau, Aarau 1903, 248 fi.; Heer E.,
Das aargauische Staatskirchentum von der Gründung des Kantons bis
zur Gegenwart, Wohlen 1918, 30 ff. — Weitere Literaturnachweise in
den Fußnoten. — Wörtlich angeführte Stellen aus Briefen und Akten
sind in moderner Orthographie wiedergegeben, im Original unterstrichene
Wörter nicht hervorgehoben. — Den Vorstehern der angeführten Institute
und allen, die meine Arbeit gefördert haben, besonders Herrn Universitäts-
Professor Dr. Büchi, sei mein bester Dank ausgesprochen.
Il. Kirche und Staat; Bischof und Schultheiß.
Die katholische Kirche war beim Übergang vom XVIII. zum
XIX. Jahrhundert durch die geistigen Strömungen der Aufklärungs-
philosophie und die politisch-sozialen Umwälzungen der französischen
Revolution in ihrer Wirksamkeit empfindlich geschwächt worden.
Nach dem Zusammenbruch Napoleons und der Revolution aber erlebte
sie im Zeitalter der politischen Restauration und der Romantik eine
kräftige Regeneration. Die romtreuen Elemente im Klerus gewannen
immer mehr Boden gegenüber den protestantisierenden, rationa-
listischen, nationalkirchlichen und demokratischen Reformbestrebungen.
Der religiöse Liberalismus hatte auch in der Schweiz seine Wurzel
in der Aufklärungsphilosophie, seine Vorbilder im Gallikanismus und
— 3 —
Febronianismus, in der Synode von Pistoja (1786) und in der Emser
Punktation (1786). Sein bekanntester Vertreter war der Konstanzer
Generalvikar Ignaz Heinrich von Wessenberg. Die demokratischen
Ideen der Aufklärung und Revolution führten zur Forderung von
Synoden nach dem Vorbild der staatlichen Parlamente ; man wollte
die zum Teil nicht unberechtigten kirchlichen Reformen durch den
niedern Klerus bestimmen lassen. Der religiöse Indifferentismus der
Aufklärung wirkte in der Betonung der Humanität, in der Abneigung
gegen das Dogma, in der Abschaffung alter religiöser Gebräuche und
Zeremonien, in den gegen das sogenannte Papalsystem gerichteten
nationalkirchlichen Bestrebungen, wie sie namentlich durch die « Geist-
liche Monatsschrift », das « Konstanzer Pastoralarchiv » und die zahl-
reichen Reformdekrete Wessenbergs bekannt geworden sind. Die
Ideen des spätern Altkatholizismus wurden offen und verdeckt ent-
wickelt. Sie lassen sich in den damaligen Polemiken auf Schritt und
Tritt nachweisen, und Klarsehende befürchteten tatsächlich eine nahe
kirchliche Spaltung, eine neue « Reformation ». — Unter dem schweize-
rischen Klerus sind als mehr oder weniger konsequente Vertreter dieser
von Rom wiederholt verurteilten Richtung namentlich der Luzerner
Stadtpfarrer und bischöfliche Kommissar Thaddäus Müller, die Pro-
fessoren Alois und Christoph Fuchs, J. A. S. Federer und Felix Helbling
im Kanton St. Gallen, Propst Vögelin in Rheinfelden, zeitweise auch
Domdekan Alois Vock und Professor Burkard Leu in Luzern hervor-
getreten. Die starke Anhängerschaft Wessenbergs im schweizerischen
Klerus wurde dadurch noch einflußreicher, daß auch der politische
Liberalismus, die liberale Staatsgewalt, sie kräftig unterstützte und
mit patriotischem Lobe umkleidete. — Diesen liberalen Geistlichen
gegenüber waren die streng kirchlichen Priester — auch die aus der
milden, vom Geiste evangelischer Liebe und lebendigen Glaubens
erfüllten Schule Sailers hervorgegangenen — in den Augen liberaler und
radikaler Politiker und Regenten « Kurialisten », « Ultramontane »,
«Finsterlinge », «Pfaffen». Ihre geistigen Vorkämpfer waren die
gelehrten Sailerschüler Gügler und Widmer, der gewandte Polemiker
Franz Geiger, der spätere St. Galler Bischof Greith, Abt Coelestin
von Einsiedeln, Dekan Groth in Merenschwand, Dekan Cuttat in
Pruntrut und andere. In der «Schweizerischen Kirchenzeitung »
besaßen sie ein vielgelesenes Sprachorgan, im Katholischen Verein
eine weitverzweigte Organisation, während die liberale Richtung in
der « Allgemeinen Kirchenzeitung für Deutschland und die Schweiz »
— 4 —
ein scharfes, in einigen Artikeln geradezu akatholisches Oppositions-
blatt schuf. Unter solchen Umständen schwächte sich der Klerus
auch während der dreißiger Jahre in unheilvoller Spaltung, die das
liberale Staatskirchentum begünstigte, das Volk verwirrte und das
Wirken der kirchlichen Behörden erschwerte.
Der religiöse Liberalismus begünstigte auch in den katholischen
Kantonen die nachrevolutionäre liberale Staatsidee, die aus der gemein-
samen Wurzel der Aufklärungsphilosophie, besonders aus den Systemen
Kants und seiner Nachfolger hervorwuchs. Sie ging aus von Rousseaus
naturalistischer Vertragstheorie und den « Menschenrechten », von
Kants sittlicher Autonomie und Rechtsauffassung, von Fichtes Natio-
nalismus, vom absoluten Selbstzweck des Staates, wie er in Hegels
pantheistischem Begriff vom Staate als «irdisch Göttlichem » seinen
extremen Ausdruck gefunden hat. Aus dieser geistigen Einstellung
und aus einer gewissen Tradition heraus wuchs auch die siaatskirchliche
Haltung des Liberalismus. Traditionell wirkte im katholischen Vororte
die vom protestant:schen Landeskirchentum, von der Aufklärung und
von politischen Absolutismus beeinflußte kirchenpolitische Theorie
und Praxis des alten liberalen Patriziats, das in Luzern nach der
Niederlage im zweiten Villmergerkriege seine Ansichten im Udligens-
wilerhandel durchzusetzen versucht hatte und den kirchenpolitischen
Kanon in Felix Balthasars Schrift« De Helvetiorum iuribus circa sacra »
fand. Wie sehr diese Schrift auch den Dreißigerregenten noch als
theoretische Grundlage galt, zeigt der Umstand, daß der Luzerner
Kleine Rat sie 1834 allen Großratsmitgliedern zum Studium überreichte.
\Wıe das Vorbild des aufgeklärten Absolutismus im allgemeinen, so
wirkte auf kirchenpolitischem Gebiete namentlich das Beispiel Kaiser
Josephs II.! Die Kirchenpolitik Österreichs, Frankreichs und einiger
deutschen Staaten ermutigte die Schweizer Liberalen zu gleichem
Vorgehen. Das Beispiel der französischen Revolution und Napoleons 1.
wurde angerufen. Die Ausdehnung des staatlichen Machtbereiches
erfaßte auch das kirchliche ; man sah in der Kirche vielfach eine Art
I Die Schrift Balthasass wurde 1833 in Rapperswil neu herausgegeben.
Vergl. die « Kritischen Bemerkungen » Prof. Franz Geiegers ın der Schweizerischen
Kirchenzeitung, 1333, Nr. 32. — Die für die Regulierung der kirchlichen An-
gelegenheiten in Luzern aufgestellte Kommission ersuchte am ı2z. Juli 1836
Aargau um die Zustellung der Gesetze Josephs IT., die damals noch im Frickta!
in Kraft waren (St.-A.L. Fach IX, Fasz. 20). — Die «e Erklärung und Verteidigung
der Badener Konferenzartikel » (1835), von Schultheiß J. K. Amrhyn berief
sich ausdrücklich auf Joseph 11, eruhmvollen Andenkens ».
Bere 5 —
Staatsanstalt und in deren Vertretern bis hinauf zum Bischof Staats-
beamte. Die Idee des Freisinns, der Demokratie, des Nationalen suchte
der liberale Staat auch auf kirchlichen Boden zu übertragen, und die
liberale Geistlichkeit half mit. Wessenberg war diesen liberalen
Regenten das ldeal des katholischen Theologen. ! Sie beriefen sich
mit Vorliebe auf die christliche Urkirche, auf das Konzil von Basel,
auf die Freiheiten der Gallikanischen Kirche, wie’ sie Pierre Pithon
(1594), der Belgier Bernhard van Espen (1700) und andere verteidigt
hatten ; sie zitierten in ihrer staatlichen Theologie den josephinistischen
Kanonisten Jos. Ant. Riegger (f 1795) und holten sich selbst bei
protestantischen Theologen Rat. Im Konzil von Trient aber sahen
sie in erster Linie den Kampf zwischen päpstlicher und bischöflicher
(sewalt und bestritten die Annahme der Disziplinarvorschriften dieses
Konzils durch die katholische Eidgenossenschaft. * So beharrten sie
gegenüber der kirchlichen Auffassung -- wieder nach dem Muster
des Gallikanismus, des Febronianismus und des Josephinismus — auf
der « Staatskirchenhoheit » (ius majestaticum circa sacra), auf dem
«Recht der Oberaufsicht » (ius supremae inspectionis saecularis »), dem
-Schutz- und Schirmrecht des Staates » (ius advocatiae) und dem ius
cavendi als « unveräußerlichen Rechten einer jeden Staatsverbindung ». ?
Und da die römische Kurie diese Forderungen des liberalen Staates
nicht anerkannte, konstruierten die Vertreter dieser Staatsauffassung
einen scharfen Gegensatz zwischen Kirche und Kurie, bekämpften die
Nuntiatur als Vertretung einer «fremden Macht», die Jesuiten als
Kampftruppe des « Ultramontanismus » und arbeiteten auf möglichste
Selbständigkeit der nationalen Kirchenorganisation im Metropolitan-
vervande hin. Schultheiß Amrhyn nannte das «Rückkehr zu der
I Soließ die außerordentliche Kommission «des Luzerner Staatsrates, bestehend
aus Schultheiß F. L. Schnyder, ]. K. Amrhyn und J. R. Steiger, bei ihrer
Beratung der kirchlichen Angelegenheiten am 28. Juli 1836 das Gutachten
Wessenbergs für die Aufstellung einer erzbischöflichen und bischöflichen Pragmatik
einholen (St.-A. L. Fach IX, Fasz. 21).
® Anırhyns «Erklärung und Verteidigung». Amtliche « Bekanntmachung
und Beleuchtung der Badener Konferenzartikel » (Sursee 1835). — Vergl. über
die Annahme der Disziplinarvorschriften Segessers Rechtsgeschichte IV, 284 fl.,
320 ff., 345 f. (Annahmeerklärung Lussis), 360 f. (Erklärung der V Orte, 9. Januar
1564); Mayer Joh. Georg, Das Konzil von Trient und die Gegenreformation in
der Schweiz, Stans 1901, I, 132 ff. ; Reinhard Heinr., Studien zur Geschichte der
kath. Schweiz im Zeitalter Carlo Borromeos, Stans ıgıı, S. 60 ff.
® Amrhyns « Erklärung und Verteidigung ». Auch in einem Schreiben an
len Bischof vom 29. Oktober 1835 berief sich Amrhyn als Deputierter auf jene
Rechte, adie in der Wesenheit des Staates sich gegründet finden ».
=. G- zu
uralten kanonischen Kirchenordnung, die nur mit Verletzung der
wichtigsten Kirchengesetze und zum großen Schaden unseres Vater-
landes unterbrochen worden sind ».! Die Luzerner Regenten sagten
dem Volke in ihrer amtlichen « Bekanntmachung und Beleuchtung der
Badener Konferenzartikel », «daß sie die Kirchenordnung in der Eid-
genossenschaft wiederherstellen, den Bischöfen und der Geistlichkeit
ihre Rechte sichern, die kirchlichen Einrichtungen für Bewahrung der
reinen Grlaubenslehre und für Verbesserung des äußeren Kirchenlebens
wieder wachrufen, den Staat gegen die Anmaßungen kirchlicher
Gewalten schirmen, den Frieden in der Eidgenossenschaft ungestört
erhalten, Mißbräuche abschaffen ..., die Verfassungen und die von
unsern Vätern ererbten Rechte und Freiheiten handhaben wollen ». Die
Gesandten auf der Badener Konferenz erklärten, als sie den Metro-
politanverband forderten, sie haben « die für jeden Eidgenossen unab-
weisbaren Forderungen von Nationalgefühl und Ehre, nicht minder
das Bedürfnis, auch in kirchlichen Dingen die verschiedenen in der
Eidgenossenschaft waltenden Elemente zu einigen und fremde An-
maßung zurückzuweisen, und die Notwendigkeit in Erwägung gezogen,
die freie Geistesentwicklung auch auf jene Wechselfälle hin zu sichern,
da diesem oder jenen benachbarten Staate seine Selbständigkeit
geschmälert und Zwang und Fesseln wieder angelegt würden, wo
jetzt freie Bewegung im Volk und freisinniges Walten der Behörden
[sei] ». ?
Es ist freilich eine vielfarbige Skala, die diesen regierenden Frei-
sinn der dreißiger Jahre darstellt, aufsteigend von den gedämpften
Tönen eines stark traditionell orientierten « diplomatischen » Liberalis-
mus bis zu den grellen Farben eines draufgäangerischen, den katholischen
Glauben und das katholische Kirchenleben offen angreifenden Radı-
kalismus. Der Politiker und Historiker Prof. Anton Henne, ein
Führer der St. Galler Radikalen in den dreißiger Jahren, hat später
als Ziel dieses radikalen Freisinns bezeichnet : « kirchlich wie staatlich,
geistig wie politisch sich frei aus sich selbst heraus zu gestalten
« Befohlener, dogmatischer Glaube und Lehre ist uns fremd geworden »
schrieb er, «weil der jetzige Tempel die Welt, das Allerheiligste da:
Herz und der Hohepriester die Menschheit geworden. ... »® Dr. lud-
ı Amrhyn, a. a. 0.
* Konferenzprotokoll, zweite Sitzung.
" Henne, Geschichtl. Darstellung der kirchlichen Verhältnisse der katholischen
Schweiz, Mannheim 1854, S. ı ft.
—— 7 —
wig Snell, der radikale Politiker und Schriftsteller, sagte im Rückblick
‘ auf die kirchenpolitischen Kämpfe dieser Zeit: «Die Schweizerkirche
‚ ward ultramontanisiert. .... Schon die bloße Existenz eines römischen,
d.h. auf ultramontanischer Grundlage errichteten Bistums hat ...
einen beständigen Kampf zwischen beiden Gewalten [Kirche und
Staat] zur Folge. ...»! Über das Streben der radikalen Kirchen-
politiker zur Zeit des Badener Konkordates urteilte der liberale Schult-
heiß Xaver Schwytzer in einem Briefe so: «Was sich diese Leute
; einbilden, auf eigene Faust bewerkstelligen zu wollen, was weder dem
_ kaiser Joseph II. noch Napoleon gelungen ist! Wir haben leider
auch kurzsichtige Senatoren, die sich mit einem baldigen Metropolitan-
verband — gänzlicher Unabhängigkeit einer schweizerischen nationalen
Kirche — unausführbaren Träumereien hingeben. ...»? Land-
ammann G. J. Baumgartner, ein Urheber der Badener Konferenz, aber
meinte: «Allmählig wird sich das Volk an unsere Begriffe auch in
. kirchlichen Dingen gewöhnen. » ®
Ein typischer Vertreter des « diplomatischen », in der Form
tulderen Liberalismus war der Luzerner Schultheiß Joseph Karl
Amrhyn (1777-1848), dessen Wort und Wirken in unserer Darstellung
‚ im Vordergrunde stehen wird. Er war der Sprößling eines aristo-
m sr oe m — er
kratischen Geschlechts, das Luzern in der Blütezeit des altliberalen
Staatskirchentums führende Staatsmänner gegeben hatte. Während der
helvetischen Revolution war er noch nicht hervorgetreten ; unter der
Mediationsregierung aber diente er als Staatsschreiber und führte
anläßlich der St. Urban-Affäre (T808-09) im Kloster die Untersuchung
als Regierungskommissär. Beim aristokratischen Staatsstreich von 1814
stellte er sich dann an die Seite des Schultheißen Rüttimann und
half ihm die liberalen Staatsmänner vom Lande stürzen. Zum Danke
dafür wurde er in den Staatsrat gewählt und gewann rasch führenden
EinfluB. Nach dem Tode des Schultheißen Keller bestieg der Vierzig-
jährige Ende 1816 den Schultheißenstuhl und behielt die höchste
Würde des Kantons im Wechsel mit andern bis zum konservativen
Imschwung von 1841. Viermal amtete er in dieser Stellung als
Präsident der Tagsatzung. In den zwanziger und dreißiger Jahren
' Snell, Geschichtl. Darstellung der kirchl. Verhältnisse der katholischen
Khweiz, Mannheim 1854, S. 319 fi. — Vergl. auch die verschiedenen kirchen-
feindlichen Artikel des « Eidgenosse », u. a. 1835, N. ı5 ff.
"An Kanzler am Rhyn, 16. November 1833.
° An Prof. Federer, ız. Juni 1833. St. Gall. Analekten, V, 1893, S. 32.
er er
vertrat er seinen Stand mehrmals an den eidgenössischen Konferenzen
und Tagsatzungen und wurde so einer der erfahrensten und bekann-
testen Staatsmänner der damaligen Eidgenossenschaft. — Der Tradition
seiner Familie folgend, verband Amrhyn mit ausgeprägtem aristo-
kratischen Standesbewußtsein eine doktrinär liberale Staatsauffassung.
Diese politische Gesinnung vertrat er im kantonalen Leben, namentlich
als Präsident des Erziehungsrates und als Präsident des Rates in
kirchlichen Angelegenheiten. Mit Eduard Pfyffer betrieb er die frei-
geistige Reform der Höheren Lehranstalt und stand 1821 bei der
Absetzung Troxlers in scharfer Opposition gegen die konservative
Richtung von Rüttimann und Meyer. Beim liberalen Umschwung
von 1830 präsidierte er den Verfassungsrat und wurde 1831 als Vertreter
der liberalen Aristokratie zum Schultheißen der neuen Regierung
ernannt. So behauptete er auch in den dreißiger Jahren einen hervor-
ragenden Einfluß auf die kantonale und eidgenössische Politik. Doch
stellte er sich nun vielfach in scharfen Gegensatz zu seinen bedeuten-
deren Kollegen, besonders zu Eduard Pfyffer, Kasimir Pfyffer und
Robert Steiger. Diese bezeichneten ihn als einen verknöcherten
Aristokraten ; er aber kritisierte ihr ungestümeres Vorgehen und sah
mit Mißtrauen den wachsenden Einfluß der «Großtuer der Zeit, der
vorgreifenden Zeithelden », wie er sie nannte. !
Diese Reibungen zeigten sich auch in der Kirchenpolitik, in der
Amrhyn wohl die bedeutendste Tätigkeit entfaltete. Schon Ende 1816
hatte ihn der Staatsrat mit F. B. Meyer von Schauensee an den
neuen Nuntius Zeno abgeordnet, um diesem die Ansichten und Wünsche
betreffend die Bistumsverhandlungen mitzuteilen. In den Vorder-
grund trat er aber kirchenpolitisch, als er im März 1820 durch die
Langenthaler Konferenz mit dem Solothurner Staatsrat Louis von
Roll zum Kommissär für die weiteren Unterhandlungen mit dem
Nuntius über die Errichtung eines neuen Bistums Basel mit Sitz in
Solothurn gewählt wurde. Jahrelang führte Amrhyn mit seinem
Kollegen in dieser Stellung die Bistumsverhandlungen und gewann
damit einen hervorragenden Anteil an der Neugründung des Bistums
Basel. 2 Auch nachher sicherten ihm seine Erfahrung, seine eingehende
! Amrhyn an seinen Sohn, den eidg. Kanzler, 9. März 1834. Vergl. die
Lebensskizze von W. Gisi in der Allg. Deutschen Biogr. I, 409.
® Urkunden zur Geschichte des reorganisierten Bistums Basel, Aarau 1847.
Am 31. Januar 1832 erstatteten die beiden Kommissäre den Diözesanständen
ihren Schlußbericht (S. 154 ff.). — Im Familienarchiv am Rhyn liegen zahlreiche
— 19) —
Sachkenntnis und das vertraute Verhältnis zu Bischof Salzmann einen
maßgebenden Einfluß im Bistum.
Schultheiß Amryhn zeichnete sich als Staatsmann weniger durch
eine überragende Begabung als durch einen fast pedantischen Fleiß,
durch gründliche Kenntnis der Verhältnisse und durch eine in jahre-
langer Wirksamkeit erworbene diplomatische Gewandtheit aus. Er war
ein kühler, von großer Pflichttreue und dem Bewußtsein seiner
magistralen Würde erfüllter, vorsichtiger, aber auch zum Mißtrauen
neigender Staatsmann. In ihm verkörperte sich die josephinistische
Tradition seiner aristokratischen Vorfahren, die mit der Phrase und
mit unausgesprochenen Vorbehalten arbeitende Diplomatie Napoleons
und das in den Mitteln vorsichtige, in der Idee aber um so unnach-
gnebigere liberale Staatskirchentum der neuen Periode. ! Rom stand
er mit scharfem Mißtrauen und alten Vorurteilen gegenüber. Als
Grgor XVI. vom Bischof eine kräftige Haltung gegenüber den
staatlichen Ansprüchen verlangte, schrieb er : « Dieser Übermut
der Despotie wird die Kirche zernichten und zu diesem Ende ihre
Feinde ins Unendliche vermehren ; sie wird den Glauben an ıhre
Beseligung vollends untergraben, die Menschen, die ohnehin in
unbändiger Leidenschaft dahinleben, noch mehr entmenschlichen ...
Gott... enttäusche [befreie] das Oberhaupt der katholischen Kirche
recht bald von dem unseligen Wahne des Allwissens, der Unfehlbarkeit,
damit nicht eine Erblindung nachfolge» ... ? Ein anderes Mal
schrieb er gegenüber dem Einspruche des Papstes: «Man will den
Kampf ; man hat es dabei auf die Regierungen, die in ihnen sitzenden
Personen abgesehen, und man soll, man darf ihn — herausgefordert
— nicht vermeiden.» ... ?® Die Stellung des Bischofs aber umschrieb
er im gleichen Briefe so: «Der Bischof des Landes hat nur eine
Akten, Entwürfe, Kopien usw., von Amrhyns Hand und ein Teil der einschlägigen
Korrespondenz. — Vergl. auch meine Abhandlung « Vinzenz Rüttimann und
die luzernische Kirchenpolitik in der Mediations- und Restaurationszecit » Zeitschrift
[. Schweiz. Kirchengeschichte 1922, 102 ff., und meine Biographie F. B. Meyers,
Geschichtsfreund, 81. Bd., 183 fl.
I Herbert Dubler, Der Kanton Aargau und das Bistum Basel, Zürcher Disser-
ation, Olten 1921, S. 42 fl. — Amrhyns pedantische Arbeitsweise zeigen die
zahlreichen ausführlichen Notizen über Verhandlungen, seine umfangreichen
Zusammenstellungen historischer Daten in bezug auf das Kirchenwesen und die
Inhaltsangaben am Kopf und Rande der eingegangenen Briefe. — Sein Stil ist
gewunden, oft phrasenhaft.
3 An Bischof Salzmann, 4. Oktober 1838, St.-A. L. Fach 9, Fasz. ı2.
? An den Bischof, 21. April 1836. F.-A. A.
moralische Kraft, die zum Friede[n] im Inneren, zur Versöhnung
wirken soll. Der Macht des Staates in Verletzung dieser evangelisch
gebotenen Wirksamkeit aufreizend sich gegenüberstellen zu wollen,
wäre meines Erachtens eine Kühnheit, die nur zum Nachteil der
Religion ... ausschlagen könnte. Rom wird sich hüten, den Feuer-
brand in die Welt zu werfen, der seine eigene Zerstörung herbei-
führen könnte. ...» Während er die kirchlichen Organe immer
wieder an die evangelische Liebe und den Geist des Friedens und
der Gerechtigkeit erinnerte und von einem « edlen, wohlwollenden
Einverständnis zwischen den kirchlichen und weltlichen Behörden »
zum Besten des Vaterlandes redete, verlangte er, daß «die Stellung
der Regierung ungeschwächt und ehrenvoll erhalten » bleibe.! Die
Rechte des Staates suchte er durch eine weitläufige Aktensammlung,
die er dem Großen Rate und dem Bischof vorlegte, historisch nach-
zuweisen. Auch seine «Erklärung und Verteidigung der Badener
Konferenzartikel » (1835) hatte den gleichen Zweck. «Mit diesen
Waffen der Geschichte und des Rechtes will ich mich dem politischen
und religiösen Übermut gegenüberstellen, der von zwei Seiten her,
nach fremden Grundsätzen und Theorien das schweizerische Vaterland
unterwühlt », schrieb er am 23. Juni 1836 dem Bischof. Das stürmische
Vorgehen der Radikalen, auch in der Kirchenpolitik — namentlich
im Aargau — verurteilte er scharf. An seiner vaterländischen Gesinnung
ist nicht zu zweifeln, auch an einer gewissen persönlichen Religiosität
nicht, wenn sich auch seine kirchenpolitischen Ansichten unter dem
Einfluß der Tradition und der Zeitideen dem konsequent kirchen-
treuen Katholizismus oft scharf gegenüberstellten.
Mit Bischof Salzmann verband Amrhyn eine auf Achtung und
politischem Interesse beruhende Freundschaft. Er war es namentlich,
der Salzmann auf den Bischofsstuhl erhoben hatte. Wo er es von
seinem Standpunkte aus konnte, nahm er den viel Befeindeten in der
Folge in Schutz und ermunterte ihn zum Ausharren auf seinem
schwierigen Posten. Da er die langwierige Verhandlung um das
Bistum geführt hatte, mußte es ihm daran liegen, es vor dem wieder-
holt drohenden Zusammenbruch zu bewahren und die Stellung des
Bischofs nicht unhaltbar zu machen. Doch bei aller persönlichen
Teilnahme für die Leiden Salzmanns verzichtete er auf keinen seiner
! 10. Hornung 1834 an den Bischof. — St.-A. L. Fach 9, Absetzung Pfarrer
Hubers.
= TI.
staatskirchlichen Grundsätze. Anläßlich des erbitterten Kampfes
zwischen Aargau und Bischof schrieb er diesem: «Ich muß mein
persönliches Mitgefühl den allgemeinen Interessen vorderhand zum
Opfer bringen. ... Unter solchen Umständen bleibe ich entschieden
meinem bedrohten Vaterlande zur Seite, werde [aber] daneben ebenso-
wenig die Pflichten der teilnehmenden Freundschaft verleugnen. »! So
verteidigte er aus Staatsraison die Badener Artikel, trotzdem ihm sein
bischöflicher Freund wiederholt erklärte, warum die Kirche und
folglich auch der Bischof sie verurteilen müsse. Aber das persönliche
Verhältnis und seine maßgebende Stellung in den Diözesankantonen
sicherten ihm einen bestimmenden Einfluß auf Salzmann, einen Ein-
fluß, der zeitweilig stärker zu sein schien als der der Kurie. ?
Bischof Joseph Anton Salzmann ist eine historische Gestalt, die
sehr verschieden beurteilt wurde, und über die man auch heute nicht
leicht gerecht urteilen kann, am wenigsten, wenn man sie aus ihrer
Zeit und ihrem Milieu herausreißen wollte. Ein Nekrolog sagt vom
dahingegangenen Bischof : «Seine Absichten wurden oft mikßannt,
seine Handlungsweise erfuhr oft harten bittern Tadel. Leicht ist es
freilich demjenigen, der am sichern Ufer steht, den strenge zu
beurteilen oder zu tadeln, der auf der wogenden See durch Stürme
und Ungewitter das Schiff lenket. Aber ein solcher sollte nicht ...
vergessen, daß auch der Bischof Mensch ist und Mensch bleibt. ... »
— Der äußere Lebensgang ist einfach. ? Jos. Ant. Salzmann
I 24. Juli 1835 an den Bischof. St.-A. L. Fach. 9, Fasz. ı2.
2 Amrhyns Briefe an Salzmann waren mir nur in den Kopien zugänglich,
die im Familienarchiv und im Staatsarchiv liegen. Sie sind meistens von Frau
Amrhyn geschrieben, einige auch von seinem Sohne Karl Ludwig. Da und dort
brachte Amrhyn Randbemerkungen oder Korrekturen an. Ob die Originale
noch erhalten sind, konnte ich nicht feststellen. Im Diözesanarchiv sind sie bisher
— nach gütigen Mitteilungen Sr. Gn. Bischof Dr. Josephus Ambühl und des
hochw. Herrn Diözesanarchivars E. Schibler — in den bezüglichen Faszikeln
nicht gefunden worden ; das Archiv wird gegenwärtig (1927-28) vollständig neu
geordnet.
3 Allg. Deutsche Biogr. 30. Bd., S. 290 ff. (J. B.); Vautrey L. Histoire des
ev&ques de Bäle, vol. II, p. 533 ss., Einsiedeln 1886. « Blume auf das Grab des
Hochwürdigsten Bischofs von Basel oder dessen Nekrolog, aus der « Katholischen
Kirchenzeitung der Schweiz » abgedruckt », Solothurn 1854 ; «Leben und Wirken
des Hochwürdigsten Herrn Herrn Jos. Ant. Salzmann, Bischof von Basel, Rede
gehalten am Dreißigsten in der Kathedralkirche in Solothurn, den 24. Mai 1854 »,
von K. Arnold, Domherr und Domprediger, Solothurn 1854 ; «Stimme aus dem
Grabe des Hochwürdigsten Bischofes von Basel ..., Predigt gehalten in der
Pfarr- und Kathedralkirche zu Solothurn, am 2. Sonntag nach Ostern », von
— 2 —
entstammte einem der angesehensten Bürgergeschlechter Luzerns ; er
war der Sohn des Buchdruckers und Buchhändlers Jos. Alois Salzmann.
Am 25. April 1780 wurde er in Luzern geboren. In seiner Vaterstadt
besuchte er die Schulen bis zum Abschluß des theologischen Studiums.
1789 begann er «in rudimentis » und durchlief in den folgenden Jahren
meist als Erster unter seinen Klassengenossen das Gymnasium. Einer
seiner Lehrer war der spätere Stadtpfarrer und bischöfliche Kommissar
Thaddäus Müller. Von 1797 bis I800o — in der Zeit der helvetischen
Staatsumwälzung — studierte er am Lyzeum Theologie.! Schon
1799 wurde er als Neunzehnjähriger Vizeprofessor am Gymnasium.
Am 29. Januar 1801 wählte ihn der Erziehungsrat, unter Müllers
Leitung, zum Professor an der zweiten Gymnasialklasse ; er nannte
ihn im Empfehlungsschreiben an den helvetischen Minister Mohr
«einen jungen Mann, der seiner Klasse mit einer solchen Geschick-
lichkeit und Energie vorstand, als wenn ihn eine mehrjährige Erfahrung
geleitet hätte. »®2 Ob er in der Zwischenzeit noch auswärts seine
Studien fortführte, ist ungewiß. Ph. A. Segesser zählt ihn zur
Sailer’schen Schule. Wenn er auch nicht in Landshut zu den Füßen
des edlen Joh. Michael Sailer gesessen hat, so war er doch im spätern
Peter Hänggi, Stadtbibliothekar und Redaktor der Kirchenzeitung, Solothurn
1854; Pequignot Xav., Jos. Ant. Salzmann, &ve&que de Bäle, o. O. (1854);
Schneller Jos., Die Bischöfe von Basel, Zug 1830 (mit Widmung an Salzmann). —
Das Bild in der Portraitgalerie der Bürgerbibliothek Luzern trägt die Aufschrift:
« Josephus Antonius Salzmann, Lucernanus, anno 1780 die 25 Aprilis natus.
Excelluit a puero magna virtute, mira quidem humanitate, pietate ac benignitate.
Multos per annos Gymnasii et Lycei lucernensis professor, dein praepositus capituli
St. Leodeyarii, anno 1828 episcopus basileensis electus est, quippe qui amplius
25 annos summa sapientia et constanti pacis amore pedum gessit ad gregis salutem
et dioecesis. Obiit Soloduri, die 24 Aprilis 1854.» — Wiederholt wurde seir
Portrait, eine nicht sehr künstlerische Lithographie, reproduziert. (Siehe
Vautrey II, 540, Schmidlin, Geschichte des Priesterseminars, S. 16.) Das Original
des Titelbildes — ein nichtsigniertes Ölbildnis im Besitze des Staates — hängt
in den Räumen des Luzerner Erziehungsdepartements. Herr Ständerat Dr. Sigrist
gestattete mir in zuvorkommender Weise die Reproduktion. Nach einer gütigen
Mitteilung der bischöflichen Kanzlei wurde das Portrait 1832 von Konrad Hitz
(1798-1866) gemalt.
i Nomina Literatorum .... 1789-1795; Nomina D. D. Theologorum et
Philosophorum Lycei Lucernensis, 1795-1800 (St.-A. L.), 1797. Ex theologia:
« Progressu prorsus insigni.» 1799, « Tertii anni ....: Sehr gute Fähigkeit;
angestrengter Fleiß. Profectus : a prima nota. Mores:: sehr gut. » — Thadd. Müller
an Jos. Ant. Balthasar, 16. Juni 1820: « Salzmann, mein Schüler und mir ganz
zugetan. ...» (B. BL.)
? B.B.L.: Mser. 194. — St.-A. L. Fach 4, B.
—- 3 —
Wirken ein Vertreter seines Geistes. Am rı. April 1803 empfing
der junge Professor in Konstanz die Priesterweihe. Nach vierzehn-
jähriger Wirksamkeit als Professor der Syntax ernannte ihn der
Luzerner Rat im Jahre 1818 zum Professor der Moral, Dogmatik und
Kirchengeschichte am Lyzeum. ? — In den zwanziger Jahren stieg
dann der beliebte Lehrer in der kirchlichen Hierarchie rasch von
Stufe zu Stufe. Zur Zeit der durchgreifenden freisinnigen Reformen,
die Eduard Pfyffer an der Höhern Lehranstalt durchführte, wurde er
Chorherr zu St. Leodegar und bischöflicher Kommissar (1820). In
dieser Zeit gab er die Erbauungsschrift « Landestrost und gnadenreiche
Hülfe Unserer lieben Frau im Herrgottswalde unweit Luzern » heraus.
Dem religiösen und politischen Liberalismus, den in Luzern namentlich
Thaddäus Müller und Eduard Pfyffer förderten, trat er an der Seite
Güglers und Widmers in den folgenden Jahren offen entgegen, zu-
nächst bei der Abberufung des Naturphilosophen ]J. P. V. Troxler,
dann auch bei der Einführung des protestantischen Gottesdienstes in
Luzern.? Am ı2. Mai 1824 ernannte ihn Bischof Franz Xaver Neveu
zum Generalvikar ; am 4. August des gleichen Jahres wurde er auch
Propst zu St. Leodegar. 1827 übertrug ihm Papst Leo XII., nach
der Abreise des Internuntius Gizzi, das Amt eines Gestor Negotiorum
Nuntiaturae. ?
l Segesser, 45 Jahre im luzernischen Staatsdienst, Bern 1877, S. 534. — Sailer
bat am s. Mai 1823 den Stadtpfarrer Müller, Salzmann seine Empfchlung zu
melden. — B. B. L. Briefw. J. A. Balthasar.
?B.B.L.: Mscr. 194. — Staatsrat Eduard Pfyffer an Jos. Ant. Balthasar,
26. Jan. 1819 : « Mit der Dogmatik bin ich .... im Gedränge. Geiger muß entfernt
werden. Weder Widmer noch Salzmann wollen — soviel sie sagen — diesen
Lehrstuhl übernehmen. Auch wünschte ich aus vielen Gründen denselben von
keinem allzu heftigen Papisten besetzt. Für einmal wünschte ich Vok (den spätern
Domdekan), Gügler und Salzmann in der Theologie, Widmer in der Philosophie.
Nach Verlauf eines Jahres könnte Salzmann, was selbst in den Wünschen des
Publikums liegt, zum Stadtpfarrer befördert und endlich die letzte Hand an alle
vorhabenden Reformen gelegt werden. »
? Vergl. Troxlers Ausfälle gegen ihn in «Luzerns Gymnasium und Lyzeum
...», Glarus 1823. — Thadd. Müller an Jos. Ant. Balthasar, 28. Oktober 1821:
‘Wie Sie zu ahnen scheinen, ist Salzmann, der alles mir zu danken hat, der
allerschlechteste. Statt ein einziges Mal, nachdem er zum Kommissariat erhoben
war, mich zu besuchen, konnte er nicht geschwind genug an ... Gügler [und]
... Widmer ... sich anschließen, denen er ekelhaft sklavische Unterwerfunz
bezeigt. ... » — Einige Schreiben aus den zwanziger Jahren liegen im F.-A. A. IV,
D. 70 und im St.-A. L. Fach. 9, Fasz 19.
*% Staatsrat F. B. Meyer von Schauensee schreibt am ı8. März 1827 an Paul
Usteri: Der Propst sei als Verwalter der Nuntiatur mißfällig ; er habe ohne Welt-
In diesem Jahre näherten sich die seit 1814 dauernden Unter-
handlungen wegen der Neugründung des Bistums Basel ihrem Abschlusse.
Am 26. März 1828 wurde das Bistumskonkordat in Luzern von Inter-
nuntius Gizzi und den Kommissären der Diözesanstände, Schultheiß
Amrhyn und Staatsrat von Roll, unterzeichnet. Zwei Tage später
schlossen die Stände Luzern, Bern, Solothurn und Zug in Langenthal
einen neuen Vertrag zur Wahrung ihrer staatlichen Ansprüche. Am
7. Mai sanktionierte Papst Leo XII. das Konkordat durch die Circum-
scriptions-Bulle « Inter praecipua ». Die feierliche Bekanntmachung des
Konkordates und der Bulle erfolgte am 13. Juli 1828 in der Stiftskirche
zu Solothurn. Die Diözesanstände hatten von sich aus der Bulle das
Plazet erteilt und verlasen es bei der Promulgation. *® Nachträglich
schloß sich auch der widerstrebende Aargau an, ebenso Basel und
Thurgau.
Inzwischen war am 23. August der letzte Fürstbischof von Basel,
Franz Xaver de Neveu, gestorben und Salzmann, der Generalvikar
und Dekan des Domkapitels, durch den Nuntius mit dem Titel und
den Vollmachten eines apostolischen Verwesers der Diözese aus-
gestattet worden. ? Nachdem der Domsenat durch den Papst ernannt
war, schritten die kirchlichen und staatlichen Behörden zur ersten
' Bischofswahl im neuen Bistum. Der Heilige Vater erließ am 15. Sep-
und Menschenkenntnis eine Reihe von « Unschicklichkeiten » gemacht. (Zentral-
bibliothek Zürich, Korr. Usteri.) Usteri antwortete ihm : Gizzi habe den Aargauer
Gesandten gegenüber den Propst Salzmann «als den von Rom gewünschten
Bischof » bezeichnet. Es werde aber auch gesagt, Luzern habe für Meyers
Bruder, Propst L. Meyer von Beromünster, Zusicherungen erhalten. {Fam.-Arch.
Meyer.)
1 St.-A. L. Fach 9, Fasz. 3. — B. B.L. Mscr. 223. Kothing M., Die Bistums-
verhandlungen der schweizerisch-konstanzischen Stände von 1803-1862, Schwyz
1863, S. zo fl. ; Herbert Dubler, Der Kt. Aargau und das Bistum Basel, Olten 1921,
S. ı7 fl.; Fritz Fleiner, Staat und Bischofswahl, Leipzig 1897, S. 65 fl., 257 fl.:
Vautrey, Histoire des &v&ques de Bäle, Einsiedeln 1886, II, p. 524 ss. (mit dem
Text des Konkordats).
2 «a Urkunden zur Geschichte des reorganisierten Bistums Basel », Aarau
1847, 5. 17 fi. (Verbal-Prozeß). Gareis und Zorn, « Staat und Kirche in der Schweiz »,
Zürich 1878, II, S. LXII.
8 St.-A. L. Fach 9, Fasz. ız. Nuntius Ostini an Amrhyn und von Roll,
31. August 1828. Salzmann an Amrhyn, 2. September 1828. — Ernennungs-
schreiben des Nuntius an Salzmann vom 30. August 1828 in den « Urkunden»,
S. 24 ff., 165 fi. Dort auch die Anzeige an die Kommissäre und deren Kreis-
schreiben vom 31. August an die Diözesanstände. — Anzeige der päpstlichen
Ernennung Salzmanns zum Dekan durch Internuntius Gizzi am ı9. Juli 1828,
S. 20 f., 164 f.
tember das Exhortationsbreve. — Als Kandidaten wurden unter
den Staatsmännern der Abt von St. Urban, Friedrich Pfluger, der
Solothurner Professor Weißenbach, Domherr Wirz, Propst Ludwig
Meyer von Schauensee in Beromünster und Salzmann genannt. Der
Vorsitzende der Ständekonferenz, Schultheiß Glutz-Ruchti, schrieb dem
Abt von St. Urban am 18. November : « Dieses amalgamierte Bistum
und der Eid, den der Bischof zuhanden der löblichen Diözesankantone
abzulegen hat, mißfallt mir im höchsten Grade. ... Ich kann mich
umsehen, wohin ich will, so kenne ich niemanden, welchem diese
Würde anzuvertrauen wäre... außer E. h. G.» Abt Pfluger lehnte
aber in «tiefster Bestürzung » ab. Der Berner Schultheiß Rud. von
Wattenwyl schlug dem Schultheißen Amrhyn am 4. Dezember Professor
Weißenbach vor. Staatsrat Eduard Pfyffer aber schrieb Amrhyn
schon am 16. Juli: «Rom wünscht, so wie ich wahrnehme, den
Salzmann. Er ist seiner Schwachheit wegen bekannt und wäre ein
gehorsames Werkzeug der Nuntiatur. »?2 Dennoch arbeitete Amrhyn
auf die Wahl Salzmanns hin. Er konnte am 25. Januar 1829 seinem
Sohne schreiben : « Propst Meyer und das Haus Rüttimann war immer
mit Gizzi im geheimen Einverständnis. Jenen zum Bischof zu kreiern,
war ihre Absicht, die ich vereitelt. »? — Bezüglich der Wahlart
wünschte Seckelmeister Jenner in Bern, die Diözesanstände sollten sich
«über die Art und Weise verständigen, wie sie den ihnen gestatteten
Einfluß auf diese erste Wahl, welche wahrscheinlich den Maßstab
für alle künftigen abgeben werde, ausüben wollen ». « Hierseits glaubt
man », schrieb er Amrhyn, « denselben nicht bloß negativ ..., sondern
in Übereinstimmung mit den übrigen h. Diözesanständen positiv
durch Bezeichnung eines denselben angenehmen Subjekts ausüben zu
sollen. ... »* Solche Äußerungen ließen die Schwierigkeiten der
Wahl voraussehen. |
Am 5. Dezember versammelten sich in Solothurn die Vertreter
der Diözesanstände Solothurn, Bern, Luzern und Zug zur Besprechung
der Feierlichkeiten bei der Einsetzung des Domkapitels und der An-
wendung des ius exclusivam dandi bei der Bischofswahl und zur
! Lateinischer Text in der Schrift: «Die erste Bischofswahl zu Solothurn
im Jahre 1828 ; aus den hinterlassenen Papieren eines verstorbenen Domkapitulars
....», Luzern 1863, S. 5 f. Fleiner, Staat und Bischofswahl, S. 273 f.
2 St.-A. L. Fach 9, Fasz. ı2.
® F.-A. A.
% 14. November 1838 ; St.-A. L. Fach 9, Fasz. ı2.
= 76: =
genaueren Festsetzung der Bistumseinrichtungen. Das neue Dom-
kapitel konstituierte sich am 6. Dezember, lehnte es aber ab, dafür
die Erlaubnis der Ständevertreter einzuholen ; trotzdem glaubte die
Diözesankonferenz einem Bestätigungsgesuch, das nicht gestellt worden
war, ihre Genehmigung erteilen zu müssen. ! Am gleichen Abend hatte
der Domsenat mit den Ständevertretern eine Konferenz über die Wahl.
Es wurde beiderseits ein Ausschuß für vertrauliche Besprechungen
ernannt. Die Deputierten der Stände verlangten bei der ersten
Besprechung, daß ihnen jeder Kandidat einzeln präsentiert werde;
der Senat aber weigerte sich, auf eine solche Wahlart einzugehen.
Bistumsverweser Salzmann konnte dabei einen Brief des Nuntius
vorweisen, worin dieser ihm alle Vollmachten, in seinem Namen zu
raten, einräumte. Er erklärte, gestützt auf diese Vollmachten, daß
der Ständekonferenz nur der Ausschluß eines Drittels der aufgestellten
Kandidaten gestattet werden könne, und munterte das Kapitel auf,
seine Rechte zu verteidigen. Nach einer weitern Besprechung mit den
Ständevertretern wurde am 9. Dezember vom Wahlkörper eine Liste
von sechs Kandidaten aufgestellt. Die Diözesankonferenz strich drei
von ihnen. Salzmann und Domherr Wyssing vermochten als Depu-
tierte des Senats daran nichts zu ändern, und so gab der Bistums-
verweser den Rat, die Bischofswahl in dieser Form vorzunehmen,
um durch eine weitere Verschiebung nicht Anstoß zu erregen. Am
10. Dezember fand nun die Wahl statt. Unter den drei verbliebenen
Kandidaten Salzmann, Propst Meyer und Domherr Wirz erhielt Salz-
mann im dritten Skrutinium gegenüber Meyer die Mehrheit. ® Papst
Pius VIII. bestätigte die Wahl im Konsistorium vom ı8. Mai 1820.
Mit sorgenvollem Widerstreben, aber auch mit starkem Gott-
vertrauen nahm der Gewählte die schwere Bürde auf sich. «Gott
der Herr ließ gewiß nur deswegen die Bischofswahl auf seinen geringsten
und schwächsten Diener fallen, um desto auffallender zu zeigen, was
seine Macht und Weisheit auch durch das kraftloseste und verächt-
lichste Erdengeschöpf zu wirken vermöge », schrieb er demütig an
! «Urkunden», S. 49 fl. — Protokoll der Verhandlungen vom s. bis
13. Dezember 1828. — « Die erste Bischofswahl », S. 7 f.
? «Die erste Bischofswahl», S. 2ı; Fleiner, a. a. O. S. 93, ı38 f.:
Jeh. Schmid, Zur Geschichte des die Diözese Basel betreffenden Bistumsvertrages
. und der nachfolgenden Bischofswahl (Kath. Schweizerblätter, N. F. I. 1885,
S. 241 f.) — Im zweiten Skrutinium hatten Salzmann und Meyer gleichviel
Stimmen (5) ; im dritten erhielt Salzmann 6 (gegen 4).
den Abt von St. Urban. !— Am 26. Juli 1829 wurde der erwählte
Bischof in Solothum durch den Nuntius Ostini, unter Assistenz des
‘ Bischofs Yenny von Lausanne-Genf und des Abts Friedrich Pfluger
von St. Urban, feierlich geweiht. Gleichzeitig war die Ständekonferenz
' ın Solothurn versammelt, um die Formalitäten staatlicherseits fest-
zulegen, den Bischof zu beeidigen und die Stände Basel, Aargau und
‘ Thurgau ins Bistum aufzunehmen. Unmittelbar vor seiner Konse-
_ kration erschien der Bischof vor den Ständevertretern und schwur
den vieldeutigen Staatseid, welcher folgenden Wortlaut hatte: «Ich
schwöre und gelobe auf das heilige Evangelium Treue und Gehorsam
den Regierungen der Kantone, aus denen das Bistum Basel besteht,
und überdies gelobe ich, weder in noch außer der Schweiz ein Ein-
verständnis zu pflegen, an einem Ratschlage teilzunehmen und eine
verdächtige Verbindung zu unterhalten, welche die öffentliche Ruhe
gefährden könnte ; sollte ich je Kunde erhalten von einem dem Staate
schädlichen Anschlage, sei es in meiner Diözese oder anderswo, so
werde ich die Regierung davon in Kenntnis setzen. ....»2
Die Wahl Salzmanns wurde im allgemeinen auch von der liberalen
Presse günstig aufgenommen. Es mag interessieren, bei dieser Gelegen-
heit das Urteil der Zeitgenossen über den neuen Bischof zu hören.
Wir knüpfen daran den Versuch einer Charakteristik Salzmanns und
. siner Stellung als Bischof der Diözese Basel. — Der von Zschokke
geleitete « Schweizerbote » in Aarau schrieb von Salzmann : « Derselbe
... trägt bei allen Unbefangenen, die ihn durch Umgang genauer
kennen, das schöne Zeugnis, er sei ein Mann, pünktlich streng in den
Vorschriften der Kirche, dabei aber nicht minder ein treuer, dem
schweizerischen Vaterlande innig ergebener Sohn desselben, fern von
Verketzerungssucht, aber einer wahren, stillen Frömmigkeit ergeben,
bescheiden, demütig und bis zur Ängstlichkeit gewissenhaft. ....
Nicht nur bewies er sich durch Versöhnlichkeit immer gegen die, von
denen er vielleicht Kränkung erfuhr, als echter Christusjünger, sondern
— was in unsern Tagen besonders wertvoll an einem kirchlichen
I Luzern, den ı9. Dezember 1828. St.-A. L. Fach 9, Fasz. ı2.
I Fleiner, S. 284 f.; Gareis und Zorn, II. 84 f.; « Urkunden », S. 133 ft. ;
Konferenzprotokoll. — St.-A. L. Fach 9, Fasz. ı1. — F.-A. A. Bezügliche Briefe
Salzmanns an Amrhıyn. — Über die rechtlichen Grundlagen des neugegründeten
Bistums siehe Gareis und Zorn, IL, 78 fl., 95.; K. Attenhofer, Die rechtliche
Stellung der katholischen Kirche gegenüber der Staatsgewalt in der Diözese
Basel, II, ı ff. ; «e Aktenstücke », 1830 ; Dubler, a. a. O.S. 4 ff. Über den Bestand
des Bistums : Zeitschrift für Schweiz. Statistik, III, 1867, S. 74
REYUE D’HISTOIRE ECCLESIASTIQUR 2
BE ee
Oberhirten sein muß — er war niemals politischer Parteimann. Er
sah auf den innern Wert des Mannes, gleichgültig, ob derselbe der
Fahne der Liberalen oder Konservativen folgte. Und mehr als die
Person beachtete er jedesmal die Sache. Es ist wohl zu glauben, daß
der Hirtenstab in der Hand eines solchen Mannes an seinem Herzen
nichts ändere. »1 Die « Neue Zürcher Zeitung » Usteris schrieb kritischer:
«Herr Salzmann ist eben kein Mann von ausgezeichneten Greistes-
gaben, aber tätig und arbeitsam. Ihm fehlte früher jene Kenntnis
der Welt und ihrer Verhältnisse, die jedem Mann, der in wichtigen
Geschäften steht, nie abgehen sollte. Diesem Umstand und der Ein-
flüsterung manches nicht ganz glücklich gewählten Ratgebers mögen
die Mißgriffe zuzuschreiben sein, deren er sich hie und da früherhin
schuldig machte. ... Seit jener Zeit scheint mit Herrn Salzmann
eine günstige Veränderung vor sich gegangen zu sein. Er hat mancher-
lei Beweise von Mäßigung gegeben, und bei der im Kanton Luzern
vorgenommenen Beschränkung schon längst abgeschaffter Feiertage,
sowie bei andern Anlässen hat er die wohltätigen Absichten der
Regierung gehörig unterstützt. Auch bei Anlaß der mancherlei
Besprechungen, die bei der jüngst in Solothurn stattgefundenen
Konferenz zwischen dieser und dem Domkapitel gepflogen wurden,
hat er sich durch Würde, Geradheit und konziliatorischen Sinn in
solchem Maße ausgezeichnet, daß das Domkapitel durch dessen Wahl
zum Bischof wirklich die Wünsche der Konferenz erfüllte, was diese
auch unzweideutig an den Tag gelegt hat. ...»? Ein ausgeprägtes
Parteiurteil aber fällte später der radikale « Historiker » Ludwig Snell.
Er schrieb von Salzmann: «Seine warme Anhänglichkeit an die
Grundsätze der römischen Kirche erwarb ihm die Propstei des Stiftes
zu Luzern und später das baselsche Provikariat. Mit tätigem Eifer
nahm er an allen Unternehmungen der ... römischen Partei zu Luzern
teil. ... An Talenten ist er nicht ausgezeichnet. ... Übrigens wird
ein lenksames und verträgliches Gemüt, ohne Eigenwillen, an ihm
gerühmt. ... » Salzmann war nach diesem Gewährsmann « gutmütig
und eigentlich nur zum Meßlesen geboren, aber als ein willenloses
Instrument der Nuntiatur tauglich, zu höheren Würden erkoren zu
I Nr. sı, ı8. Dezember 1828 ; Nr. 2, 1829.
2 Nr. 102, 20. Dez. 1828. — Wörtlich gleich in der Augsburger « Allg. Zeitung »,
Nr. 109, 25. Dez. 1828. Nach dieser Vorlage ist offenbar das Urteil Tilliers in
seiner Geschichte der Restaurationszeit, III, 362, formuliert.
werden. »! Dieses Urteil wiederholten mehr oder weniger schroff
liberale und radikale Staatsmänner und Publizisten. Staatsrat Eduard
Pfyffer z. B. schrieb 1833 an Amrhyn : «Der Bischof predigt morgen
in Luzern. Man sollte mit ihm nachdrücklich sprechen. Es muß ihm
begreiflich gemacht werden, daß er ein schweizerischer Bischof und
nicht der Schleppträger des Nuntius sei.»® Das geistige Haupt der
Luzerner Liberalen, Dr. Kasimir Pfyffer, äußerte sich 1835 gegenüber
Amrhyn : «Bischof Joseph Anton ist so schwach und so unbedingt
der Nuntiatur unterworfen, daß von ihm nichts gehofft werden darf.
Seine Resignation dürfte kein Unglück sein. ... »3 Siegwart-Müller,
der Führer des Sonderbundes, anerkannte zwar die schwierige Stellung
des Bischofs, bezeichnete ihn aber auch als schwächlich im entgegen-
gesetzten Sinne. * Ph. Ant. Segesser rühmte später die Milde und
berührte die Schwäche Salzmanns.5 Nach dem Tode des Bischofs
aber anerkannte selbst die Regierung des Kantons Aargau seine hohen
Verdienste um den konfessionellen Frieden und um das Einverständnis
von Kirche und Staat.® Und als fünf Diözesanstände während des
sogenannten Kulturkampfes (1873) den Bischof Lachat als abgesetzt
erklärt hatten, rühmten sie in der rechtfertigenden Proklamation den
«milden, echt christlichen und eidgenössischen Geist, der seit der
Gründung des Bistums Basel die Bischöfe Salzmann und Arnold beseelte,
das gute Einvernehmen, das sie mit den Regierungen zu unterhalten
trachteten ». ?
Es ist für den ruhigen Betrachter jenes stürmischen Jahrzehnts
I Snell, Dokumentierte pragmatische Erzählung der neuern kirchlichen
Veränderungen ...., Sursee 1833, S. 38, ı82 f. In seiner « Geschichtl. Darstellung
der kirchl. Verhältnisse der kath. Schweiz » (Mannheim 1854), II, 306 f., wieder-
holt Snell dieses Urteil und wirft Salzmann « krassen Obskurantismus » vor.
2 30. Sept. 1833 ; F.-A. A. — Wie sich Ed. Pfyffer politisch zum kirchlichen
Öberhirten überhaupt einstellte, mag auch eine Briefstelle vom ı4. März 1820
zeizen: « Die Solothurner freuen sich so sehr, den Bischof zu bekommen, als ich
iroh bin, daß wir hier seiner losgeworden sind. Es werden bei 20,000 Fr. all-
jährlich ersparet, die an diesen unnützen Menschen hätten verwendet werden
Müssen, und wir sinken nicht zu einem elenden Pfaffennest herab, wie sonst unser
los gewesen wäre. ... Wir haben wahrlich am Nuntius genug. ...» (B.B.L.
Briefw. J. A. Balthasar.)
° 29. Juli 1835. F.-A. A.
* Siegwart-Müller, « Der Kampf zwischen Recht und Gewalt », Altdorf 1864,
S. 165, 209.
° Kasp. Müller, Ph. A. von Segesser, Luzern 1924, II, 315.
* Arnold Keller, Augustin Keller, Aarau 1922, S. 312.
? Gareis und Zorn, Staat und Kirche, II, ı3;.
— und nur um dieses handelt es sich hier — sehr schwer, die Stellung
und Persönlichkeit Bischof Salzmanns allseitig gerecht zu würdigen ;
seine brieflichen Äußerungen vermögen von Fall zu Fall am besten
zu charakterisieren. «Wer einen hochgestellten Mann nicht unrichtig
beurteilen will, der muß imstande sein, sich auf den geeigneten Stand-
punkt zu stellen, von welchem er einen hellern und tiefern Blick in
dessen Leben und Wirken werfen kann », sagte der Nachfolger Salz-
manns in seiner Gedächtnisrede ; und diesen Standpunkt scheint mir
die Betrachtung durch die eigenen Worte des Bischofs einzunehmen.
— Jos. Anton Salzmann hatte in seiner kirchlichen Haltung manches
gemein mit Joh. Michael Sailer, dem berühmten Gründer einer neuen
theologischen Schule. Wie dieser, suchte er zwischen einer polemischen,
konservativen Richtung des Klerus und einer radikal reformierenden,
gegen Dogma und Kirchenordnung auftretenden Schule im Geiste
Wessenbergs zu vermitteln, an der Glaubensgrundlage streng fest-
zuhalten, im übrigen aber den Strömungen der neuen Zeit alle möglichen
Zugeständnisse zu machen und im Streit und Hasse seiner Zeit die
christliche Liebe, den Frieden, das Beispiel persönlicher Religiosität
siegen zu lassen. Er war, wie Sailer, kein Freund der streitbaren
Richtung unter der Führung der Gesellschaft Jesu und ging in seiner
Ablehnung dieser kirchlichen Organisation sehr weit. So schrieb er
an Schultheiß Amrhyn:: «Die Jesuiten regieren und haben auch in
der Schweiz einen um so festern Stand gewonnen, je mehr das leiden-
schaftliche Unwesen des alles zerstörenden Radikalismus für den
Jesuitismus rekrutiert hat. Die Monarchen scheinen, um ihre irdische
Macht zu sichern, sich an Loyolas Jünger hingegeben zu haben. »!
In dem scharfen Gegensatz der verschiedenen Richtungen innerhalb
des Klerus, im Konflikt zwischen den nationalen Bestrebungen der
liberalen Regierungen und eines Teils der Geistlichkeit einerseits,
der starken Haltung des Heiligen Stuhles anderseits, suchte er mit
seinen Grundsätzen, «die keiner von beiden Parteien huldigten »,
eine Mittelstellung einzunehmen. Das hrachte ihn wiederholt in Gegen-
satz zum Bestreben Roms, verlorene Positionen wieder zu gewinnen
und gefährdete durch grundsätzliches Festhalten am kanonischen
Recht zu sichern. Er redete von «absolutistischen Machtgeboten :
I 25. Juni 1836 ; F.-A. A. — Vergl. über Sailer Seb. Merkle, in « Religiöse
Erzieher Jder kath. Kirche », Leipzig 1920, S. ı8< fl.
der römischen Kurie.! «Was kann der Bischof von Basel in seiner
isolierten Stellung machen ? Blitzstrahlen schleudern gegen Verfassung
und Vaterland ? Wenn er es nicht tut, so braucht es nur ein einziges
Damnationswort vom Vatikan, und er liegt zertreten wie ein Wurm.
Freiherr von Hontheim, Weihbischof zu Trier, mußte seinen Febronius
und Scipio de Ricci, Bischof von Pistoja, die Sätze der Synode von
Pıstoja widerrufen », schrieb er einmal dem Schultheißen Amrhyn. ?
Wiederholt beklagte er sich, daß Rom seine Stellung und die
Verhältnisse seiner Diözese nicht genügend berücksichtige. Seine
unleugbare Vaterlandsliebe, seine friedliebende Gesinnung und eine
sehr weitgehende persönliche Rücksichtnahme ließen ihm oft die
Forderungen des Heiligen Stuhles als Härte erscheinen ; das umso-
mehr, als er vom Papste und vom Nuntius wiederholt in scharfer
Weise zurechtgewiesen wurde.
Bei aller fast schwächlichen Nachgiebigkeit und einem lang-
mütigen Vermittein aber fand Salzmann doch deutliche Worte
der Zurückweisung, wo er das Wesen des Katholizismus und der
Kirchenordnung bedroht sah. So schrieb er am Ende der dreißiger
Jahre : «Es ist wirklich, daß der Bischof von Basel gegen die Badener
Artikel und die Pfarrerabsetzungen neuerdings und schärfer auftreten
sollte — daß er sollte dem Preßunfug und unkirchlicher Lehre einen
Damm setzen und das Erziehungswesen wieder in sein Bereich ziehen.
Welche Folgen würde aber in unsern Tagen ein Gewaltskampf hervor-
rufen? So sehr ich alles Unkirchliche und Ungerechte und Unsitt-
liche verabscheue, kann ich mich dennoch mit dem Gedanken, durch
Gewalt zu wirken, nicht befremden. Aber ebensowenig lassen sich
die modernen Grundsätze, welche die Kirche zur Magd des Staates
herabwürdigen, in Schutz nehmen. ...»® Und über die Badener
Artikel urteilte er einmal: «Die Badener Konferenzartikel, wie sie
128. Dez. 1838 ; 6. Juli 1836 an Amrhyn. F.-A. A. — Vergl. das schroffe
Urteil der kath. Kirchenzeitung von Aschaffenburg (abgedruckt in der Allgemeinen
Kirchenzeitung, Nr. 36 f., 1836): «Sein [Salzmanns] Betragen (in der Cuttat-
Affäre) konnte niemand befremden, der die Beschränktheit dieses vor sieben
Jahren von dem Luzerner Schultheißen Amrhyn und Eduard Pfyfler (zwei leiden-
Xhaftlichen Kirchenfeinden) zum Bischof empfohlenen Mannes kennt. Ohne Welt-
ınd Menschenkenntnis, von der Natur und den Zwecken der Revolution wenig
oder gar nichts verstehend, setzt er selbst bei den anerkanntesten Religionshassern
ar etwas Arges voraus und scheint nur von der fixen Idee besessen, man solle und
dürfe den Regierungen in gar nichts widerstreben. ... »
? 16. Jan. 1839 ; St.-A. L. Fach 9, Fasz. ı2.
’ An Amrhyn, 16. Jan. 1839; ebenda.
stilisiert sind, erscheinen offenbar als eine Art Kriegserklärung oder
wenigstens Off[ensiv)- und Defensivbündn's des Staates gegen die
Kirche, obgleich die Staatsmänner keine solche Meinung gehegt haben
mögen. »! Solche Urteile erhalten im Munde des milden, der welt-
lichen Obrigkeit ehrfurchtsvoll ergebenen und bis zur äußersten Grenze
der Duldung gehenden Oberhirten ein um so schwerer wiegendes
Gewicht.
Die sittliche und religiöse Persönlichkeit Salzmanns nötigten selbst
dem Gegner Hochachtung ab. Wir bewundern im Charakterbild des
Bischofs die große Demut, das unerschütterliche Gottvertrauen, eine
tiefe Frömmigkeit, verschwiegene Wohltätigkeit, herzliche Güte, den
großen Arbeits- und Seeleneifer, die zarte Sorgfalt für seinen alten,
erblindeten Vater, die aufrichtige Freundes- und Verwandtenliebe und
bei aller bitteren Erfahrung einen edlen Frohsinn. * Schöne Beweise
seiner Pastoralsorge sind die zahlreichen bischöflichen Hirtenbriefe
der fünfundzwanzigjährigen Wirksamkeit. ® In einer ruhigeren Zeit
hätten dieser edle Wille und die religiöse Innerlichkeit Salzmanns
zweifellos mehr Frucht bringen können als in jenen unruhvollen Jahr-
zehnten. Jedenfalls würden wir der Persönlichkeit und der Haltung
des Bischofs nicht gerecht, wenn wir ihn nur nach seinen sichtbaren
Erfolgen in der Kirchenpolitik der dreißiger Jahre beurteilen wollten.
Er hat die bedauerlichen Verhältnisse persönlich schwer empfunden.
«Ich leide sehr und seufze nach Erlösung », schrieb er einmal dem
Schultheißen Amrhyn. * Doch in christlicher Milde konnte er auch
sagen : « Leidenschaftlichkeit kenne ich keine und verzeihe denjenigen,
die meine Lage und Stellung nicht kennen können, ihre in den Zeitungen
gegen mich gemachten Ausfälle, hoffend, der Allbarmherzige werde
mir auch meine Fehler verzeihen. » ®
1 27. Juli 1835, an Amrhyn; ebenda.
2 Vergl. den Briefwechsel des Bischofs mit Kaplan Felix Georg Meyer in
Hospenthal, in der Schweiz. Kirchenzeitung, 1923, Nr. ı8 fi. (von Dr. Alois
Henggeler). — Vautrey, IL, 534, 549 ; « Blume auf das Grab», S. 7 ff. Arnold.
Leben und Wirken, S. 5 fl. «Frieden stiften und Frieden wahren, war ihm Herzens-
geschäft. Aber gerade diese Friedensliebe, diese Friedfertigkeit ward ihm öfters
als Schwäche angerechnet. Nein | aus Schwäche handelte Bischof Jos. Anton
nicht. Nicht Schwäche, sondern Überzeugung bestimmte ihn. ....»
® Siehe das Verzeichnis der Hirtenschreiben in Schmidlins bibliographischer
Zusammenstellung : « Die kath.-theologische und kirchliche Literatur des Bistums
Basel ... » (Bibliogr. z. schweizerische Landeskunde, Fasz. V 10 e, Bern 1894).
% 29. Mai 1835 ; St.-A. L. Fach 9, Fasz. ı2.
5 6. Mai 1835 ; ebenda.
Bischof Salzmanns Stellung in den Diözesankantonen war so
schwierig, daß wir seine wiederholten enrstlichen Demissionsabsichten
verstehen können. «Da einst Paulus schreiben konnte : Qui episco-
patum desiderat, bonum opus desiderat, kann man heutzutage sagen:
Quem dii oderunt, Episcopum fecerunt », schrieb er schmerzvoll einem
priesterlichen Freunde. ! « Welche Hilfe findet der Bischof von Basel ? »
klagte er zur Zeit des schärfsten Kampfes. «Es wird noch dahin
kommen, daß er vom Stande Aargau in die Acht und von Rom in den
Bann gesprochen wird, wenn er nicht vorher resigniert und durch
seine Resignation beide Parteien ihren Kollisionen überläßt.»® Nach
einer vertraulichen Aussprache mit ihm schrieb der Josephinist Amrhyn :
«Soviel liegt klar vor uns, daß die Lage des Bischofs höchst gedrückt
sei, von Rom beobachtet, scharf belauscht, von den Römerlingen
beim Heiligen Stuhl verdächtigt, verleumdet, daher vom Heiligen
Vater selbst bedroht, von den Regierungen beargwohnt und nur selten
mit Zartheit und Achtung behandelt, dabei entmutigt, innerlich ge-
kränkt, in sich verschlossen, ohne Zuversicht und doch nur aus sich
handelnd. ... »?
Es war in der Tat außerordentlich schwer, die kirchlichen, reli-
giösen Interessen an verantwortlicher Stelle zu vertreten in einer Zeit
schroffster Gegensätze auf politischem und kirchlichem Gebiete, in
einer Periode tiefgehender weltanschaulicher Kämpfe, inmitten der
heftigsten grundsätzlichen und persönlichen Auseinandersetzungen der
ins Extrem gehenden Presse beider Parteien (« Eidgenosse », « Wald-
stätterbote »), in einem noch unvollkommen organisierten Bistum, in
der doppelten Gebundenheit an die kirchlichen und staatlichen
Gewalten, «inter Scyllam et Charybdim », wie der Bischof einmal
selbst sagte. Er sah zur Zeit des heftigsten Angriffes von Seiten
Aargaus die religiöse Lage so: « Aargau ist ganz und gar nicht Vor-
mann, sondern vielmehr der Nachhinkende im Kampf gegen die Kirche.
Schon vor einem Dezennio wollte eine kirchliche Revolution aus-
brechen ; groß war die Verzweigung durch ganz Deutschland und einen
Teil der Schweiz. Bereits sind mehrere bedeutende Häupter derselben
gestorben. Anstatt einer allgemeinen (katholischen) Kirche, träumte
1 Alois Henggeler, a. a. O.— Amo9. Juli 1837 schrieb der Bischof an Amrhyn:
«O möchte ich das Baselsche Episkopat niemals übernommen oder schon lange
resigniert haben !» St.-A. L. Fach 9, Fasz. ı2.
:2 An Amrhyn, ı. Juni 1836. F.-A. A.
® 31. Okt. 1835, an Schultheiß F. L. Schnyder, F.-A. A.
man von einer deutschen (Privat-)Kirche, welche die Bande des
Zölibates zerreißen sollte. Allein der barmherzige Gott hat diese
verderbliche Krise in Deutschland gnädigst abgewendet. Die meisten
Hochschulen haben einen gänzlichen Umschwung erhalten, und das
religiöse Prinzip [hat] obgesiegt. Die größten Gelehrten gegenwärtiger
Zeit erheben ihr Haupt, um das zerstörende Prinzip niederzutreten.
Nur in Freiburg im Breisgau konzentriert sich noch die unchristliche
Faktion, und weil sie sich nach erhaltener Niederlage zu schwach
fühlt, einen erneuerten Angriff zu wagen, möchte sie gern den Kampf
auf den Schweizerboden verpflanzen. Es sind gleichsam die letzten
Konvulsionen, in welche sich der Kanton Aargau oder vielmehr seine
wahnsinnigen Autokraten verwickeln ließen. Ich kann ... die trost-
reiche Zusicherung geben, daß der Katholizismus auch in der Schweiz
glorreich obsiegen werde. Die tollen Wühler, die jetzt das vincere
aut mori spielen wollen, werden nichts anderes durch ihr irreligiöses
Aufklärungsfieber bewirken, als daß die wahre Aufklärung, leider!
einen Stillstand macht oder gar noch den Krebsgang nimmt. ...»'!
Ein düsteres Bild der kirchlichen Verhältnisse im neuen Bistum
Basel aber zeichnet am Ende der dreißiger Jahre der folgende Brief
Salzmanns: «An einem Ort will man Pfarrerwahlen nur auf sechs
Jahre gelten lassen, an einem andern den Kollatoren ihr eigentümliches
Kollaturrecht wegnehmen, an einem dritten Ort Pfarrer und Dekane
entsetzen, am vierten Klöster aufheben, am fünften den Loskauf der
Zehnden so niedrig ansetzen, daß mancher Pfarrer beinahe verhungern
muß ; hier wird es dem Bischof landeshoheitlich verboten, wenn er
arme Personen oder Kirchen und dergleichen durch eine Schrift der
Großmut christlicher Menschenfreunde empfiehlt ;, dort erhebt man
sich gegen ihn, wenn er nur einen Wunsch für eine bessere Sonntags-
feier äußerst ; hier dipensiert ein Großer Rat um schwere Taxen in
allen Verwandschaftsgraden, und der Bischof soll gleichfalls dispensieren,
wenn er es auch nicht tun kann, soll keine Dispenstaxe begehren,
sondern selbe aus seinem eigenen Beutel an den Apostolischen Stuhl
bezahlen ; dort denunziert ein Pfarrer, auf dessen Supplik der gut-
willige Bischof dispensierte, ebendenselben Bischof um der gleichen
Dispense willen dem Apostolischen Stuhl ; hier erhebt ein Stand einen
lüderlichen Kerl zur theologischen Katheder, der dann durch Lehre und
Schrift zum Ärgernis und Greuel wird ; dort läßt man ungeahndet
1 An Amrhyn, 14. Nov. 1835. St.-A. L. Fach 9, Fasz. ız.
—_ 23 —
wöchentlich die schändlichsten Tagesblätter zirkulieren. Die Kirche
wirft die Schuld auf den Bischof, der umsonst vom Staate Abhilf[e]
erwartet. Wegen dem Placet (das bei einem einzigen Kultusminister
: noch möglich wäre, aber bei sieben souveränen Ständen und 700 Magi-
‘ straten, die noch dazu einem ewigen Wechsel unterliegen, ein wahres
Unding ist) steht der Bischof ohne Generalvikar und Offizial. An
ein Seminarium ist gar nicht zu denken ; denn ein Kanton will gar
: keines, der andere verlangt es anderwärts, der dritte streitet über die
: Gebäulichkeit ; endlich würde die Wahl eines Regens und Subregens
bei den Prätensionen, die vorliegen, ganz verunmöglicht. Der Bischof
muß also, wie Generalvikar und Offizial, also auch Interimsregens der
Ordinanden sein. Weil die Ordinanden ihre Patrimonialtitel von den
h. Regierungen nicht mehr im Herbstmonat erhalten, folglich zu
verschiedenen Zeiten in Solothurn eintreffen, sieht der Bischof sich
genötigt, zu verschiedenen Malen im Jahre den Seminarkurs zu
eröffnen. Ich würde kein Ende finden, wenn ich die Litanie der
Übelstände vervollständigen wollte. Vom hochw. Domsenate, dessen
Mitglieder von den Regierungen herrühren, will ich hier ganz und
gar schweigen. » !
Von der staatlichen Seite her aber betrachtete Schultheiß Amrhyn
die Lage in seiner Protokollerklärung vom 2. Dezember 1835 so:
«Das neu organisierte Bistum Basel — ein Ärger den einen wegen
säner zu wenig freisinnigen Gestaltung, den andern wegen seiner
nationellern Begründung und fortschreitenden Entwicklungsfähigkeit
— sollte den kunstfertig angeregten Leidenschaften hingeopfert und
damit bei jenen eine Kirchengestaltung nach den neuesten Kirchen-
rechtstheorien, bei diesen hingegen das dienstbarere Kirchenprovi-
sotum wieder herbeigeführt und mit ihm das früher schon versuchte
Zersplitterungssystem aufs neue angenommen, nach beiden Tendenzen
aber das neu zu gestaltende Kirchensystem mit den gleichartigen
Anstrebungen in politischer Hinsicht enge verschwistert werden. » ?
Es war den liberalen Staatsmännern klar, welche Gefahren die damalige
Kirchenpolitik in sich trug ; sie wollten aber die Verantwortung dafür
hauptsächlich Rom zuschieben. Diese Tendenz kommt deutlich zum
Ausdruck im folgenden Briefe Schultheiß Amrhyns: «Mehr als je
habe ich .... die traurige Überzeugung gewonnen, daß die Leiden-
! An Amrhyn, 16. Jan. 1839; ebenda.
® St.-A. L. Fach 9, Fasz. ı2 (auch gedruckt).
— 2b —
schaftlichkeit beider politischer und religiöser Extreme den Charakter
der in sich verschlossenen tiefsten Bitterkeit und gegenseitigen Lieb-
losigkeit angenommen habe, die — zum rückhaltungslosen Ausbruche
angereizt — auch das Bitterste besorgen läßt. ... Nur wahre Liebe,
nur christliche Hingebung, nur wahrer Edelmut kann die Gefahren
von der Schweiz abheben, die in den sogenannten religiösen wie den
politischen Anregungen unserer Tage nicht etwa den Kanton Aargau,
die Schweiz, sondern Europa bedrohen. Verschließt Rom, wie dasselbe
es zur Zeit der Reformation getan hat, Aug und Ohr der Wahrheit,
der Vernunft, dem Rechte in unsern Tagen, so mag es auch sich und
sich allein zurechnen, wenn der Geist der unbedingtesten Reformation
furchtbarer und zerstörender noch auflodert, als es anfangs des
fünfzehnten [XVI.!] Jahrhunderts geschehen ist. ... Der Heilige
Vater ist hintergangen, oder er täuscht sich auf eine furchtbare Weise
selbst. Ebenso bin ich mit jedem Tage mehr der Meinung, daß die
Vorgänge und ohnehin traurigen Erscheinungen im Kanton Aargau
etwas bloß Spezielles, ganz Isoliertes seien. Nein! .... was sich dort
bewegt, ist der Anfangspunkt einer Gesamtbewegung, die nicht in
den Grenzen des Kantons Aargau, nicht einmal in jenen der Schweiz
eingebannt bleiben, sondern über ganz Deutschland sich ausdehnen
wird, wenn nicht besänftigende Liebe, wenn nicht evangelische Hin-
gebung, wenn nicht gerechtes Entgegenkommen die angescheuerte,
furchtbare Glut zu löschen, mit Edelmut abzukühlen vermag. Man
hat sich die Schweiz — wie es scheint — zum vorangehenden Rück-
schritt in den kirchlichen und von da in den politischen Verhältnissen
erkoren, und der Schweizer, der Christ, errötet nicht zu einem solchen
Frevel mitzuwirken, dazu Hand zu bieten. ... Die Geistlichkeit —
entzweit unter sich, sich selbst schändend -— tritt, glauben Sie es mir
.., mit in den angefachten Kampf und wird durch diesen gegen-
seitigen Kampf die Schamhaftigkeit vollends zu Grabe tragen. Das
jüngere Geschlecht, schon längst der Selbstbeherrschung entwöhnt,
wird unter die Neuerungsfahne mit Begierde treten, um den letzten
lästigen Zwang von sich abzuwerfen. ....»!
Am Bischof lag es nun wahrlich nicht, wenn die tiefliegenden
Gegensätze in den vierziger Jahren die Schweiz in den Bürgerkrieg
hineintrieben. Er kam dem Zeitgeiste und den staatlichen Ansprüchen
in weitgehendem Maße entgegen. Mit ehrlicher Überzeugung konnte
! An Salzmann, ı. Nov. 1835, ebenda.
er schreiben : « Der Bischof dachte niemals daran, den h. Diözesan-
ständen die Anerkennung geistlicher Immunität aufzudringen ; eben-
sowenig möchte er jemals den Rechten und Befugnissen des weltlichen
Staates auf irgend eine Weise zu nahe treten, sondern verehrt in den
weltlichen wie in den geistlichen Obern eine von Gott verordnete und
aufgestellte Behörde und erbietet sich, so viel an ihm liegt, mitzu-
wirken, zu einer friedlichen Übereinkunft, die künftighin alle Kollisionen
zwischen Kirche und Staat abwendet. ... »! Den guten Willen des
Bischofs anerkannte auch der gründlich eingeweihte Schultheiß Amrhyn ;
politische Vorsicht bewog ihn, Jakob Kopp, den zweiten Luzerner
Gesandten auf der Tagsatzung von 1835 in Bern, zur Rücksicht auf
den Bischof zu ermahnen : ... «So wie die Regierungen auf Achtungs-
erweisung, auf Gehorsam Anspruch nehmen und nehmen müssen, so
setzen auch sie die Achtung gegen den ohnehin so vielfach gedrückten
Bischof nicht außer acht ! Hat er auch in den Wirren der Zeit nicht allen
Erwartungen entsprochen, so vergesse man nicht, daß er der Kirche
wie dem Staate Trene und Pflicht geloben mußte, gegen beide mit
großer Verantwortlichkeit behaftet ist, daß unsere mangelhaften
Kircheneinrichtungen ihm den Schutz des Archiepiskopats nicht
gewähren, sondern ihn vielmehr dem Papste als Metropolit vor der
Hand unmittelbar, ad putum admovibilis unterstellen. Hat die seit
fünfhundert Jahren bestehende Magistratur so schwer, sich sachmäßig
und kräftig in unsern Tagen zu benehmen, warum will man mehreres
vom erst seit 1829 als nationell dastehenden Bischof von Basel fordern ?
Mag er auch Schwächen — wie wir alle -- bewiesen haben, so vergessen
wir nicht, daß nicht allein der Abgang eines bekannten schweizerischen
Kirchenrechtes, das noch Dunkle seiner Lage und Verhältnisse zu den
Kantonsregierungen, sondern die Unzuverlässigkeit dieser selbst, ihr
Überwitz, in persönlichen, aufgeregten Augenblicken ihn dazu verleiten
mußten. Ich kenne übrigens Bischof Salzmann als Schweizer, als
wahren Freund seines Vaterlandes, der dabei mit einer ebenso gewissen-
haften Treue gegen den Papst als Kirchenoberhaupt in manchen
schweren inneren Kampf mit sich selbst gerät. Dringen die Regierungen
zu rücksichtslos in denselben zur unbedingten Mitwirkung zu ihren
Beschlüssen, so nötigen sie ihn mindestens zu Resignation oder setzen
ihn, wo er ihnen unbedingt gewährt, der kirchlichen Entsetzung durch
das Oberhaupt der Kirche aus. Auf eines von beiden ist es von Rom
! ı. Juni 1836, an Amrhyn ; ebenda.
— 3 —
und seinen Dienersdienern abgesehen, denen er noch weit weniger
als den Regierungen genügt, und an dessen Stelle man nicht einen
christlich würdigern, sondern einen Hildenbrand zu sehen wünscht,
um den einverstandenen Zweck mit der Schweiz durchzuführen»! :
Aus den angeführten brieflichen Zeugnissen beider Parteien geht
vorläufig zur Genüge hervor, wie schwierig die Stellung Salzmanns als
Bischof war. Diese Stellung wurde nicht leichter dadurch, daß er die
Verhandlungen mit dem Staate möglichst unabhängig — vom bischöf-
lichen Senate und von Rom — zu führen suchte. Dem Schultheißen
Amrhyn aber legte er alle kirchenpolitischen Angelegenheiten, selbst
seine Korrespondenz mit dem Nuntius und dem Papste zur Begut-
achtung vor und wurde damit von den staatskirchlichen Einflüssen
noch abhängiger, gab dem Politiker Gelegenheit, mit eingehendster
Kenntnis der Stimmung und Absicht auf kirchlicher Seite zu handeln,
gewann aber auch aufschlußreichen Einblick in das politische Getriebe
und in die Denkweise der staatlichen Lenker.
(Fortsetzung folgt.)
2 20. Juli 1835. F.-A. A,
Die Reform im Kloster St. Gallen.
Von Dr. J. Ar. SCHEIWILER.
1. Die klösterlichen Verhältnisse unter Abt Diethelm.
Jene mächtige Reformbewegung, welche die zweite Hälfte des
XVI. Jahrhunderts charakterisiert und als katholische Reformation
oder Restauration bezeichnet wird, hat auch im Kloster St. Gallen
ihren Einzug gehalten. Sie ist hier mit den drei Äbten Oikmar Kunz !
(1564-1577), Joachim Opser ? (1577-1594) und Bernard Müller ® (1594
bis 1629) verknüpft.
Dieser katholischen Reformation im Kloster St. Gallen auf Grund
der noch vorhandenen, leider nur spärlichen archivalischen Quellen
nachzugehen, ist Aufgabe der folgenden Blätter. Die Darstellung
zeigt auf engem Raume in typischer Weise das allmählige Werden
und Erstarken, aber auch die zähen tiefgehenden Widerstände und
Hemmnisse, wie den endlichen siegreichen Durchbruch der triden-
tinischen Reform.
Schon Fürstabt Diethelm Blarer von Wartensee * (1530-1564) hatte
der kommenden Reform vorgearbeitet. Mit Recht schmückt ihn der
Beiname eines dritten Gründers der Abtei St. Gallen. Eifrig und erfolg-
reich arbeitete er daran, die schweren Schäden der Reformations-
stürme zu beseitigen ; und es gelang ihm, den äußern Besitzstand
des Klosters nicht bloß wieder völlig herzustellen, sondern noch
erheblich zu mehren, wurde doch unter ihm die Abtei St. Johann im
Toggenburg dem Kloster St. Gallen inkorporiert. Diethelm sorgte für
die Pflege der Wissenschaften, indem er Konventualen auf die
U E. Ziegler, Abt Othmar II. von St. Gallen.
2 J,von Arx, Geschichte des Kantons St. Gallen III., S. 101, 103, 108, ııı fi.
Auch A. Scheiwiler, Fürstabt Joachim v. St. Gallen, Bd. XII, S. 53 ff. dieser
Zeitschrift.
3 J.von Arz, III, S. 112-160 ; A. Scheiwiler, Bd. II, S. 81 ff. dieser Zeitschrift.
“ J. von Arz, IIL, S. 20 ft.
— 30 —
Universität schickte, «damit er gelehrte Lüt ziehen möchte».! Er
ließ auch ein neues Bibliothekgebäude errichten, zu dem am 6. Juni
1551 unter großartigen Festlichkeiten der Grundstein gelegt wurde. ?
Einen interessanten Einblick in das kirchliche Leben dieser Zeit
gewähren die Predigten, welche die beiden Konventualen P. Johannes
Heß und P. Heinrich Keller auf der st.-gallischen Klosterkanzel gehalten
haben. Johann Heß, in Tübingen zum Doktor der Theologie ernannt,
war ein tüchtiger Gottesgelehrter, ein fruchtbarer Schriftsteller und
hervorragender Homilet. Seine Predigten, in den Jahren 1530-1540
gehalten, sind ein sprechender Beweis dafür, daß auch zur Zeit der
reformatorischen Hochflut, noch vor dem Tridentinum, katholischer-
seits tüchtige positive Arbeit geleistet wurde, und daß insbesondere
die Abtei St. Gallen damals durchaus keinen theologischen Tiefstand
zu verzeichnen hatte. 3
Der Nachfolger des Johannes Heß als st. gallischer Münster-
prediger war der spätere Subprior Heinrich Keller von Rapperschwil,
welcher vom Jahre 1540-45 dieses Amt ausübte. An Tiefe der Gedanken.
wie Originalität und Salbung, reicht er im allgemeinen nicht an die
Meisterwerke seines Vorgängers heran. Er stützte sich sehr stark auf
Vorlagen, die sogenannten Musterpredigten, die er oft wörtlich auf
die Kanzel brachte. Immerhin war auch Keller ein bedeutendes
rednerisches Talent, das hinter P. Heß nicht weit zurückstand und
auch über eine gute theologische Bildung verfügte. Treffliche Predigten
finden sich in seinem Nachlaß. Doch hat Keller mit seinem Talent
zu wenig gewuchert und lieber aus vorhandenen Predigtbüchern
geschöpft, anstatt sich zu eigener energischer Arbeit aufzuraffen. ?
Wertvolle Mitteilungen über die Zeitereignisse wie insbesondere
über klösterliche Zustände unter Abt Diethelm in allerdings sehr
ı Stifts-Archiv St. Gallen, Bd. 1034, S. 14. Schon Abt Kilian hatte drei
junge Mönche nach Tübingen geschickt ; zur Abtwahl zurückgerufen, mußten
sie unter Diethelm neuerdings dorthin gehen.
® Vgl. A. Scheiwiler, Feierliche Grundsteinlegung der st. gallischen Stifts-
bibliothek, Zeitschr. f. Schweiz. Kirchengesch. XIV, S. 56 ft.
$ Das Biographische über Johann Heß siehe « Die Tagebücher Rudolf Seilers »,
herausgegeben von Jos. Müller, S. 178, Anm. Eine Würdigung seiner Predigten,
sowie derjenigen des P. Heinrich Keller findet sich in « Zwei st. gallische Prediger
zur Zeit der Glaubensspaltung », Zeitschr. f. schweiz. Kirchengesch. X, S. 161 fl.
Die Predigten von Heß siehe Stiftsbibliothek, Kodex 1054. Seine übrigen Schriften
sind leider verloren gegangen.
4 Zwei st. gallische Prediger .... a.a.O.S. 25ı ft.
m nn
aphoristischer Form enthält das e Diarium Henrici Keller Parochi in
$. Gallo».! Der Verfasser zeichnet von sich selber kein schmeichel-
haftes Bild, legt vielmehr mit verblüffender Offenheit, ja beinahe
Übertreibung seine Schwächen bloß. In manchem erscheint er mehr
als ein Renaissancemensch denn als ein Jünger des hl. Benedikt,
noch wenig berührt von der eben damals einsetzenden Reformtätigkeit
des Tridentinischen Konzils. Daß er trotzdem die wichtige Stelle eines
Münsterpredigers und Klosterpfarrers bekleiden und selbst zum Sub-
prior emporsteigen konnte, ist wohl ein Zeichen dafür, daß an Ordens-
geist und klösterliche Disziplin damals keine hohen Anforderungen
gestellt wurden. Er weiß auch zu melden, daß Bruder Andreas «in-
carcerirt » 2, und daß « Herr Heinrich Pfarrer zu Bernhardzell gefangen
uff das schloß Rorschach » geführt wurde, fügt aber bei, «weiß nicht
warum ». 8 Wiederholt kehrt die Klage über große sittliche Ver-
irrungen, schreckliche Verbrechen und allgemeinen Niedergang von
nah und fern, wie wir sie in jener Zeit auch aus dem Munde Luthers
und anderer vernehmen. Auch die Justiz nahm unter Abt Diethelm
wieder schärfere Formen an. * In der Klosterfamilie herrschte offenbar
kein sonderlich harmonischer Geist. So berichtet das Tagebuch von
dem «Unsinn des Herrn Paul gegen den Dekan ».° «Da ich in großer
Krankheit gelegen, bin ich zwei mal von Herr Dekan besucht worden.
Herr Pauli ist unwillig gsin. »® Abt Diethelm liest dem Hieronymus
ein Kapitel.” Keller hat den Priestern (sind wohl gemeint die Port-
herren oder Weltpriester im Kloster) « vil jarzitt zu verkünden aber
kein Ion, wol etwas uff kantzel gestift, aber niemant wil es geben ». ®
! Dieses Tagebuch, Bd. 1263 der Stiftsbibliothek, umfaßt die Jahre 1545
bis 1550. Sich selbst charakterisiert Keller als « ein unwiser ungeschickter unver-
stendiger ungelerter », während er seinem Vorgänger im Predigtamt, dem P. Heß,
hohes Lob spendet. S. ı. — Öfter bekennt er von seinen Predigten : « Unfliß
st da gsin oder der win..... Ist fast mer win dan studium » S. 4, 8; mehr im
Keller als in der Kirchen, S. ı2. S. 91 berichtet er sogar: « Am Feste S. Severini
ist mir von Anna, so ich mich leider versündigt, ein Kind geboren worden, mit
namen Hartmannus getauft.» Das hinderte aber nicht, daß Keller an ver-
schiedenen Orten vor zahlreichem Volk seine sehr beifällig aufgenommenen
Predigten hielt. Er war auch ein guter Musiker und Organist, Schüler des
Fridolin Sicher aus Bischofszell. Schriftstellerische Pläne bespricht er S. 39.
3 Diarium S. 73. 3a.a.0.S. 92.
%a.a2.0.S.77;S. 105 «einer begert zwon, eine zwei, es ist ganz schandlich »,
«ich gloub schier, gott sig nit mer gott, also klagt das volk». S.90; S.20;S.2;.
°a.a.0.S. 39. °a.a.0.S. 87. ?a.a. ©. S. 123.
®a.a. O, S. 45. Diese Stelle wirft ein eigenartiges Licht auf beide Teile.
Im Jahre 1548 klagt er, es sei eine «schande, die Klosterknecht nicht
in Predigt und Amt und Prozession an Kirchweihfest ». ? Ein anderes
Mal beschwert er sich über das «strenge Haushalten des Statthalters ». ?
Weiter heißt es: «Bys ingedenk des Suppriors, auch der Uneinigkeit
unter uns. »
An anderer Stelle führt er Klage über «schändlich lügen in
St. Gallen »* ; anfangs des Jahres 1550 ruft Keller aus : a Es ist abermals
so vil lügen das ichs nit als darf beschriben ; uff das bin fast krank
worden mit viel innemen. » Wirklich erfaßte ihn dann eine schwere
Krankheit in Lichtensteig, dieseinen Heimtransport und später eine Kur
in Baden notwendig machte. 5 Anlaß zu wohl auch übertriebenen üblen
Nachreden mochte das wenig klösterliche Leben Kellers gegeben haben.
Einige Lichtseiten fehlen indes auch nicht. Während das Tagebuch
noch im Jahre 1545 bemerkt: An Maria Himmelfahrt seien « lützel
lüt an der predig gsyn»*, kann er auf Ostern 1546 hervorheben, daß
vil volk « zu den heiligen Sakramenten gekommen »? ; und auf 1547,
daß «2 1, hundert mehr bichtet, ist doch ein wenig besser weder fern
und vorfern ». 8 Auf Ostern I55o kann er vier Primizen verkünden.
P. Heinrich predigt in Rorschach vor 3000 Menschen ; auch ın
St. Gallen «ist wundervil volks, es will sich zum Guten wenden ».°
Am ÖOstermontag hat Gallus, ein Primiziant, «sin erst Amt gesungen,
ist auch vil volks gegenwärtig gsin ». 10° An Pfingsten dieses Jahres
heißt es: «Mer volck ist uff das Fest nie mer da gsin. »!1! Am Gallustag
1550 sind die Äbte von Einsiedeln und Muri als Gäste da. Das
Fronleichnamsfest wurde mit großer Pracht und zahlreichem Volk,
auch aus der Stadt, gefeiert. 1? Ein so epochales Ereignis, wie den
Beginn des Konzils von Trient, tut der Prediger dagegen mit dem
kühlen Sätzchen ab: «Merk des angenden Concilii auch ander löuffen
halber. » 13
la.a. ©. S. oo. 2 a.a.0.S. 68. 3a.a.0.S. 20.
4a.a.0.S.67. S. 118 bemerkt er «bin ich schier zerzert worden von der!
predig wegen ! Großer uffsatz ist uff mich komen des merentheil des hoffgesind;
es gild glich.» S. 129, Oktober 1550 heißt es: « Zwinglis Bruder wegen Reden
gegen die heilige Messe vor das Hochgericht gestellt. »
5a.a. ©. S. 98 und S. 106. °a2.a.0.S. 6.
?a.2.0,.5. 26. 8 2.2.0.8. 72.
»a.a.O.S. ı05 und 109. 10 a.a.0.S. ı05.
1 a.a. O.S. 107. 12 a.a. O.S. 124.
13 a. a. O.S. 22. Doch läßt er S. 38 beten für das Konzil und gegen dıe
Türken, ebenso im Jahre 1549 für den glücklichen Ausgang der vom Konstanzer
Bischof nach Marchdorf berufenen Synode.
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Tr — Pe ee Tu un 2 ee
So weit sich auf Grund von Kellers Tagebuch ein Urteil fällen
läßt, kann man wohl sagen, daß Symptome einer langsamen Besserung
der klösterlichen und mehr noch der sonstigen kirchlichen Verhältnisse
vorhanden waren, daß aber von einer ernsten inneren Reform nicht
gesprochen werden darf. Das Kloster St. Gallen bietet unter Abt
Diethelm so ziemlich den Anblick einer nach damaligen Begriffen im
allgemeinen und in ökonomischer Hinsicht gut geordneten, vor größeren
Exzessen bewahrten klösterlichen Gemeinschaft, der es an tüchtig
gebildeten und aszetisch strebsamen Gliedern nicht fehlte, die aber
als Ganzes den idealen Forderungen der Benediktinerregel bei weitem
nicht entsprach. ! Erst mußte die gewaltige Reformbewegung, welche
das Konzil von Trient einleitete, in Wirksamkeit treten, ehe auch
St. Gallen jenem Ideal wieder näher kam.
2. Die Reformtätigkeit Othmars N.
Unter Abt Othmar II., dem unmittelbaren Nachfolger Diethelms,
ist bereits über das Kloster St. Gallen eine starke Reformwelle dahin-
! Weil St. Gallen den Ruf eines guten Klosters hatte, wurde die dem Zerfall
nahestehende Abtei St. Johann im Toggenburg dem st. gallischen Abte übergeben.
Siehe von Arx, III, S. 80 ff. Ebenso wurde der st. gallische Dekan Peter Aichhorn
zum Abt von Wettingen postuliert und ernannt. Diarium Henr. Keller, S. 120.
Von diesem neu Erwählten wird aber zugleich bemerkt, daß er vor seinem Weg-
gang von St. Gallen noch der Kilbi in St. Georgen beigewohnt habe, S. 122.
Joh. Rütiners Tagebuch, Msc. 78 und 79, Vadiana II f. 2224, hat zum Jahr
1538 die Notiz Dominus Marcus monachus, vicarius z. Wil, duae (!) scorta aluit
cuique ancillam famulantem habuit .... tantum ocium et crapula valuit (dieses
Tagebuch hat ein sehr verdorbenes Latein). II f. 1964 heißt es: « Abbas (Diethel-
mus) etiam die Stephani suis praecepit, ut ad conciones eant», gegen Zuwider-
handelnde « severe animadvertetur ».
Im Malefizprotokoll St.-A., Bd. 1065, finden sich ebenfalls verschiedene
Urteile aus der Zeit Abt Diethelms, die das sittliche Verhalten einiger Kloster-
herren in kein gutes Licht setzen. Fol. 47, 48b, 1561, wird Anna Schnideri von
Fussach, Beschließerin, im Kloster eingesperrt, weil sie mit dem alten Statt-
halter Gallus Wittwiler Unzucht getrieben und auch gestohlen hatte. Fol. 70%,
1564, Mai 4., wird Magdalena Appenzellerin, eine Pfründnerin, im Kloster gestraft,
weil sie ihre Base Magdalena Aemmin zum Teil von Jugend auf bei ihr behalten,
sie ein leichtfertiges Leben führen ließ, so daß sie aus Mutwillen mit Herr Michell
Helblingen, Conventualen « des gotzhus St. Gallen ein liederlich und unverschempt
wesen getrieben». Über flegelhaftes Treiben des Klostergesindes finden sich
manche Sprüche und Strafen, fol. 77b, fol. gob, gıb, ggP ; letztere aus der Zeit
Abt Othmars. Während der Regierungszeit Diethelms werden nicht weniger
als ı7 Konventualen als dimissi und profecti aufgeführt. Siehe St. A., Register-
band. 1564 wurde Bruder Othmar wegen sittlichem Vergehen verbannt. Er
soll später in Paris hingerichtet worden sein. St.-A., Bd. 305, S. 310-311.
_REVUE D’HISTOIRE ECCLESIASTIQUE 3
gegangen, deren Niederschlag wir in der bedeutsamen « Reformatio
monasterii S. Galli per Reverendissimum Dominum Abbatem Othmarum
confecta » vor uns haben. !
Die Reformatio monasterii durch Abt Othmar bildet eines der
wichtigsten Reformdokumente jener Zeit. J. Müller hat in seiner
Schrift « Karl Borromeo und das Stift St. Gallen », S. 56-60, in scharf-
sinniger Argumentation und mit überzeugenden Gründen nachgewiesen,
daß die Reformatio nicht ins Jahr 1573, wie von Arx ? und vor ihm
Stipplin ® angenommen hatten, sondern etwa um 1568 anzusetzen sei.
Darnach ist dieses wichtige Reformwerk nicht im Zusammenhang mit
Borromeos Besuch in St. Gallen, also nicht durch Einwirkung von
außen, sondern durch eigene freie Entschließung Abt Othmars ent-
standen. Der Abt hat wohl die Niederschrift angeordnet, Flerch aber
sie mit seiner gewandten Feder ausgeführt. Unverkennbar besteht
ein innerer Zusammenhang zwischen der Reformatio und dem Bau
der das Kloster von’ der Stadt scheidenden Mauer und einem von
Othmar erlassenen kurzen Statutenentwurf über Schüler- und Novizen-
aufnahme und über die dem Armutsgelübde entgegenstehenden testa-
mentarischen Verfügungen der Kapitularen. * Diese drei wichtigen
Akte dienen sämtlich dem einen Zweck : die klösterliche Ordnung zu
verbessern. Von der Reformatio erweist sich das auf den ersten Blick.
Ihre Hauptgedanken sind folgende :
Eine eindrucksvolle Vorrede leitet das Schriftstück ein. Dann
kommen die sehr detaillierten Vorschriften.
Das Chorgebet soll deutlich, verständlich, andächtig, mit gegen-
seitig wohl beachteten und richtigen Pausen gebetet oder gesungen
werden. Nachts um ıı Uhr sind Mette und Laudes. Morgens 4 Uhr
läutet ein Bruder zum Muttergottes-Ofizium. Dann sind heilige
Messen bis ıo Uhr. Zwischen hinein sind die übrigen Tagzeiten wie
auch das Konventamt. Um ıo Uhr ist das Mittagessen, wobei strenges
! Das umfangreiche Dokument findet sich im St.-A., fol. 369, S. 179-211
und St.-A., Bd. I, S. 537-552 (gedruckt). Die Unterschrift lautet : Florinus raptim
et per otium collegit et scripsit.
Was die uns zugänglichen Quellen über den interessanten Florin Flerch
enthalten, lassen wir in einem eigenen Exkurs am Schlusse dieser Arbeit folgen.
Für verschiedene wertvolle Notizen und Mitteilungen bezüglich Flerchs sprechen
wir Herrn Stiftsarchivar Dr. Müller verbindlichen Dank aus.
2 Geschichten des Kt. St. Gallen III, S. 114.
3 St.-A., Bd. 194, S. 16.
ı St.-A., Bd. 306, S. 431 f.
Stillschweigen herrscht, nachher Erholung und darauf eine Stunde
Lesung oder Studium. In der Fastenzeit ist die Vesper immer nach
dem Amt und vor dem Mittagessen.
Nachmittags 2 Uhr läutet es in der St. Othmarskirche für die
Vigilien ; diese sind schön, ohne Übereilung und deutlich zu singen,
durch die Weltgeistlichen des Liebfrauenamtes und denjenigen Konven-
tual, der am Morgen das Muttergottes-Offizium gehalten hat.
Nachher läuten die Brüder zur Vesper, an welcher die Profeß-
mönche, Novizen, Schüler und Weltpriester in geziemender Kleidung
teilnehmen. Zwei Sänger singen dabei an den hohen Festen vor. Nach
der Vesper geht man zum Abendessen, das ganz einfach sein soll.
Nachher wird zur Komplet geläutet, und zwar im Winter von 1, 5 bis
5 Uhr, im Sommer von 5 bis 6 Uhr. Nach der Komplet beten alle
das Media vita im Kapitelssaal (heute Herz Jesu-Kapelle). Darnach
begeben sie sich in die Kammer oder Zelle, wo sie noch etwas beten
oder lesen, um dann zur Ruhe zu gehen.
Bezüglich des Fastengebotes bestimmt die Reformatio, daß auch
am Montag und Mittwoch keiner Fleisch genieße, außer wer krank
oder auf Reisen sei, wo man nicht leicht Fische bekomme, nebstdem
im ganzen Advent, sowie in der Fastenzeit, an den Vigilien der
Heiligenfeste, an Freitagen und Samstagen. Da zwischen Ostern und
Pfingsten die Kirche keine Fasten verordnet, so dürfen auch wir
Mittag- und Abendessen einnehmen, doch am Mittwoch, Freitag und
Samstag nur Fische, Eier oder Milchspeisen genießen.
Alle Freitage des Jahres soll ein Profeßmönch, der noch nicht
Priester ist, über irgend ein Thema eine geistliche Rede halten.
Postulanten für das Kloster machen eine Probe durch in der
Schule oder im Gymnasium ; sie müssen seit vier Generationen von
legitimer Geburt, katholisch, gefirmt, frei, ohne Defekt und gesund
sein. Mit ı5 Jahren werden sie als Novizen aufgenommen ; während
des Jahres ist ihnen 2 bis 3 Mal die Benediktinerregel vorzulesen ;
inzwischen werden sie von den Vorgesetzten genau beobachtet, nach
enem Jahr wieder vor Abt und Konvent geführt und examiniert,
worauf sie dann mit 16 Jahren Profeß ablegen dürfen.
Die regelmäßige Beicht ist vorgeschrieben. Die Pflichten der
einzelnen Offizien, Abt, Dekan, Subdekan, Kustos, Krankenwart,
Kellermeister, Statthalter, werden genau bezeichnet.
Für die Ökonome werden nicht weniger als 13 Bestimmungen
aufgestellt. Der Statthalter hat seine Wohnung außerhalb des Klosters.
Gegenwärtig ist der Konvent zu wenig zahlreich, um jedes Amt
zu besetzen ; daher ist der Ökonom in St. Gallen zugleich Küchen-
meister und Kellermeister.
Die Statthalter sollen wöchentlich drei oder wenigstens zwei Mal
Messe lesen und, wenn verhindert, durch Weltgeistliche lesen lassen.
Lesen sie selbst nicht Messe, so müssen sie einer solchen beiwohnen
oder wenigstens dem Offizium an Sonn- und Festtagen, an den
Samstagen und Vigilien auch der Vesper und Komplet.
Der Statthalter lese öfter Kapitel 53 der Benediktinerregel.
Spielen um Geld ist im Kloster strengstens verboten, auch der
Dienerschaft.
Wenigstens einmal jährlich, und zwar am Montag und Dienstag
nach dem Sonntag Exaudi (5. Sonntag nach Pfingsten), im Bedarts-
falle auch öfter, erscheinen sämtliche Konventualen in ofäzieller
Kleidung im Kapitel, um die gegenseitige Liebe zu stärken und alle
Unordnungen wieder gut zu machen.
Die Kleidung ist schwarz ; sie reiche bis auf die Knöchel, so dab
die Füße beim Gehen bedeckt sind,; sie sei nicht kostbar ; jeder soll
aber genug haben.
Was die Regel fordert, hat der Abt bisher immer gehalten; er
speist, wenn Gäste da sind, mit ihnen und ruft dazu den einen oder
andern Mitbruder herbei ; nur gute Gespräche sollen geführt werden ;
in Advent- und Fastenzeit speist der Abt, wenn nicht viele Gäste da
sind, im Refektorium.
Die Konventualen auf den Pfarreien sollen treu die Regel
beobachten und ein gutes Beispiel geben ; nur die besten sind auf
solche Posten zu setzen.
Ein schöner Gottesdienst erfordert geeignete Diener, die dem Priester
am Altare helfen ; einer von diesen Brüdern heißt Vater oder Senior.
Sie sollen die Kerzen schön herrichten, die Ornate gut aufbewahren,
ihre Stundengebete wohl verrichten und nicht in der Stadt herumziehen.
Besondere Sorge ist den Kranken zu widmen. Der Krankenwart
soll ein frommer, treuer, liebevoller und freundlicher Mann sein. Er
lasse es den Kranken an nichts mangeln ; Fleisch, Eier, Butter gebe
er den Kranken, wann sie dessen bedürfen, auch in der Nacht ; stets
seien ein, zwei Diener bereit ; täglich oder wenigstens dreimal wöchent-
lich soll in der Krankenkapelle die heilige Messe gelesen werden. Alles
sei ganz ehrbar und züchtig im Krankensaal. Ehe einer ins Kranken-
zimmer geht, empfange er Beicht und Kommunion.
Wir besitzen noch ein zweites undatiertes rejormatorisches Doku-
ment, worin Abt und Konvent verschiedene Punkte statutarisch fest-
lgen.! Nach dem feierlichen Ingreß («Im Namen des dreieinigen
Gottes.... Wir Abt Othmar ....») wird darauf hingewiesen, daß
«sich seit etlich Jar und tag etwas Unordnung zugetragen, deren
Jungen halb, die zu Gotsdienst und Chor angemeldet, wan sie nach
Inhalt der Regel zu der Novizenkutten und Versuchsjahr angenomen
werden können und etlich one Grund vom Gotzhus wider davon
gelaufen »; andere traten ein und waren den Anforderungen nicht
gewachsen. Daher ist es einstimmiger Kapitelsbeschluß, keinen einzigen
ins Noviziat aufzunehmen, bis er 15 Jahre «voll uf sich traget ».
Den Eltern ist mitzuteilen, daß man ihn nicht anders annehme, als
wenn er «sin Biwohnung mit Spis, Drank und Geliger by dem Konvent
habe». In den ersten 8 bis ıo Tagen soll ihm die Regel des hl. Benedikt
vorgelesen und in den folgenden Monaten wiederholt werden. Nach
Jahresfrist kann er aufgenommen werden, wenn er dem Abt und Konvent
gefällt ; der Abt darf ihn aber auch wegschicken ; ist einer entlassen
worden, so nimmt man ihn nicht mehr auf, da man hiemit schlechte
Erfahrungen gemacht hat. Der Abt darf von überall her Novizen
annehmen.
Im gleichen Aktenstück wird verordnet, daß die Kranken beichten
und kommunizieren müssen, bevor sie ins Krankenhaus gehen ; ebenso,
daß kein Vermächtnis oder Testament Gültigkeit habe ohne aus-
drückliche Erlaubnis des Abtes.
Dieses Dokument erscheint uns wie ein Vorläufer der « Reformation »
und dürfte zu Beginn der Regierungstätigkeit Abt Othmars entstanden
sein. Der feierliche Ingreß scheint darauf hinzuweisen, daß der Abt
in reformatorischer Absicht einige nächstliegende Übelstände in erster
Linie beseitigen wollte. Die hier aufgestellten Vorschriften fanden
dann in der « Reformatio » ihre feste, gleichsam statutarische Fassung
und Bestätigung. Dem Wortlaut sowohl wie dem ganzen Inhalt nach
deutet unser Schriftstück auf die Zeit vor dem großen Reformdekret
und bezeugt, daß Othmar II. schon seit Anfang seiner Prälatur von
einem ernsten Reformwillen beseelt war. Die einleitende Bemerkung,
daß «sich seit etlich Jar und tag deren Jungen halb etwas Unordnung
zugetragen »? deutet wohl darauf hin, daß in der Regierungszeit Abt
'St.-A., Bd. 306, S. 431 f.
® Auch diese Worte bestätigen unverkennbar die zeitliche Priorität dieses
Aktenstückes vor der « Reformatio ».
Diethelms die straffe Disziplin zu wünschen übrig ließ, was mit unsern
oben mitgeteilten Belegen übereinstimmt.
Es war dann nur die selbstverständliche und naturgemäße Fort-
setzung seines Reformprogrammes, wenn Abt Othmar in Ergänzung
und Erweiterung dieses kurzen Dekretes die große und umfassende
« Reformatio » aufgestellt hat. Wie weit hiebei die beiden Delegierten
der schweizerischen Prälaten auf dem Trienter Konzil, Florin Flerch
und Abt Joachim von Einsiedeln, mitwirkten und ihren Einfluß aus-
übten, läßt sich nicht feststellen ; jedenfalls aber haben die beiden
unter dem mächtigen Eindruck dessen, was sie zu Trient gesehen und
gehört hatten, bei dem reformwilligen St. Galler Abt kräftig eingesetzt
und mitgeholfen. Auch die Zusammenkunft der beiden Äbte, wovon
Flerch in Konstanz sprach, weist diese Linie der Entwicklung deutlich
auf. Ä
Als drittes, großes Reformwerk unseres Abtes betrachten wir die
Errichtung einer Scheidemauer zwischen Stadt und Kloster. Diese
Mauer bedeutet nicht bloß eine politische, sondern ebensosehr eine
der klösterlichen Disziplin dienende Angelegenheit. Sie bot bis zu
einem gewissen Grade erst die äußere Möglichkeit, um das in der
« Reformatio » aufgestellte Programm erfolgreich durchzuführen. Ohne
sie wäre das Kloster ein « offen Hus » und der Gottesdienst gefährdet. !
An ihre glückliche Vollendung, wie auch an die bei der Konstanzer
Diözesansynode empfangenen Anregungen und Weisungen mochte sich
naturgemäß die Abfassung der «Reformatio » gleichsam als einer
inneren Schutzmauer des klösterlichen Lebens anschließen. Wie not-
wendig eine größere Scheidung von der Stadt war, beweisen drastisch
die langwierigen Verhandlungen, die im Jahre 1566 zwischen Stadt
und Kloster stattfanden.
Wir begegnen da den Zeichen eines großen Hasses gegen «die
Pfaffen, die nur saufen und fressen und denen man den Grind ab-
schlagen » sollte. Auch wird im Verhandlungsprotokoll mitgeteilt,
daß wilde Gesellen beim nächtlichen Chorgebet Störungen verübt,
Fenster eingeschlagen, die Holzbeigen demoliert und den Gang vom
Bruderhaus zur Kirche mit Speeren durchstochen haben. ? Am 14. März
1567 wurde der erste Stein zur Mauer, die schon Abt Ulrich Rösch
gewünscht hatte ?, gelegt und anläßlich dieser Feier ein Hochamt zu
1 St.-A., Bd. 1013, $. z2ı1.
* St.-A., Bd. 1013, S. 54, 61 u. ft.
3 St.-A., Bd. 1013, S. 76.
Ehren der Dreifaltigkeit auf dem Fronaltar des Münsters gefeiert.
Nach 150 Tagen war der Bau vollendet und wurde feierlich eingeweiht. !
Den Bericht über diese Feier mit dem Katalog sämtlicher Anwesenden
(17 Priester, 3 Diakone, 2 Subdiakone, 3 Novizen und viele weltliche
Herren) hat Florian Flerch zusammengestellt, der am Schlusse bemerkt :
Florinus ex latino raptim transtulit. Dieses «raptim » hatte Flerch,
wie wir oben sahen, auch am Schluß der Reformatio gebraucht. Je
einläßlicher wir die wegen dieser Mauer zwischen Stadt und Kloster
gepflogenen Unterhandlungen prüfen, desto größer erscheint uns der
hier errungene diplomatische Erfolg Abt Othmars ; desto schärfer aber
drängt sich auch die Überzeugung auf, daß es sich bei diesem Mauerbau
um ein klösterliches Reformwerk von großer Tragweite handelte. In
der Einleitung zur Reformatio wird dieser Gedanke auch ausgesprochen.
Noch ein weiterer Umstand bezeugt die ebenso ernst gemeinte
wie erfolgreiche Reformtätigkeit unseres Abtes. Um Bildung und
Wissenschaft im Kloster zu fördern, bereichert Othmar die von seinem
Vorgänger neu geordnete Bibliothek um einige hundert Bände, wofür
der sonst so sparsame Abt zirka 5000 Fl. ausgab. Das meiste wurde
ın Paris durch die beiden St. Galler Mönche Mauritius Enk und
Joachim Opser gekauft. Diese Bücherkäufe geben dem zwischen
St. Gallen und Paris fleißig gepflogenen Briefwechsel einen besondern
Reiz. 3 Ebenso verwendete der Abt große Summen auf die Ausbildung
seiner jungen Konventualen an bedeutenden katholischen Hochschulen,
wie Dillingen, vor allem aber Paris, wo das Stift von Karl IX. ein
Stipendium erhalten hatte. So finden wir den hervorragenden Pater
Mauritius Enk von Altstätten, den nachherigen Bibliothekar, in Dillingen
wie in Paris mit den besten Zeugnissen entlassen, das erstere von 1565,
das letztere von 1571, sowie Joh. Rustaller aus Schwyz, einen
trefflichen Dichter. * Auch Ulrich Ösch von Rebstein und Adam Giel
von Glattburg studierten längere Zeit in Paris. An der Spitze der
ı St.-A., Bd. 1013, S. 235 ff.
2 E. Ziegler, Abt Othmar II. von St. Gallen, S. 663.
s A. Scheiwiler, Fürstabt Joachim von St. Gallen, Der Briefwechsel zwischen
Paris und St. Gallen. Zeitschr. f. Schweiz. Kirchengesch. XII, S. 45-56.
* Das Studien- und Sittenzeugnis für Frater Johannes Ruostaller aus
St. Gallen, 1564 ausgestellt, ist das älteste Zeugnis der Dillinger Hochschule,
das ihrem Geschichtsschreiber bekannt geworden ist: siehe Specht, Geschichte
der ehemaligen Universität Dillingen, S. 244, Anm. 3. Seit Gründung der
«helvetischen Benediktiner Kongregation », sandten auch die andern Klöster
von 1603 an ihre Religiosen nach Dillingen. Siehe Specht, S. 417-418.
= 10 —
St. Galler, die im Claramontanum ihre ausgezeichneten Studien machten,
stand Joachim Opser, der Liebling Abt Othmars und sein Nachfolger. !
Die eidgenössischen Stände lobten das Stift in einem den 9. Juli 1565
an den Papst erlassenen Schreiben, worin es heißt : « Das Abt Othmar
sich je mehr und mehr gelehrten Lüten und Konventualen beflyBt,
sich auch mit dem Konvent verglicht, ohn Unterlaß etlich uf alt-
gläubigen Universitäten zu erhalten. »* Von verschiedenen Seiten,
z. B. von Fischingen und Pfäfers, begehrte man st. gallische
Konventualen als Äbte, um die daselbst zerfallene Klosterzucht wieder
herzustellen ; wegen der geringen Zahl von Mönchen konnte jedoch
Othmar diesen Begehren nicht entsprechen. ®
Auch der Besuch des hl. Karl Borromeo im Kloster St. Gallen
am 26. und 27. August 1570 bekundet, daß der Zustand des Klosters
ein guter war. Besonders rühmt der Kardinal in seiner « Information »
an Papst Pius V. den schönen Gottesdienst, bei dem auch, mit Ausnahme
der Metten, die Studenten und jungen Kleriker mitwirken. * Aus
diesem Lob erschließen wir ein zweifaches : erstens, daß die « Refor-
matio» dem Besuche Borromeos vorausging, denn in ihr nehmen
gerade die Vorschriften für eine möglichst würdige Feier der Liturgie
den breitesten Raum ein und zweitens, daß die Reform Abt Othmars
nach dieser Seite schöne Früchte getragen hat.
In der Chronik von Schenk 5 wird auch ein Brief des Konventualen
Mauritius Enk an Joachim Opser in Paris zitiert, der sowohl dem
wissenschaftlichen wie dem aszetischen Streben dieser beiden intimen
Freunde ein treffliches Zeugnis ausstellt, aber auch auf den geistig-
religiösen Zustand des Klosters vorteilhaftes Licht wirft. Die seiner
Obhut unterstellten Novizen seien so weit in der Frömmigkeit, schreibt
Mauritius, daß sie nach geschehener Generalbeicht sozusagen sämtlich
freiwillig alle acht Tage zur Beicht gehen und nach Möglichkeit auch
zur heiligen Kommunion, « was, wie du wohl weißt, bei uns ein Zeichen
größerer Frömmigkeit ist ». Darum richtet er an Joachim die dringende
U E. Ziegler, a.a.O.S.66 fi. Vgl. von Arz, Geschichte des Kt. St. Gallen III,
S. 265, 269 f. ; auch Briefwechsel zwischen Paris und St. Gallen. In einem dieser
Briefe wird Joachim « gemma monasterii » genannt und in hohen Tönen gefeiert.
® von Arz, III, S. 265, Anm. e cit. Schreiben im Copiabuch, N. 44, P. 54-
Das Schreiben in extenso siehe Müller, Karl Borromeo und das Stift St. Gallen.
4. Beilage.
8 E. Ziegler, a. a. O. S. 68 f.
% Reinhard u. Steffens Einleitung, S. ıı fl.
5 St.-Bibliothek, Bd. 1240, S. 576 f.
Bitte, er wolle ihm von den Jesuiten das öfters versprochene Exerzitien-
büchlein zukommen lassen, denn die meisten oder wenigstens einige
seien bereit, die Ignatianischen Exerzitien zu machen. Auch in den
Studien streben sie vorwärts. «Ich dränge sie mit Repetitionen, so
oft etwas Zeit dazu ist. Nostrorum vero presbyterorum laudem tacere
nequeo. Siquidem et ipsi paulo esse incipiunt purioris conversationis
et me enarrantem Divi Pauli ad Titum epistolam non inviti audiunt. »
Man ersieht aus diesem Schreiben deutlich, daß die von Abt
Othmar eingeführte Reform dem aszetisch-religiösen Streben der
Klosterfamilie kräftige Impulse gegeben hat, und daß sich der Konvent
in aufsteigender Linie befand, zu welch günstigem Resultat einige
tüchtige Konventualen, die in den Jesuitenschulen ihre Ausbildung
empfangen hatten, wesentlich beitrugen. Der ganze Briefwechsel
zwischen St. Gallen und Paris steht auf dieser erfrischenden geistigen
Höhe. Leider starben dann gerade einige der besten Mönche in jugend-
lichem Alter hinweg, so daß die vorwärts drängenden Elemente eher
fehlten und wieder eine Stagnation eintrat.! Der Reformwille lag
eben noch in der Hauptsache bei einzelnen und war noch nicht in
die geistige Verfassung der Kommunität eingedrungen.
In seiner «Informatio » tadelt der hl. Karl, daß Frauen ins
Kloster eintreten dürfen (in der « Reformatio » steht kein Wort von
der Klausur, ein weiteres Zeichen, daß dieses Schriftstück nicht nach
Borromeos’ Besuch entstanden ist) ; ebenso rügt der Heilige, daß zu
viel für Gastereien, Weltlichkeiten und Verkehr mit den Häretikern
der Stadt geschehe. * Dagegen wird Othmar als ein zwar nicht wissen-
schaftlich gebildeter, jedoch rechtlicher Mann von gutem Willen
bezeichnet. Der Gesamteindruck, den der große Reformator in
St, Gallen empfing, war demnach kein ungünstiger. Gewiß hat der
denkwürdige Besuch, der in St. Gallen unvergessen blieb ?, auf das
I von Arz, III, S. 269 f. Adam Giel von Glattburg, einer der Mitschüler
Joachims in Paris, starb während seines Studienaufenthaltes in Rom an der Pest.
: Wie großartig es bei der Benediktion Abt Othmars zuging, s. St.-A.,
Bd. 358, S. 330 ff. — Ein höchst interessantes Zeitgemälde.
? In den anno 1638 zusammengestellten Lebensbeschreibungen st. gallischer
Konventualen heißt es bei einigen ausdrücklich : sie haben den hl. Karl gesehen.
P. Heinrich Forer (f 1607) : « In monasterio praesens S. Car. Borr. ad S. Gallum
venientem videre meruit.» P. Benedict Pfister (f 1611): «S. Carolum .... in
3. Gallo vidit et gravisus est ipsius benedictione accepta. » P. Mathias Murer
(f 1613), der am 2ı. April 1570 seine Profeß abgelegt hatte : «S. Carol. Borromaeum
in S. Gallo vidit eique ministravit.» St.-A., Bd. 256, S. ı75, 178, 182.
klösterliche Leben der Folgezeit heilsame Einflüsse ausgeübt. Auch
Rom zeigte sich mit der Abtei zufrieden, richtet doch Papst Gregor XIII.
unterm 30. April 1575 an Othmar ein belobigendes Breve, dem wir
folgende Worte entnehmen : «Gerne benützen Wir die Gelegenheit,
an Dich zu schreiben, da Wir wissen, daß Du sehr gerne alles das
vernimmst, was sich auf die Ehre Gottes und die Würde des katholischen
Glaubens bezieht und daß Du denselben mit allem Eifer förderst.
Über alle diese Dinge wird mit Dir in Unserm Namen unser Geliebter
Sohn Bartholomäus Porcia, unser Nuntius, verhandeln. »! Der Nuntius
konnte dann freilich die angekündigte Visitation nicht vollziehen, da
wegen Pestgefahr Abt und Konvent St. Gallen verlassen mußten.
Zusammenfassend können wir über Abt Othmar das anerkennende
Urteil wiederholen, das ihm Reinhardt ?® spendet : Er war ein kluger
und tatkräftiger Mann, der geeignet und entschlossen war, das Werk
seines Vorgängers fortzuführen. Othmar Kunz und Joachim Eichhorn
gehören zu den ehrenvollsten Repräsentanten der beginnenden
Restaurationsepoche. ?
I Reinhardt und Steffens, Einleitung, S. 59.
2 a.a. O. S. 118, 126.
® Es verdient noch Erwähnung, daß Abt Othmar bei seinem Tode nur
131 Gl. hinterließ. St. A., Bd. 306, S. 275.
mat
Portraits d’ecclesiastiques
peints par Wyrsch
Par GEorses BLONDEAU
Par sa naissance et son mariage, le peintre Melchior Wyrsch
appartenait A deux anciennes familles catholiques de l’Unterwald,
comptant parmi leurs membres plusieurs ecclesiastiques. Aussi, des
le debut de sa carriere, trouva-t-il de precieux encouragements de
la part du clerge regulier et seculier de son pays. Ce fut sur les instances
du cur de Buochs, Jean-Balthazar Stülz, qui l’avait baptise, que
les parents du jeune Melch consentirent & envoyer leur fils, alors äge
de quatorze ans, & Lucerne, pour commencer son apprentissage de
peintre, chez Jean Suter. A son retour d’Italie, Wyrsch resut de nom-
breuses commandes de scenes religieuses et de tableaux d’autel, dont
la remuneration, quoique parfois modique, lui permit de faire face
aux exigences de la vie!.
| Le jeune artiste, qui avait une preference naturelle pour la peinture
du portrait, commenga par fixer sur la toile, d’abord l’effigie de plu-
sieurs pr@tres, parents ou amis de sa famille, puis ensuite, celles de
cures qui lui avaient commande des tableaux pour les &glises de leurs
paroisses. Peu & peu sa clientele reussit aA franchir, les uns apres les
« autres, les divers degres de la hierarchie sacerdotale. Apres les chanoines
dillustres Chapitres et les abbes de grands monast£res, en Suisse et en
France, plusieurs pretres et religieux, dont les annales des deux pays
ont conserve& les noms celebres, lui command£rent leur portrait. Enfin,
des princes de l’Eglise lui firent l’honneur de poser devant son chevalet.
Nous avons mentionne ses premiers portraits d’ecclesiastiques ;
celui du chanoine Stulz, originaire de Stans (1755), et celui du com-
missaire &piscopal Keyser (1759), appartenant & la famille & laquelle
Vartiste devait s’allier trois ans plus tard 2.
! GEORGES BLONDEAU, Wyrsch peintre d’histoire. Ses Christs en croix eb
au lombeau. — Revue d’histoire ecclesiastique suisse, 1927.
3 Les auures de jeunesse du peintre Melchior Wyrsch. — Indicateur d’anli-
quitis suisses. Ier cahier de 1927.
— 44 —
Durant son sejour a Zurich, oü son talent est deja connu, Wyrsch
peint, sur cuivre, le joli petit portrait du chanoine Meyer de Schau-
ensee (1760), dont le modele occupe l’une des hautes dignites dans
le chapitre noble de Beromünster. Le cure Christen, qui a commande
a l’artiste le gracieux Saint Wendelin, en 1761, pour son &glise de
Wolfenschissen, lui fait faire bientöt apr&s son portrait. L’annee sui-
vante, le peintre reproduit les traits de l’abbe Hader, cur de Stans,
paroisse de laquelle depend la famille de sa jeune femme. Vers la m&äme
epoque, il peint, pour la premiere fois, un membre du clerge regulier,
le Pere Capucin Damas Pfyl, puis le cur€ de Küssitten, Joseph Herman,
qui a le m&me äge que lui et qui est peut-Etre l’un de ses condisciples.
En 1764, Melchior Wyrsch va rendre visite au frere de sa femme,
Henri Keyser, religieux benedictin, A Einsiedeln. Il est presente a
l’abbe de ce cel&bre monastere, Dom Nicolas II Im Feld de Flüe, ne,
comme lui, dans le verdoyant Unterwald. Le prince-abbe consent &
poser devant l’artiste, et celui-ci se revele si bien & la hauteur de sa
täche que son beau portrait est bientöt reproduit par la gravure!.
A la fin de 1765, Wyrsch s’installe a Soleure et y sejourne pendant
trois annedes au cours desquelles il peint de nombreux portraits pour
l’aristocratie et la haute bourgeoisie du pays, ainsi que de grands tableaux
d’autel. Le musee des Beaux-Arts de Soleure possede le Portrait du
cure-doyen Amanz Gugger, traite vigoureusement dans une gamme
du noir au blanc, avec quelques pointes de vermillon, qui fait ressortir,
sur un fond brun, la figure pleine de douceur @vangelique du modöle ®.
Vers la m&me Epoque, notre peintre avait brosse une toile & laquelle
une restauration trop complete et peu habile a enleve la plupart des
qualites caracteristiques de sa maniere : Le Portrait du vicalre-general
1G. BLONDEAU, Les auvres du peintre Melchior Wyrsch de 1760 d 1765. —
Indicateur d’antiquilös suisses, 1928.
% Hauteur 0,82, largeur 0,67. Toile, N® 324 (67 A) du catalogue du mus£e.
Don de feu M. Zetter-Collin, conservateur de la Galerie de peinture.
Mi-corps de ur & gauche, figure de face, yeux et sourcils bruns, perruque
blanche & marteaux. Soutane noire avec rabat noir lisere blanc & peine visible
sous un mantcau noir ferme. La main droite, seule apparente, garnie d’une man-
chette de mousseline blanche plissee et ornee, & l’auriculaire, d’une bague & pierre
bleu fonc&, tient un livre & reliure grise et tranche rouge, plac€ sur une table, &
gauche, rccouverte d’un tapis rouge.
Au dos de la toile, le peintre a Ecrit de sa main: Pflater) R(everendus)
D(ominus) Amantius Gugger commiss(arius) ep(is)cop(a)lis V(enerabilis) C(apituli)
Buxg(au) (Buschsgau) decanus parochus in Oensingen. Aetatis suae 53. Melchior
Wyrsch subsilvanus pinxit die I4 jan(uarii) 1767.
Leonce de Sury de Bussy, prevöt du chapitre royal de Saint-Ours et
Saint-Victor !. Le prelat, dont la tombe existe encore dans l’ancienne
chapelle des Jesuites A Soleure, est represente, avec une distinction
toute aristocratique, dans un riche costume de chaur. Ce tableau
i Hauteur 0,90, largeur 0,61. Toile. Inedit.
Vu debout, & mi-corps de le ä gauche, le visage presque de face, le prevöt
de Sury de Bussy porte une calotte noire sur des cheveux blancs boucles sur les
tempes. Il est v&tu d’un rochet & manches garnies d’un double rang de dentelles
sparees par un ruban noir. Sous le col est un rabat noir lisere blanc. Sur les
€paules est jete un ample manteau d’hiver, A capuchon, en petit-gris, retenu
par une cordeliere garnie de deux gros glands et termine par deux autres glands,
sur la poitrine, qui encadrent la grande croix du chapitre de St-Ours et St-Victor,
suspendue & un ruban rouge.
Au premier plan, sur une table, est plac& un livre debout, sur lequel s’appuie
la main droite du pre&lat. Au dos du livre, on lit : Statuta capituli et, sur le plat
de la couverture on voit, surmontees d’un chapeau plat avec glands, les armoirics
suivantes : Ecartele, au premier, du diocese de Lausanne, qui sont pal& d’or et de
gueules d six pidces ; aux deuxieme et troisiöme, de Sury, qui sont d’azur a la vose
a quatre feuilles d’argent boutonnee d’or, au mont de trois coupeaux d’argent mouvant
de la pointe ; au quatriöme, du chapitre de St-Ours et St-Victor, qui sont d’argent
4 trois lions lEopardets de sable.
La main gauche du Vicaire general saisit, sur la table, une decoration com-
posee d’une croix, & huit pointes, &maill&e de rouge, de laquelle pend un petit
eperon. Cette decoration est celle de l’Ordre civil et militaire de l’Eperon d’Or,
fonde par le pape Paul III, en 1534, dont les membres s’appelerent d’abord comtes
Palatins de St-Jean de Latran, puis chevaliers de la Milice d’or.
Sur la m&me table se trouve une enveloppe portant ces mots, Ecrits de la
main de Wyrsch : A Monsieur Monsieur Sury de Bussy Prevot du chapitve de
St Urs ä Soleure. Le rentoilage de ce tableau ne permet plus de voir l’inscription
qui se trouve vraisemblablement au dos de la toile primitive.
Jeröme L&once de Sury de Bussy &tait le sixi@&me fils d’Urs-Frangois- Joseph
de Sury de Bussy, n& le ıı mars 1659, tresorier de la ville de Soleure en 1681,
mort le 25 d&cembre 1727, et de sa seconde femme Maric-Therese de Vallier de
Saint-Aubin.
Il naquit & Soleure le 7 septembre 1708. Nomm& cur& de Balsthal, le
20 juillet 1732, il devint chanoine du chapitre royal de Saint-Ours et Saint-Victor
aSoleure, en 1735. En 1765, il fut &lu pr&vöt de ce Chapitre et exerga cette fonction
jusqu’& sa mort survenue le 8 janvier 1776. Sa tombe porte l’&pitaphe suivante :
D.O.M. Jacet ad pedes altaris hujus Reverendissimus proenobilis ac illustrissimus
D(ominus) D(ominus) Hieronimus Leontius a Sury a Bussy, comes palatinus,
eques auratus, perinsignis ac regiae collegialae ecclesiae ad S(anctos) S(anctos) Ursum
Victorem sociosque Thebeos M(artyres) M(artyres) Proepositus necnon Reveren-
diss(imi) ac Cellesiss(imi) Principis et Episcopi Lausannen(is) vicarius generalis.
Obiit VIII jan(uarii) An(no) MDCCLXXVI aetatis (suae) LXVII. Virtute vizit,
memoria vivit, gloria vivet et posteris. R. I. P. (requiescat in pace).
Les renseignements biographiques et historiques qui pr&ec@dent nous ont
et® communiques par M. Stanislas de Sury d’Aspremont, ancien inspecteur des
for&ts de l’Etat frangais, puis conservateur de la for&t d’Eu pour les princes d’Or-
leans, demeurant & Soleure, cousin germain du major Gaston de Sury de Bussy.
appartient au major comte Gaston de Sury de Bussy et orne l’un des
salons de son hötel, dans la Grand’rue de Soleure.
C’est a l’automne de 1768 que Melchior Wyrsch quitta Soleure
pour s’installer a Besancon oü, sous l’influence de l’Ecole frangaise,
son talent s’eleva jusqu’a son apogee. Des son arrivee dans la capitale
de la Franche-Comte, il eut la chance de trouver des protecteurs parmi
les amateurs d’art de la haute societe de cette province. L’un d’eux,
Vabbe Claude-Antoine Pellier‘, fils d’un riche banquier, avait forme
un « cabinet » renfermant 250 ouvres de bons peintres anciens et de
ceux de son €Epoque, ainsi que des gravures et des bronzes. Il com-
manda & Wyrsch son Portrait ? pour le placer dans sa collection. Quel-
ques anndes apres, un autre peintre suisse, Zechander, peignit & la
gouache la revue passee a Besancon, le 28 juin 1780, par le duc de
Chartres, futur Philippe Egalite. Dans l’un des groupes des spectateurs,
vus en pied, on remarque les membres de la famille Pellier et, parmi
eux, le m&me abbe Pellier peint par le maitre de Buochs, en 1769 ?.
i La famille Pellier, originaire de Neuf-Brisach (Alsace), s’etablit A Besancon
ala findu XVIIme siecle. Jean-Jacques Pellier, juge consulaire, associ€ du bangquier
Pochet, eut cinq enfants, dont l’abbe Claude-Antoine Pellier, ne & Besancon le
8 d&cembre 1729. Chapelain de l’Eglise Saint-Pierre de cette ville, de 1769 & 1790,
chanoine de Sainte-Madeleine depuis 1759, il fut, apres la R&volution frangaise,
nomme& chanoine honoraire de l’Eglise metropolitaine de Saint-Jean.
Recu comme associe & l’Acad&mie de Besancon, le 5 fevrier 1783, l’abbe
Pellier lut, & la seance du ı7 novembre suivant, comme discours de reception,
un fragment de sa Relation de la delivrance de Gray en 1430, et fut lu academicien
titulaire le 5 janvier 1785. A son retour de Fribourg, oü il avait &migre&, le chanoine
Pellier revint & Besancon oü il mourut le ıo avril 1816. Sa bibliotheque et sa
collection artistique furent vendues aux encheres. Le petit tablcau de Wyrsch
fut achete par le baron Daclin, maire de Besancon ; le gendre de celui-ci, Marie-
Victor-Bruno Monnot-Arbilleur, president de chambre & la Cour d’appel, dec&de
en 1847, le laissa & sa fille unique, M!!e Monnot-Arbilleur, demeurant ä Besancon,
38, rue M£gevand.
% Haut. 0,200, larg. 0,145. — Cuivre dans un cadre ovale en bois dore& et
sculpte, dont la baguette est ornee d’un rang de perles rondes et longues altern&es ;
boucle au fronton soutenue par un noaud de ruban duquel s’echappent deux
chutes de feuilles de laurier ; petit motif de d&coration en bas de l’ovale. — In&dit.
Vu & mi-corps, de ®/, & gauche, figure de face, l’abb& porte sur sa soutane
noire un rabat noir lisere blanc. Son bras gauche, dont la manchette est garnie
d’un volant de dentelle, est croise sous le bras droit ; les mains ne sont point
apparentes. Les cheveux, rares sur le haut du front, sont boucl&s sur les oreilles.
On lit au dos du cuivre : Mr Pellier prötre n&E le 8 X (d&cembre) 1729 Peint
par Wyrsch 1769. Ces lignes sont €crites de la main du peintre.
3 Cette belle et grande gouache, qui appartient &galement & Mile Monnot-
Arbilleur, a et& reproduite dans l’Etude de M. MAURICE CHIPON, Une visite prin-
ciere d Besangon en 1780. — Bulletin de l’ Acadtmie de Besangon, 1901, P. 199 & 210.
m—— —
Trois ans apres, Wyrsch fit le Portrait! du modeste cure d’un
village perdu dans les hautes for&ts de sapins des montagnes du Doubs,
labbE Bolard. Ador& de ses paroissiens de Bannans, oü la persistance
de ses efforts avait reussi A bätir une belle &glise, ceux-ci furent peut-
etre les promoteurs de la commande faite & l’artiste. Il est naturel
de penser que ces braves montagnards etaient desireux de conserver
les traits de leur pasteur qu’ils ont appel& « le p&re des pauvres, le
medecin des malades », et qui fut enleve& bientöt apr&s & leur
affection ?.
Le musee des Beaux-Arts de Besangon renferme un petit panneau
qui n'est ni date ni signe. Le savant &rudit franc-comtois Auguste
Castan l’a attribue, avec raison, A Wyrsch. Nous estimons que son
execution peut &tre fix&e approximativement & 177I, d’apr&s l’Age
du modele et la maniere de notre peintre & cette &poque. C’est le Por-
trat de l’abbE Baverel. Ce tablotin n’a pas une grande valeur artistique ;
mais il est curieux comme document historique, car il est, & notre
connaissance, le seul portrait connu du celebre pampletaire comtois ®.
! Haut. 0,90, larg. 0,70. — Toile. — Inedit.
Vu en buste de 2], la figure presque de face, le mod@le porte une perruque
blanche et le costume ecclesiastique avec rabat noir. Au dos de la toile, on lit
della main du peintre : Mr. Jean Baptiste Bolard cur de Bannans äge de 6I ans
peint par Wyrsch I77I. |
Ce tableau appartient & Mme Pic de la Mirandole, nee Droz des Villars, au
chäteau de Bonnevaux (Doubs).
! L’abbe Bolard exerga & Bannans tout le temps de son ministere. Sa
tombe, dans l’eglise de cette paroisse, porte l’inscription suivante : Hic jacet
tenerablilis) D(ominus) Joan(nes) Bapi(ista) Joseph (us) Bolard presbyter ponlis-
saliensis qui per XXX VII annos pid cum sollicitudine istam vexit ecclesiam, domum
Dei decoravit, lites composuil, fuit pater pauperum et medicus oegrotantium. Flevit
eum omnis populus. Obiit die XXXI maii anno Domini) MDCCLXXTII, aetatis
tero wae LXI. Requiescat in pace.
I parait r&sulter du texte ci-dessus que la mention de l’äge du modele,
nscrite par Wyrsch au dos du portrait, serait inexacte, puisque l’abbe Bolard
srait mort en 1773, ägE de 61 ans; il n’avait donc que 59 ans lorsqu’il se fit
portraiturer.
Nos recherches dans les registres de catholicit& des trois paroisses de Pon-
tarlier, lieu indiqu& par l’Epitaphe plus haut rappelee, comme £&tant celui de la
naissance du cur& Bolard, ne nous ont pas permis de retrouver son acte de bapt&me.
? Haut. 0,20, larg. 0,15. Fer-blanc ovale dans un cadre rectangulaire moderne.
Ligue & la ville de Besangon par son bibliothecaire Charles Weiss. N® sıı du
atalogue du mus£e.
Le jeune abb& est vu en buste, de ?/, & gauche, la figure maigre, de face,
esquissant un sourire legerement railleur. Les yeux sont grands, le nez allonge,
la bouche fine, les levres pinc&es. Ses cheveux blonds, A peine poudres, sont releves
nun seul rang de boudins legers. Il porte la soutane noire et la ceinture de soie
Dans le Portrait du chanoine Dagay, abbe de Soreze, de m&me que
dans les deux toiles precedentes, le maitre de Buochs n’a pas encore
donn& la mesure du talent dont il est capable. Il semble que son pin-
ceau est depayse par le milieu dans lequel il se trouve A Besancon
et par la nouveaut€ des physionomies qui se presentent devant Ile
chevalet de l’artiste. Le visage de l’abbe de Sor&ze est cependant d’une
expression douce et distingude qui est la marque d’une observation
attentive de la part du portraitiste 1. Le Portrait fictif de saıni Frangois
noire avec rabat de m&me couleur lisere blanc. — AuG. CASTAN, Inventaire des
richesses d’art de la France. Province. Franche-Comte. Monuments civils, tome V,
NP 3. Musees de Besangon, p. 106 et 107.
Jean-Pierre Baverel naquit & Paris vers 1744 de parents franc-comtois, qui
le ramenerent & Besancon, ou il fit ses &tudes au College et sa theologie au Semi-
naire. Ayant embrasse l’etat ecclesiastique, il fut pourvu d’un modeste benefice
qui lui permit de se livrer & ses goüts litteraires.
L’Acade&mie de Besangon ayant mis au concours la « maniere de d&terminer
les causes d’une maladie de la vigne », le m&moire du Pre Capucin Prudent fut
couronne. L’abb& Baverel lui repondit par deux Ecrits : Röflexions et Observations,
dans lesquels il traita le laureat et ses confreres d’ignorants. Le scandale provoqut
par la violence de ces libelles anonymes, dont l’auteur ne tarda point & Etre decou-
vert, obligea l’ecrivain & se refugier en Suisse. A Neuchätel, il fit connaissance
avec Mercier, et &crivit, sur le plan du Tableau de Paris, une &tude de maurs
intitulee Tableau de Besangon. Ce nouveau pamphlet ne fut point Edite.
En 1789, Jean-Pierre Baverel embrassa avec ardeur les nouveaux principes
politiques et fit partie de la Societe populaire de Besangon. Effray& par la marche
des &venements revolutionnaires, il fonda la Feuille hebdomadaire, fut arrete
en decembre 1793, incarcere a Dijon, mais reläche ensuite. Il se refugia de nouveau
en Suisse.
Il revint en France sous le Consulat et, apres le retablissement de l’Acad&mie
de Besancon, en 1807, il remporta plusieurs prix aux concours. L’abb&e Baverel
a compose de nombreux manuscrits sur des sujets historiques et genealogiques
qui sont conserves ä la Bibliotheque de Besangon. Il mourut en cette ville le
ı8 septembre 1822. — CH. WEISS, Biographie Universelle, tome III, p. 320.
! Haut. 0,64, larg. o,5ı. Toile dans un cadre dor& de l’eEpoque Louis XV.
avec volutes en bois sculptees aux quatre coins, chutes de feuilles de laurier en
haut des montants, au milieu desquels sont sculptces des palmettes. N® 503 du cata-
logue. Fonds primitif du mus&e de Besangon.
Buste et figure, de un a gauche, forte carnation, yeux tr&s doux, sourcils
bruns, nez long et busqu£, perruque blanche frisee. Le chanoine porte, sur sa soutane
violette, & boutons et liseres rouges, un petit collet rabattu, en soie rose, sur lequel
est place un rabat noir ä lisere blanc. On lit au dos de la toile : Peint par Wyrsch
177I. — AuG. CASTAN, Inventaire des richesses d’art de la France..., p. 108.
La famille Dagay remonte & Hugues Dagay, de Poligny, conseiller du duc
de Bourgogne Philippe le Bon.
Charles-Denis ou Charles-Denis-Frangois, second fils de Ferdinand Dagav,
seigneur de Myon, lieutenant general du bailliage de Poligny, puis, en 1691, con-
seiller au Parlement de Besangon, et de Jeanne-Marie Mercier, dame de Myon,
aa,
an n BERRRTTTRRRKARTEN. He
Ati
LA FAMILLE DE MOLLANS (1773).
Biene Google
de Sales, que Wyrsch peignit &galement en 177I, d’apr&s le portrait
original du saint Ev&que de Geneve qui se trouvait dans la chapelle
des Visitandines & Besancon, est d’une tenue correcte, d’un coloris
puissant et d’une touche beaucoup plus ferme que le portrait
precedent !. Il fut offert par lartiste & ce couvent aujourd’hui
naquit A Poligny en 1698. Nomme chanoine de l’Eglise m&tropolitaine de Besancon
en 1743, il fut &lu doyen de la coll&giale de Poligny le 22 juin 1747 et dut d&mis-
sionner en 1748, pour cause de cumul. Il fut ensuite nomme& abb&£ commendataire
de ’abbaye de Sor&ze, vicaire general, chanoine honoraire et archidiacre de l’&glise
cathödrale d’Orleans. II Etait le frere de Jean-Gabriel Dagay, nomme& &v&que
de Perigueux, en 1783.
Le chanoine Dagay fit partie de !’Acad&mie de Besangon depuis sa fondation
et en devint president pour les ann&es 1755 et 1771. Poete delicat et linguiste
savant, il lut de nombreuses communications ä cette compagnie, notamment
une Critigue de lP’orthographe de Voltaire. Il mourut & Besangon le ı8 avril 1782.
Son eloge fut prononc& & la m&me compagnie, par le Pere Dunand, le 30 novem-
bre 1784. — PınGAauD, Documents pour servir a P’histoire de l’ Acad&mie de Besangon.
— Bulletin de I’ Acad£tmie, 1892, p. 239 et ss. — Journal de Besangon et de la Franche-
Comtö, numero du 22 avril 1782. — MAURICE PERROD, Repertoire bibliographique
des ouurages franc-comtois imprimes avant 1791.
! Haut. 0,61, larg. 0,47. Toile dans un cadre redore, ä baguettes orn&es
de perles et de raies de caur, de l’£poque Louis XVI. N° 516 du catalogue du
mus£e,
Buste de ®/, & gauche et figure de face. Le visage du Saint est accentu& par
une longue barbe brune taillee en carr&e, des moustaches et des sourcils bruns.
la t&te chauve n’est garnie que par quelques meches de cheveux sur les tempes.
Les yeux bleus offrent la particularit& d’un leger strabisme de la prunelle gauche,
L’eveque d’Annecy porte un camail, avec capuchon, en soie bleu-violac&e, avec
liser€ et boutons rouges, sur lequel se rabat un col de toile blanche. Sur la poitrine
est plac& un cordon de soie verte auquel est suspendue une croix pastorale en
or, sans ornements.
Sur le fond brun-rouge, en haut et & droite du portrait, on lit : Aetatis suae
32. Anno 1618. Au dos de la toile, est trac&e l’inscription suivante : Efj;gies S(anc)it
Francisci Salesy ex altera parte, de pieta(te) fuit a Melchiore Wyrsch subsilvano,
super originali in ecclesia monalium Visitationis B(eatae) M(ariae) civitatis Bisun-
Imae, recundita. Ego infrascriptus dictarum Monalium confessorius testor, et sigillo
Monasterii munivs. Courvoisier p(res)b(yter) confessorius die 4 (quart) a 7 (septem)
bris anni 1771. Plus bas, on voit les traces d’un sceau en cire rouge, qui a &t&
Tompu. — AuG. CASTAN, Histoire et description des musees de Besangon, pP. 107.
Fils de Frangois, comte de Sales, et de Frangoise Sionas, ne au chäteau
de Thorens, pres d’Annecy, en 1567, mort A Lyon en 1622, canonise en 1655,
il avait &t& nomme&, le 2 decembre 1602, &v&que de Geneve ; son siege fut ensuite
transfere A Annecy. Directeur spirituel de Jeanne-Frangoise Fremyot, fille d’un
president & mortier au Parlement de Dijon et veuve du comte de Chantal, qui
fonda, en 1618, A Annecy, l’Ordre des religieuses de la Visitation, saint Frangois
de Sales redigea les rägles et statuts de cette communaute, dont la rigueur mitigee
ft le succes et suscita l’&closion de nombreux couvents de Visitandines. Celui
de Besangon fut fonde de 1628 A 1630. — Encyclopedie, tome XXIX, p. 345.
REYUE D HISTOIRB ECCLESIASTIQUR &
— 50 —
disparu, et fait partie actuellement de la Galerie des Beaux-Arts
“ au musde de Besancon !.
Dans le courant de la m&me annee 177I, Wyrsch recut, a Besancon,
la visite d’un prelat de ses compatriotes qui posa dans son atelier
de la place Saint-Quentin. Le Portrait du baron de Thurn et Valsassine.
chanoine de l’abbaye de Lure ?, represente, dans un riche costume
de soie violette borde d’hermine mouchetee, un membre de l’une des
familles aristocratiques de St-Gall. Traite dans une gamme de demi-
teintes, il constitue l’un des premiers essais du maitre de Buochs dans
l’imitation de la maniere des peintres de l’Ecole frangaise du
XVIIIme siecle. Sur cette toile, l’artiste a r&ussi & fixer, avec bonheur,
les traits doux, melancoliques et l’allure distinguee de ce prelat
appartenant & un illustre chapitre de Franche-Comte uni ä l’abbaye
de Murbach, en Alsace.
Le grand salon de l’höpital Saint-Jacques, a Besancon, renferme
une galerie de portraits des bienfaiteurs de cet &tablissement charitable.
On y remarque le Portrait de Mgr Franchet de Rans, &v&que de Rhozy,
in partibus, suffragant de l’archeväque de Besangon. Ce tableau est
attribue & Wyrsch. Quoiqu’on y remarque la touche de notre peintre
a la m&me &poque que les peintures precedentes, il y a lieu de faire
de serieuses reserves & l’&gard de cette attribution ?.
! Lechanoine J. AMBERG, dans son article du Schweizerisches Künstler Lexikon,
verbo Wyrsch, dit, par erreur, que ce tableau se trouve au couvent de la Visitation
& Besangon.
% Fils cadet de Jean-Victor-Fidele-Antoine, baron de Thurn et Valsassine,
intendant regional des biens de l’antique abbaye de Saint-Gall, et de Marie-
Catherine-Wilhelmine Gielin de Gielsberg, il naquit & Saint-Gall, le zo juin 1748.
Regu chanoine de l’abbaye de Lure en 1769, il exergait encore ces fonctions
lorsqu’un soul&evement populaire obligea les chanoines de ce Chapitre & quitter
Lure, en juillet 1789. Il se refugia & Besangon, rentra bientöt en Suisse et ne
revint plus dans son abbaye, dont les membres furent disperses pendant la
Revolution frangaise, et qui fut supprimee. — GEORGES BLONDEAU, Le baron
de Thurn et Valsassine chanoine de Lure et son portrait peint par Wyrsch. Memotres
de la SocietE d’agriculture, Lettves, Sciences et Arts de la Haute-Saöne, 1928.
® Haut. 0,80, larg. 0,64. Toile dans un beau cadre dor& et sculpt& de l’&Epoque
Louis XV. Inedit.
Mi-corps de ®/, & droite, figure de face, legerement & droite, yeux bruns,
sourcils noirs, nez assez fort et busqu&, menton gras, teint brun. Le prelat porte
une perruque frisee et poudr&e, un collet violet, & petit capuchon, dont les liserts,
la doublure, les boutons et les boutonnieres sont en soie rouge, un rabat noir bord£
de blanc et un rochet dont les manches sont garnies de riches dentelles. Sur la
poitrine est place un large ruban de moire violette, duquel pend une croix en 0f.
Le rentoilage ne permet de voir ni la notice ni la signature du peintre.
Trois ans apres, Wyrsch regut une commande qu’il ne se pressa
point de terminer, on ne sait pour quelles raisons. Le Portrait dw mis-
sionnaire Hubert Humbert, commence en 1773, ne fut acheve et livre
par le peintre que plusieurs annees apres, alors que le modele etait dejä
decede. Cette peinture peut ©tre rangee, comme valeur artistique,
dans la moyenne des productions du maitre de Buochs. Le physique
et le costume austeres du predicateur se pr&taient d’ailleurs diffci-
lement & l’eclosion d’une composition originale !.
ı Haut. 0,75, larg. 0,63. Toile dans un cadre dor& moderne.
Le missionnaire est vu, sur un fond vert avec rideau rouge, & mi-corps de ?/, ä
droite, la figure presque de face, maigre et allong&e, le nez long, les levres minces,
le cräne chauve, garni de quelques me&ches de cheveux blancs tombant sur les
oreilles, les sourcils blancs, les yeux bleus.
Il porte une soutane et une ceinture noires, un rabat double de mousseline
legerement teintee bleue. Le bras droit, seul visible, est replie ; la manche se
termine par une manchette de toile blanche. La main, bien dessinee, est pos&e
sur un livre, reli€ en veau, plac& debout sur une table recouverte d’un tapis vert.
Sur le dos du livre, on lit : Biblia sacra.
Au dos de la toile est trac&e, entierement de la main du peintre, cette ins-
cription : Petrus Hubertus Humbert superior missionarius de Bello-Prato aetafis
82. Wyrsch pinzit 1773, obiit ja(nuario mense) 1780. L’äge du modele et la date
de son de&ces ne sont pas exacts.
Ce tableau est place dans lesalon de r&ception de la Maison des Missionnaires, a
Ecole, pres de Besangon. — Abb& PauL BRUNE, Dictionnaire des artistes et owuriers
d’art de la France. Franche-Comie, p. 283.
En 1560, Francois Bonvalot, haut doyen de la me&etropole de Besangon,
oncle du cardinal de Granvelle, retablit, a Roche-les-Beaupre, & deux lieues de
Besancon, un Chapitre fond& au XIVme sidcle par Hugues de Chalon. Frangois-
Joseph de Grammont, alors doyen de Beaupre et plus tard archev&que de Besangon,
invita, en 1682, & s’y &tablir un corps de missionnaires nouvellement organise
par Jean Vuillemenot, cur& de l’Eglise Saint-Pierre A Besancon. Cette communaute
eut un grand succes dans ses missions et predications & travers la France. Sup-
primee en 1791, ses bätiments furent vendus comme biens nationaux. Par ordon-
nance du 3 fevrier 1816, la Maison des missionnaires de Beaupre fut r&tablie dans
le petit village d’Ecole, ou elle existe encore.
Le quatrieme directeur de la Mission fut le Pe&re Hubert Humbert. Ne en 1686,
& Vanclans (Doubs), de parents aises, mais charges de famille, il entra & Beaupre
en 1714. Il composa un grand nombre de sermons, dont plusieurs furent imprimes,
ainsi que des cantiques, des pieces de vers et des Noels en patois.
ı Pretre pieux et modeste, predicateur distingu&, auteur de plusieurs regle-
ments pour des. maisons religieuses, po@te sacre, profond th£ologien, ses Ecrits
le firent connaitre dans l’Europe entiere. » Le Pre Humbert, &lu directeur de
Beaupr& en 1749, cessa de pröcher en 1769 et fut remplace, en raison de ses infir-
mites, dans le cours de l’annee 1773, par le Pere Rambaud, dernier superieur
de Beaupr& avant la R&volution francaise. Il mourut en 1778. — Chanoine JEAN-
BaPtıstE BERGIER, Histoire de la communaute des missionnaires de Beaupre et
des missions faites en Franche-Comte de 1676 4 1850, in 8° de 460 pages.
L’o@uvre capitale que Wyrsch signa, en cette annde 1773, fait
epoque dans Ja carriere de l’artiste. Dans cette toile importante, l’artiste
a r&uni les portraits de dix personnes appartenant & la famille Damedor
de Mollans et celui d’un jeune enfant. Tandis que le p£re et la m£re
sont assis & gauche de la table, sur laquelle le the est servi, on apergoit
a droite, dans un groupe compose de trois de leurs enfants, de leur
belle-fille et de leur petite-fille, un jeune pre&tre debout. C’est le Portrait
dw chanoine de Mollans. Celui-ci est vu & mi-jambes, le corps et le
visage compl&tement de face. Sa figure fine est encadree d’une petite
perruque poudree A un rang de boudins. Son bras droit est appuye
sur le dossier du fauteuil oü est assise la plus jeune de ses saeurs & qui
il indique, de l’index de la main gauche, un passage de la partition
de musique que celle-ci, accoudee sur la table, tient ouverte devant
elle. L’abbe et futur chanoine de Mollans est v@tu d’une soutane noire,
avec un petit rabat noir ourl& de blanc sous lequel est pass€ le ruban
des chanoines de Gigny. Cette decoration, en soie noire liser&e rouge,
terminee par une croix d’or surmontee d’une couronne comtale, a
ete ajoutee, par une retouche de l’artiste, en 1782 ; car, en 1773, l’abb£
de Mollans n’etait pas encore chanoine I.
Cette superbe toile etait A peine achevee lorsqu’a l’automne de 1773,
Melchior Wyrsch et Luc Breton eurent la joie de voir r&alise le projet
? Cette toile porte, au verso, une pochade en grisaille qui est une replique
exacte du tableau original, et une lögende ajoutee par Wyrsch en 1782, indiquant
les noms, prenoms et qualites de chacun des personnages repr&sentes au recto. —
Auc. CASTAN, L’ancienne Ecole de peinture et de sculpture de Besangon. Alemoires
de la SocietE d’Emulation du Doubs, 1888, p. 123.
Ignace-Octave-Bernard £tait le troisitme fils de Claude-Frangois-Madelaine
Damedor, comte de Mollans, et de Jos&ephine-Clementine-Marie, baronne de
Planta de \Wildenberg, laquelle &tait originaire d’une ancienne famille noble des
Grisons. Il naquit au chäteau de Chemilly, pres de Vesoul, le 6 mai 1753, et fut
nomm& chanoine du chapitre noble de Saint-Louis de Gigny en 1782, puis vicaire
general du diocese d’Embrun. Ayant refuse le serment constitutionnel en 1792.
il emigra en Suisse avec son frere, le marquis Joseph-Laurent de Mollans et la
famille de celui-ci. Tous se rendirent d’abord A Fribourg, puis, ensuite, & l’abbaye
d’Einsiedeln. Ils y regurent une si cordiale hospitalit€ qu’avant son depart pour
l’Autriche, la marquise de Mollans offrit tous ses diamants pour orner la couronne
de la Vierge Noire.
L’abb& de Mollans rentra en France sous le Consulat et se retira chez On
neveu le marquis Jean-Charles-Frangois-Clement de Mollans, au chäteau d’Amblans.
Il desservit cette paroisse de 1817 & 1824 et y mourut le 27 mars 1830. L’inscrip-
tion de sa tombe, qui se trouve dans l’eglise, dit qu’il fut mitis et humilis corde. —
GEORGES BLONDEAU, La famille de Mollans et ses portraits peints par Wyrsch.
M e£moires de la Soriete d’agriculture, Lettres, Sciences et Arts de la Haute-Saöne, 1918.
qu’ils avaient medite depuis longtemps et dont ils avaient poursuivi
lexecution au milieu de nombreuses difficultes. Ils assisterent & l’inau-
guration de l’Ecole de peinture et de sculpture fondee par eux A
Besancon !. L’un des Me&cenes qui s’interesserent le plus & leurs travaux
fut un riche amateur d’art, le president & mortier au Parlement, Joseph-
Luc-Jean-Baptiste-Hippolyte, comte de Marechal de Vezet. Celui-ci
commanda aux deux professeurs, vers 1775, de « reproduire les traits
de ses ajeux d’apres des documents anciens, afın d’en former une galerie.
Ainsi se trouvaient r&eunis douze portraits peints par Wyrsch (au nombre
desquels les portraits originaux du president A mortier, de sa möre
et de son oncle, le conseiller Caboud de St-Marc), trois medaillons et un
superbe buste modeles par Breton, dans l’hötel familial de la rue des
Granges, ä Besancon ?. »
Parmi les peintures de cette galerie, se trouve encore aujourd’hui
un petit tableau sur bois execute par Wyrsch d’apres une gravure de
Pierre de Loisy en 1663, qui est le Portrait fictif de Charles-Joseph
Mareschal Prieur de Morteau. La copie du peintre est la reproduction
fid2le de la gravure, sauf quelques details dans les accessoires. C’est
ainsi que le maitre de Buochs remplaca, sur le soubassement d’une
colonne, les armoiries des Mareschal par une Minerve casqu&e. Nous
avons pense qu’il « aurait peut-£tre pu choisir une autre figure alle-
gorique, que celle de la deesse de la Sagesse et de la Prudence, pour
personnifier les qualites du chanoine »?; mais notre artiste ignorait
la vie agitee de ce prelat courtisan.
U CASTAN, L’ancienne Ecole de peinture et de sculpture de Besangon.
2 G. BLONDEAU, Les auvures de Wyrsch et de Luc Breton dans la collection
de Vezet. Memoires de la Societe d’ Agriculture... de la Haute-Saöne, 1922.
3 La figure imberbe et me&lancolique du Prieur de Morteau, Eclairee par
des yeux tres doux, est encadr&e par une volumineuse perruque & marteaux et
un grand col carr& en mousseline blanche. Il est v&tu d’une soutane violette, &
liserts et boutons rouges. Un ample manteau de ville en soie noire enveloppe
la partie inferieure du corps. La main gauche porte un gant de peau noire, la
droite degantee, un feuillet de papier.
Charles-Joseph, quatri&me fils de Luc Mareschal, seigneur de Mercey, co-
gouverneur de Besancon, et de Jaquette Reud, sa premiere femme, naquit &
Besancon le 19 juillet 1640. A seize ans, il fut nomme chanoine de l’Eglise metro-
politaine de cette ville, puis prieur de Morteau en 1661 et archidiacre en 1680.
Des 1666, il avait obtenu des lettres patentes de conseiller maitre des reque&tes
au Parlement de Dole.
Le Prieur de Morteau menait l’existence fastueuse de la plupart des prelats
Tiches de cette &poque, dans son somptueux hötel bäti sur la colline de Saint-
Etienne. Jules Chifllet lui reproche d’&tre rest & Besangon pendant le premier
Durant les deux mois de vacances que lui laissaient, chaque automne,
ses fonctions de professeur, Wyrsch avait l’habitude de revenir en
Suisse pour se reposer dans son village natal, oü il se faisait construire
une maison. Mais ce travailleur infatigable ne pouvait s’emp&cher
de broyer des couleurs et de peindre. Au cours de son sejour dans sa
patrie, en 1778, il fit un assez grand nombre de portraits, parmi lesquels
plusieurs repr&esentent des ecclesiastiques.
Le Portrait de Dom Pfyffer d’Altishofen, prince-abbe de l’abbaye
de Saint-Urban, reunit les suffrages non seulement du modele, mais
aussi ceux de ses parents et des admirateurs de ses vertus. Le chanoine
Amberg, dans son article du Schweizerisches Künstler Lexikon, dit qu'il
resulte d’une note autographe de l’artiste, conservee au mus&e historique
de Stans, que le maitre de Buochs aurait peint deux originaux de ce
portrait et onze copies.
L’un de ces originaux se trouve au musee des Beaux-Arts de
Lucerne ! et a figure & l’Exposition d’art organisee dans cette ville,
en 1893.
(A suivre.)
siege de Dole, ainsi que d’aimer trop la table et la societe des dames. Il mourut
d’une attaque d’apoplexie, & Paris, le 26 novembre 1681, sans avoir regu les derniers
sacrements. — JULES CHIFFLET, abbe de Balerne, M£moires publies par l’Aca-
demie de Besangon, tome V, p. 157 et 414. — E. LonGin, Un franc-comtois d
Paris sous Louis XIV, p. 16.
ı Haut. 0,90, larg. 0,60. Toile, N® ı57 du catalogue du mus&e.
L’abb&E est vu & mi-corps, de face ; le visage, egalement de face, est allonge
et fort en couleurs ; les cheveux grisonnants apparaissent sous une calotte noire;
les yeux ont une expression douce. Dom Pfyfier porte la robe de drap blanc de son
Ordre avec un camail noir sur lequel se rabat un petit col en toile blanche. Sur
sa poitrine pend une chaine en or & laquelle est suspendue une croix ciselee de
m&me metal, chargee de pierres de couleurs. La main droite, portant, & l’annulaire,
une bague en or orn&ee d’un rubis, est appuy&e sur un livre ouvert. |
En haut et ä& droite est repr&sente un blason ovale, surmonte de la mitre
et de la crosse abbatiales ; il est &cartele au I9 et 40 d deux poissons adosses, aux
2° et 3° portant un sapin. Au dos de la toile, on lit : R(everendissimus) D(ominus)
Pfiffer, Wyrsch pinx(it) 1778.
NE & Lucerne le ı€! fevrier 1731, Benoit Pfyffer d’Altishofen fit profession
a l’abbaye de Saint-Urban en 1749. D’abord professeur d’histoire et de theologie
ä ce couvent, il devint prieur en 1766, et fut &lu abb& le 30 juin 1768. Il fit beau-
coup pour les &coles et fonda une maison d’education pour les jeunes gens des
bonnes familles de Lucerne. Ce pre&lat, aux id&es nobles et &lev&es, mourut en
exercice le 25 mai 1781. — Von MULINEN, Helvetia Sacra, tome I, p. 19.
—aen
Der Äbte-Katalog von Pfäfers.
Von P. RuooLr HENGGELER, Einsiedeln.
Das Wort P. Gerold Suiters, des Chronisten von Pfäfers, « tot
sententiae et opiniones quot capita», das er in bezug auf das
Gründungsjahr seines Klosters schrieb, könnte man auch auf den
Katalog der Äbte von Pfäfers anwenden. Auch hier herrscht keine
Übereinstimmung. Wir versuchen darum vorerst die verschiedenen
Kataloge zu gruppieren, um dann auf die einzelnen näher einzugehen.
Die ältesten Aufzählungen von Pfäferseräbten finden wir im Liber
viventium, dem Confraternitätenbuch von Pfäfers. 1 Doch findet sich
hier kein zusammenhängender Katalog ; neben vereinzelten Namen,
meist spätern Ursprungs, finden sich vier kleinere Kataloge, die man
später bei Aufstellung von neuern Katalogen benutzte.
Aus der ersten Hälfte des XIV. Jahrhunderts stammt sodann das
erste noch erhaltene Nekrologium des Klosters, das man früher verloren
glaubte?, das sich aber im Stiftsarchiv von St. Gallen noch findet,
und das mir Stiftsarchivar Hochw. Herr Dr. J. Müller samt seinen
dazu gemachten Bemerkungen in entgegenkommendster Weise zur
Verfügung stellte. Von dem Nekrologium fehlen Anfang und Ende ;
ferner ein Blatt, das die Eintragungen der zweiten Hälfte des Juni
bis r. Juli enthielt. Es hat sich aber eine von Augustin Stöcklin
(1641) angefertigte Kopie erhalten ®, welche die den Juni betreffenden
Eintragungen enthält ; hingegen fehlen auch hier Anfang und Ende,
ein Zeichen, daß schon zu Stöcklins Zeiten diese Blätter verloren waren.
Dieses Nekrologium ist noch unveröffentlicht ; wir geben aber in der
Folge nur die die Äbte betreffenden Eintragungen.
Einen weitern Äbtekatalog bringt der Liber aureus von Pfäfers
(so genannt nach dem silbervergoldeten Einband), der um das Jahr
! Heute im Stiftsarchiv St. Gallen; herausgegeben von Piper, Monum.
Germ. Libri Confraternitatum Sancti Galli, Augiensis, Fabariensis (Berolini 1884),
P. 355-398.
? Vergl. Baumann, Monm. Germ. Necrologia I, pag. 646.
° Stiftsarchiv St. Gallen.
— 56 —
1400 entstand. Der Katalog deckt sich mit dem des ältesten Nekro-
logiums bis auf Abt Johannes.
Einen von Gilg Tschudi bis zum Jahre 1570 geführten Katalog
enthält Codex 609 der St. Gallerstiftsbibliothek. Dieser weicht in den
ersten Angaben von allen andern Katalogen ab.
Ein gleiches gilt von dem durch Augustin Stöcklin als Anhang
zu seinen Antiquitates Fabariensium (1628 vollendet) gegebenen Katalog.
Bruschius in seiner Chronologia Monasteriorum (Nürnberg 1682)
hat wiederum einen von den andern abweichenden Katalog.
Sutter in seiner 1699 vollendeten Chronik stellt ebenfalls wieder
einen neuen Katalog auf. Ihm folgen Leu: Schweizerisches Lexicon
(1757) und J. Jac. Vils in seinem 1758 geschriebenen Katalog, der
sich im Stiftsarchiv St. Gallen findet. !
Eichhorn in seinem Episcopatus Curiensis (St. Blasien 1797) stellt
wiederum eine neue Liste auf, indem er beim ersten Abte bemerkt:
«Quotquot Fabariae circa hoc tempus meminerunt, tot producunt
abbates, ut unicuique eorum vix triennium adsignari possit.» Daher
streicht er eine ganze Reihe der sonst genannten ersten Äbte. Er
setzt nach Adalbert einfach Bertrantius (= Bercancius). Ihm folgten
Wegelin in seinen Regesten der Benediktinerabtei Pfävers (Chur 1850)
und Mülinen in seiner Helvetia sacra (Bern 1858).
So haben wir mit Einschluß des Pfäferser Confraternitätsbuches,
das zwar keinen zusammenhängenden Katalog aufweist, acht ver-
schiedene Kataloge, nämlich :
ı. das Confraternitätsbuch oder den liber viventium vom IX. Jahr-
hundert an;
2. das älteste Nekrologium aus dem Anfang des XIV. Jahrhunderts;
3. den Liber aureus aus dem Anfang des XV. Jahrhunderts ;
4. den Katalog Tschudis in Codex Sangallensis 609 von 1570;
5. Augustin Stöcklins Katalog im Anhang zu den Antiquitates Faba-
riensium, 1628 :
. Bruschius in seiner Chronologia Monasteriorum von 1682 ;
7. Suiter in seinerChronik von 1699 (ihm folgen Leu 1757 und Vils 1658) :
8. Eichhorn in Episcopatus Curiensis von 1797, ihm folgen Wegelin
1850 und Mülinen 1858.
oO
Für die Herstellung eines richtigen Kataloges konımen vorerst
I Pfäferser-Archiv III (31), 27 a.
nur das Confraternitätenbuch, das Nekrologium und der Codex aureus
in Betracht. Daneben müssen aber noch die Urkunden des Pfäferser-
archivs berücksichtigt werden. Dies umsomehr, als aus den drei
angeführten Quellen kein chronologisch geordneter Katalog — aus
noch anzuführenden Gründen — erstellt werden kann. Dabei ist
freilich zu beachten, daß eine Reihe der Pfäferserurkunden sehr
zweifelhaft sind. (Vergl. Wegelin, Die Regesten der Benediktinerabtei
Pfäfers etc. Chur 1850.)
Einen ersten Katalog finden wir im Liber viventium oder
Confraternitätenbuch von Pfäfers, dessen älteste Eintragungen bis
in die erste Hälfte des IX. Jahrhunderts zurückgehen. Dabei läßt
sich freilich eine auch nur annähernde Zeitangabe nicht geben.
Vorerst kommen vier größere Zusammenstellungen von Namen
in Betracht.
I. Nomina abbatum Bercautius abb. Werher abb.
Fabariensium de- Crispio abb. Wichramus abb.
functorum. ! 11.2 Heinricus abb.
Adalbertus abb. Ogo abb. Rodolfus abb.
Gibba abb. Pruninc abb. Svikerus abb.
Anastasius abb. Richardus abb. Hupoldus abb.
Adalbertus abb. Hartmannus abb. IV.* c. 080.
Lupicinus abb. III.® c. 1200. Gebene abba.
Vincentius abb. Werner abb. Eberhardus abba.
Marcianus abb. Geroldus abb. Alawicus abba.
Nr. I ist durch Überschrift als Verzeichnis der Äbte von Pfäfers
beglaubigt.
Die unter Nr. II angeführten Namen finden sich im gleichen
Confraternitätenbuch (p. 75, col. 74, 5 s.) unter Nomina Fratrum
ex Monasterio Desertinense : Ugo abb., Pruning abb., Richadus abb.,
Hartmannus abb. Piper ® sagt nun, daß es sich bei Nr. II um Äbte
von Disentis handle und verweist auf den Eintrag der Disentiser-
mönche im Confraternitätsbuche. Schuhmacher in seinem Album Deser-
tinense stimmt dieser Ansicht bei und sagt, daß diese Namen von
Cod. p. 51, col. s3. M.G. p. 369.
. p. 71, col. 66, 10. — M.G. 372.
. 72. col. 68, 6. — M.G. 373.
. 117, col. 110, 9. — M.G. p. 383.
1
2 Cod
® Cod
* Cod
® M.G. p. 372, Anm. zu col. 66, 10.
Augustin Stöcklin aus dem Confraternitätenbuch in die Liste der
Disentiseräbte übernommen worden seien. Er meint, der Schreiber
der Disentisermönche im Confraternitätenbuch hätte diese Namen
von Seite 7ı auf Seite 75 herübergenommen und sie so an den
richtigen, ihnen zukommenden Platz gesetzt.
Es ist hier immerhin zu beachten, daß der genannte Hartmann
als Abt von Pfäfers stimmen würde, denn er findet sich auch sonst
für Pfäfers bezeugt. Disentis aber hat keinen Abt Hartmann, sondern
einen Abt Hermann ; immerhin kann leicht eine Verwechslung der
Namen stattgefunden haben. Etwas mehr Gewicht ist dem Umstande
zuzuweisen, daß wir unter den Pfäferserurkunden zum Jahre 889
(21. Juni) ein Diplom König Arnulfs finden, wonach der König auf
Bitten des Grafen Burkard, einen gewissen Hugo «ad abbatiam, quae
constructa est in honorem intemeratae virg. Mariae in provincia
Rhetiae » befördert und zugleich das Kloster auf Bitten des Abtes
Hatto von der Reichenau unter königlichen Schutz nimmt. Von dieser
Urkunde ist allerdings kein Original vorhanden. Herrgott (II. Nr. 88)
und Neugart (Nr. 584), sowie der Codex Dipl. von Graubünden
(Extr. Nr. 34) bringen die Urkunde, während Böhmer sie nicht auf-
genommen hat. Scheuchzer, der die Pfäferserurkunden prüfte (siehe
Wegelin), macht daran einige Ausstellungen. Verdächtig ist daran
besonders, daß eine andere Urkunde Armnulfs (Böhmer, Nr. 1051),
die nur einen Tag früher gegeben wurde, von einem ganz andern Ort
datiert ist, nämlich von Mosapurg, während die Pfäferserurkunde in
Frankfurt gegeben wurde. Diese Äbte, von denen freilich Pruning
und Richard für Pfäfers urkundlich nicht belegbar sind, sind wohl
um so weniger zu streichen, als sie auch im Nekrologium und liber
aureus sich finden.
Die unter Nr. III aufgeführten Äbte lassen sich urkundlich belegen ;
Werher ist entweder mit Werner oder aber mit Werichinus im Nekro-
logium zu identifizieren und Hupoldus mit Hleupoldus = Leopold.
Von den unter Nr. IV genannten Äbten ist Alawicus urkundlich
sicher nachweisbar, während für Gebene und Eberhard in Pfäfers
selber zwei fragwürdige Diplome sich erhalten haben. Die beiden
sollen übrigens, wie der bereits erwähnte Hartmann, aus Einsiedeln
postuliert worden sein. Ein Eintrag aus dem XI. oder XII. Jahr-
hundert in Manuskript 254 der Einsiedler Stiftsbibliothek besagt:
«Isti promoti sunt ab ecclesia Heremitarum ad Phabarias: domnus
Harmannus, qui postea factus est episcopus Curiensis, domnus Eber-
mo
— "mar le BEREITETE nee —EE BE, "Tram ner rare SEEN a:
| .
hardus, domnus Gebene dive memorie. (Ringholz, Stiftsgeschichte,
p. 53, Anm. 7.)
Sonst finden wir im Pfäferser Confraternitätenbuch noch folgende
Äbte verzeichnet :
Hartmannus eps. et mon. (Cod., p. 25, col. 9, I);
SILVANVS ABBA. (Cod., p. 66, col. 58, 1);
Marquardus abb. (Cod., p. 72, col. 68, 4);
Salomon abbas. (Cod., p. 73, col. 69, 1);
dom. de Mendelbüren abbas Fabariensis hujus coenobii renovator.
Cod., (p. 88, col. 88, ı);
B. abb. (Cod., p. 89, col. 89, 1);
Egloffus abbas. (Cod., p. 90, col. 92, 3);
C. a Wolfurt abbas. (Cod., p. 9I, col. 94, I);
C. a Ruchenberg abbas. (Cod., p. 91, col. 94, 3);
Johannes abb. (Cod., p. 9I, col. 99, 1);
Georius presb. (Cod., p. 9I, col. 99, 2);
Oudalrichus abb. (Cod., p. 94, col. 105, 18).
Hartmann ist zweifelsohne der bereits erwähnte, aus Einsiedeln
postulierte Abt, der später Bischof von Chur wurde. — Silvanus ist
urkundlich belegbar (Wegelin, Nr. 6). — Marquardus deutet Piper
(M.G.) auf Leopold Morach, 992-1012, oder aber auf einen Abt von
Prum. Er ist sonst für Pfäfers nicht belegbar ; da er aber in der
gleichen Kolonne 68 steht wie die Äbte Werner, Geroldus etc. (zwischen-
hinein hat einzig eine spätere Hand den Namen Vigilius mon. ein-
gefügt), so läßt er sich wohl nicht gut ausscheiden. Pipers Annahme
scheint mir zu gesucht. — Salomon ist wiederum belegbar. Piper
nimmt an, es handle sich hier um Salomon II., Abt von c. 1026-41.
— Unter Dom. de Mendelbüren ist Abt Johannes von Mendelbüren
verstanden, 1361-86. — B. abb. wird von Piper auf Abt Hermann
von Arbon gedeutet, mit welcher Begründung, weiß ich nicht. Mir
scheint weit eher dessen Nachfolger Burchardus de Wolfurt darunter
verstanden zu sein, Abt von 1386-1416. — Die folgenden Äbte sind
alle spätere : Eglolfus de Wolfurt 1325-30, Conrad a Wolfurt c. 1265
bis 1282, Conrad a Ruchenberg 1282-1324, Johannes Berger 1478
bis 1483 und Georius = Georgius von Erlotzheim (nach Piper). — Der
letztgenannte Oudalrichus dürfte mit dem im Liber viventium genannten
Öudalrichus identisch sein, bei dem sich ein Verzeichnis des Kirchen-
schatzes findet (M.G., pag. 397).
nr 60
In dem Confraternitätsbuch von St. Gallen finden wir einen
Pfäferserabt ausdrücklich vermerkt: Silvanus, den wir in jenem von
Pfäfers auch finden. Das Confraternitätsbuch der Reichenau bringt
Crespio, der ebenfalls in dem von Pfäfers sich findet.
Mit Ausnahme der unter Nr. II genannten Äbte Pruning und
Richardus, eventuell Hugo, die von andern als Äbte von Disentis
angesprochen werden, und Marquardus, sind alle übrigen als Äbte
von Pfäfers entweder durch die Überschrift (Nr. I) oder dann durch
urkundliche Dokumente beglaubigt.
Das zweite Verzeichnis findet sich im ältesten Nekrologium des
Stiftes Pfäferss. Die Eintragungen von erster und zweiter Hand
stammen aus der ersten Hälfte des XIV. Jahrhunderts. Die von erster
Hand sind rein nekrologisch gehalten, d. h. sie bringen nebst dem
Namen des Abtes nur den Vermerk : obiit. Sie betreffen mit zwei
Ausnahmen nur Äbte; denn die Bezeichnung Abbas steht immer
dabei. Bei fünf Namen ist eine Jahreszahl beigefügt. Diese bezieht
sich aber nicht auf das Todesjahr des betreffenden Abtes, sondern
ist den die betreffenden Äbte beschlagenden Urkunden entnommen ;
der Schreiber wollte damit nur die ungefähre Regierungszeit angeben.
Die zweite Hand, deren letzter Eintrag von 1330 stammt, fügt den
Namen jeweilen noch Bemerkungen über Stiftungen bei, die wir aber
bei der folgenden Aufstellung weglassen. Die Eintragungen von spätern
Händen reichen bis 1575. Über den Zustand des Nekrologiums und
dessen Kopie vergleiche die eingangs gemachten Bemerkungen.
I. Einträge erster Hand: I4. Hugo (ır. IV.).
I. Adilbertus (26. 1.). 15. Bruning (18. IV.).
2. Gibba (29. 1.). 16. Richardus (zo. IV.).
3. Anastasius (31. I.). 17. Salomon (22. IV. 1040).
4. Adalbertus (1o. II.). 18. Augustanus (24. IV.).
5. Lupicinus (12. II.). 1g. Eberhardus (26. IV.).
6. Vincencius (15. II.). 20. Gwerdo (28. IV.).
7. Marcianus (20. II.). 2I. Alwicus (30. IV.).
8. Bercaucius (2. III.). 22. Hatto (2. V.).
9. Crispio (6. III.). 23. Immo (4. V. 1067).
10. Silvanus (r. IV. 838). 24. Wernherus (7. V.).
ıı. Maiorinus (4. IV. 972). 25. Wiptus [Wipertus] (r1. V.).
12. Gebenus (6. IV.). 26. Vitalis (16. V. 877).
. Hartmannus (8. IV.). 27. Grinbretus (6. VI. ).
er
ww
zur i6T
28. Asimbertus (8. VI.). 47. Heinricus (21. V.).
29. Victor (15. VI.). 48. Swigherus (1. VI.).
30. Hetto (18. VI. ; Kopie). 49. Chuonradus (24. VII. 1324).
31. Vdalricus (22. VI. ; Kopie).
32. Hesso (26. VII.).
33. Johannes (2. VIII.).
34. Werichinus (7. VIII.).
35. Hupoldus (14. VIII.).
36. Ulricus (6. XI.).
III. Einträge späterer Hände.
50. Burcardus de Wolfurt (zo. I.
1400).
51. Johannes Berger (3. III. 1483).
52. Jacob von Mosheim (8. III.
1570).
37. Syfridus (29. XI.). 53. Johannes Jakobus Russingerus
II. Einträge zweiter Hand. (g. III. 1549).
38. Eglolfus de Wolfurt (5. II. 54. Vlricus Roll (20. V. 1575).
1330). 55. Wernher de Raitnow (ı. VI.
39. Chuonradus de Wolfurt (23. II). 1435).
40. Wernherus (24. II.). 56. Hermann (r2. VI. 1361).
41. Hugo (7. III.). 57. Heinricus Weidmann (16. VI.
42. Ludewicus (12. III.). 1574 ; Kopie).
43. Rud(olfus) (19. III.). 58. Wilhelmus de Fulach (rg. VI. ;
44. Wichramus (20. III.). Kopie).
45. Geroldus (13. V.). 59. Fridericus de Raitnow (21. IX.
46. Cuonradus (15. V.). 1478).
Woher hat der Schreiber dieses Nekrologiums seine Namen ?
Eine Reihe derselben übernahm er wohl mit ziemlicher Sicherheit
dem Confraternitätsbuch des Klosters. Andere lassen sich anderweitig
belegen; für eine Anzahl fehlt freilich jegliche beglaubigte Nachricht.
Die ersten 9 Namen finden sich in derselben Reihenfolge im Confra-
temitätsbuch (Nr. I), wo sie als Äbte von Pfäfers beglaubigt sind.
Xr. 10. Silvanus findet sich ebenfalls im Confraternitätsbuch und ist
überdics urkundlich beglaubigt.
Xr. ır. Maiorinus ist urkundlich belegt. Diplom Otto I. von 972.
(Wegelin, Nr. 18 und ıg.)
Nr.12. Gebenus findet sich im Lib. viv. Überdies ist ein fragliches
Diplom da.
Nr. 13.-16 finden sich im Confraternitätsbuch (Nr. II) (Disentiseräbte ?).
Xr. 17. Salomon (II.). Diplom Konrad II. 30. I. 1032 ; Heinrich III.
22. VI. 1040 ; Lib. viv.
Nr. 18. Augustanus (als Mönch von Pfäfers findet sich im Confrater-
nitätsbuch von St Gallen und Reichenau ein: Austanus).
Nr.
Nr.
Nr. 40.
Nr. 41.
Nr. 42.
. IQ.
. 20.
.2I.
22:
23.
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27:
. 28.
. 29.
. 30.
31;
. 32.
33:
. 34.
. 35.
36.
37:
un 62
Eberhardus. Confraternitätsbuch. Fragliches Diplom von 799.
(Wegelin, Nr. 2.)
Gwerdo (nicht belegbar).
Alwicus, Diplom von 974. 13. X.; Liber viv. fab. ; ebendort
der Kirchenschatz unter ihm, pag. 143.
Hatto (unbelegbar).
Immo, Diplom von 1067, März (Nr. 28).
Wernherus (Werher des Confraternitätsbuches ?).
Wipertus (unbelegbar).
Vitalis, Diplom 877. 22. V. (Nr. 8). Lib. Confrat. Augiens,
als Monachus.
Grinbretus (unbelegbar).
Asimbertus (unbelegbar).
Victor (unbelegbar).
Hetto (unbelegbar).
Vdalricus, Confraternitätsbuch ; ebendaselbst der Kirchen-
schatz unter ihm (p. 119).
Hesso, Liber viv. (pag 177, wo der Kirchenschatz unter ihm
aufgezählt wird).
Johannes. Fragliches Diplom von 831. 9. Juni (Nr. 5).
Werichinus (unbelegbar) ; später mit Werher des Confrater- |
nitätsbuches (pag. 72, col. 68, 6) identifiziert.
Hupoldus, wahrscheinlich Hleupoldus ; fragliches Diplom von
992. 15. III. und fragliche Bulle von 998 (Nr. 2ı und 22).
Ulricus (unbelegbar). |
Syfridus (unbelegbar).
Soweit die Eintragungen von erster Hand. Als unbelegbar sind
dabei Nr. 18, 20, 22, 24, 25, 27, 28, 29, 30, 34, 36, 37 zu betrachten.
Mit fragwürdigen Diplomen sind 33 und 35 zu buchen.
Von den Einträgen zweiter Hand sind:
Nr. 38, 39. durch die Geschlechtsnamen auf sicher beglaubigte Abt:
zu beziehen.
Wernherus dürfte wohl der durch Diplom von 1125, 28. De.
(W. Nr. 38) ziemlich sicher beglaubigte Abt Wernher I.
sein.
Hugo ist wohl Abt Hugo von Villingen, urkundlich belet
1233-44 (Nr. 72-76).
Ludewicus ist identisch mit dem von St. Gallen postulierte
Abte, der urkundlich für 1221-32 belegbar ist (Nr. 67-70).
Nr. 43. Rudolfus entweder Rudolf I., der mit einem fraglichen Diplom
1161 belegbar ist ; wahrscheinlicher Rudolf II. von Bernang,
der für 1253-63 (Nr. 82-88) belegbar ist.
Nr. 44. Wichramus, sicher belegt durch Bulle von 1127 ; Liber vivent.
Nr. 45. Geroldus, belegbar durch Diplom von 1110, 1116 ; Liber vivent.
Nr. 46. Cuonradus, jedenfalls Konrad von Zwiefalten, der im Liber
vivent. für 1206-14 nachzuweisen ist (Nr. 54-64).
Nr. 47. Heinricus, belegbar mit Diplom von 1158 ; Liber vivent.
Nr. 48. Swigherus, belegbar aus Liber vivent.
Die Einträge von zweiter Hand sind also durchwegs belegbar.
Zu bemerken ist, daß sich aus dem Liber viventium die unter Nr. III
befindlichen Namen alle von zweiter Hand nachgetragen sind, mit
Ausnahme der zwei: Werichinus und Hupold, die die erste Hand
aufgeführt hat.
Die Einträge von spätern Händen sind, wie schon die bei-
gefügten zuverlässigen Todesdaten angeben, alle sicher nachweisbar.
Dem Verfasser dieses Nekrologiums diente also als Quelle das
Confraternitätsbuch ; denn mit Ausnahme der dort genannten Namen:
Marquardus, Johannes de Mendelbüren, Georgius von Eroltzheim,
finden sich sämtliche Namen des Confraternitätsbuches im Nekro-
logium wieder. Daneben benutzte er auch einzelne Urkunden, wie
die beigefügten Daten vermuten lassen. Für eine weitere Zahl von
Namen, die sich ebenfalls urkundlich belegen lassen, wo im Nekro-
logium aber keine Jahreszahlen gegeben werden, sowie für eine Reihe
von Namen, die überhaupt nicht belegbar sind, müssen dem Verfasser
noch andere, uns unbekannte Quellen zur Verfügung gestanden haben.
Einen eigentlichen Äbtekatalog will uns der Liber aureus (fol. 29 a)
bieten, wie die Überschrift sagt : Hec sunt nomina abbatum monasterii
Fabariensis secundum ordinem sibi invicem succedentium. Daß diese
Inschrift in doppelter Hinsicht unrichtig ist, werden wir noch sehen,
denn sie bringt fürs erste nicht alle Namen der Äbte und zum zweiten
bringt sie dieselben nicht in der chronologischen Reihenfolge.
Wir bringen hier vorerst die Aufzeichnung, die sich in drei
Kolonnen findet (fol. 29 a und b):
I. Adilbertus. 5. Lupicinus. 9. Crispio.
2. Gibba. 6. Vincencius. 10. Silvanus.
3. Anastasius. 7. Marcianus. ıı. Maiorinus.
4. Adalbertus. 8. Bercaucius. 12. Gebenius.
13. Hartmannus 31. Udalricus. 48. Hugo
ep. et ab. 32. Hesso. de Villingen.
14. Hugo. 33. Johannes. 49. Rudolfus
15. Bruning. 34. Wernherus. de Bernang.
16. Richardus. 35. Geroldus. 50. Cunradus
17. Salomon. 36. Werichinus. de Wolfurt.
18. Augustanus. 37. Wicrammus. 51. Cunradus
19. Eberhardus. 38. Hainricus. de Ruhenberg.
20. Gwerdo. 39. Rudolfus. 52. Eglolfus
21. Alwicus. 40. Swigerus. de Wollfurt.
22. Hatto. 41. Hupoldus. 53. Hermannus
23. Immo. 42. Birchtilo. de Arbona.
24. Wernherus. 43. Ulricus. 54. Johannes
25. Wipertus. 44. Syfridus. de Mendelbüren.
26. Vitalis. 45. Rupertus. 55. Burchardus
27. Grimbertus. 46. Cuonradus. de Wolfurt.
28. Asimbertus. de Zwiveltun. 56. Wernherus
29. Victor. 47. Ludwicus de Raitnaw.
30. Hetto. de sancto Gallo.
Ein erster Blick zeigt, daß der Kompilator dieses Katalogs als
Vorlage das älteste Nekrologium benutzte ; denn die Namen I-33 stimmen
vollständig mit den dort gegebenen Namen von 1-33 überein. Im
Nekrologium folgt als 34 : Werichinus. Hier nun schob der Kompilator
aus dem Liber aureus die dort unter Nr. III aufgeführten Namen
der Reihe nach ein (Nr. 34-41). Den letzten der dort stehenden Namen :
Hupoldus, fand er wieder im Nekrologium, unmittelbar auf Werichinus
folgend (Nr. 35). Aus dem Nekrologium nahm er noch die beiden dort
folgenden Namen : Ulricus und Syfridus herüber (Nr. 43 und 44) und
fügte als 42 und 45 Birchtilo und Rupertus bei. Diese beiden Namen
müssen auf dem verloren gegangenen Blatte des Nekrologiums gestanden
haben!. Daß ihm das vollständige Nekrologium vorlag, geht daraus
hervor, daß er die uns nur durch Stöcklins Kopie bekannten Namen
Hetto und Vdalricus (Nr. 30 und 31) an richtiger Stelle eingefügt hat.
2 Beide Namen finden sich im St. Gall. Totenbuch (M. G. Necr. I. 462),
wo Birchtilo zum 5. IV., Ruodpertus zum 8. VI. vermerkt ist. Das jüngere
Pfäfersernekrol. gibt indessen Ruodperts Todestag auf den 5. I. (Birchtilo
fehlt), was eher stimmen kann; denn wäre es der 8. VI., dann müsste der
Eintrag sich auch im ältesten Nekrol. finden.
- 65 —
Die auf Rupertus folgenden Namen, Nr. 46-56, finden sich im Nekro-
logium von zweiter und dritter Hand eingetragen. Auch hier fehlen
Johannes von Mendelbüren und Marquardus.
Aus dem Umstande, daß wir bis Konrad von Zwiefalten die Äbte
in der Reihenfolge haben, wie sie sich im Nekrologium findet, ergibt
sich, daß die Überschrift : secundum ordinem sibi invicem succedentium
unrichtig ist. Wir haben keine Reihenfolge der Äbte ihrer Regierungs-
zit nach, sondern müssen erst an Handen der uns verbliebenen
urkundlichen Belege eine solche herzustellen suchen. Die Namen, die
sich für das Nekrologium nicht belegen ließen, lassen es sich selbst-
verständlich hier auch nicht. Die Namen von Konrad von Zwiefalten
(Nr. 46) an sind alle urkundlich belegbar. Der Kompilator hat sie
hier nicht, wie sie im Nekrologium sich finden, aufgeführt, sondern,
wohl anhand von Urkunden, ihrer Regierungsfolge nach. Erst von
da an haben wir daher einen Katalog, der sich mit der Regierungszeit
der Äbte deckt. Die im Nekrologium gegebenen fünf Daten hat der
Kompilator wohl mit Absicht nicht herübergenommen, weil sich eben
daraus schon ergibt, daß eine chronologische Reihenfolge nicht vorliegt.
Dazu kommen nun freilich außer den bisher genannten Namen
noch zwei, die uns bis dahin nicht begegnet sind, die aber durch
sichere Urkunden nachgewiesen werden können, nämlich Abt Salomon,
der durch Diplom König Ludwigs von 905, König Konrads gı2 und
eine Urkunde von 909 vertreten ist (Wegelin, Nr. ıı, 12, 13) und Abt
Erenbreht, für den ein Diplom Otto I. von 949 vorliegt (Wegelin,
Nr. 15). Zwei weitere Äbte, Salamannus (861, Nr. 7) und Enzelinus
(958, Nr. 16), sind nur durch fragwürdige Diplome nachzuweisen.
Auf Grund dieser Darlegungen läßt sich nun allerdings kein
chronologisch zuverlässiger Katalog aufstellen, denn jenen Äbten, für
die ein urkundlicher Beleg fehlt, kann kein bestimmter Platz angewiesen
werden ; die im Liber viventium aufgeführten dürften allerdings in der
dort angegebenen Reihenfolge angesetzt werden. Man wird sich darum
an die Klostertradition halten müssen, wie sie der Chronist von Pfäfers,
P. Gerold Suiter, in seiner mehrfach erwähnten Chronik festgelegt hat.
Wir geben seinen Katalog unter Beifügung der Belege für die einzelnen
Abte; die von Suiter gegebenen, keineswegs sichern Regierungsdaten
fügen wir in Klammer bei.
I. Adalbertus C. = Liber viv. (720-24). 4. AdalbertusC. (727-38).
2. Gibba C. (724-27). 5. Lupicinus C. (738-47)-
3. Anastasius C. (727-31). 6. Vincencius C. (747-55)-
REYUE DHISTOIRE ECCLESIASTIQUE ö
u 66:
. Marcianus C. (755-64).
. Bercaucius oder Bertrantius C. 770 ? (76478).
. Crispio C. (778-80).
. Asymbertus N. = Necrologium (780-84).
. Richardus C. (Disentis ?) (784-92).
. Bruning C. (Disentis ?) (792-96).
. Eberhardus N, 799 ? (796-803).
. Wernherus I. (= Werichinus ?) C.N. (803-1T).
. Gwerdo N. (811-14).
. Gebene C. 819 ? (814-26).
. Joannes I. 831 ? (826-38).
. Silvanus 840 (838-51).
. Salmannus 861 ? (von Suiter nicht gezählt).
. Victor N. (851-67).
. Vitalis 877 (867-77).
. Hugo 889 ? (877-93). |
. Salomon I. 905, 909, 912 (893-919). Seine Stelle vertraten ın
Pfäfers (nach Suiter) Augustanus N.; Hatto N. (913);
Hetto N. (931) ; Hesso C. ; Wiptertus N.
. Ehrenbreht 949 (949-53).
. Enzelinus 958 ? (958-61).
. Maiorinus 972 (961-72).
. Alwicus 974 (972-94).
. Hupoldus 992, 998 ? (992-1012).
. Hartmannus 1019 ? (1012-24).
. Salomon II. 1032-1040 (1024-41).
. Birchtilo 1050 ? (1040-53).
. Immo 1067 (1053-67).
. Udalricus (Ulricus) C. N. (1067-80).
. Wernerus II. (= Werichinus ?) N. (1080-94).
. Geroldus Io, III6 (I094-IIIO).
. Wernerus III. 1125 (1119-26).
. Wicrammus 1127 (1126-51).
. Heinricus de Arbon ı158 (II51ı-60 und 1177-81).
. Rudolfus 1161 ? (1160-77) C.
. Swigerus 1182 ? (1181-093) C.
. Rupertus 1196, 1201 ? (1193-1202) = Rudolfus ?
. Conradus de Zwifalten 1206-14 (1202-20).
3. Ludovicus de S. Gallo 1212-32 (1220-33).
. Hugo de Villingen 1233-44 (1233-45).
. Rudolfus de Bernang 1253-63 (1245-64).
. Conradus de Wolfurt 1265-79 (1265-82).
. Conradus de Ruhenberg 1282-1324 (1282-1324). '
. Eglolfus de Wolfurt 1329-30 (1325-30).
. Hermannus de Arbon 1330-61 (1330-61).
. Johannes de Mendelbüren 1362-86 (1361-88).
. Burcardus de Wolfurt 1386-1416 (1389-1416).
. Wernerus de Raitenau 1416-35 (1416-35).
. Wilhelm de Mosheim 1435-46 (1435-42).
. Fridericus de Raitenau 1446-78 (1445-78).
55-
56.
57.
Johannes Berger 1478-83 (1478-83).
Georgius ab Erolzheim 1483-88 (1483-88).
Melchior de Hörlingen 1490-1504 (1489-1508).
Katalog der Äbte auf Grund vorliegender Arbeit zusammengestellt.
I. Liste der Äbte, deren Name sich im Liber viventium (A) oder
im ältesten Nekrologium (B) findet, die aber urkundlich nicht zu
belegen sind.
A. Adalbertus. B. Augustanus.
Gibba. Gwerdo.
Anastasius. Hatto.
Adalbertus. Wernherus.
Lupicinus. Wipertus.
Vincencius. Grinbretus.
Marcianus. Asimbertus.
Crispio. Victor.
Udalricus (Kirchenschatzver- Hetto (ob identisch mit dem
zeichnis). oben genannten Hesso ?).
Hesso (dito). Werichinus.
Marquardus (ob Pfäfers ?). Ulricus (wohl identisch mit dem
Bruning (ob Disentis ?). oben aufgeführten Udalricus).
Richardus (dito). Syfridus.
2. Liste der Äbte, die mit echten oder fraglichen (?) Urkunden
belegbar sind.
Bercaucius, 770 ? Liber viv. Johannes, 831 ?
Eberhardus, 799 ? Silvanus, 840.
Grebenius, 819 ? Liber viv. Salmannus, 861 ?
Vitalis, 877.
Hugo, 889 ?
Salomon, 905, 909, 912.
Erenbreht, 0949.
Enzelinus, 958.
Maiorinus, 972.
Alwicus, 074.
Hupoldus, 992, 9098 ?
Hartmann, 1019 ?
(Kirchenschatz).
Salomon II., 1032-1040.
Birchtilo, 1050 ?
Immo, 1067.
Geroldus, IIIO, III6.
Wernherus, 1125 ?
Wicrammus, I127.
Heinricus, 1158.
Rudolfus, 1161 ; Liber viv.
Swigerus, 1182 ; Liber viv.
Liber viv.
68 —
Rupertus, 1196, 1201 ?
Conradus de Zwifalten, 1206 bis
1214 belegbar.
LudovicusdeS.Gallo, 1221 bis 1232.
Hugo de Villingen, 1233-44.
Rudolfus de Bernang, 1253-63.
Conradus de Wolfurt, 1265-79.
Conradusde Ruhenberg, 1282bis1324.
Eglolfus de Wolfurt, 1329-30.
Hermann de Arbon, 1330-61.
Johannes de Mendelbüren,
bis 1386.
Burchardusde Wolfort, 1386 bis 1416.
Werner de Raitenau, 1416-35.
Wilhelm de Mosheim, 1435-46.
Fridrich de Raitenau, 1446-78.
Johannes Berger, 1478-83.
Georgiusde Eroltzheim, 1483 bis 1488.
Melchior de Hörlingen, 1490-1504.
1362
Bei dieser Aufstellung ist indessen zu beachten, daß Suiter
Grinbretus, der im Nekrologium als Abt beglaubigt ist, nicht aufführt ;
ebenso Marquardus nicht, der sich im Liber viv. findet und den aus-
zuschließen keine zwingenden Gründe vorliegen. Salmannus_ identi-
fiziert er wohl mit Salomon, was hingehen mag. Ob aber Werichinus
mit Wernherus sich deckt, ist sehr fraglich, denn beide Namen finden
sich im Nekrologium. Die Identifizierung von Udalricus und Ulricus
läßt sich wohl ohne weiteres rechtfertigen. Dagegen schiebt Suiter
im XIV. und XV. Jahrhundert noch zwei Äbte ein, die durchaus
unhaltbar sind. Udalricus, der von 1330-31 regiert haben soll und
durch ein unechtes Diplom belegbar ist, findet keinen Platz in der
Äbtefolge aus dieser Zeit. Nicolaus von Marmels, 1435-39, war Abt
von Disentis von 1439-48 ; für Pfäfers ist er nicht beglaubigt. Die
Annahme Suiters, daß für Abt Salomon von St. Gallen sechs Äbte
die Stelle in Pfäfers vertreten hätten, ist weiter nicht beglaubigt.
Abschließend ist zu sagen, daß wir für Pfäfers überhaupt keinen
chronologisch zuverlässigen Äbtekatalog aufstellen können. Man wird
sich damit begnügen müssen, die Äbte, deren Name verbürgt ist und
jene, die urkundlich belegbar sind, gesondert aufzuführen, wie wir es
im vorausgehenden getan haben.
KLEINERE BEITRÄGE. — MELANGES.
Die hl. Wiborada und die Gräfin Wendelgard.
Ein Beitrag zur Wiborada-Kontroverse.
Ekkehart IV., der Chronist des Klosters St. Gallen, erzählt in seinen
Casus ! eine Episode, die in einem früheren Hefte dieser Zeitschrift ? bereits
schon gestreift wurde und die wir hier als bekannt voraussetzen. Es ist
die sogenannte Wendelgardgeschichte. Zwar scheint Ekkehart, wie schon
in der soeben zitierten Arbeit betont wurde, die Legende von Udalrich
und Wendelgard als wirkliche Begebenheit aufgefaßt und wiedergegeben zu
haben. Daß sie aber gleichwohl nur im Kerne als historisch zu nehmen
ist, dafür spricht nicht bloß der Umstand, daß die Wiedererkennungsszene
der Gegenstand mehrerer Heimkebrsagen bildet, dafür spricht auch der
Umstand, daß weder einer der Lebensbeschreiber der hl. Wiborada noch
irgend eine andere der uns noch erhaltenen Quellen von ihr zu berichten
weiß; dafür spricht ferner auch, daß Ekkehart in dieser Erzählung
Behauptungen aufstellt, die mit historisch gesicherten Angaben nicht in
Einklang gebracht werden können, wie die Angabe, Wendelgard sei eine
Enkelin König Heinrichs gewesen, während es doch feststeht, daß Heinrich
ihr Zeitgenosse war, sofern man überhaupt einen geschichtlichen Kern
gelten lassen will. Wenn aber eine jede Legende ihren geschichtlichen
Hintergrund hat, so muß das auch bei der unsrigen der Fall sein, und so
möchten wir denn im folgenden diesen geschichtlichen Kern aus der
Wendelgardlegende herausschälen.
Als die Träger der Legende erscheinen : ein Graf Ulrich und dessen
Gemahlin Wendelgard von Buchhorn, ihr Sohn Burkhard, der spätere
Abt von St. Gallen, der Abtbischof Salomon von Konstanz, die hl. Wiborada
und die sel. Rachild.
Als geschichtlich unbestritten darf in erster Linie die Persönlichkeit
Salomons genannt werden, der im Jahre 890 Abt von St. Gallen und
Bischof von Konstanz geworden und diese beiden Ämter bis zum 5. Januar
920, d. h. bis zu seinem Tode inne hielt. Geschichtlich ist ferner auch
die Gestalt der hl. Wiborada, die nach genügend verbürgten Quellen im
Jahre 916 bei St. Mangen eingeschlossen wurde und im Jahre 926 eben
dort den Martyrertod erlitt. Historisch bezeugt ist ferner die Einschließung
der sel. Rachild neben Wiborada, bei St. Mangen, im Jahre 921, sowie
deren Tod daselbst im Jahre 946. Geschichtlich erwiesen ist weiter die
1 St. Galler Mitteilung, XV.-XVL., cc. 82 ss.
® Die Biographen der hl. Wiborada. XX. J. III. H.
Angabe über Buchhorn (das heutige Friedrichshafen), welches im X. Jahr-
hundert die Pfalz der Grafen von Linzgau war. Geschichtlich bezeugt
ist auch die Gestalt eines Grafen Ulrich von Buchhorn, der im Jahre 913
mit den schwäbischen Pfalzgrafen Erchanger und Berthold am Inn eine
glänzende Schlacht gegen die Ungarn geschlagen und gewonnen hat. Zu
den Jahren 915, 917 und 919 werden ferner von den Annalisten Ungarn-
einfälle gemeldet, die für den Ungarnkrieg und die Gefangennahme eines
Grafen Ulrich in Frage kommen können. Dieser Graf kann der Ungan-
besieger vom Jahre 913, seines Namens der IV., oder dessen Sohn,
Ulrich V., gewesen sein. Als geschichtlich bezeugt darf endlich auch der
von Ekkehart erwähnte Abt Burkhard « der Ungeborene » genannt werden,
da die größeren St. Galler Annalen zum Jahre 958 die Wahl eines Abtes
Burkhard melden und diesen als «vir nobilis ex antiyuorum regum
prosapia ortus, sapiens et pulcher et decorus aspectu » charakterisieren.
Durch keine andere Quelle aber wird bezeugt : die Gestalt der Gräfin
Wendelgard, der Auszug Ulrichs in den Ungarnkrieg, in welchem er
gefangen genommen und in Feindesland verschleppt wurde, seine Heim-
kehr, sowie die damit im Zusammenhang stehenden Ereignisse.
Die Quellenkritik hat daher den Versuch gemacht, in dieses Dunkel
etwelches Licht zu bringen, aber mit wenig Erfolg. Die diesbezüglichen
Ergebnisse sind eher dazu angetan, die letzten Reste von Vertrauen in
die Glaubwürdigkeit der uns von Ekkehart überlieferten Wendelgard-
geschichte zu erschüttern. ? Wir gehen mit jenen Ausführungen nicht in
allen Punkten einig und halten daher diese, sowie die folgenden Aus-
führungen für berechtigt.
Unser Ausgangspunkt ist das Todesdatum Salomons III., das unbe-
stritten auf den 5. Januar 920 fällt. Daraus ergibt sich sogleich der Schluß,
daß sich Wendelgard nach Ekkehart spätestens im Jahre gıg in St. Gallen
bei der Klause der hl. Wiborada niedergelassen hat, da sie nach dem
Chronisten die Erlaubnis hiezu bei Bischof Salomon einholen mußte. Da
Wendelgard aber nach der Aussage Ekkeharts im Anfange des vierten
Jahres ihres Aufenthaltes in St. Gallen wieder nach Buchhorn zurück-
kehrte, muß ihr Aufenthalt in St. Gallen spätestens in die Zeit von 9I9
bis 923 gesetzt werden. ? Darnach muß nach Ekkehart die Gefangenschaft
des Grafen in die Zeit vor 919 fallen. Das aber ist auch nach der Angabe
der Annalisten möglich, die zu den Jahren 915 und 917 Ungarneinfälle
berichten. Nach Ekkehart muß weiter die Geburt Burkhards «des
Ungeborenen » in das Jahr 924 fallen, sodaß der im Jahre 958 zum Abte
Gewählte erst 34 Jahre zählte. Das aber steht durchaus im Einklang
I St. Gäller Mitteilung. 1. c., n. 980, n. 995 u. a. E. Knapp, Udalrich und
Wendelgard, in Schriften des Vereins für Geschichte des Bodensees, Heft 42, p- ®-
2 E. Knapp gründet seine Datierung (916-920) auf die Annahme, daß Ulrich
noch zu Lebzeiten Salomons zurückgekehrt sei, welche Annahme sich wiederum
auf die Behauptung Meyer von Knonaus stützt, Wendelgard sei von Salomon
von ihrem Gelübde enthoben worden, eine Annahme, die wir unten entkräftet
zu haben glauben. Vergl. E. Knapp a. a. O., und St. Galler Mitteilung. a. a. 0.
6 — —
mit allem, was Ekkehart später über das jugendliche Alter dieses Abtes
berichtet. Ekkehart sagt ferner, Wendelgard habe den Wunsch geäußert,
nach Rachild selber eingeschlossen zu werden. Das setzt voraus, daß
Rachild gleichzeitig mit Wendelgard in St. Gallen lebte.
Das aber wird wiederum von den verbürgten Quellen bezeugt, nach
denen Rachild im Jahre 921 bei St. Mangen neben Wiborada eingeschlossen
wurde. Von jener Rachild aber sagt Ekkehart, ihr Körper sei mit
Geschwüren bedeckt gewesen, so zwar, daß sie dem Tode entgegen zu
gehen schien. Diese Aussage aber wird auch von Hepidan, dem zweiten
Lebensbeschreiber Wiboradas, bezeugt, wenn er von Rachild, die noch
nicht eingeschlossen war, schreibt, sie sei, nachdem sie bereits schon
einmal schwer krank ! darniedergelegen, wiederum so schwer erkrankt,
daß sie an ihrem Leben verzweifelte. ?
Wenn aber Meyer von Knonau, der Herausgeber der Casus, den
fraglichen Satz : post Rachildam, quae passim in corpore .... ulcerosa
cottidie emori visa est, includi optaverit, also interpretiert, daß Ekkehart
damit sagen wollte, Wendelgard habe die mit dem Tode der Rachild frei
werdende Zelle erstrebt?, so können wir diese Auffassung nicht teilen.
Der Chronist hat unseres Erachtens hier nicht den Tod, sondern die Ein-
schließung Rachilds im Auge gehabt, so daß der Sinn des Satzes lautet:
Wendelgard wünschte nach der Einschließung der Rachild auch ein-
geschlossen zu werden. Diese Auffassung liegt deshalb nahe, weil Wendel-
gard gerade in der Zeit der Einschließung Rachilds in St. Mangen lebte.
Wenn Meyer von Knonau ferner behauptet, nach Ekkehart habe
der am 5. Januar 920 verstorbene Salomon am 8. September des gleichen
Jahres Rachild eingeschlossen und später noch Wendelgard ihres Gelübdes
entbunden, so unterschiebt er unseres Erachtens dem Chronisten hier
wieder Dinge, die dieser weder gesagt hatte noch sagen wollte. Daß Rachild
von Salomon eingeschlossen worden, sagt Ekkehart nirgends. Daß aber
Wendelgard von Salomon ihres Gelübdes entbunden worden, will Ekkehart
Dicht sagen. Der fragliche Satz lautet zwar: repetit uxorem, quam Deo
le subarraverat, ab episcopo Uodalricus. € Wer aber der Bischof gewesen
sei, durch den Wendelgard vom Gelübde entbunden worden, sagt Ekkehart
bier nicht. Daß nicht notwendig Salomon gemeint sein muß, geht schon
daraus hervor, daß weder in diesem Kapitel noch in den drei vorher-
gehenden von Salomon die Rede ist. Daß aber nicht Salomon, sondern
aur dessen Nachfolger gemeint sein kann, geht aus dem Zusammenhang
hervor. Dieser Auffassung war wohl auch Meyer von Knonau später selber,
als er in der deutschen Ausgabe von Ekkeharts Klosterchronik den obigen
! frigoretico morbo non modice vexabatur. Goldast, Scriptores, vita Wiboradae
6.27;
! Quodam tempore aegrotabat, et ex nimia infirmitate in desperatione vitae
jacuit. Goldast, 1. c., c. 29.
? St. Galler Mitteilung. a. a. O., p. 300, n. 995.
* St. Galler Mitteilung. a. a. O., p. 303, c. 85.
Satz also wiedergab : Ulrich fordert die Gattin, welche der Bischof Gott
verlobt hatte, vom Bischof zurück.
Wir glauben also mit unseren Ausführungen gezeigt zu haben, daß
die Wendelgardgeschichte Ekkeharts, soweit sie von anderen Quellen
bezeugt wird, mit diesen Quellen in Einklang gebracht werden kann und
erlauben uns daher, auf Grund dieser Ausführungen den geschichtlichen
Kern jener Legende folgendermaßen zu fixieren : Graf Ulrich von Buchhorn,
seines Namens V., zog in den Ungarnkrieg des Jahres 915 oder 917. Er
kehrte aber aus demselben nicht mehr zurück, sondern wurde gefangen
in Feindesland geschleppt. Umsonst harrte seine trauernde Gemahlin,
die Gräfin Wendelgard in Buchhorn, auf die Rückkehr ihres Gemahles.
Sie hielt ihn endlich für tot, verließ die Welt und zog mit der Erlaubnis
ihres Bischofs, Salomons III., nach St. Gallen, wo sie neben der Klausnerin
Wiborada eine Kemenate bezog und mit Rachild, einer zweiten adeligen
Tochter, nach Anleitung Wiboradas zum Klausnerleben sich entschloß,
darin solche Fortschritte machte, daß sie anläßlich der Einschließung
Rachildens den Wunsch äußerte, selber eingeschlossen zu werden.
Da kelırte zu ihrer großen Überraschung Ulrich aus der Gefangen-
schaft zurück, und Wendelgard wurde durch den Bischof, den Nachfolger
Salomons, ihres Gelübdes enthoben und ihrem rechtmäßigen Gemahl
wieder zurückgegeben. Die glücklichen Eltern aber weihten ein ihnen
noch einmal geschenktes Knäblein aus Dankbarkeit dem Kloster des
hl. Gallus, wo das Kind heranwuchs, Mönch und schließlich Abt des
Klosters wurde. Es war Burkhard I., der von 958-971 dem Kloster
vorstand. -
E. Schlumpf, St. Gallen.
Zur Forschung über die hl, Ida von Toggenburg.
Die in den kleineren Beiträgen der Zeitschr. für Schweiz. Kirchen-
geschichte XXI (1927) genannte Gräfin Ida von Toggenburg (} 1394).
Gemahlin des Grafen Rudolf des jüngeren von Hohenberg (t 1386), ist
eine Hauptwohltäterin der ersten und vorzüglichsten Armenstiftungen zu
Rottenburg, nämlich des Heilig-Geist-Spitals, 1361 gegründet von Cunrad
Unger, Kaplan an der Dreifaltigkeitskapelle, welche an Stelle des zu
errichtenden Spitals stand.
Unsere Gräfin Ida von Toggenburg machte beträchtliche Stiftungen
zu Gunsten der Anstalt, und mit ihr viele andere Adeligen und Bürgers-
leute. (Oberamtsbeschreibung Rottenburg, Stuttgart und Tübingen 1823,
und ÖOberamtsbeschreibung Tübingen, Stuttgart 1867.)
Eine Geschichte dieses Spitals könnte unter Umständen neue Wege
zeigen, die bei den Forschungen über die Idalegende zu gehen wären.
Wer wagt es, Rittersmann oder Knapp ?
J. Kreienbühler.
— in —
REZENSIONEN. — COMPTES RENDUS,
Festgabe zum diamantenen Priesterjubiläum des Hochw. Herrn P. Gregor
Müller O. Cist. Bregenz, Druck von E. Ruß. Gr. 8°, 126 Seiten.
Inhalt : P. Thomas Abele, Zwei Hirtenbriefe des Zisterzienser-Erz-
bischofs von Evora, D. Fr. Fortunatus a. s. Bonaventura. — P. Othmar
Baumann, Beiträge zu den « Studien über das Generalkapitel ». —- P. Eber-
hard Friedrich, Antiquarisches. — P. Bruno Griesser, Schreibstube und
Bibliothek des Klosters Heilbronn unter Abt Heinrich von Hirschlach
(1282-1317). — Generalabt Dr. Kassian Haid, Heinrich, der Kanzler
Kaiser Heinrichs VII. — P. Basilius Haensler, Einiges über die Seiten-
wunde Jesu Christi nach dem hl. Bernhard. — P. Leonhard Peter, Die
Apostolischen Nuntien in der Schweiz und die dortigen Zisterzienser-
abteien zur Zeit der Gegenreformation. — P. Paul Sinz, Die Natur-
betrachtung des hl. Bernhard. — P. Maurus Stratz, Der Zisterzienser-
Kardinal, Rainer Capocci. — P. Leodegar Walter, Johann von Geilnhausen,
Mönch und Abt von Maulbronn, auf dem Konzil zu Basel, 1431-34. —
Zum diamantenen Priesterjubiläum (1866-1926) widmeten einige Mit-
brüder dem hochverdienten Begründer und Schriftleiter der Zisterzienser-
Chronik die obgenannten Aufsätze, die in ihrer Gesamtheit ein schönes,
wertvolles, literarisches Geschenk bedeuten. Wie schon der bezügliche
Titel verrät, berührt der letzte Beitrag auch die Schweiz. Johann war
Gesandter an Kaiser Sigismund und betätigte sich namens der Konzils
in lebhafter Weise für eine Wiedergewinnung der Hussiten. — Besonders
nahe geht uns begreiflich die Abhandlung über die Nuntien und ihre Stellung
zu den Zisterzienserklöstern Altenryf, Wettingen und St. Urban. Aus
einer ganzen Aktenreihe werden die einschlägigen Bemerkungen über die
Zisterzienser gesammelt und zu einem anschaulichen Bilde vereinigt. Daß
Bonhomini den Urkantonen « bekannt und willkommen » gewesen, ist
freilich nur mit Vorbehalten und Abstrichen richtig. Der Titel « Anti-
quarisches » ist zu allgemein. Niemand erwartet unter dieser Ankündigung
alte Regeln über die Tischlesung.
E. W.
Festgabe zur neunten Jahrhundertfeier der Gründung des Benediktiner-
süttes Muri-Giries. 1027-1927. Sarnen, Buchdruckerei Ehrli, 1927. 245 S.
Diese mit dem Bilde von Abt Alfons geschmückte Festschrift umfaßt
folgende Beiträge, die sämtlich von Konventualen des Stiftes Muri-Gries
verfaßt sind : ı. Zur goo-jährigen Gründungsfeier des Stiftes Muri-Gries,
von Dr. P. Rupert Hänni, eine poetische Verherrlichung dieses Festtages. —
2. Die ältesten Geschichtsquellen des Klosters Muri im Lichte der neueren
Forschung von Dr. P. Bruno Wilhelm, eine kritische Würdigung der viel-
bestrittenen Überlieferung und glückliche Zusammenfassung der bis-
herigen Wandlungen und Ergebnisse der gelehrten Forschung bis auf die
neueste Zeit. Durch vorsichtige Abwägung der Resultate gelangt Verfasser
im Widerstreit der Meinungen zu einer mittleren Lösung, indem er die
Entstehung des Hauptteiles der Acta Murensia in die Mitte des XII. Jahr-
hunderts verlegt. In bezug auf die Frage der Echtlieit des Testamentes
von Bischof Werner gelangt er in durchaus selbständiger Prüfung zu der
neuen Lösung, daß wir hier eine Fälschung vor uns haben, deren Entstehung
er mit Steinacker in die Jahre 1082 bis 1086 verlegt. Als Gesamtergebnis
dürfen wir festhalten: Die A. M. sind eine der interessantesten, zuver-
lässigsten und gehaltvollsten Klostergeschichten ihrer Zeit, Mitte de
XII. Jahrhunderts verfaßt vom Reformabt Bruno, ohne wesentliche
Umarbeitung durch einen spätern Anonymus. Von den ältesten Urkunden
Muris dürfen die Kardinalsurkunde und das Diplom von Iıı4 als echt
angesehen werden. Über Zeitansatz und Tendenz der Fälschung gehen
die Ansichten auseinander. — 3. Die rechtlichen Beziehungen des Stiftes
Muri-Gries zu den Diözesanbischöfen von Dr. P. Hugo Müller. — 4. En
lateinisches Sakramentsspiel aus dem Jahre 1586 mit Bruder Klaus al;
Hauptzeugen, von P. Jakob Gretser. Herausgegeben von Dr. P. Emanuel
Scherer. — 5. Lateinische Distichen auf Schweizer Heilige, von P. Jakob
Gretser. Herausgegeben von Dr. P. Em. Scherer. — 6. Briefe deutscher
Künstler aus Roman Friedrich von Hurter. Mitgeteilt von P. Em. Scherer.
Enthalten interessante Aufschlüsse zur Geschichte der deutschen Stiftungen
Roms, Santa Maria dell’ Anima, sowie des Campo Santo. — 7. Briefe von
Konstantin Siegwart Müller an P. Leodegar Kretz. Mitgeteilt von
P. Em. Scherer. Ergänzungen zu den von demselben im Jahresbericht
von Sarnen 1923/25 herausgegebenen Briefen Siegwarts an Hurter mit
guten Anmerkungen und angenehmen Namensregistern.
Albert Bücht.
Gustav Schnürer. Kirche und Kultur im Mittelalter. II. Band.
Ferdinand Schöningh, Paderborn 1926. x und 561 Seiten. Gr. 8°.
Broschiert G.-M. ı1.— Ganzleinen G.-M. 13.—.
Es war mir eine besondere Freude, den ersten Band dieses Mionumental-
werkes, der die Grundpfeiler (I. Buch) und die erste Bildung der abend-
ländischen Kulturgemeinschaft (II. Buch) zeichnete, in dieser Zeit-
schrift XIX (1925), 235-238, besprechen zu dürfen. Mit erhöhter Freude
begrüßte ich das Erscheinen des vorliegenden zweiten Bandes, der uns als
kundiger Führer in die Hochblüte mittelalterlicher Kultur geleitet. Leider
verhinderten mich eine Reihe ungünstiger Umstände an der sofortigen
Besprechung dieser bedeutungsvollen Neuerscheinung.
Der erste Band schloß mit der ersten Kulturblüte unter Karl dem
Großen. Im zweiten Band behandelt Schnürer zuerst die Übergangszeit
h
ee En 7 vr.
vom IX. bis Xl. Jahrhundert, in der die Kirche im Dienste der nationalen
und feudalen Machthaber stand, aus dem sie die Reformbewegung der
Cluniazenser (III. Buch) befreite.
Nach dem Tode Karls des Großen zerfiel das Einlieitsreich der Franken.
Die fränkische Reichskirche wurde bei dem Zerfall des kavolingischen Reiches
($ 1) arg in Mitleidenschaft gezogen. Ihre Expansionskraft erlahmte ; dem
hl. Ansgar, dem verdienten Apostel des Nordens, fehlten die opferfreudigen
Missionäre, die seinen Arbeiten einen nachhaltigen Erfolg sicherten. Die
deutschen Bischöfe hatten für das selbstlose Wirken dieses wahren
Benediktusiüngers kein Verständnis mehr, sondern gingen in Sorgen um
die Staatsgeschäfte auf und ließen sich zu Dienern der weltlichen Macht-
haber erniedrigen. Umsonst erhoben edel gesinnte Männer Einspruch.
Eine verzweifelte Stimmung entstand bei manchen Anhängern der alten,
kirchlichen Ordnung. Zu deren Schutz ergriff eine kleine skrupellose Gruppe
verzweifelte Mittel und schuf die berüchtigten großen kirchenrechtlichen
Fälschungen, von denen Schnürer eine verständnisvolle Erklärung gibt.
Die beginnende Nacht erfaßte auch die höchsten Gipfel kirchlicher
Würden. Wohl sehen wir noch einen großen Papst, Niklaus I. (gest. 867),
der mit der ganzen Kraft wahrer Überzeugung und überragender Autorität
der Sittenlosigkeit entgegentrat, selbst wenn sie auf Königsthronen saß ;
en Hort der moralischen Einheit des Abendlandes, leider nur vorüber-
gehend, wie ein Meteor. Die traurigen äußern Verhältnisse drückten auch
das Papsttum tief darnieder. Der politischen Auflösung des Franken-
reiches folgten auch landeskirchliche Sonderströmungen. Als deren typischen
Führer zeichnet uns Schnürer den nach hohen Zielen strebenden Erzbischof
Hinkmar von Reims für das westfränkische Reich und den Metropoliten
Hatto von Mainz für Ostfranken. Die Bedeutung dieser beiden Kirchen-
fürsten zeigt sich schon darin, daß sie die Krönung ihrer Könige vorzu-
nehmen beginnen und so die Zweiteilung der Gewalten vorbereiten, welche
für die abendländische Kultur in ihrem Werden von großem Vorteil war.
:Damit wurden sowohl einer kurzsichtigen Theokratie wie einem die
Kirche fesselnden Staatskirchentum Hemmschuhe angelegt.» Wie sich
die Metropoliten vom kirchlichen Zentrum entfernten, so drohten auch
viele der niedern Geistlichen dem Einfluß ihres Bischofs entgegen zu werden
durch begüterte Laien, die auf ihrem Grund und Boden Kirchen und
Kapellen bauten und sie als Eigenkirchen, und den Geistlichen, der daran
angestellt war, wie einen Dienstmann betrachteten, über den sie ähnlich
verfügen wollten wie über ihre Hörigen. Neben der Gefahr eines ungesunden
lLaienregimentes hatte die Kirche auch noch viele Überreste des ab-
sterbenden Heidentums zu bekämpfen : Gottesurteile, Zauberwahn und
Hexenglaube. Sie tat es leider im Norden der Alpen nicht immer mit dem
gleichen kritischen Sinn wie im Süden, indem sie alten Zauberformeln
Ihre Segnungen und den Gebrauch geweihter Gegenstände entgegensetzte.
ı Die kräftigste Gegenwirkung gegen die Gefahren, welche diese Zeiten
der Naturalwirtschaft und des kritiklosen Naturglaubens brachten, bot
die Vermehrung der geistigen Kräfte, die gepflegt wurden in den Schulen.
Dort waren die Hüter der alten Traditionen besonders die Klöster, die
auch am besten die ideale Gesinnung » selbst in den Zeiten des Verfalls
hegten. Das zeigt uns Schnürer in seinem interessanten Bild des geistigen
und künstlerischen Strebens im IX. Jahrhundert ($ 2). Als bedeutendste
Gelehrte dieser Zeit charakterisiert uns der Verfasser den Schotten Johannes
Eriugena am Hofe Karls des Kahlen und den einflußreichen Lehrer von
Fulda und spätern Erzbischof von Mainz, Hraban Maurus, dem der Streit
um den Mönch Gottschalk persönlich nahe ging. Unter den damals hervor-
ragenden Klöstern interessieren uns besonders Reichenau mit Walahfrid
Strabo und St. Gallen mit Notker, dem Stammler. Dort sehen wir auch
in morgenfrischem Licht die ersten Übersetzungen in die Volkssprache
und die Anfänge deutscher Dichtung. Von dieser originalen Tätigkeit
lenkt uns der Verf. auf die lateinische Schriftstellerei, die sich nach seiner
trefflichen Charakteristik auf den verschiedenen Gebieten der Wissenschaft
eng an die Muster der Alten anschließt, und nur in der Theologie sich selb-
ständig zu bewegen versucht. Die geistige Sonderstellung Italiens, wo sich
etwas von der alten Städtekultur und Laienbildung erhalten hatte, tritt
noch deutlicher auf dem Gebiet der Kunst hervor. Auch hier entwickelte
sich das Abendland selbständig und schuf den romanischen Kirchenbausti!
und manch ansehnliches Stück der Elfenbeinplastik wie der Miniaturmalereı.
Gegen Ende des IX. Jahrhunderts erfolgte ein allgemeiner Verfall,
der besonders in Frankreich und Italien verhängnisvoll zu werden drohte.
Bischofskirchen und Klöster kamen in die Hände der streitenden Großen.
Nicht besser erging es dem Papsttum. Es wurde der Zankapfel römischer
Adelsparteien, bis ihm Rettung kam aus dem ostfränkischen Reich. Dort
erstarkte die Königsmacht mit Hilfe der Bischöfe bald unter Otto I. und
ermöglichte die Begründung des römischen Kaisertums deutscher Nation und
die Ausbreitung der christlichen Kultur nach Osten und Norden, sowie neues
geistiges und künstlerisches Leben in Deutschland ($ 3). In den Nonnen-
klöstern von Gandersheim und Quedlinburg blühte die Mädchenbildung,
buntes Scholarenleben erfüllte die Klosterschulen von St. Gallen und
lteichenau, kraftvoll entwickelten sich die Kathedralschulen in Lüttich
und Hildesheim. Starken Drang, neuen Regungen nachzugehen, zeigte
die Baukunst.
Sie war besonders empfänglich für die neue Geistesbewegung, die
Klosterreform ($ 4), die dort zuerst reifte, wo Verwirrung und Verfall am
größten waren, in Frankreich und Italien, besonders in dem um 910
gegründeten Kloster Cluni, das nicht nur Einsiedeln und allen abend-
ländischen Klöstern neue Ideale einhauchte, sondern auch die Reform
des Weltklerus und die neue Zusammenschließung des Abendlandes ($ 5)
vollzog. Von dieser Reformbewegung, die sich aus kleinen Anfängen zu
einer die Weltkirche erfassenden Strömung auswuchs, entwirft der Verfasser
ein grandioses Bild, aus dem die Säkulargestalt Gregor VII. riesengrod
emporragt, wie die Statue des hl. Karl auf dem Schloßhügel von Arona.
War Cluni aber bald schon im Verblühen, so sehen wir inmitten des
Investiturstreites, der letzten Phase dieser großen Bewegung, die Reform-
klöster in Deutschland, Hirschauer, Kartäuser und Augustinerchorherren.
erst auf ihrem Höhepunkt. Tiefgreifende Spuren hinterließ diese Strömung
auch im geistigen und künstlerischen Schaffen. In dem literarischen Kampf,
durch den Investiturstreit hervorgerufen, lernte man mehr wie früher
selbständig denken und auf die Gründe des Gegners antworten, auch wohl
überlegen, wie man am meisten auf die weitern Schichten einwirken könnte.
In der Geschichtsschreibung suchte man mehr die Zusammenhänge zu
erfassen, die Motive der handelnden Personen aufzudecken und die
Behauptungen urkundlich zu begründen. Aus der Reform entquoll eine
zunehmende Freude am Glauben, die nirgends lebhafter uns entgegentritt
als in der seit der Mitte des XI. Jahrhunderts voll einsetzenden Blüte der
romanischen Kunst. Immer nachhaltiger wehte der religiöse Geist, er
ergriff nun auch die führende Laienschicht und erhob sie zu neuen Idealen
durch die religiöse Erziehung der Ritter und die Einführung des Gottes-
Iriedens ; ja durch veligiöse Spiele ($ 6), die sich aus den liturgischen Feiern
der hohen Kirchenfeste entwickelten, beeinflußte sie auch breitere Volks-
schichten.
So bot die Cluniazenserreform die Grundlage für den Aufstieg der
mittelalterlichen Kultur zur Höhe ihrer geistigen Kraft, wo die Kirche
als Leiterin der abendländischen Gesellschaft (IV. Buch) erscheint. Den
außern Ausdruck dieser Macht und Kraft sehen wir in den Kreuzzügen ($ ı),
die ein Papst in Gang gebracht und die Päpste dauernd weiter leiteten.
Mit dem die Welt und Jahrhunderte umfassenden Weitblick, den wir bei
Schnürer gewohnt sind, zeichnet der Autor die gewaltigen Kriegszüge als
die offensive Defensive der religiös gesinnten Ritter, die vom neu gegründeten
Zisterzienserorden, zumal vom hl. Bernhard von Clairvaux, für die höchsten
Ideale begeistert wurden, und legt klar, daß diese Züge, wenn nicht im
Osten, so doch im Westen bleibende Erfolge erzielten, indem sie auf der
iberischen Halbinsel das Übergewicht der Mohammedaner endgültig
brachen und trotz ihrer von Schnürer deutlich hervorgehobenen Schatten-
seiten die politischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für die
kommende Hochblüte mittelalterlichen Kulturlebens bildeten.
Die geistigen Voraussetzungen dieser Blüte schufen eine neue durch
die Kreuzzüge hervorgerufene, aber innerlich im Gegensatz zu ihnen
stehende Bewegung, die ihren Herd hauptsächlich in den bürgerlichen
Kreisen der emporstrebenden Städte und in der studierenden Jugend hatte.
Als hervorragender Kenner der Ordensgeschichte zeichnet der Verfasser mit
sichern Linien diese neue Strömung, die Armutsbewegung und die daraus
erwachsenden Betitelorden der Franziskaner und Dominikaner ($ 2). Mit
großem Interesse lesen wir da von dem Missionswirken dieser Orden bei
den Mongolen in Persien, Armenien und China, erkennen aber bald, daß
ıhr Hauptsarbeitsfeld auf den Universitäten war, wo sie an der Hochblüte
der Scholastik ($ 3) ausschlaggebenden Anteil hatten. Zunächst läßt uns
Schnürer die Entwicklung des Schulwesens nach unten (Stadt- und Land-
Schulen) und nach oben (Universitäten) mit dem oft überschäumenden
Scholarenleben jener Zeit überblicken. Dann führt er uns in den eigen-
artıgen Betrieb der damaligen Wissenschaft, in die Scholastik ein. Der
Spezialist wünschte eine noch weitere Behandlung der kühnen und genialen
lehrsysteme;; für den Zweck des Buches dürfte der Verfasser in richtigem
Ausmaß die Entwicklung der Scholastik gezeichnet und die Vertreter der
verschiedenen Richtungen gut charakterisiert haben. Mit wahrer Genug-
tuung finden wir die Verdienste des Albertus Magnus um die Natur-
wissenschaft besonders gewürdigt, ohne daß seine universale Bedeutung
übersehen wurde. Eingehend behandelt der Autor die großartige Systematik
des Aquinaten, der alle großen philosophisch-theologischen Fragen in einer
ruhigen klärenden Art betrachtete, « wie die erleuchtende Sonne, vor der
alles klar daliegt », und würdigt zum Schluß die Verdienste der englischen
Franziskaner um die Pflege empirischer Forschungen im XIII. Jahrhundert.
Ebenso trefllich wie die Scholastik zeichnet uns Schnürer die Aus-
bildung des kirchlichen Rechts und der Inquisition ($ 4). Von größter Nach-
wirkung war das Wiederaufleben des römischen Rechts, « die erste Welle
der Renaissance-Bewegung. Diese erste Welle brachte dem Abendland
Folter und Inquisition ». Schnürer liegt es fern, diese Neuerungen zu
rechtfertigen, erklärt sie aber in ganz verständnisvoller Weise aus den
Verhältnissen und Anschauungen jener Zeit, die schon dunkle Streifen
aufwies in dem jede staatliche, soziale und sittliche Ordnung bedrohenden
Nihilismus der Katharer und im beginnenden Niedergang des Weltklerus.
Erfreulichere Bilder zeigt uns der Verfasser im Aufkommen der Stadte
und im sozialkaritativen Wirken der frommen Bürger, neben denen auch
die Frauenwelt ($ 5) ein geistiger Faktor der kulturellen Entwicklung wird
und in der Pflege der Mystik zu überraschender Höhe steigt. In ein noch
bedeutenderes geistiges Hochland führt uns Schnürer, in das Aufblühen des
gotischen Kunststils ($ 6) im XII. bis XIII. Jahrhundert und macht uns
in warmer Sprache mit den technischen Voraussetzungen, der Eigenart und
Selbständigkeit dieser vom Triumphgefühl der abendländischen Christenheit
getragenen Kunst vertraut.
Mit einem Ausblick auf die kommende Kulturperiode schließt dieser
zweite an historischem Material wie an neuen Ideen und Gesichtspunkten
überaus reiche Band. In diesem Ausblick ist aber die Kirche in einen
Gegensatz zur Kultur gestellt. Daß sich dieser Gegensatz nicht auf die
echte Kultur — denn diese ist volle Menschlichkeit und will den Menschen
zu himmlischen Höhen emporführen — bezieht, ist dem Autor selbst-
verständlich, er spricht darum von einem Gegensatz zur « neuen Laien-
kultur » und von Gefahren der « Weltkultur ». Mancher Leser dürfte sich
aber klarere Ausdrücke wünschen. Der Autor hätte gewiß auch seine
Auffassung genauer ausgesprochen, wenn er, wie z. B. Zach, Modernes oder
katholisches Kulturideal, Wien 1925, S. 22-25, klar unterschieden hätte
zwischen Persönlichkeitskultur (Seelenkultur) und Sachkultur ; dann hätte
er nicht von einer Spannung zwischen Kirche und Kultur, sondern von
einer Spannung und Dissonanz zwischen Persönlichkeits- und Sachkultur
gesprochen, die immer wieder entsteht, und die die Kirche auszugleichen
und zu harmonisieren hat.
In seiner Gesamtheit bietet uns Schnürers Werk eine glänzende
Gruppierung und Periodiserung der geschichtlichen Ereignisse und kultu-
rellen Entwicklungsstufen und eine Reihe großartiger, allgemeiner, kultur-
philosophischer Ausblicke, Zusammenfassungen und Wertungen, die der
ee Ze o -
denkende Leser selber nachprüfen kann an Hand der reichen, solid
begründeten historischen Tatsachen.
Bei einem Kuraufenthalt in Oberschwaben gab ich das Buch einem
in weitesten Kreisen bekannten Kunsthistoriker und Lehrer an einer
technischen Hochschule zur Durchsicht. Bald entschlossen, es selber
anzuschaffen, gab es mir der feingebildete Herr zurück mit der Bemerkung :
«Das ist ein an Tatsachen und Ideen ungeheuer reiches Werk. In einer
für mich völlig überraschenden Weise beleuchtet es alle dunkeln Punkte
des Mittelalters und läßt dessen Glanzseiten in herrlichem Lichte erstrahlen. »
Mit besonderer Befriedigung finden wir Schweizer in diesem Werk
unser Vaterland in wohltuender Weise berücksichtigt. Papier und Druck
befriedigen in gleicher Weise vollauf, wenn auch durch Sperren der Stich-
wörter die Abschnitte an Übersicht gewonnen hätten.
Bregenz-Altdorf. Gallus Jecker O.S.B.
Dr. J. Greven. Geschichte der Kirche. Zweites Zeitalter : Die Kirche
als Führerin des Abendlandes. Ausgabe A für die männliche Jugend mit
+ Tafeln. Druck und Verlag von L. Schwann, Düsseldorf. Gr. 8%. S. 75-164.
Dem ersten Teil ist im Frühjahr 1927 rasch der zweite gefolgt, der
an stoflicher Gediegenheit und durch seine praktische Anlage hinter jenem
nicht zurücksteht. Ganz kurze Quellenstücke, darunter sogar solche aus
der Poesie, erleichtern dem Schüler das Verständnis für ferngelegene Zeiten
und längst verschwundene Einrichtungen. Die Wendepunkte im Geistes-
leben des Mittelalters und die Unterschiede zwischen den verschiedenen
Nationen und Epochen sind gut und faßlich herausgearbeitet. Eine Karten-
skizze zeigt auch dem körperlichen Auge die Ausbreitung der rhein-
iändischen Zisterzienserklöster, und die sonstigen wenigen lllustrationen
veranschaulichen trefllich die mittelalterliche Denkweise. Wohlbegründet
werden in diesem Lehrmittel, trotz aller Knappheit, einige deutsche Heilige
eingehender gewürdigt als in manchem umfangreichen Buch, z. B. Rade-
gunde, Lioba, Hildegard, Hedwig und Mechtild. Neuartig sind überdies
die Abschnitte über Liturgie, Kirchengesang, geistliches Schauspiel, die
Anfänge der Mission in Ostasien, der französische Nationalstaat und die
Kirche. Offen werden die wertvollen Dienste anerkannt, welche G. Schnürers
'Kirche und Kultur im Mittelalter» dem Verfasser geleistet. Die an-
gewandten zwei Schriftgrößen ermöglichen eine kürzere oder einläßlichere
Behandlung des Stoffes in der Schule.
Altdorf. Eduard Wymann.
Schweizer Kriegsgeschichte. Im Auftrage von Oberstkorpskommandant
Sprecher von Bernegg. Herausgegeben von M. Feldmann und H. G. Wiirz.
Heft 5. Bern 1925 (Ernst Kuhn). 143 S.
Diese Lieferung enthält zwei Arbeiten: ı. Theodor Müller-Wolfer,
Professor an der Kantonsschule in Aarau, Das Jahrhundert der Glaubens-
trennung, ein kurzer Abriß der Geschichte der Glaubenstrennung und
— do —
katholischen Gegenreformation von anerkennenswertem Streben nach
Objektivität und gerechtem Urteil. Aber das eigentlich Militärische tritt
gegenüber den Ursachen und dem Verlauf der Glaubensbewegung,
Charakterisierung ihrer Führer und Motive derart zurück, daß man sich
fragen muß, ob eine solche Darstellung überhaupt in eine Kriegsgeschichte
hineingehört ; jedenfalls wird man sie hier am wenigsten suchen ! Es läuft
doch im Grunde auf eine Verherrlichung Zwinglis und seiner Reform
hinaus ; auch wäre im einzelnen manche Behauptung zu beanstanden.
Dagegen vermißt man eine eingehende Würdigung und chronologische
Umgrenzung des Kriegsplanes von Zwingli; auch kommt die wahre
Bedeutung der beiden Kappeler Frieden nicht zum Ausdruck.
Nicht Heilige pflegt die Kirche mit Kreuz und Fahnen zu empfangen
(57), sondern lediglich Heiligtümer ! In der einseitigen Beurteilung Ludwig
Ptyfiers hat sich Verf. zu sehr an Feller gehalten (88), und der Vergleich
mit Bruder Klaus und Zwingli erscheint unangebracht. B. Fleischlin ist
kein Ordensmann und verdient deshalb die Bezeichnung Pater) nicht!
(136/37). Die Angaben von Quellen und Literatur sind sehr umfassend
und orientieren vortreffllich über Schweizer Reformation und Gegenrefor-
mation. S. 92 wäre vielleicht die Erwähnung der wenig bekannten, aber
gehaltvollen Chronik des Glarners Fridolin Bäldi, herausgegeben in Zeit-
schrift für Schweiz. Kirchengeschichte I, noch beizufügen. Sehr wertvoll
und willkommen sind auch die Kartenbeilagen zu beiden Aufsätzen !
2. Francis de Crue, Die Befreiung von Genf und die Vereinigung des
Waadtlandes mit der Schweiz 1526-1603, die beste und gut dokumentierte
Übersicht über Genfs Befreiungskrieg, wobei das Politische gegenüber
dem Militärischen stark und das Persönliche gänzlich zurücktritt.
Albert Bücht.
Berichtigung.
In der Rezension von Leonhard Muralt, Die Badener Disputation,
1526, Jahrg. XXI., S. 320, soll es heißen : «abweichend von Walther Köhler,
der sie als schweizerischen Reichstag von Worms (statt Regensburg) auflaßt. »
Ferner ist der Name « Miles» für « Barnabas Bürki» nicht zu beanstanden,
da dieser sich gelegentlich nach dem Namen seiner Mutter auch « Ritter »
nannte, was Miles entsprechen würde; vgl. Bd. XIII, 236, dieser Zeitschrift.
A.B.
—— — > - IIEIETFEER
Fribourg. — Imp. de I’(Euvre de Saint-Paul. 28.
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Schweizerische Kirchngeschichte
Rewe distoire Enlsiastige Stisse.
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RESDUBGERERN von PupLuke | DAR
Ausser BÜCHI,. "Jon. Peren KIRSCH"
2b. ‚Professoren an der Universität ID (Schweiz)
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“0 Louis ‚W/EBER,
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Chanoine, professeur au Grand Söminire, Fribourg.
4
xx. JAHRGANG, 11. HEFT. — 22” ANNEE, FASC. I.
Erscheint viermal jährlich. be; Paralt quatre fois par an.
Abonnenenhpreis : 8 Fr. — Prix de Vabonnenent : 8 Fr
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\
STANS 1928.
‚Hans von Matt, VERLAGSHANDLUNG.
.”
13
Inhaltsvorzeichnis — Sommaire- .
Joseph Müller. — Johann J oachim Eichorn’ s deutsche Lebensbeschreibung
des seligen Nikolaus von Füe. . . 22 oe
"Hans Dommann. — Die Kirchenpolitik im ersten Jahrzehnt des neuen
Bistums, Basel. (1828-1838) (Fortsetzung). » » ee a... -
Dr J. Al. Scheiwiler. — Die Reform im Kloster St. Gallen (F ortsetzung) 123
Georges Blondeau. — Portraits d’ecclesiastiques peints par Wyrsch (Suite
etfin . .. de ee ee
Rezensionen. — Comptes rendus . .. 2 2222er. 12.
“GRÖSSERE BEITRÄGE, : TRAVAUX |
welche für die nächsten Nummern A que la Revue publiera -
in Aussicht BeRominen wurden. | BESSER SNIERIERE,,
Arnold Winkler, Oesterreich. und die Aargauer Klosterfiae: '— Marcel
de Weck, Les p£lerins fribourgeois de Rome en 1580. — Rud. Henggeler,
Der Äbte-Katalog von Fischingen, Rheinau und St. Gallen. — K. E. Winter,
Bachofen und die Romantik. — Fridolin Segmüller, Geschichte des Kollegs
“von Ascona. — v. Castelmur, Fragmente eines‘Chürer Missale aus der Mitte
des XI. Jahrh. — Schluiffpf, Quellen zur Biographie der sel. Rachild.
NB. — Alle für die Zeitschrift für schweiz. Kirchengeschichte bestimmten
Rezensionsexemplare sind an die Redaktion, Freiburg, zu adressieren, —
Tous les ouvrages destines a recevoir un compte rendu dans la Revue
‚d’Histoire ecelesiastique suisse doivent &tre envoyes Sireetemjent & la Redaction,
Fribourg.
Die Zeitschrift LAUREVUE |
für Schweizerische Kirchengeschichte D’HISTOIRE ECCLESIASTIQUE SUISSE
erscheint 4 Mal jährlich, parait par fascicules tramestriels.
-—.-
Johann Joachim
Eichorn’s deutsche Lebensbeschreibung
des seligen Nikolaus von Flüe.
Von Josern MÜLLER.
Robert Durrer hat in seinem Standard-Werk über Bruder Klaus
die Reihe der Biographien des Seligen mit jenen Johann Joachim
Eichorns abgeschlossen. Eichorns schriftstellerische Tätigkeit, be-
merkt er, bedeutet einen Markstein in der Bruderklausen-Biographie.
Seine Bücher erhalten autoritären Charakter und bleiben die unver-
rückbare Grundlage aller späteren Publikationen. ! Diese Wertung
Eichorns mag es rechtfertigen, wenn seine deutsche Lebensbeschreibung
des seligen Nikolaus von Flüe hier über das von Durrer in so aus-
gezeichneter Weise Gebotene hinaus einer Untersuchung unterzogen
wird. Veranlassung dazu bot der zufällige Fund des Original-
Manuskripts Eichorns zur deutschen Rorschacher-Ausgabe von 1614
im Sammelbande 656 der St. Galler Stiftsbibliothek 2, das Durrer
unbekannt geblieben ist.
Das Manuskript Eichorns umfaßt die S. 883-1126 des angegebenen
Sammelbandes. Es trägt eine ältere Foliierung : II-XIIII und ı-109,
während den folgenden Seiten ı1IIg-ıI26 die Foliierung mangelt.
Schon beim Einbinden des Bandes fehlten Folio 26-35. Daneben
findet sich eine ursprüngliche Lagenbezeichnung, für die Vorrede (A)
u. B, für den Text der Lebensbeschreibung A-P, während wiederum
die letzte Lage unbezeichnet geblieben ist. Die Lücke des Manuskriptes
verteilt sich auf die Lagen derart, daß von D ein Blatt, von E noch
drei Blätter vorhanden sind ; es enthielt demnach eine dieser Lagen
1 Robert Dusrer, Bruder Klaus, II, S. 968. Ebenda hat Durrer alle erreich-
baren Daten aus dem Leben Eichorns zusammengetragen. Im Manuskript schrieb
er seinen Namen Eichhorn, so steht er auch in der deutschen Rorschacher Aus-
gabe von 1614, in der Konstanzer Ausgabe « Eychhorn », während die latinisierte
Form « Eichornius » lautet. Da Durrer den Namen nach der letztern konsequent
ı Eichorn » schreibt, habe ich ebenfalls diese Form übernommen.
2 Gustav Scherrer, Verzeichnis der Handschriften der Stiftsbibliothek, gibt S.214
ın der Beschreibung des Codex 656 das Werk Eichorns nicht an ; dagegen verzeichnet
er mit dem Hinweise auf Band 656 Eichorn im Autoren-Register S. 558 und ver-
weist im Sach-Register, S. 590, unter dem Stichwort « Flüe Nik. » auf Einorn (!).
REVUE D HISTOIRE ECCLESIASTIQUR 6
— bh —
nur sechs Blätter, während sie sonst, wenn auch nicht immer, aus
acht Blättern bestehen. Die letzte, unbezeichnete Lage hat elf Blätter.
Jetzige Größe des Blattes: Quartformat 188x156 mm. !
Auf Folio ıog’, wo die alte Foliierung aufhört, schrieb der
St. Galler Kapitular P. Jodok Metzler eigenhändig das Imprimatur
nebst seinem Namen hin und drückte sein kleines Privatsiegel bei.
Diese Unterschrift Metzlers genügt allein schon, um die Streichungen
und Korrekturen, die in der Handschrift am ursprünglichen Texte
Eichorns vorgenommen wurden, als von Metzlers Hand herrührend
erkennen zu lassen. Metzler hat demnach die Erteilung der Druck-
erlaubnis dazu benützt, um als Korrektor von Eichorns Werk auf-
zutreten. Welche Zwecke dieser Eingriff, der nicht immer eine Ver-
besserung war, verfolgte, soll die Untersuchung hernach dartun.
Nebst diesen Streichungen und Korrekturen finden sich am Rande
der Handschrift Signaturen, die mit einem Zeichen im Texte korre-
spondieren. Es sind Verweise auf die Bogen- und Seitenbezeichnungen
der Rorschacher Ausgabe von 1614, wobei jeweilen der Beginn, nicht
der Schluß der Seite notiert ist. Zu vermerken ist dabei, daß die
beiden ersten Lagen der Lebensbeschreibung, welche die Vorrede
enthalten, doppelte derartige Randnoten aufweisen.
Eichorns Biographie des seligen Nikolaus von Flüe liegt uns,
soweit es sich um eine selbständige Bearbeitung des Stoffes handelt,
in einer lateinischen und deutschen Version vor. Von der deutschen
erschienen im gleichen Jahre, 1614, zwei Ausgaben, eine Rorschacher
und eine Konstanzer, während die lateinische 1613 ebenfalls von der
Röslerschen Offizin in Rorschach herausgegeben worden war. ? Nach
Durrer ist das Verhältnis dieser drei Ausgaben zueinander so, daß
« die erste weitläufigere » deutsche Fassung der Rorschacher Ausgabe
t Durrer, Bruder Klaus, I, S. 554, gibt von Eichorns Pariser Manuskript
der Lupulus-Biographie das Maß 19:16 cm, als Wasserzeichen neben dem Nid-
waldner Doppelschlüssel der Papierfabrik Rotzloch eine doppeltürmige Burg.
% S. die Beschreibung und die genauen Titel der Ausgaben bei Durrer, II,
S. 973 f. Ich konnte durch die Liebenswürdigkeit der Bürgerbibliothek Luzern
ihre Exemplare der lateinischen Rorschacher Ausgabe von 1613 und der deutschen
Konstanzer Ausgabe von 1614 benützen. Das einzige Herrn Dr. Durrer bekannte
Exemplar der deutschen Rorschacher Ausgabe von 1614 ist im Besitze von Herrn
a.-Ständerat Dr. Wyrsch in Buochs. In zuvorkommendster Güte überließ mir Herr
Dr. Wyrsch dasselbe für diese Arbeit zur Vergleichung mit der Handschrift
Eichorns. Da verschiedene Umstände den Abschluß der Arbeit immer wieder
verzögerten, bin ich Herrn Dr. Wyrsch für seine Geduld und Zuvorkommenheit
zu um so größerem Danke verpflichtet.
wohl schon 1608, als Eichorn die Lupulus-Biographie mit seinem
umrahmenden lateinischen Kommentar in Freiburg i. Ü. erscheinen
ließ, entstand, daß 1613 darauf die « kurzgefaßte » lateinische Biographie
geschrieben und mit dieser dann die deutsche Version der Konstanzer
Ausgabe von 1614 «in Übereinstimmung » gebracht wurde, während
«durch ein Mißverständnis gleichzeitig auch die erste weitläufigere
Fassung » herauskam. !
Eichorn selbst hat sich in der Vorbemerkung seiner K. A. ® über
die Ursache der zwei verschiedenen deutschen Ausgaben folgender-
maßen ausgelassen : er habe vermeint, es solle die deutsche Version
«gleich alßbald nach vollendetem Truck der Latinischen History ®
für die Hand genommen und fort getruckt worden sein.» Wider sein
Hoffen habe sich diese aber «so vil Monat gestreckt », daß er «endtlichen
besorget », es möchte sein « Original verloren worden seyn ». Deshalb
und weil er viele Anfragen nach der deutschen Ausgabe erhalten,
sei er «verursachet worden » die K. A. «nit ohne sonderbare
Müh und Arbeit fleissig zu stellen und nach Uberlesung und Appro-
bation der ordenlichen Geistlichen Obrigkeit » zu Konstanz drucken
zu lassen. « Inmittelst aber und vor völliger Verfertigung diser » seiner
Version sei «die erste widerumb ans Liecht » und zu Rorschach ohne
sein «a weiters Wissen und Zuthun auch in Truck kommen ».
Vergleichen wir hiezu die in den verschiedenen Ausgaben und
in der Handschrift des Codex 656 verzeichneten Daten. Die lateinische
Rorschacher Ausgabe hat als Druckjahr auf dem Titelblatte 1613 ;
ihre Widmung an Fürstbischof Jakob Fugger von Konstanz datierte
Eichorn von Sarnen, ı. Mai, und Metzler das Imprimatur vom
20. Oktober des gleichen Jahres. In H. gibt Eichorn am Schlusse der
Vorrede Folio XIIr das Datum: Sarnen, I. September 1613. Diese
Datierung ist in der deutschen R. A. von 1614 in den I. Januar 1614
umgeändert. Die K. A. hinwieder verzeichnet als Abschluß ihrer
Vorrede das Fest des hl. Meinrad, den 21. Januar 1614* und als
Datum der Konstanzer Druckerlaubnis den 28. Juli dieses Jahres.
Während also zwischen dem Abschlusse der L. V. und dem Beginne
1 Dwrrer, a. a. O. II, S. 972-973. Ich bezeichne im folgenden « Lateinische
Version » mit L. V., die deutsche « Rorschacher Ausgabe » mit R. A., die deutsche
« Konstanzer Ausgabe » mit K. A., die Original-Handschrift Eichorns in St. Gall.
Cod. 656 mit H. 3 Wörtlich abgedruckt bei Durrer, II, S. 974, Anm. 18.
3 d. h. der lateinischen Rorschacher Ausgabe von 1613.
* Während die übrigen Daten, natürlich mit Ausnahme des aus der nicht
bekannten H. wiedergegebenen, bei Durrer gleichlautend sind, wird dort, S. 974,
Ben 84 Ben
des Druckes beinahe, zwischen der Beendigung des Manuskriptes der
K. A. und ihrer Druckerlaubnis ein volles halbes Jahr verstrich, hatte
Eichorn nach seiner Darstellung nicht die Geduld, eine gleiche Zeit
zu warten, bis die R. A. druckfeucht vor ihm lag. Schon diese Gegen-
überstellung legt den Gedanken nahe, daß Eichorns Vorbemerkung
der K. A. eine Verlegenheits-Entschuldigung ist und kaum genau der
Wahrheit entspricht.
Die meisten der angeführten Streichungen und Korrekturen von
Metzlers Hand finden sich in der Vorrede der H., sie mangeln indessen
auch durch den ganzen Text hindurch nicht. Selbst an die aus der
Ausgabe des Canisius herübergenommenen «christlichen Sprüch » des
Bruder Klaus hat sich an einer Stelle der Streichungseifer Metzlers
herangewagt. Es kann sich nicht darum handeln, alle diese Korrek-
turen zu verfolgen ; ich gebe nur einzelne der charakteristischen, wobei,
was in der H. gestrichen ist, durch Kursiv —, was von Metzler dafür
hineinkorrigiert wurde, in der Wiedergabe der R. A. durch Sperr-
druck hervorgehoben wird. In den Anmerkungen finden sich die
Hinweise auf bezügliche Stellen der L. V. von 1613 und der K. A.!
H.
F. vıı": Denn der Mann Gottes
in dem Geyst wol gesehen, daß
eben in dem Schweytzerlandt die
vier Ersten Sacramentierer (welche
Doctor Martin Luther an vilen
Stellen seiner Bücher Schrifft-
fälscher, Bildstürmer, Schwermer
und Erizketzer nennet) ihre Nester
R. A.
Bl. [A vi’): Dann der Mann
Gottes inn dem Geist wol gesehen,
daß eben in dem Schweitzerlandt
die vier ersten Sacramentirer (wel-
che Martin Luth. an vilen Stellen
seiner Bücher Schrifftfälscher, Bild-
stürmer, Schwermer und noch
gröber nennet) jre Nester unnd
und Underschläuff haben. .... Underschläuff haben. ....?
dieses Datum wohl mit dem Meinradstag verzeichnet, aber zugleich mit dem
«ı3. Jenner». Das ist ein Druckfehler oder ein lapsus calami, da die K. A. aus-
drücklich f. B IlIr verzeigt «am Fest deß H. Einsidels Meinradi, den XXI. Jenners
M.DC.XIV.»
X Die Orthographie gebe ich genau nach den Vorlagen. Es mag dies zu
einer neuen Illustration dienen, daß die Orthographie der Drucke nicht jener der
Autoren oder der Druckvorlagen entspricht, sondern daß die Setzer auch damals
nach ihren eigenen Regeln damit verfuhren. Einzig das störende «vnd >», das
Eichorn wie die Drucke haben, glaubte ich durch « und » ersetzen zu dürfen.
2 Während die L. V. den ganzen Abschnitt, in dem diese Stelle steht, nicht
hat, ist derselbe in der K. A. genau nach der H. gedruckt, bis auf diese Stelle,
die hier lautet: .... (welche ihr Ertzuatter Lutherus selbst an vilen Stellen seiner
Bücher vngerahtne Söhn, Schwermer, Bildstürmer und verdampte etc. nennet) ...
— 5 —
Die Vorrede stellt darauf in einer längern Antithese Bruder Klaus
den Reformatoren gegenüber. Hier hat Metzler ganze Sätze gestrichen.
In der K. A. ist die ganze Antithese weggelassen. Ich gebe zwei, wie
mir scheint, charakteristische Stellen :
H.
F. vi”: Bruder Clauß stellt auf
Frid und Einigkeit, nach seinem
besten Vermögen: jene stiften
Krieg und Blütvergiessen an, nach
allem ihrem Vermögen. Bruder
Clauß scheucht und fleucht die
weltliche EHr auffs eusserst : jene
werffen sich auff zu Bischoffen und
Prelaten unberüfft und ungenötigt.
H.
F. ıxr f.: In summa, B. Clauß
ist gantz Catholisch und stirbt
also: jene seind gantz Rebellisch
und gehn also drauf. Darumb laßt
sich B. Clauß nach seinem Todt
sehen in grosser Klarheit und Herr-
lichkeit : jene hat man auch ge-
sehen nach ıhrem Todt, nemblich
den ersten im Rauch, den andern
von den Leusen gefressen, den drit-
ten und vierten deß Todts verfahren.
Justus es Domine et rectum Judi-
cium ltuum. Psalm. 118.
R. A.
Bl. [A vor].
Bruder Clauß
scheucht und fleucht die weltliche
Ehr auffs eusserst: Jene werffen sich
auf für Seelsorgern und Hir-
ten unberufft unnd ungewidmet.
R. A.
Bl. [A vım”] In Summa, Bruder
Clauß ist gantz Catholisch unnd
stirbt also : Jene gantz darwider
unnd verderbent also.
Mit der Bemerkung : « Aber damit ich nit zu weitt in disen Sumpff
hineinwatte », geht Eichorn über zur Dedikation der Lebensbeschreibung
an den Konstanzer Weihbischof Johann Jakob Mirgel. Hier hat die
Feder Metzlers von den Titulaturen des Vorgesetzten Mirgels, des
Konstanzer Fürstbischofs Jakob Fugger, die Superlative ausgestrichen,
das « Hochfürstlich » in das einfache «Fürstlich » abgeändert, was
sich selbstverständlich in der R. A. ebenso zeigt.! Dazu seien noch
folgende zwei Stellen angeführt :
ı Während ebenso selbstverständlich die volle Titulatur in der K. A. steht.
H.
F. x”: Denn einmal E. G. (d. i.
Mirgel) diejenige seindt, die nicht
allein die Lauream Doctoratus in
der H. Statt Rom erlangei und deß-
halben in viler Fürnemmer Herren
Gemeyn- und Freundischafft alldori
kommen, sondern auch als ein
fleissiger General Visitator des
übergrossen und weittschichtigen
Bistumbs Costantz, deß seligen
Mans B. Clausen hinderlaßne Fuß-
stapfen und Monument .... visi-
tiert und besichtiget: .... !
F. xır: Also erscheinen nun vor
E. Gn. ich mit diser meiner Klein-
fügen Arbeyt underthenig und de-
mütigklich bittend, Sie wöllend
solche Dedication im besten auff-
und annemmen und Ihro Gnädigk-
lich lassen gefällig sein : darneben
auch mein sampt deß Landts
Underwalden Ehrw. Clerisey Groß-
günstiger Patron, Herr und Vatter,
wie biß anhäro, verbleiben. ?
R. A.
Bl. B ı? : Denn einmal. G. die-
jenige seyndt, die als ein fleissiger
General Visitator deß grossen und
weitschweiffenden Bistumbs
Costantz auch deß seligen Manns
Br. Clausen hinderlaßne FußB-
stapffen und Monument .... visi-
tiert und besichtiget : ....
Bl. B ı? £.: Also erscheine nun
vor E. Gn. ich mit diser meiner
Kleinfügen Arbeit Underthänig
und demütiglich bittend, die ge-
ruhen solche im besten auff und
annemen : Darneben auch mein
sampt deß Lands Underwalden
Ehrw. Clerisey Großgünstiger Pa-
tron, Herr und Vatter, wie biß
anhero verbleiben und seyn.
Aus der Lebensbeschreibung selbst hebe ich nachfolgende Stellen
heraus:
H.
1. Kap. F. ı": Underwalden.
.... Gegen Auffgang der Sonnen
walden.
R.A.
I. Kap. Bl. [B vır) Under-
... Stost gegen Aufigang
sioßt es an die Länder Ury und der Sonnen an die Länder Ury
! Inder K. A. gleichlautend mit H., nur ist «visitiert und » fortgelassen.
82 K. A.: Also erscheine nun vor Ew. Gn. Hochwürdiger in Gott Vatter,
Gnädiger Herr, ich mit diser meiner kleinfügen Arbeit underthänig und freundtlich
bittend, sie wöllend solche Dedication im besten auffnemmen und jhren günstigk-
lich lassen gefällig sein: darneben auch mein sampt einer gantzen Priester-
schafft in Underwalden gnädiger Patron und Mecenas wie biß anhero verbleiben.
Schweitz, gegen Mittag an die
Herrschaft Bern, gegen Niedergang
aber und Mittnacht an der für-
trefflichen Statt Lucern Gebiet. !
3. Kap. F. 8°: Demnach er-
scheint hie ein sonderliche Ord-
nung der heymlichen Gerichten
Gottes. Dann hette B. Clauß nicht
geheyrathet, sondern gleich in
seiner Jugent ein so strenges Ein-
sidlisch leben angefangen wie
S. Franciscus von Paula gethan,
der eben auch zu B. Clausen
Zeitten gelebt : so hette Er frey-
lich bey den Newgläubigen oder
Evangelischen Zwinglianern gantz
nichts gelten mögen : ja alle seine
Propheceien, Vermanungen, Ge-
sicht und Offenbarungen hetten
anders nichts denn Münchsträum
und Pfaffentandt sein müssen. ?
Nun aber, da B. Clauß zur Eh
gegriffen und Kinder gezeuget,.... ?
unnd Schweitz, gegen Mittag an
Italiam, gegen Nidergang an
Berner, gegen Mittnacht aber
an Lucerner Gebiet.
3. Kap. Bl. C ım" f. Demmnach
erscheint hie ein sonderliche Ord-
nung der heymlichen Urtheilen
Gottes. Dann hette Bruder Clauß
nicht geheyrathet, sondern gleich
in seiner Jugend ein so strenges
Einsidlisch Leben angefangen, wie
etwan S. Franciscus von Paula
gethan, der eben auch zu Br. Clau-
sen zeitten gelebt : So hette er
freylich bey den jetzigen New-
gläubigen gantz nichts gelten
mögen : Seine Propheceyen, Ver-
manungen, Gesicht und Offenba-
rungen hetten anders nichts denn
Münchsträum und Pfaffentandt
sein müssen.
I Selbstverständlich hat K. A. den genauen Wortlaut der H. beibehalten.
L. V. gibt diesen ersten Abschnitt des Kapitels in vollständig anderm Wortlaute,
jenen von den Grenzen wie folgt : Ditioni Lucernensium adiacet, versus meridiem
ac brumalem Orientem. Darnach muß wohl beim Drucke hier etwas ausgefallen
sein.
® K. A. gibt S. ız mit dem Beginn des 3. Kapitels zunächst die Stilisierung
derL. V.: Sunt, qui hoc capite (quod non semel animadverti) nonnihil offendantur.
.. «Nicht ohn ist es, daß etliche (als ich offtermals wargenommen) sich an
disem Capitel stossen », geht dann aber wieder zum genauen Wortlaut der H.
über: «e Und daß demnach allhie erscheine ein sonderbare Ordnung der heim-
lichen Gerichten Gottes .... », mit der einzigen, aber bezeichnenden Abweichung :
«So hette er freylich hernacher bey den newen Lehrern sehr wenig gelten mögen:
Ja alle seine Propheceyen. ....»
$ Dieser ganze größere Passus, den Metzler in der H. strich und die R. A.
vollständig ausläßt, erscheint in der K. A. wörtlich wie in der H., während er
in der L. V. nur kurz angedeutet ist.
— 88
22. Kap. F. 78": Eben in dem
Jar, als die ehrwürdige Gebeyn
dises Prophetischen Mans zu Sax-
len auß der Erden erhebt werden,
siehe da, so entdecken sich in
Saxen und kommen auß dem Ab-
grundt herfür der falschen Pro-
bheten grausame Sacrilegia, ihre
verdampte Schwermereyen, abschew-
liche Irrthumben, Pestilentzische
22. Kap. Bl. K ıı?. Eben inn
dem Jahr, als die Ehrwürdige Ge-
beyn dises Prophetischen Manns
zu Saxlen auß der Erden erhebt
worden, sihe da, entdecken sich
in Saxen und kommen auß dem
Abgrundt herfür die so abschew-
liche Religions Irrthumben, Sec-
ten, Apostasien, unchristliche Spal-
tungen. !
Secten, Verzweiffelte Apostasien,
unchristliche Spaltungen, blutige
Rebellionen : ja das ganize Ge-
schmeyß deß Höllischen Drackens.
Die angeführten Stellen der H. mögen dartun, daß Eichorn im
Grunde ein bedeutend schärferer Polemiker war als seine Drucke
zeigen. Es war der einflußreichste Berater des als zelotischen Eiferers
verschrienen Abtes Bernhard Müller ?, der als erster Offizial an die
Spitze der geistlichen Verwaltung des Stiftgebietes gestellte P. Jodok
Metzler, der diese die Protestanten reizenden Ausdrücke durch das
ganze Werk hindurch strich und mit einer milderen Stilisierung
ersetzte. Eichorn selbst hat wohl erkannt, daß dies eine Verbesserung
seiner Schrift bedeutete und sie mit den Bestimmungen des Land-
friedens wider das Schmützen und Schmähen eher in Übereinstimmung
brachte.
In andern Streichungen und Korrekturen erwies sich Metzler
dagegen unserm Gefühle nach als pedantisch. Neben der angeführten,
direkt irrigen Korrektur über die Grenzen Unterwaldens, die dem
vielgereisten St. Galler Offizial nicht hätte in die Feder fließen dürfen,
UL. V. cap. XX, p. 57: Nempe eadem tempestate, qua Prophetae Dei ossa
veneranda apud Saxlenses e puluere eleuantur, ecce tibi apud Saxones prodeunt
ab inferis Pseudoapostolorum sacrilegia, errores, impietates, blasphemiae, sectae,
schismata, rebelliones, turbae, haereses. — K. A. Kap. 20, $. 114 f.: Eben in
dem Jahr, als die ehrwürdige Gebein Nicolai zu Saxlen auß der Erden erhebt
werden, sihe da, so entdecken sich in Saxen und kommen auß dem Abgrund herfür
der falschen Propheten verdampte Irrthumben, Schwermereien, Secten, Spaltungen,
Rebellionen unnd Summa der erbärmbliche Abfahl von der alten Römischen
Christcatholischen Kirchen.
8 Wegelin, Geschichte der Landschaft Toggenburg, II, S. 181. [.Dierauer],
Das Toggenburg unter der äbtischen Herrschaft, St. Galler Neujahrsblatt, 1875, S.8,
en =
ger rn
sei hingewiesen auf die Unterdrückung der Stelle über die Ehe des
Seligen und deren polemische Ausnützung durch die Protestanten.
Metzler strich beispielsweise weiter den Passus, daß Bruder Klaus
«umb beschirmung willen deß Vatterlandts und desselben Freyheit,
frembden Feyndisgewalt abzuireiben » in den Krieg zog!, am Schlusse
der Mahnreden den Stoßseufzer Eichorns : « Wolte nur Gott, daß man
ihm gefolget heile oder noch folgete»”? und ergänzte fürsorglich die
Zwischenbemerkung Eichorns in der Erzählung von den ungerechten
Richten : «wie man denn leyder fast in allen Regimenten solcher
Leuthen findet » in guote und böße Leuthe.® Es zeugt nur für
das selbständige Urteil Eichorns als Volksschriftsteller, daß er hier
entgegen Metzler seinen ursprünglichen Text überall beibehielt. Allzu
besorgt strich Metzler ebenso aus dem fünften «christlichen Spruch »,
trotzdem Canisius sie so hatte drucken lassen 4, nachfolgende Strophe :
Ein stätte Liebe für ein Glaß,
Dieselbig groß ohn alle Maß,
Und schencken ihm für Klaren Wein,
Wol unsern freyen Willen drein.
Schon das Eingehen auf die Streichungen, die Metzler an den
Stellen, die die Protestanten verletzen konnten, vorgenommen hatte,
anderseits aber das Festhalten der andern, von Metzler getilgten
Stilisierungen, tut dar, daß Eichorn die R. A. vollständig und druck-
feucht vorliegen mußte, als er am 21. Januar 1614 die Vorrede der
K. A. abschloß. Nur so läßt sich beispielsweise auch erklären, daß
Eichorn die oben wiedergegebene Stelle ® über die vier « Sacramentierer »
m der K. A. nicht wörtlich nach der H. übernahm, auch nicht
gänzlich unterdrückte, aber in eine Fassung veränderte, die unbestreit-
bar auf den Metzlerschen Text der R. A. Rücksicht nimmt. ” Ganz
IH. 3. Kap., f. 9’; K. A. 3. Kap., S. ı5.
2? H. ı5. Kap., f. 447; K. A. ı5. Kap., S. 73.
®H. 4. Kap., f. 1ıY; K. A. 4. Kap,, S. 18. 4 Durrer, 11, S. 839.
°H. f. 101Y. Die K. A. hat S. 142 f. die « Christlichen Sprüche » nicht auf-
genommen, sondern nur das «tägliche Gebet », weil das Büchlein des Canisius
‘schon zum offternmal getruckt worden, nemblich zu Ingolstadt und Freyburg
unnd derohalben weil der Exemplaren vil vorhanden ». 6 S. 84, Anm. 2.
? Die Stelle läßt keine andere Deutung zu, da sie in der L. V. gänzlich fehlt,
was bei der S. 88 in Anm. ı wiedergegebenen, sonst gewiß auch beweiskräftigen,
nicht zutrifft. Dagegen darf gerade angesichts der letzteren Stelle die Vermutung
Nicht ganz von der Hand gewiesen werden, der Zensorenstift Metzlers habe sich
auch in der L. V. betätigt.
— 90 —
am Schlusse der Lebensbeschreibung hat die K. A. bei der Wieder-
gabe des Zeugnisses des protestantischen Chronisten Stumpf nochmals
eine Übereinstimmung mit der R. A., die nur dadurch erklärt werden
kann, daß letztere Eichorn vorlag, als er die Stelle zum Drucke für
die K. A. durchsah. Metzler hat aus dem in der H. gegebenen
Zeugnisse Stumpfs nach dem bekannten Gebete Bruder Klausens
die Worte gestrichen : « Er hat etwan gesprochen, daß ihm vil angenemmer
sey gewest, daß er auß Gottes Gnad habe sein Ehliche Gemahl mögen
verlassen, denn daß er die leibliche Speyß möcht meyden.» Am Schlusse
des ganzen Zitats aus Stumpf hat Metzler ebenso den zusammen-
fassenden tendenzhaften Satz Eichorns unterdrückt : «Wer sihet aber
nicht, was B. Clauß für ein Man gewesen, da Ihme sein eygne Feynd
ein so herrliches Lob gegeben ? » Während die L. V. den Stumpf’schen
Text nur auszugsweise wiedergibt, ohne irgendwelche lehrhafte Weite-
rung beizufügen, hat die K. A. ebenfalls obige Worte Stumpfs, und nur
sie, ausgelassen und die Sentenz am Schlusse folgendermaßen ab-
geändert : «Wer sihet aber nun nicht, wie herrlich das Liecht inn der
Kirchen Gottes geleuchtet, da es auch denen vor der Thür also in
die Augen geschinen ?»!
An und für sich wäre denkbar, daß Eichorns Berücksichtigung
der Veränderungen, die Metzler am ursprünglichen Texte für die R. A.
angebracht hatte, in der Zwischenzeit vom Abschlusse seines Manu-
skriptes für die K. A. bis zur kirchlichen Druckgenehmigung vom
28. Juli 1614 oder anläßlich des Druckes bei der Korrektur erfolgte.
Letzteres wenigstens verbietet indessen direkt die Stellung der oben
erwähnten Auslassung Eichorns über die Ursache der zwei Ausgaben.
Sie findet sich auf B. ım“ und B. ıv? des zweiten, vollständig regel-
mäßig acht Blätter umfassenden Druckbogens. Wenn Eichorn dort
selbst bemerkt, es sei « vor völliger Verfertigung diser meiner Version
die erste widerumb ans Liecht kommen unnd zu Rorschach am Bodensee
ohne mein weiters Wissen und Zuthun auch in Truck kommen », so
kann dies nach den gemachten Ausführungen nur heißen, der Ror-
schacher Druck habe ihm vorgelegen, bevor er sein Manuskript für
die K. A. «der ordenlichen Geistlichen Obrigkeit » zur « Überlesung
unnd Approbation » einreichte.
In dem Ausdrucke « ordenlichen Geistlichen Obrigkeit » wird auch
ı H. Kap. 25, f. gı", 93Y; K. A, 22. Kap., S. 130, 134 ; L. V. cap. XXII,
p. 66 sqaq- |
der Schlüssel zur Ursache gesucht werden müssen, weshalb von der
deutschen Lebensbeschreibung des seligen Nikolaus von Flüe im gleichen
Jahre zwei verschiedene Ausgaben erschienen.
Eichorn hat die Buchdruckerei-Verhältnisse in der Schweiz mit
offenem Auge verfolgt. Über den Druck seiner 1608 in Freiburg
erschienenen Lupulus-Biographie ! des Seligen war er vom typo-
graphischen Standpunkte aus nicht befriedigt. In den Dedikationen
des Büchleins entschuldigte er sich, es sei sehr zu bedauern, daß die
katholische Schweiz mit Druckereien nicht besser versehen sei, während
_ die Protestanten Überfluß an guten Druckern besäßen. Für die
Zukunft hoffte er auf Verbesserung durch Bayern oder Rheinländer. ?
Die Bemühungen des Stiftes St. Gallen, zur Ausgabe des refor-
mierten Benediktiner-Breviers einen leistungsfähigen Drucker herbei-
zuziehen, sind Eichorn wohl bekannt geworden. Bereits I6II erwog
man in St. Gallen, ob man, anstatt das Brevier in einer Venediger
Offizin herausgeben zu lassen, den Freiburger Drucker Rösler nach
Rorschach oder nach St. Gallen ziehen wolle. ? Ohne daß weitere
ı S. die Beschreibung bei Durrer, I, S. 555.
® Auf dem dritten Vorsatzblatte des Exemplares der Lupulus-Biographie
der Stiftsbibliothek Einsiedeln, dessen Übersendung ich bestens verdanke, findet
sıch folgender Eintrag von Eichorns Hand : « + Excusatio Authoris. Dolendum
est, amplissimam celeberrimamque Catholicam Heluetiam Officinis calcogra-
phicis haud melius instructam ; cum tamen Basileenses, Tigurini, Bernates Typo-
grapheis longe abundent accuratissimis. Institi quidem ego multis et precibus
et impensis, vt Patroni nostri Encomia, vti par esset, venuste in chartis puris
cumque diligentia excuderentur ; verum obtinere nihil potui, nisi quod in prae-
senti Libello videre est. Consule ergo boni, humanissime Lector, donec exactiora
nobis aut Bauarici aut Rhenani praestent typi. Vale.» Die Excusatio war
offenbar dem broschierten Exemplar vorgeschrieben. Denn am Rande sind einige
Buchstaben beschnitten ; das Büchlein, in weißes Schweinsleder gebunden, trägt
vorne und hinten das Supralibris des Abtes Augustin I. Hofmann : Einsiedler
Klosterwappen und das persönliche, eine Kapelle.
In dem Dedikationsexemplare, das Eichorn dem Propst zu Münster, Peter
Emberger, übersandte, brachte er eine fast wörtlich gleichlautende Entschuldigung
an. Für die Basler, Zürcher und Berner gebrauchte er hier den Gesamtbegriff
Haeretici Heluetii und fügte am Schlusse bei: « Suppleat exiguas vires operosa
voluntas, qua quoque contentum credimus esse Deum.» Durch die Güte Herrn
Dr. Durrers konnte ich diesen Eintrag der Zusammenstellung Jollers über die
Quellen zur Biographie Eichorns (s. Durrer, II, S. 968, Anm. ı) entnehmen. Nach
der von Joller beigefügten Notiz ging das Exemplar 1611 von Emberger an die
Jesuiten-Bibliothek in Luzern über und gehört nun dem Nidwaldner-Landes-
Museum an.
® Stiftsarchiv St. Gallen, Rubr. 39, Fasz. 2: Res breviarii Benedictini ....
vel certe vocaretur typographus Rösslin Friburgensis, ita ut opus vel Rorschachii
vel in Sto. Gallo excuderet. Rösler war nicht der erste Buchdrucker in Rorschach.
— 92 —
Verhandlungen zu verfolgen sind, ist dem Tagebuche Abt Bernhard
Müllers zum 8., resp. Io. Mai 1613 zu entnehmen, daß einem Buch-
drucker «von Konstanz » die Niederlassung in Rorschach bewilligt
wurde. ! Eichorn ist demnach unmittelbar, nachdem Rösler sich in
Rorschach eingerichtet hatte, mit ihm für den Druck seiner L. V. in
Verbindung getreten. Vergleicht man die beiden deutschen Ausgaben :
den Druck Straubs der K. A. mit jenem Röslers der R. A., kann man
es wohl verstehen, weshalb Eichorn, dem nach seiner Entschuldigung
für die Lupulus-Biographie sehr daran lag, Bruder Klaus durch ein
würdiges Druckwerk zu ehren, sich mit der unbestreitbar schöner
arbeitenden Rösler’schen Offizin eingelassen hatte.
Da Eichorn vorher mit der Druckerei Leonhard Straub’s des
jüngern in Konstanz in Verbindung gewesen war ?, wird die Vermutung
kaum fehl gehen, daß Straub den an Rösler übergegangenen Auftrag
nicht gern gesehen hat. Leonhard Straub, der jüngere, druckte damals
freilich noch nicht als fürstbischöflicher Buchdrucker. Doch vermag
ich nachzuweisen, daß er mindestens bereits 1624 das Recht besaß,
sich diesen Titel zuzulegen. ?
Aber für die bischöfliche Kurie von Konstanz gab es selbst einen
Grund, weshalb sie es nicht gern sehen durfte, daß Eichorn die
Leonhard Straub, der ältere, hatte, nachdem er 1584 wegen Übertretung der
Zensur aus seiner Vaterstadt St. Gallen ausgewiesen worden war, wie in Konstanz,
so auch in seiner Papiermühle Aich, Gemeinde Tübach, bis 1599 eine Buchdruckerei
und in Rorschach einen Buchladen betrieben. Seine Drucke aus dieser Zeit tragen
die Ortsangabe Rorschach. Von 1605-1610 ist Bartholome Schnell als Buch-
drucker in Rorschach nachweisbar. S. [Peter Wegelin], Geschichte der Buch-
druckereien im Kanton St. Gallen, S. 35 ff., 77.
I Stiftsarchiv St. Gallen, Bd. 261, S. 10; auch in der Abschrift Bd. 260,
S. 328 f. Am 28. September ı613 erhält Rösler von Abt Bernhard einen Vor-
schuß von 100 fl. «auf nachtruckhung des Benedictinischen breviers ». Er selbst
unterschreibt « Johann Rosler »; der von einem stift-st. gallischen Schreiber
gefertigte Schuldschein hat im Text: « Johannes Rößler ». Ebenda, Rubr. 39.
Fasz. 2.
% Von Eichorn erschien 1613 bei Straub die « Christliche Romfarth » und das
Lied « Der geistlich Bruder Claus » ; bei Nikolaus Kalt in Konstanz hatte er 1605
als « Memorial, Zeitrodel und kurtze Verzeichnus » auf einem Folioblatt eine
Übersicht der wesentlichsten Daten über Bruder Klaus und eine « Kurtze
historische Relation » über Bruder Ulrich herausgegeben. S. Durrer, II, S. 971, 975-
3 Durrer, II, S. 975, gibt Straub diesen Titel in der Ausgabe von 1622 der
Eichorn’schen Biographie von Bruder Klaus noch nicht, dagegen in jener von
1631. Der Nachdruck der Constitutiones et decreta der Konstanzer Diözesan-
Synode von 1609, in meinem Besitze, trägt den Druckvermerk : Constantiat.
ex typograph&o Leonardi Straub, typog(raphi) ord(inarii) episc(opi) Const(antien-
sis). Anno 1624.
&
T
!
!
lateinische Biographie des seligen Nikolaus von Flüe 1613 dem Rösler’-
schen Verlage in Rorschach übergeben hatte. Diese lateinische Lebens-
beschreibung des schweizerischen Landesheiligen war dem Konstanzer
Fürstbischofe Jakob Fugger selbst gewidmet und dazu bestimmt,
diesen aufzufordern, in Rom die Heiligsprechung Bruder Klausens zu
betreiben. 1 Es war das gleiche Jahr, in dem am 2r. März der lang-
jährige Streit mit dem Stifte St. Gallen um die geistlichen Jurisdiktions-
rechte durch einen Vertrag beendigt worden war, von dem es auch
‘ Konstanz nicht verborgen geblieben sein wird, daß er St. Gallens
weitergehende Wünsche nicht voll befriedigte. *? Noch war in Rom
die päpstliche Bestätigung anhängig, die erst die Bulle Pauls V. vom
27. Februar 1614 aussprach. ® Unter den 16 Artikeln des Konkordates
findet sich nichts erwähnt über das kirchliche Imprimatur. Dennoch
trägt die L. V., die Rösler noch 1613 der Öffentlichkeit übergeben
hatte, keine Druckerlaubnis von Konstanz, sondern P. Jodok Metzler,
dem st. gallischerseits im Jurisdiktionsstreite das größte Verdienst
"
r
zukam, erteilte namens seines Abtes am 20. Oktober 1613 das
Imprimatur für das Büchlein. *
Während R. A. ganz gleich wie K. A. mit der Anrede an Weih-
bischof Mirgel die Vorrede beginnt, so daß Durrer R. A. und K. A. die
«gleichlautende Widmung » an Mirgel tragen läßt ®, kann man in den
letzten Seiten der Vorrede von R. A. eine Spannung St. Gallens gegen
Konstanz und insbesonders gegen Mirgel nachweisen, die in der L. V.
I Durrer, II, S. 973. Es soll natürlich heißen die Seligsprechung.
2 5. Karl Steiger, Zur Vorgeschichte des st. gallisch-konstanzischen Kon-
kordates vom Jahre 1613, in dieser Zeitschr., XVII, S. 253 ff., nunmehr auch in
' Steiger, Das Kloster St. Gallen im Lichte seiner kirchlichen Rechtsgeschichte,
I
i
S. 129 fl. Zur Einschätzung des Erfolges von Seite St. Gallens vergl. den Brief
Abt Bernhards an Propst Julian della Torre in Mailand vom 29. März 1613:
in quibus licet reverendissimo domino episcopo multa cedam, puto tamen melius
esse habere malam pacem quam bonum bellum », ebenda erwähnt S. 264 und
$. 140.
8 S. ebenda S. 265 ff. und S. 141 ff.
ıL.V., (A VIIv): Historia haec de Beati Viri Nicolai & Flue Vita, morte
et miraculis, auctore R. Dn. Johanne Joachimo Eichornio ; Rorschachij ut im-
primatur, authoritate Reuerendissimi in Christo Patris, Principis ac Domini,
D. Bernardi Abbatis monasterij S. Galli ; permitto
Ego F. Jodocus Metslerus. — S. Th. Doctor, ex officio: 20. Octob.: 1613.
5 Durrer, Il, S. 973-974. Im Titel der Anrede an Mirgel hat K. A. über
R. A. hinaus noch « Thumherrn und Custorn zu Costantz », welche beiden Titel
in H. auf dem Titelblatte von einer Hand nachgetragen sind, von der ich nicht
sicher angeben kann, ob sie diejenige Metzlers ist oder nicht.
— 94 —
von 1613 noch fehlt. In letzterer ist der Konstanzer Bischof der
illustrissimus ac reuerendissimus princeps, hier wird auch sein Name
und seine Widmung auf dem Titelblatte erwähnt ; einzig die Beifügung
«sumptibus autoris » könnte eventuell besagen, daß Fürstbischof Jakob
Fugger trotz des ihm gewidmeten Büchleins nichts zu den Druck-
kosten beigetragen habe. In der R. A. dagegen hat Metzler alle Super-
lative gestrichen und das hochfürstlich zum einfachen fürstlich degra-
diert. Noch stärker zeigt sich die Aversion gegen Weihbischof Mirgel.
Die H. hatte auf dem Titelblatte erwähnt, daß das Büchlein zu Ehren
Mirgels gewidmet sei und eine zweite Hand, die vielleicht jene Metzlers
ist, hatte neben den Titel des Weihbischofs noch beigefügt « thumherm
und custorn». In der R. A. fehlt jeder Hinweis auf Mirgel auf dem
Titelblatte. Sicher aber ist es Metzlers Hand, die gegen das Ende der
Vorrede die Erwähnung von Mirgels Doktorgrad ausgemerzt, den
Hinweis auf dessen Einfluß entfernt und die Widmung an Mirgel aus-
gelassen hat. !
Es muß sodann darauf aufmerksam gemacht werden, daß die drei
ersten Seiten des zweiten Bogens der R. A., auf denen sich diese
persönlichen Erwähnungen finden, nur zwanzig Zeilen aufweisen,
während die Seiten der Vorrede vorher und nachher 21 Zeilen zählen.
Der Drucker hat sich sogar nicht einmal die Mühe genommen, die
Zeilen besser zu verteilen ; auf allen drei Seiten springt die leere Zeile
zwischen der zwanzigsten und der Custode sofort in die Augen. Da
der zweite Bogen nebst dem Schlusse der Vorrede noch das ganze
erste Kapitel und den Anfang des zweiten aus der Lebensbeschreibung
enthält, muß man annehmen, dieser zweite Bogen sei ein zweites Mal
nachgedruckt worden. Weil nur auf den drei ersten Seiten sich
Änderungen in Form von Auslassungen ergaben, brach man die
spätern Seiten nicht um und gewann den Anschluß an die vierte Seite
durch je eine Zeile weniger. Und da die Erwähnung der Widmung
an Mirgel auf dem Titelblatte der H. nicht durchgestrichen ist, sondern
im Gegenteil noch eine Beifügung enthält, im Drucke aber vollständig
fehlt, muß man vermuten, es sei auch der erste Bogen mit einem
neuen Titel nochmals abgezogen worden. Man darf dazu auf die oben ?
erwähnte Beobachtung hindeuten, daß die beiden ersten Lagen der
H., welche die Vorrede enthalten, doppelte Verweise auf die Seiten-
bezeichnungen der R. A. zeigen.
1 S, oben S. 86. 8 S, 82.
In der H. ist ferner das Datum des Abschlusses der Biographie,
I. September 1613, nicht etwa durchstrichen worden ; und doch hat
es R. A. durch den «ersten Januariji M.DC.XIIII. » ersetzt. Aber
ebenso scheint mir der Erwähnung wert, Eichorn habe auf dem Titel-
blatte der K. A. entgegen der H. die Widmung an Weihbischof Mirgel
fortgelassen, dafür aber bemerkt, die lateinische Ausgabe sei Fürst-
bischof Jakob dediziert gewesen «und demnach gemeinem Vatterland
zu gutem auch deutsch für Augen gestellt ». !
Die Spannung zwischen St. Gallen und Konstanz, von der die
erwähnten Seiten der R. A. zeugen, mag ja im allgemeinen in dem
Jurisdiktionsstreite und speziell in der noch nicht ausgefertigten
Bestätigung des Konkordates ®? ihren Grund haben. Aber sie muß auch
mit der Herausgabe der Biographie des seligen Nikolaus von Flüe
zusammenhängen, daß sie sich derart in der abgeänderten Vorrede der
R. A. zeigte und insbesonders an Mirgel ausließ. Die Bemerkung
Eichorns in der K. A., daß die deutsche Ausgabe «alßbald nach voll-
endetem Truck der Latinischen History für die Hand genommen und
fort getruckt » werden sollte ®, stimmt sehr gut mit der Beobachtung
überein, daß mindestens der zweite, wahrscheinlich auch der erste
Bogen der R. A. zweimal abgesetzt wurde. Genauer gesagt, muß die
Spannung zwischen der Herausgabe der L. V., nach dem 20. Oktober
1673, und der Herausgabe der R. A. von 1614 sich aufgetan haben.
Weihbischof Mirgel als Generalvikar wird es gewesen sein, der
Eichorn direkt oder indirekt verdeuten ließ, seine «ordenliche
Geistliche Obrigkeit », wie dieser sich in der Vorbemerkung der K. A.
ausdrückt, befinde sich in Konstanz und nicht in St. Gallen. Mag man
schon das st. gallische Imprimatur auf der L. V. ungerne genug
gesehen haben, unliebsamer durfte man in Konstanz ein solches bei
den Trennungsgelüsten vom Bistum, die in der Schweiz bestanden #,
! S, den Titel bei Durrer, II, S. 974.
2 5, Karl Steiger, a. a. O. S. 265 f. und S. ıar f. 3 S, oben S. 83.
* Erst kurz vorher hatte Konstanz Bemühungen vereitelt, Abt Augustin
Hofmann von Einsiedeln zum Titularbischofe erheben zu lassen, mit der
Befugnis, einige Tage hindurch in der Klosterkirche die Firmung spenden zu
können. In seinem Briefe an Kardinal Bellarmin vom ı4. März 1609 hatte Fürst-
bischof Jakob Fugger bemerkt: « Etsi enim res in se nullius praeiudicii aut damni
esse videatur ut revera, si simpliciter spectetur, est, ex constitutione tamen Helve-
ticae nationis ... nostrarumque partium consuetudine nec dici nec credi potest,
Quantı sit momenti, immo vero quam certae destructionis antiquissimi mei episco-
Patus, ut episcopalis auctoritatis alias pro dolor in his partibus nimis proculcatae
taceam.» S. Konstantin Holi, Fürstbischof Jakob Fugger von Konstanz, S. 74-76.
-— 6 —
auf einer deutschen Lebensbeschreibung des schweizerischen National-
heiligen noch empfinden. Aber umgekehrt sprachen bei St. Gallen die
gleichen Gründe dafür, erst recht darauf zu dringen, Eichorns deutsche
Biographie des seligen Nikolaus von Flüe bei dem nach Rorschach
gerufenen Rösler herauszubringen. Dabei drückte sich die Spannung
in der angegebenen Weise aus. 1
Den meines Erachtens durchschlagenden Beweis, daß die Impri-
matur-Erteilung für die L. V. von 1613 eine Spannung wiederum
zwischen Konstanz und St. Gallen erzeugt hatte, finde ich im gänzlichen
Mangel einer Druckerlaubnis bei der R. A. Das Imprimatur, das,
wie oben ? erwähnt, P. Jodok Metzler auf F. 109" der H. eigenhändig
niederschrieb ®, ist an der entsprechenden Stelle der R. A. weg-
geblieben und auch sonst findet sich weder auf dem Titelblatte, noch
nach der Vorrede, noch am Ende des Büchleins eine Druckgenehmigung.
Ein Niederschlag davon hat sich im st. gallischen Stiftsarchive
nicht erhalten ; aber wenig später hat das st. gallische Offizialat sich
in einem Falle des Verkaufes verbotener Druckerzeugnisse auf dem
Gebiete der Alten Landschaft alle Befugnisse der geistlichen Zensur-
behörde zuerkannt.
Der Stärkere ist in diesem Wettstreit um die Herausgabe von
Eichorns deutscher Lebensbeschreibung des seligen Nikolaus von Flüe
die bischöfliche Kurie von Konstanz geblieben. Das zeigt sich auch
darin, daß die K. A. und nicht die R. A. Nachdrucke erlebte. 5 Aber
I! Daß Mirgel sein durch Bischof Jakob veranlaßtes Eintreten für das
bischöfliche Visitationsrecht in den Benediktinerklöstern selbst in dem ungünstigen
Urteile des Nuntius d’Aquino angekreidet wurde, findet Holl a. a. ©. S. 191-192.
2 S. 82.
® «Imprimatur. — F. Jodocus Metzlerus &@ S. Gallo d(octor) [scripsit]. »
* Der I. Protokollband des stift-st. gallischen Offizialates, mit den nach-
folgenden 1828 aus dem Stiftsarchive dem bischöflich st. gallischen Archive über-
wiesen, beginnt mit dem 13. April 1613. Am 26. November 1614 ließ Metzler
als Offizial durch den geistlichen Fiskal und Curat von St. Georgen, Joachim Beck,
und den Pfarrer von St. Fiden, Jakob Trommer, bei dem Bücherhausierer Jakob
Deschler von Bernhardzell, wohnhaft im Schoren, Straubenzell, ein: Haüs
suchung veranstalten nach «libros ... malos et perversos, de malis moribus vel
haeresi suspectos ideoque prohibitos. » Deschler wurde folgenden Tages vom
Offizial «de interdictorum librorum distributione et mercatu acriter verbis
correptus », die schlechtesten seiner Bücher dem Feuer übergeben und ihm trotz
seiner Einrede, « quod vagus sit, hodie hoc, cras alio loco suas vendat merces ...-
et ita quasi extra territorium Reverendissimi S. Galli constitutus » verdeutet, als
Katholik «catholicos, non alios venumdet libros». Tom. I, Pars II, p. 39-43-
5 Durrer, IL, S. 973.
—_— 97 —
bei allem menschlich Unvollkommenem, von dem diese Büchlein
reden, wird es St. Gallen dennoch zur Freude gereichen dürfen, daß
die erste Betätigung des stift-st. gallischen Offizialates in der vollen
Öffentlichkeit, die als solche nachweisbar ist, die Druckerlaubnis für
die lateinische Bruder Klausen-Biographie Eichorns war. Trat doch
so die Stiftung des heiligen Gallus, eben da sie bischöfliche Juris-
diktionsrechte erworben hatte, die sich organisch zum spätern Bistume
auswachsen sollten, in Verbindung mit unserm schweizerischen National-
heiligen Nikolaus von Flüe.
REYUE D’HISTOIRE ECCLESIASTIQUE
Die Kirchenpolitik im ersten Jahrzehnt
des neuen Bistums Basel (1828-1838).
Nach Briefen des Bischofs Jos. Anton Salzmann,
des Schultheißen Jos. Karl Amrhyn und anderer.
Von Hans DOMMANN.
(Fortsetzung.)
ll. Bis zur Badener Konferenz (1828-1834).
Schon einige Monate nach der Wahl trug ein Brief Amrhyns dem
Bischof Beschwerden vor wegen der Ernennung des Pfarrers Cullat
von Prunirut zum Generalprovikar des Berner Jura und über einen
Teil der Luzerner Geistlichkeit. Die Ernennung Cuttats habe auf den
Geheimen Rat Berns einen « höchst unangenehmen » Eindruck gemacht,
schrieb der Schultheiß. «Hätten E. H. Gn. diesen Pfarrer Cuttat,
der auch vor einiger Zeit schon Hochdenselben wegen Einrichtung
eines Seminaires im Prontrutischen zudringlich war, in seinem wahren
Lichte gekannt : ich bin überzeugt, der milde, edle Sinn, der Ihr Herz
belebt, der erhabene Zweck, sich zum evangelischen Bewahrer des so
nötigen Friedens zwischen Staat und Kirche zu machen, würden nicht
gestattet haben — und wäre auch die Empfehlung für ihn von woher
immer gekommen — selben zum Vorsteher über die bernische katho-
lische Geistlichkeit zu erheben. Als Herr Cuttat noch die katholische
Pfarrei in Basel bekleidete, war er durch seinen milden Sinn und klugen
Religionseifer allgemein beliebt und von allen Glaubensgenossen ge-
schätzt. Seither hat er sich aber zum auswärtigen Religionspartei-
gänger aufgeworfen. ... Er gehört nicht mehr dem schweizerischen
Vaterlande anheim. ... Einen solchen Mann kann die Regierung
von Bern an der Spitze ihrer Kantonsgeistlichkeit nicht dulden. ....
Amrhyn hoffte, der Bischof werde, ohne sich selbst bloßzustellen, die
Ernennung rückgängig machen können. Doch dieser konnte ihm einige
Tage später die Mitteilung machen, daß die Berner Regierung Cuttat
! An den Bischof, 8. Aug. 1829.
— 09 —
als Provikar bestätigt und ihn als einen «rechtschaffenen, einsichts-
vollen und gemäßigten Geistlichen » erkannt habe. Cuttat sei übrigens
ad nutum seu beneplacitum Episcopi amovibilis und würde bei der
geringsten Klage der Regierung vom Bischof entlassen. !
Die zweite Beschwerde Amrhyns betraf die Klagen einiger Luzerner
Gesstlichen beim Nuntius über Staatsrat Eduard Pfyffer, den Referenten
für das Landschulwesen. Die Geistlichkeit — schrieb Amrhyn — sei
auch in Zusammenkünften veranlaßt worden, beim Bischof die Auf-
hebung des Wessenberg-Konkordats von 1806, die Abschaffung des
bischöflichen Kommissariats und die Übertragung seiner Vollmachten
an die Kapitelvorsteher zu begehren. Der Ankläger knüpfte an diese
Denunziation die folgende Betrachtung :
«Wenn mich in Hinsicht des Landschulwesens schon manche
Ausgeburt tief betrübt hat, die sich unter denjenigen auf eine besorg-
liche Weise zu Tage legte, welche sich dem Lehrstande widmen, so
hat mich nicht minder der leidenschaftliche Geist gegen alle öffentliche
Erziehung und besonders jene des Volkes empört, der auch einem
Teile der Kantonsgeistlichen nicht fremd blieb, und bei welchem die
zwei Tendenzen unverkennbar sich äußern : entweder das Volk in
roher Dummheit zu erhalten oder dann — wo dieses nicht durchgesetzt
werden könnte — die öffentliche Erziehung an sich zu reißen und der
Regierung das Recht des Einflusses auf dieselbe streitig zu machen.
Weit entfernt ist es von mir, alles zu billigen, was in diesem, und zwar
dem wichtigsten Zweige der öffentlichen Staatsverwaltung seit mehreren
Jahren geschehen ist. Allein leidenschaftliche Anregungen, wie sie
geschehen sind ... haben die Sache nur noch mehr verdorben und
selbst den Glauben an Gefahr zernichtet, da jene, die es glauben
machen wollen, mit offener Stirne gegen diese Gefahr hervorzutreten
sich scheuten. ... Was dann die angefeindeten kirchlichen Ein-
fichtungen und die dagegen obwaltenden Tendenzen betrifft, die sich
bekanntermaßen schon von den Jahren ı812 und 1813 herschreiben,
so sind dieselben so tief ins Leben des Staats eingedrungen, daß ihre
Anregung schon Mißtrauen und Unmut erwecken muß, geschweige
daß von ihnen die nicht etwa gemächlichere, sondern selbst mehr noch
die notwendige — als bloß standesmäßige — Existenz des größern
Teils der Pfarrgeistlichkeit des Kantons abhängt. ... Man hüte sich,
nach großen Staatskrisen, von der Gegenwart alles zu fordern, wenn
"16. Aug. 1829, an Amrhyn.
— Ioo —
man nicht das bestehende Gute und Billige damit einbüßen will, und
zu einem solchen vernunftlosen Wagestück wird sich der Freund seines
Vaterlandes niemals gebrauchen lassen. » Der Bischof erwiderte auf
diese zweite Anklage: «Was den zweiten Gegenstand angeht, wird
hoffentlich der Klerus nichts tun, ohne es der h. weltlichen Regierung
oder dem Bischofe zuzustellen. 1 Im letzten Falle würde ich allerdings
an Ihro Exc. mich wenden. Soviel an mir liegt, trage ich herzlich
gern alles Mögliche zur Aufrechthaltung der Ruhe und des Friedens
mit und werde mir diese Sache ganz angelegen sein lassen. Es gibt,
leider ! immer Leute, die durch unvorsichtige Reden Verdacht und
Argwohn erregen. Doch wir wollen hoffen, nach und nach beruhigen
und verständigen sich die Gemüter, und das Vaterland gelange zur
erwünschten Harmonie. »
Es war nun freilich noch ein langer Weg zu dieser erwünschten
Harmonie, und sie wurde im folgenden Jahre durch die Julirevolution
und die politische Umwrälzung in verschiedenen Kantonen noch mehr
gestört. Am 30. Januar 1831 erhielt Luzern eine neue Verfassung
und kam damit unter liberale Führung. Gleiches geschah in den
Diözesankantonen Bern, Aargau, Solothurn, Schaffhausen, Thurgau und
nach heftigen Kämpfen 1832 auch in der losgetrennten Basler Land-
schaft.
Die neuen staatlichen Verhältnisse erschwerten die definitive
Organisation des Bistums und stellten der Errichtung eines Diözesan-
sessinars dauernde Hindernisse entgegen. Das Bistumskonkordat hatte
in Art. 8 bestimmt, es werde zu Solothurn ein Seminar errichtet,
wofür die Regierungen die Stiftungsfonds und die Gebäulichkeiten
liefern werden ; der Bischof werde mit vier Domherren aus ver-
schiedenen Kantonen das oder die Seminarien leiten und verwalten!
zwei dieser Domherren werden von ihm, zwei vom bischöflichen Senat
ernannt. Und die päpstliche Erektionsbulle « Inter praecipua » vom
7. Mai 1828 hatte das gleiche verordnet und dem Bischof mit den
vier Chorherren die Leitung und Verwaltung und die Aufsicht über
I Nach dem Tode Ed. Pfyfiers schrieb der Kleine Rat (13. Dez. 1834) ın
seinem Bericht an den Großen Ratu.a.:«a.... Ersahein daß ein offener Kampf
mit dem aus fremder Erde herübergepflanzten Reiche der Vorurteile müsse
gefochten werden. Er eröffnete ihn, andere traten mutig in seine Bahn ; der Sieg
kann wohl kaum ausbleiben. ....» — Am 20. Aug. 1829 teilte Salzmann dem
Schultheißen vertraulich mit, daß der Nuntius Ostini ihm den Lehrer Heller zu
Tann (Sursee) und Kaplan Vinzenz Rüttimann in Sursee als « verderbliche Schul-
lehrer » genannt habe und daß er sie der besondern Wachsamkeit empfehle.
-—— .I0OI —
die Reinheit des Unterrichts zur Pflicht gemacht. Im geheim gehaltenen
Langenthaler Vertrage vom 28. März 1828 aber hatten die Diözesan-
stände sich gegenüber dem zwei Tage vorher unterzeichneten Bistums-
vertrag mit den «bisherigen Rechten, Herkommen, Freiheiten und
wohlhergebrachten Übungen in kirchlichen Sachen » auch die Aufsicht
über die Seminarien, die Bestätigung ihrer Vorsteher und Lehrer und
die Teilnahme an den Prüfungen der Alumnen vorbehalten. Damit
war die Errichtung eines Seminars außerordentlich schwierig geworden,
weil sich die Forderungen von Kirche und Staat gegenüberstanden. !
Schultheiß Rudolf von Wattenwyl schrieb diesbezüglich schon am
ıı. Juni 1829 an Amrhyn: «Ich wünsche meinerseits sehr, daß nur
ein Seminar sein und daß Euer Excellenz den Herrn Salzmann so
stimmen können, daß er in demselben einen vaterländischen und nicht
änetbürgischen [ultramontanen !] Geist einführen wolle. »2 Am 3. Mai
1830 wandte sich Bischof Salzmann an Schultheiß und Rat von
Solothurn mit der Bitte, es möchte die Seminarfrage wegen ihrer
«dringenden Notwendigkeit » möglichst bald gelöst werden. Die
politische Umwälzung aber zerstörte die ersten Anfänge wieder.
Die Diözesankonferenz vom 26. bis 29. Oktober 1830 befaßte
sich dann mit der Errichtung des Seminars, erhob aber die staats-
kirchlichen Ansprüche des Langenthalervertrags ; daran scheiterte die
Unterhandlung. ?$ — Einige Wochen vor der Konferenz hatte Amrhyn
dem Bischof geschrieben : «Ich muß es umsomehr wünschen, daB die
endliche innere Organisation des Bistums ihre Vollendung erhalte,
als daraus besonders in unsern Tagen hohe Beruhigung für den Staat
wie für die Kirche hervorgehen kann, wenn der Geist der Liebe und
der Duldsamkeit, wenn wohlwollende Beachtung der Verhältnisse
zwischen Staat und Kirche — wie ich nicht zweifle — daraus hervor-
gehen, ihre feste, wechselwirkende Begründung erhalten werden.
Darauf wird, und zwar entschieden, der innere Friede, die innere
Ruhe beruhen ; davon wird das künftige Schicksal der Schweiz
unwiederbringlich abhängen. — Ich kenne die verschiedenen Elemente
I Schmidlin, Geschichte des Priesterseminars, S. ı5 fl.; « Aktenstücke » ;
Dubler, a.a. O.S.79 fi. — St.-A.L. Fach 9, Fasz. ı ı (Erweiterung und Organisation
des Bistums), Fasz. 33 (Bildung und Erziehung der Kleriker).
2 St.-A. L. Fach 9. Fasc. 33.
®? Entwürfe und Notizen zu den Konferenzverhandlungen, von Amrhyns
Hand ; St.-A. L. Fach 9. Fasz. 33. — Protokoll, Fach 9, Fasz. ıı. Vergl. über
die rechtliche Seite auch Attenhofer, Die rechtliche Stellung der katholischen
Kirche gegenüber der Staatsgewalt in der Diözese Basel, Luzern 1869, II, 47 ft.
— Io2z —
— durch die großen Zeitergebnisse des letzten Heumonats in Frank-
reich, durch ihre Wiederholung und Nachahmung in Belgien noch
mehr gesteigert —, die auch unser Vaterland nach verschiedenen
politischen Farben und zu ebenso verschiedenen Zwecken bewegen.
Ihnen allen durch milden Ernst, durch wohlwollende Klugheit Still-
schweigen zu gebieten [und] damit die redliche Gutmütigkeit bei
unserm noch ruhigen Volke zu bewahren : das ist die große Aufgabe
unserer Zeit, wenn wir von ihr ohne mindesten Nutzen fürs Bessere
nicht verschlungen werden wollen. ... Dieses gibt mir zugleich Gelegen-
heit, Hochdenselben ebenso vertraulich als mit Schmerzen eröffnen zu
müssen, daß sich unter unserer jüngern Geistlichkeit immer mehr ein
roher zelotischer Religionseifer entwickelt, der lieblos und unevange-
lisch, wie er sich zu Tage legt, zugleich jede Pastoralklugheit fre-
ventlich höhnt. ...»!
Auf diese beweglichen Klagen des Schultheißen erwiderte der
Bischof ruhig : « Hochdero Schreiben entspricht gänzlich meinen An-
sichten und eben deswegen muß ich auf einem Seminarium in Solothum
bestehen, damit den Kandidaten des Priestertums unter meiner und
eines würdigen Regens (Hr. Professor Weißenbach) Oberleitung die
jenigen Grundsätze beigebracht werden können, welche in unserm
Tagen doppeltes Bedürfnis geworden sind..»? — Anläßlich der
Konferenzverhandlungen über die Seminarien schrieb der zweite
Luzerner Gesandte, Staatsrat Eduard Pfyffer, an den ersten Gesandten,
Amrhyn, der im Auftrag der Konferenz deswegen mit dem Bischof
unterhandelte : « Die Seminarien sind für uns der wichtigste Artikel,
der zu behandeln ist. ... Die Regierungen müssen bei den dies-
fallsigen Unterhandlungen mit dem Bischof möglichst freie Hand
haben. Auch muß ihnen die Möglichkeit an die Hand gegeben werden,
in ihrem Gebiet ein eigenes Seminar zu errichten. Für Luzern ist
letzteres sehr wichtig, da sich die Errichtung eines solchen Seminar!
leicht effektuieren ließe und den Solothurnern, wo die Jesuiten noch
viele Freunde haben, eben nicht unbedingt zu trauen ist. ...»’
Als der erste Anlauf an den unüberwindlichen Hindernissen gescheitert
war, schrieb der Bischof an Amrhyn: «... Immer fühlbarer wird
mir das Bedürfnis eines guten Priesterseminars, in welchem der wahr-
haft evangelische Geist der Sanftmut, Demut und sich selbst auf-
1 6. Sept. 1830.
2 9. Sept. 1830.
® Ed. Pfyffer an Amrhyn, o. D.; F.-A. A.
—- 103 —
opfernder Liebe — der Geist Jesu Christi — den jungen Gemütern
eingeflößt wird. Zwei unglückselige Extreme stehen im Kampf, und
nur wenige — wie es mir scheint — wandeln die Mittelstraße. Staat
und Kirche leiden darunter, und das Vaterland wird gefährdet. ... »!
Er behalf sich vorläufig damit, daß er einen 5 bis 6-wöchigen Vor-
bereitungskurs einführte, in dem er den Unterricht zum großen Teil
selbst übernahm. Die Frage wurde 1837 in der Bistumskonferenz
erfolglos erörtert, und auch der letzte Versuch Salzmanns im Jahre 1850
kam nicht zum Ziele.
Die bisherige Politik der liberalen Regenten fand 1833 im Kanton
Luzern eine deutliche Zurückweisung in der Verwerfung der neuen
Bundesurkunde. Bei der romtreuen Geistlichkeit und im Volke hatte
1832 die « landesherrliche Bewilligung » für die Firmung und Kirehen-
weihe, ebenso die Ausweisung des Kapuzinerpaters Alexander Schmid,
der in Root gegen die «falschen Propheten » gepredigt hatte, große
Mißstimmung verursacht. Auch Pfarrer Banz in Hildisrieden war von
der Regierung des Kanzelmißbrauchs bezichtigt worden. ? Die Er-
richtung einer Lehranstalt in Willisau durch den Protestanten Friedrich
Fröbel verursachte im Abstimmungsjahre eine starke Volksbewegung,
die sich in Petitionen äußerte. Der Große Rat nahm dessenungeachtet
die Gründung in Schutz. ? So schrieb Amrhyn angesichts der Volks-
stimmung vier Monate vor der Entscheidung seinem Sohne: « Die
Sachen stehen — überhaupt genommen — nicht schön in der ganzen
Schweiz, und die erzürnten Zionswächter scheinen einen letzten Feld-
zug gegen den Liberalism[us] unternehmen zu wollen, nicht nur jene
unserer Religion, sondern auch die reformierte Geistlichkeit. .... »*
Doch auch den Radikalen mißfiel der neue Bundentwurf, weil er ihnen
in der Zentralisation zu wenig weit zu gehen schien. } Der altliberale
Schultheiß Schwytzer sagte in einem Briefe: « Eine”sonderbare Er-
scheinung geben uns unsere Radikalen, die ganz passiv bei der bevor-
stehenden Beratung über die Bundesrevision bleiben wollen und sich
auch dahin erklärt haben. Nicht einmal als Mitglieder der [vor-
beratenden] Kommission haben sie Anteil genommen, sondern sind
I ı2. Febr. 1831 ; St.-A. L. Fach 9, Fasz. 33.
2 Schweiz. Kirchenzeitung 1832, S. 126 f., 147, 167; die Artikel: « Die
Klage der h. Regierung des Kts. Luzern über den Mißbrauch der Kanzel; durch
Aktenstücke beleuchtet », Nr. 22 fl.; 1833, Nr. 4.
® Schweiz. Kirchenzeitung, 1833, Nr. 23 (Beil.), 24 fl.; 1834, Nr. ı; «Eid-
genosse », 1833, Nr. 49, 66 (Beil.) ; Luzerner Zeitung, 1833, Nr. 2 fl.; Kas. Pfyfer.
Geschichte des Kts. Luzern, II, 495. 4 7, März 1333.
geradezu weggeblieben, selbst der Präsident C’asj. Pfyfier, Bühler
[und] Hertenstein. Was dabei beabsichtigt wird, weiß der Himmel. :!
— Im Großen Rate wurde die Bundesverfassung mit 72 gegen 3 Stimmen
angenommen ; der Präsident, Kas. Pfyffer, galt als Verwerfender. ?
Schultheiß Schwytzer berichtete drei Tage vor der Volksabstimmung :
« Zwei sehr verschiedene Parteien arbeiten auf einen und den gleichen
Zweck hin. [Prof. Dr. P. V.]) Troxler befindet sich seit einigen Tagen
im Kanton und bewegt Himmel und Erde, um eine Verwerfung zu
bewirken. ... Auf der andern Seite arbeiten im Verborgenen, aber
sehr tätig, die Kurialisten und sollen eine zahlreiche herumgebotene
Broschüre verbreiten lassen, um die Besorgnisse des Volkes wegen
Religionsgefährde und Abgabenvermehrung zu steigern. ... Aller-
dings würde eine Verwerfung von so radikaler Seite, wie unser Kanton,
von bedeutenden Folgen sein. »? Der Bischof gebot am 25. Juni den
Dekanen, auf ihre Anfrage hin, die Geistlichkeit solle sich auf keine
Weise in die Abstimmung einmischen und sich nach dem Beispiel
der Apostel und Jünger Christi um die Formen der Staatsverfassung
gar nicht kümmern. Der Kleine Rat ließ dieses Schreiben anı 14. August
publizieren. * Am Vorabend der Entscheidung aber schrieb Amrhyn
voll Besorgnis: «... Mit der morgigen Annahme der neuen Bundes-
urkunde durch das Volk im hiesigen Kanton steht es sehr ungewiß.
Es wirken dagegen die Aristokraten par excellence, verbunden mit
den Geistlichen — und trotz dem ausgesprochenen Willen des Bischofs
(der mich gestern besucht hat) unter religiöser Fahne —, dann die
Hässer der Stadt unter dem ökonomischen Gesichtspunkte, endlich
die Radikalen, weil zu wenig Einheit, für ihre Persönlichkeit zu wenig
Garantie in dem Bundesprojekt. » 5
Als dann das Luzernervolk den Bundesvertrag mit 12,049 gegen
nur 1448 Stimmen verwarf, erkannten die gemäßigten Regenten, daß
dabei auch die bisherige kirchenpolitische Haltung der Regierung als
Ursache in Betracht kam. Schwytzer schrieb in diesem Sinne :«... ES
zeigt sich täglich mehr, daß die Regierung selbst schuld an allem sei
und sich Blößen gegeben, die von ihren Feinden geschickt und zur
rechten Zeit benutzt worden, um ihr diesen Streich zu spielen. Die
! An Kanzler am Rhyn, 2. März 1833; F.-A. A. IV, E. 46.
? Amrhyn an seinen Sohn, ı7. Juni.
3 4. Juli, an Kanzler am Rhyn.
% Hurter, S. 189 ff., 265 fl.
$ An seinen Sohn, 6. Juli.
Bemühungen des «Eidgenossen », unsern Kultus und seine Diener
stetsfort herabzuwürdigen, und die Indifferenz gegen die in Willisau
zustande gekommene Lehranstalt eingekommenen Vorstellungen sind
es hauptsächlich, die dem überall verbreiteten Gerücht, die Regierung
wolle reformiert werden, Glauben verschafften. ... Die Aufregung
unter dem Volk ist stets in hohem Grade, und man macht sich keinen
Begriff von der Wut, wie z. B. im Entlebuch von den höchsten Bergen
herab in ganzen Scharen den Versammlungen zueilten. ... Viel besser
ging es in der Ebene nicht, und überall wurde die gefährdete Religion
vorgeschützt. Von allen Seiten wird uns ruhige Haltung und keine
Übereilung empfohlen. ...»! Amrhyn, der als Vizepräsident des
Großen Rates in Abwesenheit des Präsidenten Kas. Pfyffer den Rat
präsidierte, hatte in diesen unruhigen Tagen wiederholte Besprechungen
mit dem in Luzern weilenden Bischof, wohl hauptsächlich wegen der
Haltung der Geistlichkeit. * Denn einige Tage später schrieb er erregt
und in schärfstem Mißtrauen seinem Sohne :«.... Unsere Geistlichkeit
hat ein schreckliches Spiel der Revolution in der Kirche bei der letzten
Abstimmung über die Bundesakte getrieben ; sie ist in offenbaren
Aufstand gegen den Bischof getreten und hat dadurch der Religion
und der öffentlichen Moral einen furchtbaren Schlag versetzt. ...
Spielt wohl Rom selbst dieses gewagte Spiel gänzlicher Zerrüttung
im Innern der Staaten ?...»® Am 28. Juli wurde Kleinrat Sidler
als Präsident der Kommission in kirchlichen und geistlichen Angelegen-
heiten an den Bischof abgeordnet, um Klagen gegen einen Teil der
Geistlichkeit vorzubringen, ein « kräftiges Adhortatorium » zu verlangen
und für den Fall weiterer Opposition diesen Geistlichen mit der Strenge
des Gesetzes zu drohen. Der bischöfliche Kommissar Waldis begleitete
Ihn. Salzmann erließ infolge dieses Schrittes am ı. August ein Kreis-
I! An Kanzler am Rhyn. ıı. Juli.
?g. Juli, an den Kanzler: «... Kasimir Pfyffer hat Schande auf sich
gezogen, daß er sich in einem so entscheidenden Momente von hier, mit der Ab-
“cht längerer Abwesenheit entfernte. — Gestern abends hatte ich noch eine
ifitte Unterredung mit dem Bischof. »
° 26. Juli. — Die Proklamation vom 14. Juli erhob ähnliche Vorwürfe. —
Hurter, S. 199 fl. ; Schweiz. Kirchenzeitung, Nr. 27, 30 («Die Einmischung der
Geistlichkeit in politische Angelegenheiten »). Vergl. auch die Erklärung der
“ngeschuldigten Geistlichen des Wahlkreises Habsburg in Nr. 31. — Wald-
stätterbote, Nr. 54 (Beil.), 56; Luzerner Zeitung, Nr. 14 fl.; « Eidgenosse »,
\r.58:«... Die Verwerfung ging von der Mehrheit der Geistlichen aus, die —
Richt achtend den Befehl des hochw. Herrn Bischofs — alle Mittel in Bewegung
setzten. ...»
— 106 —
schreiben an die Geistlichkeit des Kantons, das in der Mahnung
gipfelte: «Werfen Sie sich auf keine Weise in das Gebiet der Tages-
politik !»! — Die Erfahrungen bei der politischen Niederlage bewirkten
aber keine Rechtsschwenkung des Regierungskurses ; eher eine schärfere
Ausprägung des Radikalismus. Das zeigten kirchenpolitische Vorgänge
noch im selben Jahre.
Zunächst veranlaßten die zahlreichen Angriffe des radikalen
a Eidgenossen» den Bischof zur Einsprache. Dieses damals vom
Surseer Anton Schnyder redigierte Organ Dr. Rob. Steigers griff den
von Bischof Salzmann empfohlenen und wahrscheinlich von ihm ver-
faßten Katechismus an, weil er die Sünden gegen das sechste und
neunte Gebot nannte. Die Kritik enthielt den bezeichnenden Satz:
«Ist es nicht ein wahres Ärgernis, die zehn Gebote Gottes, an die
abgöttischen, mörderischen und unkeuschen Juden gerichtet, jetzt noch
die Kinder auswendig lernen [zu] lassen ? »? In einer spätern Nummer
schrieb das gleiche Blatt unter dem Titel: «Wie die Religion in
Gefahr sein: «Wohl mag die sogenannte römische Religion, wie sie
der Vatikan seit Jahrhunderten diktiert und — auf Isidors falsche
Dekretalien gestützt — sich allein geltend macht, eine wohltätige
Erschütterung fühlen, wofür wir der Vorsehung innig danken ; diese
mag einstürzen ...; denn ihr Grund beruht auf Anmaßung und
schändlicher Gewinnsucht. ... Diese wüste römische Religion ver-
drängte nach und nach den wahren kirchlichen Geist, wie er in die
erste Stiftung durch Christus und die Apostel gelegt war. ...» In
Nr. 42, 1834 schrieb der « Eidgenosse » (ein katholischer Geistlicher)
über die verschiedenen Kirchen :«... Jede dieser besondern Kirchen:
die Luthersche wie die Griechische, die Römische wie die Zwinglische,
kann irren und hat schon geirrt, kann betrügen und ist schon betrogen
worden ; ja kann von der allgemeinen, d. h. katholischen, apostolischen,
christlichen oder — was das gleiche ist — von der seligmachenden
Urkirche abfallen ...; keine allein ist die katholische oder all-
gemeine. ...» — Die Einsprache des Bischofs aber wurde durch
! Amrhyn an den Kanzler, 28. Juli. — Wortlaut des bischöflichen Schreibens
in der Schweiz. Kirchenzeitung, Nr. 33.
% « Eidgenosse », 1833, Nr. 28, 31. — Dekan Georg Sigrist an Amrhyn, 29. März
1831: «Es ist mir ein wahres Vergnügen, Hochdenselben ein Exemplar von der
Religionslehre für Kinder, welche wahrscheinlich unsern hochverehrtesten Herm
Bischof zum Verfasser hat, übersenden zu dürfen. Er ist ... ein schönes
Geschenk, ... Mögen recht bald die geeigneten Anstalten getroffen werden zuf
gründlichen Verbesserung des Religionsunterrichtes. » F.-A. A. IV. D. 76.
—- 17 —
den Artikel: «Eine Stimme aus der Wüste » veranlaßt. Mit Bezug
auf das Konzil von Konstanz und Basel schrieb da der Einsender —
angeblich ein Geistlicher : « Kaiser, Könige und Fürsten hofften mit
Zuversicht, ... daß das Volk dem teuren Glauben ihrer Väter neuer-
dings sein Herz zuwenden werde. Vergeblich! Roms Grundsatz :
verwirre, trübe und fische, gewann die Oberhand. Der Grundsatz :
der Papst ist die Kirche, das Konzil nur sein Handlanger, ward durch
feile, geldsüchtige Welsche und mönchische, privilegierte Ordensobere
aufrecht gehalten. ... Da hörte die Kirche auf, frei zu sein ; sie ward
Sklavin, gefesselt an Rom und seine Laster : Geldgier und Ehrgeiz. ...
Der Papst ... ist nur das dienende Haupt der Kirche, nicht sie selbst,
weil sonst, wenn der Papst — was oft geschieht — in Irrtum gerät,
die ganze Kirche irren müßte. ... Rom leitet das lecke Schiff der
Kirche, unbekümmert um der Völker Heil, wenn nur die angemaßten
kirchlichen Vorrechte ihm gesichert bleiben. ... »t Bischof Salzmann
protestierte gegen dieses Pamphlet bei der Regierung, weil es das
«Ansehen des Heiligen Vaters und der Bischöfe untergrabe und zum
gottlosen Kampf gegen sie auffordere »; er verlangte die Nennung
des Verfassers. Die Regierung beauftragte den Staatsanwalt, einen
Prozeß einzuleiten. Das Bezirksgericht Sursee verurteilte darauf den
Einsender zu 16 Fr. Buße und Abbitte. Beide Parteien appellierten.
Das Appellationsgericht unter Kas. Pfyffers Vorsitz sprach den
Beklagten frei und überband dem Kläger die Kosten. ?
Neue große Aufregung verursachte Ende 1833 ein rascher Schritt
Eduard Pfyfiers auf dem Wege zur Stärkung des liberalen Geistes
auch in der Priesterbildung : die Berufung von Christoph Fuchs. An-
äßlich der Tagsatzung in Zürich schrieb Pfyffer an Amrhyn:«... Ich
frage, ob man Widmer und Kaufmann nicht einmal beseitigen könnte ?
Ohne diese schon so lange nötige Beseitigung ist wahrlich nichts getan.
Pfarrer Fuchs in Rapperschwil und [Burkard] Leu in Berlin würden
! « Eidgenosse », Nr. 71, 89, 1833. — Hurter, S. 116 ; Schweiz. Kirchenzeitung,
Nr. 46, 1833 ; Luzerner Zeitbug, Nr. 33.
? « Eidgenosse », Nr. 89, 97, 1833 (mit dem Wortlaut des Urteils). — Schult-
beiß Schwytzer an Kanzler am Rhyn, ı0. Nov. 1833 : « Die st. gallischen Ankämpfer
‚ stgen das Papalsystem haben einen Zuwachs an unserm Appellationsgericht
gewonnen. ... Diese Gerichtsstelle ... sprach den Angeklagten von aller
Schuld los, weil es nicht in seiner Absicht gelegen, den Papst zu injurieren,
sondern nur wissenschaftlich die Nichtigkeit des Papalsystems nachzuweisen, von
_ Welchem loszureißen das Bestreben von Luzern, in Unterstützung der St. Galler
| Neuorthodoxen, sein solle. ... Sie sehen also, wie wir täglich vorwärtsschreiten | »
— 18 —
die Abgehenden leicht ersetzen. Aber auch in dieser Hinsicht sollte
bald gehandelt werden. .... »! Über die weitern Schritte schrieb
Amrhyn am 15. September dem Kanzler : « Während der Anwesenheit
von Schultheiß Pfyffer und benanntlich gestern sind wichtige Dinge
in hier vorgefallen. Es hatte der Sache wegen schon vor 14 Tagen
ein Zusammentritt zwischen ihm, Pater Girard und Professor Ineichen
in Knonau statt. Über die Sache bin ich in thesi einverstanden ; nur
hätte ich mir die Möglichkeit einer schicklichern Ausführung in Hinsicht
auf Prof. Widmer gewünscht. Ich war selbst der Ansicht, man hätte
diesen vor der Hand seines prädominierenden Einflusses wegen bleiben,
jedoch mit zwei ihm gegenüberstehenden neuen Professoren der
Theologia, tüchtigen und kräftigen Männern, im Schach halten und
auf diese Weise — wo er fortfahren würde, dem Bessern im Staat
und Kirche feindselig entgegenzustreben — auf diesem ... Wege
zu Fall zu bringen, für jetzt indessen den Chorherr[n] und Professor
Kaufmann — ein wahrer Tartüff — abzudanken. Es hatte über die Sache
ein mehrstündiger Kampf im Erziehungsrat statt. Allein die Sache
war von Pfyffer schon planiert und verabredet, und so — wenn nicht
die ganze Verbesserung aufgeopfert und zugleich Zweispalt in den
Erziehungsrat und die Regierung gebracht und dadurch den Feinden
des Bessern neue Waffen in die Hände geliefert werden wollten — so
mußte nachgegeben werden. Dieses leitete die Majorität des Erziehungs-
rats, bestehend aus Prof. Ineichen und Girard, dem Oberlehrer Rietschi
und mir. »
Als Bischof Salzmann von der Ernennung Fuchsens Kunde erhielt,
schrieb er an Schultheiß Schwytzer : « Diesen Augenblick vernehme
ich, Herr Pfarrer Fuchs in Rapperschwil sei zum Professor der
Theologie ernennt worden. Wie groß mein Schrecken über diese
unerwartete Nachricht sei, werden Ihro Exc. aus folgendem
entnehmen. Herr Pfarrer Fuchs ist in den unglücklichen Handel
des Herrn Professor Fuchs innigst verwoben, indem er an das hoch-
würdigste Generalvikariat in St. Gallen geschrieben, er stehe zur
Verantwortung des Fuchsischen Aufsatzes, und dem berüchtigten Libell
des Utznacher Kapitels, welches sich zu den Grundsätzen des Herm
Prof. Fuchs bekannte, seine eigene Namensunterschrift beigefügt hat.
Diese Grundsätze sind offenbar falsch, von dem Ordinariat St. Gallen
bereits verworfen und werden auch vom Heiligen Stuhle verworfen
I 12. August 1833.
rn
EEE EEE EN HE nmel ie ESPSERERE
werden. Unmöglich kann der Bischof von Basel einen solchen Professor
der Theologie für gut erachten ; kein einziger von seinen Schülern
würde jemals von mir zu den heiligen Weihungen admittiert werden,
und Herr Pfarrer Fuchs würde selbst von dem Ordinariat Basel niemals
die Erlaubnis, Beicht zu hören und die heilige Messe zu lesen, in meiner
Diözese erhalten können, weil er die Entlassungsschrift aus dem
Bistum St. Gallen nebst dem nötigen Zeugnis von reiner Lehre und
vollkommenen Sitten von seinem hochwürdigsten Bischof in Chur
nicht bekommen wird. In dieser meiner bedrängten Lage hielt ich
fürs Beste, heut’ an Herrn Pfarrer Fuchs zu schreiben, ihm die bösen
Folgen offenherzig zu bemerken und den Rat zu geben, die ihm vom
Staat ehrenvoll zuerkannte Professorenstelle höflichst von sich ab-
zulehnen. Tut er es nicht, so fordert unerläßliche Amtspflicht von
mir, mit einem Reskript an die h. Regierung in Luzern zu gelangen,
was ja notwendig das größte Aufseh’n erregen würde und notwendig
verhütet werden sollte. Ihro Exc.! Ihr Bischof und durch ihn die
Kirche Jesu fleht zu Ihnen als dem hochzuverehrenden Standeshaupte !
..»1 In einem Schreiben ähnlichen Inhalts bat der Bischof den
Pfarrer Fuchs, die Ernennung nicht anzunehmen. Schultheiß Schwytzer
schrieb an den Kanzler am Rhyn:: « Pfyffers Jubel war zu vorlaut ;
er hat uns wieder einmal über den Löffel balbiert, denn es zeigt sich
nun — was man sorgfältig verschwieg —, daß der. Herr Pfarrer mit
dem Professor impliziert ist, daher von seinem Bischof keine Dimis-
sorialien erhalten wird und ebenso von dem Bischof von Basel keine
Admission bekommen kann. ... Der Kleine Rat weiß hievon noch
nichts, ebensowenig als von Widmers seitdem eingegangenen Dank-
schreiben, worin er sich aber ausbittet, man möchte ihn noch am
Professorate belassen. Was da herauskommen wird, weiß ich wahrlich
nicht ; Fuchs kann nicht Professor sein, und Widmer wird man nimmer
wollen ; in jedem Fall gibt es hier einen unangenehmen Konflikt. ... »?
t 17. Sept. 1833, F.-A. A. I. 236 (Kopie). — St.-A. L. Fach IV B, Höhere
Lehranstalt. Beschlußentwurf und Erneuerungsschreiben des Erziehungsrats, von
Ed. Pfyffers Hand, 14. Sept. ; Annahmeerklärung Fuchsens, 18. Sept. — Hurter,
Ss. 213 fl.; Kas. Pfyfler, II, 497 fi.; Ant. Henne, S. 52 ft., 72 f., ııo fl.:
J. K. Bluntschli, Der Sieg des Radikalismus, S. 159 ff. ; Schweiz. Kirchenzeitung,
1833, Nr. 38 ff. (vorher verschiedene Artikel über Alois Fuchs und seine Predigt) ;
Luzerner Zeitung, 1833, Nr. 24 fl.
2 ı9. Sept. — Am 8. Okt. schrieb er: «Sein (Pfyflers) Fuchsischer Coup
@’Etat hat ihm hier keine Freunde gemacht. ... Unter (der) Hand steckt sein
eigener Bruder selbst. »
—- IIOo —
Der Bischof tat indessen sein Möglichstes, um einen schärferen
Konflikt zu vermeiden. Er wandte sich mit eindringlichen Vor-
stellungen an Staatsrat Pfyffer, der ihm deswegen geschrieben hatte.
Er stellte fest, daß sich Christoph Fuchs zu der vom st. gallischen
Ördinariate zensurierten Druckschrift des Professors Alois Fuchs
bekenne, teilte vertraulich mit, daß ein päpstliches Breve an den
Bischof von Chur-St. Gallen diese Druckschrift verurteile, und wies
darauf hin, daß Irrlehren durch die allgemeinen Kirchensatzuugen
von den Kathedern der katholischen Theologie ausschließen. Im
übrigen schrieb er: «Bis auf gegenwärtigen Augenblick habe ich es
für die heiligste meiner Amtspflichten erachtet, im steten Einklang
mit den h. Landesregierungen zum Wohl des Vaterlandes nach
Kräften hinzuwirken, und wiewohl diese meine Handlungsweise mir das
Mißfallen von einer ungeheuren Anzahl Menschen zuzog, werde ich
dennoch meinem bisherigen Grundsatz gewissenhaft bis in den Tod
treu bleiben. Auch in dem fraglichen Gegenstand handelte ich mit
bestmöglichster Schonung. ... Wenn Herr Pfarrer Fuchs nicht frei-
willig absteht, so habe ich als Bischof keine andere Wahl, als entweder
in dem Sinn und Geist, den ich vertrauensvoll S. Exc. Herrn Amts
schultheiß Schwytzer eröffnete, an die h. Regierung zu schreiben, oder
— wenn ich es tue — mich selbst vom Heiligen Stuhle verurteilen
zu lassen oder vorher mein Bischofsamt zu resignieren. Daß ich [lieber)
freiwillig auf mein Amt resignieren, als meinem Kirchenoberhaupt und
den kirchlichen Canones ungehorsam sein will, dessen überzeugt Sie
mein Charakter. Übrigens mische ich mich nie in die Wahlen der
Herren Professoren und werde es niemals tun ; mir kommt es nicht
zu, zu fragen, weswegen die h. Landesregierung den hochw. Herm
Professor Widmer abzuberufen für gut fand. Ebensowenig fälle ich ein
Urteil über Herrn Pfarrer Fuchs, mit dem ich ein einziges Mal ın
Bischofszell gesprochen und ihn sehr einnehmend gefunden habe, ohne
jedoch Herrn Professor Fuchs’ Grundsätze, die Herr Pfarrer gleich-
falls genehmiget hat, gutheißen zu können. Sie brauchen mir nur
einen Wink zu geben, und augenblicklich schicke ich meine Resignation
nach Rom. So arm ich nach Solothurn kam, ebenso arm trete ich ab,
hoffentlich aber ohne Schande. ...»
Am gleichen Tage schrieb Amrhyn dem Schultheißen Pfyffer
nach Zürich über die Verhandlung des Staatsrats wegen der Zuschrift
I 20. Sept. ; F.-A. A. I, 236.
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== 1I1I =
Prof. Widmers, in der dieser gebeten hatte, ihn auf dem ihm lieb-
gewordenen Lehrstuhle zu belassen : «Gestern abends erhielten die
Mitglieder des Staatsrats von Herrn Schultheiß Schwytzer ... eine
vertrauliche Mitteilung von dem sonderbaren Zwischenspiel, das nun
gemacht wird, um den ehrenvoll entlassenen Prof. Widmer in seiner
bisherigen Theologiadiktatur zu behaupten. Überraschen mußte die
Erscheinung allerdings hauptsächlich der Wendung wegen, die man
der Sache unter bedrohter Kirchenzensur gegen den Herrn Pfarrer
Fuchs zu geben sich die Miene gibt. Allein dabei war auch die Über-
zeugung allgemein, daß — möge auch die Sache ausfallen, wie sie da
wolle — von einem Wiedereintritt Widmers in die Professur nun
weniger als je die Rede sein könne. Um indessen nicht neuen Spek-
‚ takel in den Kanton zu bringen, dessen Massa nun einmal noch durch
die Einflüsterungen unserer Römerlinge befangen ist und deren Sinn
und Augen nicht auf einmal gebessert werden können, haben sich
die Mitglieder des Staatsrates untereinander das Wort gegeben, das
Ganze unter sich geheim zu behalten, den Brief von Widmer dem
Kleinen Rat in der heutigen Sitzung vorzulegen und denselben ein-
fach dem Erziehungsrate auf dem vorhandenen Standpunkt der Sache,
_ wieer sich durch die stattgehabten Wahlen ergeben hat, zur Ent-
werfung einer angemessenen Antwort zuzuweisen. Von allem weitern
würde man schweigen, teils um den Bischof, wenn er von seiner Über-
eilung zurückgebracht werden könnte, zu schonen, teils, so das nicht
erhältlich sein sollte, um Herrn Pfarrer Fuchs das Mittel zu bewahren,
statt einer Annahmszuschrift eine schickliche Ablehnung der Regierung
‚ zuschicken zu können. Sollte der Kampf mit Bischof und Nuntiatur
. bei dem ohnehin religiös und politisch leidenschaftlich unterlockerten
Boden, auf dem wir stehen und den wir vorderhand nicht zu ändern
vermögen, von seite der Regierung mittelbar und unmittelbar nicht
mit abzusehendem Erfolge bestanden werden können, so haben wir
auch die Pflicht, nebenbei dafür zu sorgen, daß die Lage des von uns
zur Professur berufenen Herrn Pfarrers Fuchs durch unser rücksichts-
loses Vorschreiten nicht noch unangenehmer gemacht werde. Dabei
erteilte mir der Staatsrat den Auftrag, mich über die obwaltenden
Verlegenheiten mit Euer Excellenz zu besprechen und Sie zu ersuchen,
zu dieser Unferredung auch den Herrn Pfarrer Fuchs einzuladen. ... »
Diese Zusammenkunft fand wirklich an der Sihlbrücke statt.
Amrhyn schrieb nachher seinem Sohne : « Ich habe ihm [Ed. Pfyffer] und
jenem [Christoph Fuchs] ... reinen Wein eingeschenkt und beide fühlen
— II —
lassen, wie weit die Regierung gehen könne. Kann er keine Admission
vom Bischof von Basel erhalten, so ist es aus mit der Professur. Daß
übrigens in der Schweiz kein katholischer Geistlicher — auch quoad
doctrinam, wie quoad mores — anders als durch förmlichen Prozeß,
wie ihn das kanonische Recht fordert, verurteilt werde und die da-
herige Sentenz, insoweit selbe Entsetzung, Suspension oder Entziehung
der Einkünfte betrifft, dem Landesherrn zur Bewilligung der Exekution
mitgeteilt werde, um je nach Umständen das jus cavendi in Anwendung
zu bringen, ist nicht bloß zu Wahrung des landesherrlichen Rechtes,
sondern selbst zur Sicherheit der Geistlichen notwendig, damit sie
nicht der Verfolgung eines Bischofs oder von Rom ausgesetzt seien.
Es ist mir dabei vorzüglich um jenes und nicht so fast um die
Personen zu tun. ... Auf die politische Revolution folgt die kirchliche ;
dies weist schon lange die Geschichte nach. Auch hier muß vorzüglich
mit Umsicht, dabei nicht weniger mit männlicher Kraft gehandelt
werden. »! — Pfarrer Fuchs hatte inzwischen dem Bischof auf sein
Schreiben geantwortet : Er habe solche Hindernisse nicht erwartet,
da er seit fünfzehn Jahren in der Diözese St. Gallen mit den besten
Zeugnissen pastoriere und nie zensuriert oder gewarnt worden sei.
Darum habe er den Ruf nach Luzern angenommen und in Rapperswil
seine Demission gegeben. Er könne nun nicht mehr zurück, ohne
seine Zukunft zu gefährden, sei aber bereit, als katholischer Priester
und Professor alle beruhigenden Garantien zu geben, die man fordern
könne. ?
Nun wandte sich der Bischof offiziell an Schultheiß und Kleinen
Rat von Luzern mit dem folgenden Schreiben : «Die Erwählung des
hochw. Herrn Christoph Fuchs zum Professor der Theologie an der
katholischen Lehranstalt in Luzern legt mir die schwere Pflicht auf,
an Hochdieselben in gebührender Hochachtung vorzutragen, was mein
hohes Amt in dieser Beziehung von mir fordert. Herr Christoph Fuchs
hat — was Höchstihnen gewiß unbekannt blieb — die Grundsätze des
hochw. Herrn Prof. Alois Fuchs öffentlich als die seinigen bekannt,
indem er nicht nur an das hochwst. Generalvikariat in St. Gallen
schrieb, er stehe zur Verantwortung für die in Untersuch liegende Schrift
des Hrn. Alois Fuchs, sondern auch eigenhändig das Schreiben des
! 26. September.
® 2ı. Sept.; Kopie von Amrhyns Hand; F.-A. A. I, 236. — G. J. Baum-
gartner (Die Schweiz, II, 45) sagt von Fuchs, er sei « insinuant, feurig, ja Enthusiast,
für Ratschläge der Klugheit wenig zugänglich gewesen. »
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- I3 —
Utznacher Kapitels unterzeichnete, wodurch er erklärte, die angeregte
Rede des Hrn. Alois Fuchs sei so abgefaßt, wie auch er es im Sinn
und Herzen trage. Da nun die in erwähnter Rede aufgestellten Grund-
sätze offenbar unrichtig sind, vom Ordinariate St. Gallen schon als
falsch, ärgerlich und irrig verworfen wurden und auch vom Aposto-
lischen Stuhle werden verworfen werden und ich als Bischof verbunden
bin, zu verhüten, daß die öffentliche Katheder der katholischen
Theologie von einem Manne bestiegen werde, der falsche Grundsätze
sich angeeignet hat, und die zum Klerikalstand bestimmte Jugend mit
einem solchen Lehrer in falsche Lehren eingeführt zu werden, Gefahr
laufe : erlaube ich mir die Bitte, dem Hrn. Pfarrer Christoph Fuchs
den theologischen Lehrstuhl nicht anzuvertrauen. Wiewohl ich nämlich
Hochdero Kollaturrecht jederzeit zu ehren wissen werde, würde den-
noch das Auftreten des Hrn. Fuchs für ihn selbst die schmerzlichsten
Folgen haben. Erstlich ist er von einer andern Diözese. In der Eigen-
schaft eines Laien kann er wohl mit Einwilligung der h.
Landesregierung in das Bistum Basel eintreten. Um aber in der
Eigenschaft eines Priesters darin funktionieren zu können, muß er mir
vorerst die kanonische Dimissionsakte mit empfehlendem Zeugnis
seiner reinen Lehre und tadellosen Wandels, von seinem hochwürdigsten
Bischof ausgestellt, vorlegen können ; widrigenfalls werde ich ihn
niemals unter meinen Diözesanklerus aufnehmen. Daß jedoch sein
hochwst. Bischof ihm ein solches Zeugnis nicht ausstellen werde, noch
könne, liegt offenbar am Tage. Zweitens würden seine theologischen
Vorlesungen mich zwingen, all denjenigen Studenten, die ihn anhörten,
die heiligen Weihen anhaltend zu versagen. Ich nehme voll Vertrauen
meine Zuflucht zu Hochdenselben, weil ich bis zur gegenwärtigen
Stunde die größten Beweise Hochdero landesväterlichen Wohlwollens
zu mir und sorgfältigsten Schutzes der katholischen Kirche empfangen
habe. ... »1
Der Kleine Rat erwiderte: Es solle Pfarrer Fuchs Gelegenheit
gegeben werden, sich wegen der Anschuldigungen zu rechtfertigen ;
die Eingaben der Kantonsgeistlichkeit wegen der Versetzung Widmers
und der Berufung Fuchsens lassen in ihrer Zudringlichkeit «den
milden Geist der Religion und der Liebe ganz vermissen»; die
Regierung werde künftig solche Eingaben als Verletzung der Achtung
vor der Landesregierung behandeln. ®? Der Erziehungsrat erhielt gleich-
! 25. Sept. ; Original; St.-A. L. Fach IV B. 3 27. September.
REVUE D’HISTOIRE ECCLÄSIASTIQUR 8
zeitig den Auftrag, Pfarrer Fuchs mitzuteilen: die Ausübung des
Lehramtes sei ihm nicht gestattet, bis er vom Kleinen Rat vollständig
als gerechtfertigt erklärt werde. Die Regierung fragte auch den
Kleinen Rat von St. Gallen an, ob irgend ein Prozeß gegen Fuchs
geführt werde. ? Christoph Fuchs antwortete am 19. Oktober: er
befinde sich keineswegs im Anklagezustand ; das St. Galler Ordinariat
wolle ihm aber die Dimissorialien nicht geben, bis die Angelegenheit von
Alois Fuchs erledigt sei.
Der Tod des Bischofs von Chur-St. Gallen und die gewaltsame
Abtrennung St. Gallens vom Doppelbistum verschoben die Erledigung
der Angelegenheit. Schultheiß Schwytzer schrieb damals: «St. Gallen
geht in Kirchensachen einen raschen Gang, und die Forderung, daß
der Papst der ... Wahl eines Bistumsverwesers seine Sanktion erteilen
möchte, grenzt fürwahr an hohnenden Spott und läßt nur starre und
kondemnierende Zurückweisung der Forderung und feierliche Prote-
station gegen das Ganze voraussehen. Die frühern largen St. Galler
sind nun plötzlich zu schrankenlosen Trotzern aufgewacht. Werden
sie fest auf diese[m] Pfade fortschreiten, wird das dortige katholische
Volk — noch tief in Mönchsideen eingewiegt — bei erstem Kampfe
mit Rom, bei allfälligem päpstlichem Interdikte ihm kräftig und willig
zur Seite bleiben ? Der ehemalige konstanzische Generalvikar von
Wessenberg zweifelt an dieser indigenen Kraft des Schweizervolkes.
Auch ich traue bei den Übertreibungen jeder Art, die in unserm viel-
fach geschwächten Vaterlande wiederum in Gang kommen, dieser
plötzlich auflodernden Kraft keine Dauer zu und sehe keinen sichern
und günstigen Erfolg beim nun gewaltsam angehobenen Kampfe vor. »?
— Zwar gab der von den weltlichen Behörden gewählte, von Rom
aber nicht anerkannte st. gallische Bistumsverweser dem Pfarrer
Fuchs die Dimissorialien, und dieser ersuchte, — gestützt darauf —
den Bischof von Basel um die Admission. Doch Bischof Salzmann
antwortete ihm am 9. Januar 1834 : «Auf Ihr verehrtestes Schreiben
. kann ich Ihro Hochw. unmöglich eine andere Antwort erteilen
als dasjenige, was in meinem früherhin an Sie erlassenen Warnungs-
briefe bereits enthalten ist: daß ich nämlich, wenn Sie den theo-
logischen Lehrstuhl in Luzern besteigen, keinen Zuhörer Ihrer theo-
I 27. Sept. Entwurf von Amrhyns Hand. — Bittschriften der Kapitel
Hochdorf, Willisau und Sursee und von Luzerner Bürgern (23., 24. Sept.) im
St.-A. L. Fach IV B.
® ı8. Nov. an Kanzler am Rhyn.
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— mr mern re Te ee en ni
—- 115 —
logischen Vorträge jemals ad S. Ordines admittieren werde. Da Ihnen
die unterm 17. September 1833 erschienene Apostolische Bulle [mit
der Verurteilung des Professors Alois Fuchs] bekannt sein muß, können
Sie von mir als einem katholischen Bischof nichts anderes erwarten. » !
Fuchs übersandte dieses Schreiben dem Kleinen Rat von Luzern und
schrieb dazu : « Mich betrübt, die unschuldige Ursache von Spannungen
geworden zu sein ; gälte es nicht die Sache, ich gäbe gerne meine
Person preis. »® Die Regierung beschloß in Ausführung eines Groß-
ratsbeschlusses am 18. Januar, Fuchs solle durch den Erziehungsrat
auf den Lehrstuhl einberufen werden, weil nun nach der Einreichung
der Dimissorialien kein Hindernis mehr bestehe. Am 3. März stellte
Eduard Pfyffer ihn den Studenten vor, und am folgenden Tage begann
er seine Vorlesungen. Als dann der Bischof — durch ein päpstliches
Breve vom 8. März 1834 in seiner Haltung bestärkt — nochmals
erklärte, er werde keinem Schüler Fuchsens die geistlichen Weihen
erteilen, beschloß der Große Rat am 8. Mai kurzerhand die Ein-
stellung der theologischen Vorlesungen. Prof. Widmer wurde trotz
seines Wunsches, weiter wirken zu können, nicht mehr auf den Lehr-
stuhl gesetzt ; erst die Vierzigerregierung gab ihm dann diese
Genugtuung.
Die Suspension der Theologiekurse schuf aber eine so unangenehme
Lage, daß sich der Kleine Rat am 2. Juli 1834 an den Bischof wandte,
mit der Erklärung : der unentschiedene Zustand könne nicht mehr
länger dauern ; durch die Verweigerung der Weihen werde dem Staate
das Recht, die Professuren zu bestellen, beschränkt ; das könne die
Regierung nicht zugeben. Bischof Salzmann erklärte sich zu allem
bereit, was seinem bischöflichen Amte nicht widerspreche. Eine
kanonische Dimissionsakte müsse aber vom Ordinarius selbst aus-
gestellt sein ; Joh. Nepomuk Zürcher in St. Gallen aber besitze keine
Ördinariatsautorität. Später schickte er einen langen rechtfertigenden
Bericht über seine Handlungsweise. Mit bezug auf sein erstes Schreiben
! Original im St.-A. L. Fach IV B. — Im Großen Rat (19. Dez.) bestritt
Dr. Kas. Pfyffer dem Bischof das Recht, den Schülern Fuchsens die Weihen zu
verweigern. — Schweiz. Kirchenzeitung, Nr. 5ı f.; Luzerner Zeitung. — Vergl.
auch die scharfe Polemik zwischen « Eidgenosse » (Nr. 35, 1834) und « Be
Kirchenzeitung » (Nr. 22, 1834 ; Franz Geiger).
® 12. Jan. 1834, mit Beilage der Dimissorialien. — Der « Eidgenosse » redet
von einem «einfältigen » Brief des Bischofs an Kommissär Waldis, von den
«Spiegelfechtereien eines Salzmann », des «guten Männchens in Solothurn ».
— 16 —
an Fuchs bemerkte er darin: «Jeder andere Priester hätte die
warnende Stimme des Hirten befolgt und sich nicht wider den Willen
des Bischofs in eine Diözese eindringen wollen. ... » Der Papst habe
mit einem Breve vom 8. März 1834 die Weisung gegeben, Christoph
Fuchs von der theologischen Anstalt fernzuhalten, und wenn er doch
Vorlesungen hielte, allen Kandidaten den Besuch strengstens zu ver-
bieten. ! Der Staatsrat gab darauf die vertrauliche Erklärung ab:
«Wir halten dafür, daß ohne bestimmte Anklage, ohne Untersuch
und Verteidigung des Angeklagten selbst ein Papst kein solches Urteil
über jemand ergehen lassen dürfe. ... Wohin käme auch das Recht
der Personen und der Staaten, wenn so etwas angehen könnte ?
Wohin die Rechte und Pflichten der Bischöfe, wenn sie nach solchen
eigenwilligen Befehlen blindlings zu handeln hätten ? Ein solches
Verfahren müßte ... offenbar das Vertrauen von Priestern und Laien
gegen Bischof und Primat sehr schwächen. » Am Schlusse erklärte
der Staatsrat, sobald der Bischof Christoph Fuchs als Professor
anerkenne, werde die theologische Fakultät wieder eröffnet. ? Der
Bischof antwortete : er unterdrücke «aus Ehrfurcht gegen die höchste
Staatsbehörde » die Gegenbemerkungen, die er zu machen hätte. Der
Wunsch des Staatsrats werde rasch erfüllt, wenn Fuchs das tue, was
er dem Kommissär Waldis brieflich anerboten habe. Und als dann
Fuchs wirklich eine Unterwerfungserklärung ausstellte, schrieb Salz-
mann am 21. September 1834 an den Kleinen Rat : « Weil der hochw.
Hr. Christoph Fuchs ... meinem Wunsche entsprochen hat und durch
öffentliche Verwerfung dessen, was in der berüchtigten Predigt des
Hrn. Alois Fuchs von der heiligen Kirche verwerflich gefunden wurde,
seinen kirchlichen Sinn und Geist beurkundete : habe ich die Ehre,
Hochdenselben zu eröffnen, daß ich von nun an nichts ferner gegen
den hochw. Hrn. Christoph Fuchs einzuwenden habe, sondern ihn auch
18, ı7. Juli 1834. Original, mit der gedruckten Beilage : Damnatio et
prohibitio quorundam libellorum germanico idiomate editorum doctrinam ab
ecclesia reprobatam continentium. (17. Sept. 1833.)
%2 ı9. Aug.; Entwurf von Amrhyns Hand. — Der «Eidgenosse » (1834,
Nr. 35) schrieb über die Haltung des Bischofs: « Aus allem scheint folgendes
hervorzugehen : a) eine kombinierte, reagierende Abneigung gegen die politische
Regeneration des Vaterlandes ; b) eine üble Berechnung des eigentlichen status
rerum im allgemeinen, meist aus Unkunde und Eigensinn hervorgehend ; c) ein
Festhalten an veralteter Herkömmlichkeit, die nun ebenfalls suspendiert sein
muß; d) eine große Jalousie gegen die Idee des Staats; e) eine unzweideutige
Provokation des gesunden Menschenverstandes. ... »
zur Seelsorge admittieren werde. » — Damit war der Konflikt zugunsten
der kirchlichen Autorität beigelegt. Am ıı. Oktober konnten die
theologischen Vorlesungen wieder aufgenommen werden. !
Nach Widmer wurde auch Chorherr Melchior Kaufmann als Pro-
fessor der Dogmatik entlassen und für ihn Dr. Jos. Anton Fischer
von München berufen. Wessenberg und P. Girard hatten ihn
empfohlen. Fischer war ein Führer der deutschen Synodalbewegung,
ein eifriger Vertreter des religiösen Liberalismus. Nach kurzer Wirk-
samkeit in Luzern erregte sein Privatleben schweren Anstoß. Am
16. Januar 1835 gab er dem Erziehungsrat seine Demission ein und
zugleich die Legitimationspapiere für den Sohn seiner Haushälterin
und des königlichen Hoftänzers Kaspar Ecker. Am Tage vorher
schrieb Amrhyn dem Bischof : «E. Gn. werden durch den bischöflichen
Hrn. Kommissar bereits vernommen haben, welchen neuen Kummer
uns der von München her berufene Hr. Doktor Fischer, Professor der
Theologie, durch die plötzliche Erscheinung einer Weibsperson mit
einem vierjährigen Knaben — sie selbst in hochschwangerm Zustande
— mit welcher er eigene Haushaltung zu führen sich anschickte,
verursacht hat. Mit dieser Person — wie ich seither vernommen —
sol Hr. Dr. Fischer schon seit längerer Zeit in München selbst in
förmlichem Konkubinate gelebt haben und dies auch die Ursache
gewesen sein, warum er dortigen Ende[s] nicht in dem Maße von
der Regierung befördert wurde, wie es doch seine besitzenden Wis[s]en-
schaften und Gelehrsamkeit erwarten ließen. Währenddem ich in
Verbindung mit Ihrem Hrn. Kommissar für die Entfernung dieser
Weibsperson, nebst ihrem Kinde, im geheimen einzuwirken mich
bemühte und davon die Staatspolizei vertraulich in Kenntnis setzte,
sie ersuchte, meine Bemühungen nicht zu stören, fand diese — gegen
frühere Gewohnheit — ihre persönliche Rechnung dabei, in der Sache
mit geflissentlicher Kundbarmachung einzuschreiten und mir ab-
sichtlich vorzugreifen und ihren jetzigen Feuereifer für öffentliche
Sittlichkeit schonungslos zur Schau zu tragen. Wirklich bin ich —
infolge einer von den übrigen Professoren der Theologie, in Verbindung
mit dem Religionslehrer an der Höhern Zentral-Lehranstalt, Hrn. Pro-
fessor Tanner, an mich geschehenen Eröffnung — mit Hrn. Fischer
für seine gänzliche und förderliche Entfernung von der hiesigen Lehr-
! Gedruckte Erklärung Fuchsens vom 16. Sept. 1834 ; St.-A. L. Fach IV. B.
— Schweiz. Kirchenzeitung, Nr. 40, 42 ; Eidgenosse, Nr. 77.
— I —
anstalt in geheimer Unterhandlung. Ob mich auch darin wieder die
berechnete Lieblosigkeit meiner Kollegen stören werde, steht dahin. »!
Nachdem dann aber Fischer die polizeilichen Zeugnisse von München
vorgelegt hatte, erklärte der Erziehungsrat ihn am 16. Februar als
gerechtfertigt. Er lehrte über fünf Jahre weiter und gab die «All-
gemeine Kirchenzeitung für Deutschland und die Schweiz » heraus,
das Gegenstück zur romtreuen « Schweizerischen Kirchenzeitung » und
das Kampforgan der liberalen Geistlichkeit. ? — 1839 aber erhob der
Bischof — durch ein päpstliches Breve vom 26. Juli 1838 ermahnt —
gegen die Lehrtätigkeit und das Leben Fischers bei der Regierung
Klage. Der Erziehungsrat beauftragte die Schuldirektion mit der
Untersuchung, ebenso drei Professoren und die Polizei. Als Fischer
trotzdem seine Lehr- und Pastoraltätigkeit fortsetzte, beschloß der
Kleine Rat am 8. November, seine Fächer anders zu besetzen. Fischer
forderte 4800 Fr. Entschädigung, und der Große Rat ging endlich
darauf ein. Ende 1840 wanderte der Apostat nach Amerika aus. Am
27. September 1840 aber veröffentlichte er noch in der «Leipziger
Allgemeinen Zeitung » ein freches Sendschreiben an Bischof Salzmann,
da dieser ihm ein Sittenzeugnis verweigert hatte. Er bekannte darin,
daß er jahrelang in einer « Gewissensehe » gelebt habe, seine Kinder
anderswo erziehen lasse und sich zu einer «allgemeinen christlichen
Kirche » bekenne, die alle christlichen Konfessionen vereinigen werde. ?
Der Bischof, dem Fischer die Erklärung zusandte, bielt sie geheim.
Er schrieb Amrhyn : «Gott, dem Herrn, sei gedankt, daß dieser
! Am ı9. Jan. schrieb Amrhyn in ähnlichem Sinne an P. Girard in Freiburg.
— St.-A. L. Fach IV B.; Waldstätterbote, 1835, Nr. 14.
2 Sie erschien — nach ihrer Verlegung von München in die Schweiz — erst-
mals mit Nr. 27, 1835, in Luzern. Amrhyn empfahl sie am 6. Dez. 1836 dem
Schultheißen von Tavel in Bern, da sie einzugehen drohte. Er bezeichnete ihre
Unterstützung als «wesentliche Pflicht des Magistraten ». «Die Verbreitung
dieser Kirchenzeitung in den katholischen Gegenden des Kantons Bern, wo der
finstere, heimtückisch schleichende Ultramontanism[us] noch so tiefe Wurzeln
hat, dürfte nicht ohne heilsame Wirkungen für die Zukunft sein.» Tavel
antwortete (13. Dez.) : «Die Tendenz des Blattes nicht verkennend, werde ich
suchen, demselben Abonnierte zu verschaffen.» ... — F.-A. A. IV. D. 79. —
Ankündigung und Kritik in der Schweiz. Kirchenzeitung, Nr. 18, 1835.
® Hurter, S. 221 ff. ; Leipziger Allg. Zeitung, Nr. 323, 1840 ; Schweiz. Kirchei-
zeitung, Nr. 49, 1840. — Amrlıyn bezweifelte die Echtheit dieser « schamlosen
Erklärung ». Es ärgerte ihn, daß die « Kirchenzeitung » sie abgedruckt hatte:
er redete von « pharisäischer Religionsheuchelei » (7. Dez. 1840 an den Bischof).
— Schweiz. Kirchenzeitung, 1839, Nr. 42, 45, 46 ; 1840, Nr. 21, 49, 52 (Erklärung
Fischers gegenüber dem Bischof).
— 119 —
ungeistliche Priester fort ist, und möge Gottes allerbarmende Gnade
ihn zur Erkenntnis seines ungeheuren Irrtums führen !»!
Mit dem Konflikt wegen der Berufung von Christoph Fuchs fiel
die Absetzung des Pfarrers Anton Huber in Ufikon zusammen. ? Am
letzten Sonntag im November 1833 hatte dieser in der Predigt vor
der Lektüre religionsfeindlicher Schriften gewarnt und die päpstliche
Bulle vom 17. September 1833, die u. a. die Predigt von Prof. Alois
Fuchs verurteilte, aus der «Schweiz. Kirchenzeitung » (Nr. 46, 1833)
vorgelesen. Deswegen wurde er beschuldigt, die in der Praxis gegen-
über kirchlichen Erlassen beanspruchte Erteilung der « landesherrlichen
Bewilligung » umgangen zu haben. Er wurde vor den Amtsstatthalter
von Willisau, dann vor die Justiz- und Polizeikommission und schließlich
am 8. Januar 1834 vor den Kleinen Rat zitiert. Am gleichen Tage
beschloß der Rat, trotz der Berufung Hubers auf die kirchlichen und
staatlichen Gesetze, der Pfarrer habe sich «einer höchst ahndungs-
würdigen Außerachtsetzung seiner Stellung und seiner Pflichten gegen
die Regierung schuldig gemacht » und sei deshalb seiner Pfründe
verlustig erklärt. Er schrieb die Pfarrstelle sofort aus und setzte die
Neuwahl an. Pfarrer Huber, welchem Kommissär Waldis erklärt
hatte, er könne ihm die geistliche Jurisdiktion nicht entziehen, kehrte
in seine Pfarrei zurück, berief aber als Stellvertreter einen Kapuziner.
Dann wandte er sich an den Bischof. Dieser erklärte am ıı. Januar
dem Kleinen Rate: «... Da laut allgemeinem Kirchenrecht und allen
auf solches gegründeten Satzungen sämtlicher katholischer Diözesen
die Sentenz förmlicher Deposition eines kanonisch eingesetzten Pfarrers
dem Bischof zukömmt und der Bischof für die Aufrechthaltung der
kirchlichen Vorschriften einen heiligen Eid abgelegt hat, so erkläre
ich vor Gott dem Allmächtigen im Namen Jesu Christi, daß ich mich
gegen den vorgegangenen Depositionsakt feierlich verwahrt haben will,
I 9. Dez. 1840.
2 St.-A. L. Fach 9: Kirchenwesen ; Verwaltung der Disziplin. — Schweiz.
Kirchenzeitung, 1834, Nr. 2 ff.; ebenso Eidgenosse, Luzerner Zeitung, Wald-
stätterbote. — Henne, S. 85 ff., 112 fl.; Siegwart-Müller, Der Kampf zwischen
Recht und Gewalt, S. 165 fi. ; Hurter, S. 421 fi. ; Kas. Pfyffer, II, 498 fi. — Hurter
shreibt, er habe von Huber bei einem Besuche den Eindruck «eines stillen,
bescheidenen, anspruchslosen, dabei ... charakterfesten Mannes» erhalten
S. 431). — Schultheiß Schwytzer an Kanzler am Rhyn, 10. Jan. 1834: « ... Seit
dem Udligenschwyler-Handel hat sich die Regierung einen solchen Gewaltstreich
aicht erlaubt. » — Der « Eidgenosse » (1834, Nr. 29 ff.) frischte tatsächlich den
Udligenswilerhandel als vorbildlichen Fall wieder auf.
— I20 —
die Pfarrei Uffikon nicht als erledigt betrachte, sondern den Herm
Anton Huber als ihren rechtmäßigen Pfarrer anerkenne, weswegen
auch keinem andern Priester die kanonische Institution für besagte
Pfarrei von mir erteilt werden könnte. Übrigens stehen dem Bischof
nur Bitten und Tränen zu Gebot, und wiewohl er durch Amt und
Eid verpflichtet war, gegenwärtige Erklärung zu tun, erkennet und
verehrt er dennoch immerdar in Hochdenselben eine von Gott gesetzte
Obrigkeit. ... »1 Gleichzeitig richtete der Bischof an Schultheiß
Amrhyn die dringende Bitte um Schutz für sich und die katholische
Kirche. Er schrieb: «Unter häufigen Tränen nehme ich meine
Zuflucht zu Ihro Exc. Hochdieselben wissen, daB ich nur aus
Gehorsam den Bischofsstab annahm und mir alle mögliche Mühe gab,
in den schrecklichen Zeitwirren Ruhe, Friede und Einigkeit im geliebten
Vaterland zu erhalten und zu bewahren ; was und wieviel ich litt, weiß
Gott der Herr. Daß aber die Würde des allgemeinen Kirchenoberhauptes
in den Tagesblättern ungeahndet angegriffen werden darf, gegen alle
kirchliche[n] Institutionen offene Fehde losbricht, ein Mann, dessen
Grundsätze offen damniert vor uns liegen, zum Professor der katho-
lischen Theologie erhoben werden will und ein kanonisch eingesetzter
Pfarrer ohne alles kirchliche Urteil abgesetzt wird : dieses bricht mir
vollends das Herz. »
Trotz der Einsprache des Bischofs wurde Huber am 18. Januar
unter dem Widerstand seiner Pfarrkinder im Auftrag des Kleinen
Rates verhaftet und im Franziskanerkloster zu Luzern in Arrest
gesetzt. Den Gemeindeabgeordneten, die eine Bittschrift überbrachten,
erklärte der Rat sein Mißfallen und gab Auftrag zu gerichtlicher
Verfolgung. ® In den kirchlich gesinnten Kreisen wuchs die Aufregung
über das schroffe Vorgehen. Schultheiß Schwytzer schrieb deswegen:
! Am 9. Febr. 1834 bestätigte er diesen Protest (St.-A. L.).. — Amrhyn
an seinen Sohn, 4. Februar: «... Der Bischof scheint es wegen Pfarrer Huber
aufs äußerste ankommen lassen zu wollen. ... Mich wundert, welches Ende
das Geschäft nehmen wird und wie unsere Feuerhelden, denen bei der Sache
unwohl zu werden es anfängt, sich dabei benehmen werden. » — Der « Eidgenosse »
(Nr. 5 f., 1834) meinte, die Regierung solle den Protest des Bischofs zurück-
schicken und ihm eventuell die Temporalien sperren, mit der Begründung : «Es
handelt sich um eine Lebensfrage, und es muß sich entscheiden, wer in dieser
Sphäre zu gebieten hat. >»
® Akten im St.-A. L. — Schweiz. Kirchenzeitung, 1834, Nr. 4 fl. (Prozeß-
akten), 10 (Vorstellungsschrift von 251 Pfarrgenossen), ıı, ı5 (Gerichtsverhand-
lung), ı6 (Schreiben Hubers an den Großen Rat, ı3. April), ı7 ff. (Großrats
verhandlung vom 19. April), 18 (Der Bischof an die Regierung, ıı. Januar).
—- II —
Stellung gegen den Bischof gesetzt, die unhaltbar ist, wofern nicht
offen mit diesem gebrochen werden will. ... Einer von beiden Teilen
muß weichen ; keiner tut es gerne. Wie das enden wird, ist nicht
vorauszusehen. » 1
(Fortsetzung folgt.)
moment. Prenons bien garde de ne point mettre des
opter de principes
au-dessus de la conception de nos Peuples. » — 22. Jan. ı8 34.; F.-AA. IV.D. 63.
Die Reform im Kloster St. Gallen.
Von Dr. J. Ar. SCHEIWILER.
(Fortsetzung.)
3. Abt Joachim und die Reform.
Abt Joachim Opser zählt zu den bedeutenderen Gestalten der
st. gallischen Klostergeschichte. Seeleneifer und Liebe zur Wissenschaft
zeichneten ihn aus. Er war ein hervorragender Prediger und tüchtiger
Theologe. ! Sein ganzes Leben stand im Zeichen der Reform. Der
überaus anziehende und aufschlußreiche Briefwechsel des jungen Opser
von Paris nach St. Gallen offenbart ein ebenso eifriges, wahrhaft
monastisches Tugendstreben, wie einen wissenschaftlich hochgerichteten
Sinn. Die Predigten des Heimgekehrten, den Abt Othmar sofort,
trotzdem Joachim erst 27 Jahre zählte, zum Dekan erhob, sind
wichtige und schöne Dokumente der damaligen geistlichen Bered-
samkeit.
Als Abt Othmar am 27. Januar 1577 im Alter von erst 49 Jahren
starb, folgte ihm schon zwei Tage später der jugendliche Dekan als
Fürstabt. Welches Regierungsprogramm dem jungen Abt vorschwebte,
zeigt ein von ihm hinterlassenes Büchlein, das voll Weisheit, Tiefe
und Salbung die Ideale des geistlichen, zumal des monastischen Lebens,
1 Scheiwiler, Fürstabt Joachim von St. Gallen, Zeitschr. f. Schweiz. Kirchen-
geschichte XII, S. 43-57, 132-156. Vgl. J. Müller, Karl Borromeo und das Stift
St. Gallen, S. 45, Anm. 2.
Es ist bezeichnend für den vom Tridentinischen Geist noch weit abstehenden
Geist der damaligen Klöster, daß nach Abt Othmars Tode die Konventualen
dem neuen Abt eine Wahlkapitulation aufnötigten, was kirchenrechtlich verboten
war. Wer bei der Wahl zugegen war, dem mußte der Abt jährlich ein Geschenk
geben, und zwar einem Priester ı5 Gl., einem Diakon und Subdiakon 8 Gl., « item
jährlich 2 Par Hosen und 2 Hembden », St.-A. Bd. 306, S. 319. Beim späteren
Kampf gegen Joachim (Sommer 1590) kamen die Konventualen ausdrücklich
auf diese Kapitulation zurück und der Abt versprach aufs neue, ihrem ungestümen
Drängen nachgebend, dieselbe zu beobachten. Schöne Züge Joachims und seiner
psychologisch feinen Art in Behandlung der von Berufszweifeln Gequälten und
insbesondere des nach Zürich entwichenen Ittinger Kartäuserss P. Thomas
Heimhofer, den er durch Gebet und ergreifende Briefe wieder zurückbrachte,
siehe diese Zeitschrift XII, S. 146 ft.
sowie die Pflichten des Klostervorstehers gegen seine Untergebenen
darlegt.! Das herrliche Büchlein erinnert vielfach an die « Imitatio
Christi », und ist ein kräftiger Beweis dafür, daß Joachim vom besten
Reformwillen beseelt war. Die kleine Schrift enthält in aphoristischer
Art geistvolle Ratschläge für das religiöse Leben, vermischt mit tief-
empfundenen, flammenden Gebeten.
« Die klösterliche Zelle ist eine Stätte himmlischer Lehren. Cellae
et coeli habitatio cognatae. Cella quies mentis, fuga rixae paxque
studentis. Viderint alii, quid sentiant, mihi oppidum carcer est et
solitudo paradisus. » Und nun sein Regierungsprogramm ! «Curam
agam animarum mihi commissarum omni tempore sollicitam nihilque
eorum negligam, quae ad salutem eis videntur. Non sim contemptor
sanctae communitatis. Dispensatorem me rerum monasterii agnoscam
non Dominum. Non me propterea in altum extollam, quum rector
aliorum positus sum, sed meminerim, mihi tanto metuendum amplius.
Superbos, rebelles, contumaces quasi Dominus corrigam, humiles,
obedientes, benigne foveam. Matrem me et nutricem monachorum
semper existimem. Infirmorum curam geram sedulam. »
Man kann in der Regierungszeit Abt Joachims drei Perioden
unterscheiden : die erste, in welcher der päpstliche Nuntius Ninguarda
nach St. Gallen kam und mit allem Eifer die Wahl unseres Abtes zum
Weihbischof von Chur betrieb ; die zweite, in welcher der Nuntius
Bonhomini mit Joachim zu tun hatte; die dritte, wo zwischen Abt
und Konvent Mißhelligkeiten ausbrachen und wo der Nuntius Para-
vicini eingegriffen hat.
Mit dem Nuntius Ninguarda stand Joachim sehr gut. Die Ver-
handlungen, die Ninguarda wegen der Churer Bischofswahl zwischen
Rom und St. Gallen führte, zeigen, welch großes Ansehen der
st. gallische Abt beim Nuntius wie beim Apostolischen Stuhl genoß. ?
Schwieriger gestaltete sich das Verhältnis unter Ninguardas Nach-
folger, Bonhomini. ® Der neue Nuntius schreibt am 18. August 1579
von Zug aus an Abt Joachim, dieser möchte ihm Mitteilung machen
über die Äbtissin von Tänikon (Thurgau), wo der Nuntius Ninguarda
IR. D. Joachimi Abbatis S. Galli liber Exercitiorum spiritualium ob im-
maturam auctoris mortem imperfectus ab co relictus ex ipso prototypo descriptus
anno 1601, Stiftsbibliothek, 1194.
®2 Fürstabt Joachim, Zeitschr. f. Schweiz. Kirchengesch. XII, S. 153-156.
® Über Ninguarda, s. Mayer, Das Konzil von Trient I, S. 209 fi.; über
Bonhomini, a. a. O. S. 224 ff. ; über Paravicini, a. a. O. S. 309 fl.
im Vereine mit Joachim kürzlich eine Visitation vorgenommen und
sehr mißliche Zustände angetroffen hatte. ! «Ich lege», so führt der
Brief weiter, «auf Euer Urteil sehr viel Gewicht, nicht bloß betreffend
die Reform dieses genannten Klosters, sondern auch in allen übrigen
Angelegenheiten meines Amtes, da ich über Eure Tugenden die besten
Zeugnisse erhalten habe. »
«Was nun das Kloster St. Gallen betrifft, so könnte mir dasselbe
wohl eher zum Vorbild für die anderen dienen, als daß ich in ihm
etwas der Verbesserung bedürftig fände. Aber bisweilen vermögen
auch eifrige Vorgesetzte mit ihrer gewöhnlichen Auktorität nicht alles
durchzuführen, vielleicht steht es auch so in Euren vielen Pfarreien,
deswegen biete ich Euch bereitwillig alle meine Dienste an. » ?
Abt Joachim weilte eben zur Kur im Rietbad (Toggenburg),
wohin ihm von St. Gallen der Brief Bonhominis zugeschickt wurde. ®
Der Fürstabt zeigte sich bestürzt und schrieb sofort, am 24. August
1579, zwei Briefe, den einen an Nuntius Ninguarda in Konstanz, den
andern nach St. Gallen. In letzterem bemerkt er, den Bischof von
Vercelli (Bonhomini) könne er nicht als Visitator anerkennen, da
Ninguarda der Nuntius für die Schweiz * sei. An Ninguarda schreibt
Joachim, er wolle die Visitation durch Bonhomini nicht, zwar nicht
etwa wegen eines bösen Gewissens oder wegen mangelhafter klösterlicher
Ordnung, sondern weil eben Ninguarda der vom Papst verordnete
Nuntius sei. Der Bischof von Vercelli könnte auch ungeschickt vor-
gehen. Er erwarte nur den Rat Ninguardas und werde diesem folgen. °
Auf den obigen Brief Bonhominis gab Joachim diesem unterm
24. August 1579 eine nicht besonders freundliche Antwort:
Bezüglich des Kloster Tänikon war mein Anteil an der Visitation
nur gering. Der Schultheiß Pfyffer ist hier besser informiert. Die
Schweizer sind dort Herren. «Was mein Kloster anbetrifft, sind viele
meiner Untertanen Häretiker, besonders gibt es in meiner Landschaft
Toggenburg, wo ich gegenwärtig weile, viele Prädikanten. Der ordent-
liche Nuntius kennt mich und mein Kloster. Wollen Euer Gnaden
recht behutsam sein, damit nicht gegen mein Kloster, das sich jetzt
großer Ruhe erfreut, oder gegen die katholische Religion, welche mit
1 Steffens und Reinhardt, a. a. O. Nr. 331.
3 St. u. R. Nr. 399.
3 St.-A. Rubr. 38, Fasz. 5.
° St.-A. Rubr. 38, Fasz. 5.
5 St.-A. Bd. 306, S. 425.
mir viele gute Männer im stillen beschützt haben, ein Aufruhr entstehe,
denn wir sind nicht in Italien und auch nicht in den fünf Kantonen.
Ich habe in meinem Gebiet noch etwa zwanzig Konkubinarier unter
den Geistlichen, die andern, deren Zahl groß war, habe ich vertrieben ;
auch die noch vorhandenen werde ich verjagen, sobald mir andere
Priester zur Verfügung stehen. Auch der Bischof von Scala (Ninguarda)
hat mir hiezu seine ganze Hilfe versprochen. Übrigens gibt es hier,
außer dem meinigen, wenige Klöster, und diese unterstehen in den
weltlichen Dingen fast ausschließlich den Schweizern. Das meinige
ist den großen Kosten, die ihm besonders durch Gäste verursacht
werden, fast nicht gewachsen. Joachim, Abt, Vasall des Reiches. » !
Während dieser Brief auf dem Wege war, erhielt Joachim das
Antwortschreiben von Ninguarda und sandte nun sofort den folgenden,
in mehrfacher Hinsicht höchst interessanten Brief am 28. August 1579
nach St. Gallen ?: «Von Ninguarda vernehme ich, daß Bonhomini
wirklich rechtmäßiger Nuntius sei, daher habe ich meine Auffassung
vollkommen geändert und nehme ihn gern als Visitator auf. Ich hoffe,
sein Kommen werde der katholischen Sache zum großen Nutzen sein.
Der Nuntius möge bis zu meiner Ankunft nichts machen, wenn möglich.
Empfanget ihn als einen mir angenehmen Gast. Wenn er visitieren
will, zeige er sein Vollmachtsschreiben, damit meine Privilegien nicht
verletzt werden. Ich fürchte, das Kloster, das sich bis anhin eines
tadellosen Rufes erfreute, könnte Schaden leiden. Denn ich weiß, daß
das Volk Priester und Mönche wenig liebt. Meine Toggenburger,
Katholiken und Neugläubigen sind bereits in Aufregung ; sie boten
mir sogar Waffen an; sie wünschen keine Visitation ; doch der
Gehorsam gegen den Papst ist mir höher und wichtiger. Mündlich
mehr. Sage dem Dekan, er möge den Konvent ermahnen, daB keiner
haretische Bücher in seiner Zelle behalte, sondern sie unverzüglich in
die Bibliothek bringe. Sie sollen auch überlegen, was sie bezüglich
des Geldes, das sie zu eigen haben und anderer Gegenstände ?, dem Visitator
I St.u. R. Nr. 395. Wohl nicht ohne bestimmte Absicht unterschrieb sich
Joachim « Vasall des Reiches». Der Kardinal Hohenems, Bischof von Konstanz,
hatte an den Kardinal von Como zu Handen des Nuntius in der Schweiz die
Warnung geschrieben, im Vorgehen gegen die Äbte dieser Gegenden, die reichs-
unmittelbar sind, vorsichtig zu sein, sonst könnten sie sich gemeinsam gegen
den Visitator auflehnen. St. u. R. S. sıs, Nr. 415.
8 St.-A. Rubr. 38, Fasz. s.
® Diese zwei Mahnungen lassen darauf schließen, daß Joachim doch nicht
alles dem scharfen Auge des Visitators offenbaren möchte. Man sieht hier auch,
— 126 —
sagen wollen. Ich habe dem Nuntius ziemlich scharf geschrieben.
Du wirst mich deshalb entschuldigen und auf eine Antwort von mir
verweisen. »
Das mit den letzten Worten angedeutete Entschuldigungsschreiben
schickte Joachim schon am 30. August noch von Rietbad aus an
Bonhomini, zugleich auch als Antwort auf dessen gereizten Brief vom
27. August 1579 aus Wislikon (bei Zurzach), welcher folgendermaßen
gelautet hatte: ! «Ich hatte gehofft, daß der Abt von St. Gallen, von
dessen frommen Seeleneifer und größter Ergebenheit gegen den
Apostolischen Stuhl ich mir das Höchste versprochen hatte, mit
wahrer Freude meine Hilfe annehmen werde. » Die wenig würdige
Antwort des Abtes hat ihm diese Illusion genommen. DBetreflend
Tänikon verzichtete er auf die Hilfe des Abtes in der Visitation dieses
Klosters. Weniger geduldig vermag er die Mahnung hinzunehmen,
Vorsicht zu üben, «da wir nicht in Italien sind ». Er weiß nicht, was
er dazu und zu dem kalten Briefe des Abtes überhaupt sagen soll.
«Hätte Papst Gregor XIII. vielleicht einen so unvorsichtigen und
unklugen Mann nach Deutschland geschickt, der das Kloster St. Gallen
umstürzen und gegen die katholische Religion Aufruhr erregen würde!»
Der Abt möge die angebotene Hilfe nicht zurückweisen, sonst könnte
ihn die Strafe treffen, daß ihm im Notfalle nicht einmal Hilfe zuteil
würde.
Joachim also entschuldigt sich in seinem Briefe vom 30. August
an den Nuntius, dessen Schreiben er eben an diesem Tage um ıo Uhr
erhalten habe: Wegen sehr schwacher Gesundheit könne er beinahe
nicht schreiben ; es sei ihm ein tiefer Schmerz, den Nuntius erzümt
zu haben ; wie gut er gesinnt sei gegen den Papst, dafür rufe er Gott
zum Zeugen an, auch der Nuntius Ninguarda könne das bestätigen ;
mit höchster Freude nehme er den Visitator auf und werde vor ihm
nichts verbergen ; über sein vergangenes Leben scheue er keine
Rechenschaft. ?
Inzwischen hatte sich Bonhomini am 29. August durch die
Vermittlung des hl. Karl Borromäus direkt an Papst Gregor XII.
daß die Mönche das Armutsgelübde nicht beobachteten, wenigstens nicht in
seiner vollen Strenge. Die Sucht nach häretischen Büchern war damals stark
verbreitet, daher auch das strenge Vorgehen der Kirche gegen solche Druck-
Erzeugnisse.
1 St. u. R. Nr. 399.
2 St.-A. Rubr. 38, Fasz. 5.
— 127 —
gewandt, und dieser erließ am I4. Oktober 1579 sogar ein Breve an
Abt Joachim, worin es heißt, wie wünschenswert es für den Abt sein
müsse, sich mit dem so erfahrenen und tüchtigen Nuntius zu beraten.
Der fromme Abt werde den Besuch gewiß zu schätzen wissen. !
Das Breve wurde dann aber vom Nuntius zurückbehalten, da
sich inzwischen die Differenzen gehoben hatten. * Zwar schrieb
Bonhomini am I. September von Konstanz aus nochmals einen sehr
scharfen Brief an den Abt von St. Gallen, worin er dessen Ent-
schuldigungen als lächerlich und schwächlich hinstellt. ® Da aber legt
sich Ninguarda, der mit Bonhomini in Konstanz weilte, ins Mittel,
wie er dem Abte am 2. September schreibt. Er rühmte den St. Galler
Abt beim neuen Nuntius in hohem Maße und brachte als Entschul-
digungsgrund für dessen anfängliche Haltung vor, der Abt habe es
vielleicht empfunden, daß Bonhomini in der Churer Bischofsangelegen-
heit von Joachim abgegangen * sei. Bonhomini sei nun beruhigt ;
auch habe ihn ein letzter Brief des Abtes gefreut und günstig gestimmt.
Dieser möge daher seine bisherige große Liebe gegen Ninguarda auf
den neuen Nuntius übertragen, der alle Klöster der Schweiz zu
visitieren habe, während Ninguarda weiter ziehe. °
Nun stand dem Kommen des Visitators kein Hindernis mehr
entgegen. Am Io. September 1579 erschien Bonhomini in St. Gallen
und vollzog seinen feierlichen Einzug. Weil aber der Abt zum Kur-
gebrauch noch immer abwesend war und durch ein Bittschreiben
I St.u. R. Nr. 403.
2 St.u. R. Nr. 521.
3 St.-A. Rubr. 38, Fasz. 5.
* Ninguarda hatte mit großem Eifer die Wahl Abt Joachims zum Weih-
bischof von Chur betrieben, sodaß Papst Gregor XIII. im Konsistorium vom
30. Januar ı579 in einem für Joachim sehr ehrenvollen Aktenstück diesen zum
Weihbischof mit dem Rechte der Nachfolge ernannte. Dabei hatte der Papst,
den Weigerungen Joachims gegenüber, den Ausspruch getan : pereat monasterium,
Noreat episcopatus. S. Zeitschr. f. Schweiz. Kirchengesch. XII. S. 155. St. A.,
Stipplin, Collectanea, Bd. 193, S. 613 u. 614. Über die Koadjutorie von Chur,
gegen welche Schwyz und namentlich Luzern aufs heftigste ankämpften und
gegen die dann auch Bonhomini, wohl von Schultheiß Pfyffer beeinflußt, ent-
schieden Stellung nahm, siehe R. u. St. an manchen Stellen, besonders Nr. 357.
Vielleicht war Joachim im Innersten für Annahme des Churer Bischofsitzes, aber
wegen der Opposition von verschiedenen Seiten doch eingeschüchtert. Ob die
Stellungnahme Bonhominis gegen das von Ninguarda so lebhaft betriebene Projekt
einen Grund zur Spannung zwischen Joachim und diesem Nuntius legte, läßt
sich aus unsern Quellen nicht herauslesen.
5 St.-A. Rubr. 38, Fasz. 5.
— 12183 —
um Aufschub der Visitation ersucht hatte !, begann der Nuntius zwar
dieselbe, beendigte sie aber noch nicht.
Am 12. September 1579 ist Bonhomini in Wil und schreibt von
dort an Carlo Borromeo : «Der Abt von St. Gallen ist diesen Abend
angekommen, während ich draußen zur Visitation war ; er hat sich
noch nicht gezeigt, unter dem Vorwand, daß er vom Reiten sehr müde
sei. Ich glaube aber, er verberge sich aus Scham wegen seinen und
meinen Briefen. Immerhin habe ich nun schon einen großen Teil
seines Gebietes visitiert ; die Visitation des Klosters ist begonnen,
aber noch nicht vollendet. » ®
Von einer Visitationsreise im Thurgau kam Bonhomini am 25. oder
26. November 1579 neuerdings nach St. Gallen, um die daselbst
begonnene, aber wegen der Abwesenheit des Abtes unterbrochene
Visitation durchzuführen, die nun, dank der Güte und Freundlichkeit
des Abtes, glücklich vorgenommen wurde. Nach einem ersten Auf-
enthalt daselbst geht der Nuntius nach Appenzell, dieser «vera
catholicorum cella », wo seit 100 Jahren kein Bischof mehr erschienen
war, und wo der Nuntius die besten Eindrücke empfing. Auf Samstag,
den 28. November, kehrte er nach St. Gallen zurück, um an diesem
Tage dort im Stifte eine feierliche Versammlung der Geistlichen, eine
Art Synode zu halten. Tags darauf, Sonntag, den 29. November, ist
er wiederum in Appenzell. Am ı. Dezember finden wir ihn zu Wil,
wo eine zweite Versammlung der st. gallischen Geistlichkeit stattfand. ?
Über das, was der päpstliche Nuntius im Kloster St. Gallen
Tadelnswertes fand und wofür er Reformen verlangte, sind wir nicht
direkt durch einen der sonst bei Visitationen üblichen Rezesse, wohl
aber durch verschiedene Briefe Bonhominis an Abt Joachim unter-
richtet.
Von besonderer Wichtigkeit ist hier das umfangreiche Schreiben,
welches der Nuntius bereits am 3. Dezember 1579, also unter dem
frischen Eindruck der kurz vorher abgeschlossenen Visitation, von
I St.u. R. Nr. 410.
®? St. u. R. Nr. 432.
8 St.u.R.Nr. 5sıo. Vgl. Anmerk. 5, S. 661. Über den Empfang in Appenzell,
s. Nr. sı2. Es scheint, daß der Nuntius durch die äußeren Eindrücke in Appenzell
sich zu sehr einnehmen ließ, wie seine Visitationen überhaupt in allzu großer Eile
vorgenommen wurden und darum nicht immer ganz zuverlässig waren. St. u. R.
Nr. 432. Die Decreta et Constitutiones Nuntii sacerdotibus et clericis in territorio
S. Galli constitutis, s. St.-A. Rubr. ı3. Fasz. ı8. Sie sind mitgeteilt in Zeitschrift
f. Schweiz. Kirchengesch. XII, S. 141-144.
Tänikon aus, an den st. gallischen Abt gerichtet hat. Zwei Punkte
werden in diesem Schreiben einer scharfen und einläßlichen Kritik
unterzogen, nämlich der zu freie Eintritt von Frauen im Kloster und
die Zulassung von Mönchen zu Profeß und Weihen vor dem kanonisch
zulässigen Alter.
Über den ersten Punkt lesen wir folgendes : Was wir schon beim
Eintritt ins Kloster St. Gallen mündlich berührt haben, glaubte ich
hier auch schriftlich festlegen zu müssen, damit in einer Sache von
solcher Wichtigkeit, worüber die Päpste Pius V. und Gregor XIII.
die Euch bereits übergebenen scharfen Konstitutionen erlassen haben,
ganz deutlich feststehe, was zu tun und zu lassen sei. In erster Linie
also erklären wir nach dem Wortlaut der päpstlichen Konstitution,
daß keine Frauen in die Klausur des Klosters (in monasterii claustrum,
quod ecclesiae ipsi coniunctum est), die an die Kirche direkt anstoßt,
eintreten, noch auch über jene engen und dunkeln Stiegen, über welche
die Mönche täglich zum Gottesdienst in die Kirche hinabgehen, auf-
oder abgehen dürfen. Deshalb sollen die Türen zur Klosterklausur
wie zu den Stiegen so mit einem angehängten Gewicht versehen
werden, daß sie nach Öffnung sich von selbst wieder schließen. Den
Schlüssel zur Stiegentüre sollen alle Mönche immer bei sich haben,
den Schlüssel zur Klosterklausur nur jene, die der Dekan hiefür
bezeichnet.
Da es aber zu schwierig wäre, vornehme Frauen, die mit ihren
Männern die Gastfreundschaft des Klosters in Anspruch nehmen,
abzuweisen, ja, da ein solches Vorgehen den Unwillen der Herren
Eidgenossen erwecken und dadurch Gefahren für das Kloster verur-
sachen könnte, so gestatten wir, vermöge einer besondern päpstlichen
Vollmacht, daß solche Frauen in die Gastwohnungen (in hospitum
domicilia) aufgenommen werden, und daß die Klostermägde sie
bedienen dürfen ; zugleich verbieten wir aber diesen Mägden jeden
sonstigen Eintritt in die genannten Gastwohnungen (in dictas hospi-
tales domos) nach dem 20. Tag dieses Monats Dezember, und zwar
unter den in der päpstlichen Konstitution für Eintretende wie den
Eintritt, Gestattende festgesetzten sofort zu inkurrierenden Strafen.
Da für die Mägde aber gegenwärtig keine andere passende Wohn-
gelegenheit besteht, als die bei der kleinen Pforte neben der Kusterei
(quae ad parvulam custodiae portam jacet), so gestatten wir ihnen,
jedoch nur nach Anbringung eines festen hölzernen Gitterabschlusses,
der die Türe des Gasthauses abschließe (cancellis ligneis, qui dictae
REVUR D'HISTOIREB ECCLESIASTIQUE 9
— 1370 —
domus januam excludant, constructis), innert diesen Abschluß hinein-
zugehen, aber wie bereits erwähnt, nur zum Dienste genannter Frauen:
Doch auch diese Lizenz soll sich nur auf 8 oder höchstens Io Monate
erstrecken, bis der Abt, was er bereits mit kluger Bereitwilligkeit
versprochen, passendere Gastgemächer außerhalb der Klausur errichtet
hat. !
Was dann die Klostergebäude in Wil und Rorschach betrifft,
ist mir nicht klar, ob sie Klöster genannt werden müssen ; doch scheint
mir auch dort das Eintreten oder Wohnen von Frauen verboten zu
sein, ich will aber im Vertrauen auf den Abt hierüber noch nichts
entscheiden, sondern erst die Antwort von Rom abwarten.
Bezüglich des Alters der Profeß- und Weihekandidaten enthält
der Nuntiusbrief folgendes: Ich wollte zuerst, gestützt auf das
‚2 Quod tamen eousque tantum licere volumus, nempe octo vel ad summum
decem mensium spatio quoad Reverentia Vestra, quod jam pie prudenterque
statuit, sedulo exequatur atque hospitalibus iis domibus concessis relictis (nach
Räumung der für den kurzen Termin noch zugestandenen Gastwohnungen), alia
pro hospitibus recipiendis extra claustrum parentur commodiora hospitia.
Joachim ist nie dazu gekommen, das hier von Bonhomini geforderte Frauen-
gasthaus zu bauen, und er entschuldigte sich mit der finanziellen Unmöglichkeit
eines solchen Baues. Das in dieser Zeitschr. XII, S. 148, Gesagte, ist hierin zu
korrigieren. Doch gab sich Joachim Mühe, im Rahmen der bestehenden Raum-
verhältnisse die Klausur durchzuführen. Wir können uns uicht so leicht ein Bild
davon machen, wie die « Verriegelung » des Klosters und der «dunklen Stiegen »
ausgesehen hat und wie weit damit eine wirkliche Klausur geschaffen wurde.
Dafür müßten wir eine genauere topographische Kenntnis der Klostergebäude
aus damaliger Zeit besitzen. Hardegger, Die alte Stiftskirche und die ehemaligen
Klostergebäude in St. Gallen, gibt S. 61-64 eine Beschreibung und zwischen
S. 56-57 einen Situationsplan ; doch kann man auch hieraus keine völlige Klarheit
gewinnen. Jedenfalls ist die Bezeichnung « Frauenhaus » auf dem Situationsplan
von anno 1570 nicht zutrefiend. Ob und wann Abt Bernard ein solches erstellt
hat, können wir mit Sicherheit nicht sagen. Wir sind aber mit Müller, « Karl
Borromeo », S. 40, der Ansicht, daß in der ganzen Angelegenheit eine verschiedene
Auffassung über die unter die Klausur fallenden Gebäulichkeiten obwaltete. Was
Bonhomini vorläufig verlangt hatte und was darum wohl das Wesentliche der
Klausur bedeutete, eben jene « Verriegelung » des eigentlichen Klosters und der
«dunklen Stiegen » und die damit verbundene Fernhaltung der Frauen, scheint
Joachim durchgeführt zu haben, wie die erbitterten Klagen widerspenstiger
Mönche im Jahre 1590 (s. unten) über « karthusische » Strenge, neue Klausuren
und « Verriegelung der Kirche » wohl deutlich zeigen. Bis zum Jahre 1590 stand
auch unser Abt beim Papst und bei der römischen Kurie in ungeschmälertem
Ansehen. Vom Jahre 1590 an scheinen dagegen dem schwer kranken Abt die
Zügel mehr und mehr entglitten zu sein, so daß eine zweimalige Intervention
von Seiten der Kurie (wegen der rebellischen Konventualen und des Glasers
Seybrand) notwendig wurde, was naturgemäß zu einem Umschlag der Stimmung
führte.
— 1311 —
Zeugnis des Abtes, die Berichte meines Sekretärs über zu frühe
Zulassung von Kandidaten auf sich beruhen lassen, da ich aber vom
gleichen Sekretär vernahm, einer der von ihm Gefragten habe immer
und immer wieder beharrlich versichert, er sei erst ıg Jahre alt und
bereits Subdiakon, und ein anderer in Wil, Gehilfe des Statthalters,
habe vor dem gesetzlichen Alter die Priesterweihe empfangen, so gebe
ich dem Abt die Fakultät, sie von der Suspension und Irregularität
zu absolvieren, jedoch mit Auflegung der folgenden Buße : 4 Monate
lang haben sie jeden Freitag bei Wasser und Brot zu fasten und
während der gleichen Zeit jede Woche den Marianischen Rosenkranz
zu verrichten.
Jene aber, die nach Schluß des Trienter Konzils nun vor voll-
endetem 21. Jahr Profeß getan haben, müssen diese nochmals ablegen,
da zufolge des Tridentinischen Dekretes eine solche Profeß null und
nichtig ist. !
Wie sehr dem Nuntius die st. gallische Angelegenheit, besonders
bezüglich des oben berührten ersten Punktes am Herzen lag, zeigt
ein weiterer Brief, einen Monat später, den er unterm I2. Januar 1580
von Luzern an Abt Joachim sandte und worin er schreibt :
Ich möchte nicht dem Papste mitteilen, daß sozusagen einzig
im Kloster St. Gallen, das in der Schweiz das weitaus mächtigste ist,
seine strenge Konstitution über den Eintritt von Frauen nicht
angenommen worden sei. Die Wertschätzung des Abtes würde dadurch
beim Papste stark leiden. Ich werde aus Rücksicht die in den
Konstitutionen angedrohten Zensuren bezüglich der Gastgemächer
(hospitalia domicilia) noch zurückhalten und auch dem Papste davon
nichts sagen, bis der Abt den Termin für den Bau des neuen Gast-
hauses in der von mir bezeichneten Art festgelegt hat. — Bezüglich
der Klausur und der dunkeln Stiegen (de claustro et obscuris scalis)
aber kann ich ruhigen Gewissens nichts nachlassen, da gilt nur ab-
soluter Gehorsam des Abtes. ® Betreffend das Haus in Wil, will ich
1St.-A. Bd. 306, S. 393-395.
3 Diese Worte bestätigen und erhärten wohl die oben ausgesprochene Ansicht,
daß mit diesen Vorschriften des Nuntius das streng Wesentliche der Klausur
gegeben war, daß also Abt Joachim durch deren Vollführung die Klausur wirklich
einrichtete, auch ohne den Bau eines Frauengasthauses. Bei dieser Annahme
erklärt sich auch leichter, was Florin Flerch auf der Diözesansynode zu Konstanz
vorbrachte, Abt Othmar habe mit dem Abt von Einsiedeln über eine schärfere
Einhaltung der Klosterklausur beraten und die bezüglichen Beschlüsse zum Teil
bereits durchgeführt. S. Constitutiones et decreta synodalia ; Acta synodi f. 261 b.
— 12 —
der Interpretation des Abtes mich fügen, wiewohl nach dem Wortlaut
der Konstitution eine andere Meinung richtiger scheint. !
Nochmals kommt Bonhomini auf die ihm so sehr am Herzen
liegende Sache zurück, als er im Begriffe steht, die Schweiz zu verlassen.
Aus Konstanz schreibt er am ı. November 1581 nach St. Gallen ?:
Im Begriffe, nach Wien zu reisen, hätte er gerne den Abt noch besucht,
aber keine Zeit mehr gehabt. Joachim möge ihm mitteilen, was er
für den Ausschluß der Frauen vom Kloster unternommen habe.
Schon zwei sehr ertragreiche Jahre seien nun vorüber, seit der Abt
fest versprochen hatte, ein vom Kloster gesondertes Frauengasthaus
zu errichten.
Dieses kleine Brieflein bekundet, daß sich Joachim wegen des
Nichtbauens mit der schlechten Finanzlage des Klosters entschuldigte,
eine Entschuldigung, die, wie wir noch sehen werden, einige Jahre
später neuerdings wiederkehrte.
Der St. Galler Abt erwiderte auf das Schreiben aus Konstanz
am 15. November 1581, der Nuntius möge sich in Wien beim Kaiser
verwenden, daß die dort anhängigen st. gallischen Angelegenheiten
eine rasche Erledigung finden, was bisher den Bemühungen der zwölf
Kantone noch nicht gelungen sei. Wenn der Abt schadlos wegkomme,
verspreche er, sofort die verlangte Gebäulichkeit zu errichten. Wenn
er bisher nicht entsprochen habe, möge der Nuntius nicht aus-
gestreuten Gerüchten (de me sparsis rumoribus) Glauben schenken,
sondern überzeugt sein «talem me esse qualem futurum spopondi ». ®
Zutritt von Frauen zu den Gastquartieren in der Mitte des Klosters mußte noch
nicht notwendig eine Verletzung der Klausur involvieren, es konnte auch bloß
den Schein einer solchen Verletzung erwecken oder eine Gefährdung derselben
sein, was die Worte Bonhominis indirekt bestätigen. Der Nuntius mußte aber
kraft seines Amtes und nach dem Geiste des Tridentinums auch die Gefahr zu
bannen suchen. Auch der entschiedene Reformabt Bernard Müller hat nicht
sofort das Frauengasthaus gebaut, aber dennoch die Klausur durchgeführt.
Es ist mit der Klausur ganz ähnlich gegangen wie mit andern Reform-
postulaten, z. B. dem Armutsgelübde und dem Alter der Profeß- und Weihe
kandidaten. Schon Abt Othmar hatte unter dem Einfluß des vom Tridentinum
neu angefachten Reformgeistes all diesen Forderungen seine Aufmerksamkeit
zugewendet und sie nach Möglichkeit zu verwirklichen gesucht ; das gleiche tat
Joachim ; allein der noch stark vorherrschende Zeitgeist einer früheren Epoche
und manche bald stärker, bald schwächer auftretende innere wie äußere
Hemmnisse bewirkten, daß jede dieser Reformen nur ganz allmählich und nicht
ohne gelegentlich eintretende Rückschläge sich durchsetzen konnte.
I St.-A. Bd. 306, S. 551.
2 St.-A. Bd. 306, S. 593.
3 St.-A. Bil. 306, S. 303-306.
}
Im nämlichen Schreiben bemerkt der Abt, er habe nach der Abreise
des Nuntius seine Weltpriester viermal berufen und sie zur Frömmigkeit,
Bescheidenheit, Keuschheit und zu einem schönen Gottesdienste auf-
gemuntert, sowie auch scharfe Maßregeln gegen Konkubinen und
verdächtige Weiber angedroht. Dann führt er wörtlich fort:
«Ein vom Kloster entferntes Gebäude für Frauen ist noch nicht
gebaut, wird aber gebaut werden, sobald es finanziell möglich ist.
Obwohl nämlich die zwei verflossenen Jahre eine ziemlich gute Wein-
und Getreideernte gebracht haben, so ist das Geld durch die in den
verflossenen Jahren angewachsenen Schulden und durch nötige Zurück-
stellungen für die Zukunft so ziemlich erschöpft. Vom Bauen hält
mich auch ab eine bei den Luzernern zugunsten des Grafen Ulrich
von Montfort eingegangene Bürgschaft von 12,000 Gl., wofür ich
jährlich den Luzernern 600 Gl. zu bezahlen habe. »
In einem ausführlichen Antwortschreiben vom ı2. Januar 1582
aus Wien drückt Bonhomini seine Freude darüber aus, daß die
Reformdekrete beim Klerus der Stiftspfarreien beobachtet werden ;
möchte, so fügt er mit Nachdruck hinzu, auch bei den Mönchen das
gleiche der Fall sein bezüglich des Armutsgelübdes und der Fern-
haltung von Frauen. «Den Bau eines Frauenhauses hast Du länger,
als ich erwartete, verschoben. Ob der Papst hiemit zufrieden sei,
weiß ich nicht, da er so strenge auf diesen Dingen besteht. Bezüglich
falscher Gerüchte, wodurch Du in Rom verklagt worden, weiß ich
nicht, was sagen. Ich rate Dir, einen möglichst unbescholtenen Lebens-
wandel zu führen, nur Gott und den Seelen zu dienen, damit jene
Gerüchte Lügen gestraft werden. Was könnte ich Deiner Person für
ein Zeugnis ausstellen, da ich seit fast zwei Jahren keinen Brief von
Dir erhalten, während ich Dir mehrere geschrieben habe. Meine frühere
Zuneigung kennst Du. »!
Die folgenden Jahre vernehmen wir in dieser Angelegenheit weiter
nichts mehr. Dagegen finden sich verschiedene andere Dokumente,
die über den innern Stand des Klosters einiges Licht verbreiten.
(Schluß folgt.)
I St,-A. Rubrik 38, Fasz. 5.
Portraits d’ecclesiastiuues _
peints par Wyrsch
Par GEorses BLONDEAU
(Suite et fin.)
Une replique du Portrait de l’abbe Pfyffer de Saint-Urban fait partie
de la collection de tableaux de Wyrsch dependant de la succession
de M. Meyer Am Ryn, qui appartient a M. Georges Meyer, archiviste,
& Lucerne. Elle est signee et datee de 1778.
M. Alphonse Meyer de Schauensee, ingenieur, ä Soleure, posstde
un Portrait de Benoit Pfyffer d’Altishofen, date de la m&me anne,
qui parait @tre le second original peint par Wyrsch, car il offre quelques
variantes par rapport & celui du musee de Lucerne!!.
La tante de M. Alphonse Meyer, Mm® veuve Mohr, n&e Meyer de
Schauensee, a en sa possession, & Lucerne, une replique du m&me
Portrait de Dom Pfyfer, lequel etait le frere de l’arriere-grand’mere
de cette dame ?.
Une bonne copie du Portrait du prince-abbe Benoit de Saint-Urban
se trouve chez M. Alphonse Pfyffer d’Altishofen, & Lucerne. Mme la
baronne Louis de Pfyffer-Heidegg possede aussi un Portrait de l’abbe
Pfyffer d’Altishofen, qui orne l’un des salons de son chäteau de Heidegg,
pres de Gelfingen *. On nous a signale, au chäteau de Schauensee, un
! Haut. 0,75, larg. 0,60. Toile. Inedit.
Le prince-abb£ est vu de ?/, & droite, la figure de face, legerement & gauche,
sur un fond brun-noir. Ses cheveux paraissent moins gris que dans le premier
tableau original, ses yeux plus vifs. La carnation est toujours fortement accentu®e.
Le devant de la robe blanche est dissimul& en partie par un large et long scapu-
laire de drap noir.
Les armoiries, sur blason ovale, sont egalement surmontees de la crosse
et la mitre, et &cartel&es. Les poissons accol&s du 19 et 49 sont accompagn&s de trois
fleurs de lys. Les 2° et 3° sont chevronnes d’or et de sable. Sous le blason on lit:
Aetatis 47. A(nn)o 1778, sans signature.
2 M&mes dimensions. Toile. Inedit.
Ce tableau est la r&plique exacte du pre&c£dent. Il porte la m&me inscription
et le m&me blason.
3? M&mes dimensions. Toile. Inedit.
| ® Replique exacte des deux precedents, portant &galement la date de 1773.
Toile. Inedit.
mw Pre u ag: u Er Sr EEE EA eEeErGgeGgEaGEgRge Te a TEE Seifen SEE Ton u
autre Portrait de Dom Pfyffer, abb& de Saint-Urban, lequel fait peut-
&tre double emploi avec l’un des precedents. |
Enfin, lors de la dispersion des tableaux qui se trouvaient au
chäteau de Koenigshof, pres de Soleure, une Replique du Dom Pfyfer
devint la propriete de M. Zecker, antiquaire, a Bäle. Nous ignorons
le possesseur actuel de cette toile, ainsi que des autres repliques des
deux originaux, peints par Wyrsch, du m&me prelat.
Durant la m&me annee 1778, Wyrsch peignit le Portrait dw doyen
Kiss !, cur de Zug, qui se trouve dans la nouvelle &glise Saint-Michel
de cette ville. Ce tableau denote, chez l’artiste, le developpement de
son talent dans la presentation d’un sujet pr@tant peu & l’originalite.
M. Aschwanden, instituteur & Zug, possede une replique reduite du
Portrait du cur& Hess ?.
Dans le salon de reception de l’abbaye d’Engelberg, au milieu
des tableaux qui forment la galerie des portraits des abbes qui ont
gouverne cet antique monastere A travers les siecles, on remarque
une toile qui depasse toutes les autres par sa valeur artistique. C’est
le vivant Portrait de Dom Leodegar Salzmann, qui fut abb& dans la
deuxitme moitie du XVIIIme siecle 3. Cette toile, l’une des bonnes
productions de Melchior Wyrsch, fut peinte a Engelberg, en 1778.
! Haut. 0,80, larg. 0,60. Toile dans un beau cadre en bois dor& et sculpte
de ’epoque. Inedit.
Le doyen est vu & mi-corps de “1 dans son costume ecclesiastique. Dans
sa main droite, il tient un crucifix. Au revers de la toile, on lit : Wyrsch pinx(it)
1778. |
Clement-Damian Hess, ne & Zug, le 16 mai 1726, devint cur& de Zug et mourut
en cette ville le 2ı avril 1791. — GUILLAUME-JOSEPH MEYER, Biographies et necro-
logies de Zug, 1915.
? Haut. 0,40, larg. 0,36. Toile ovale dans un cadre simple & baguette. Inedit.
Le sujet est le m&me que dans le portrait pr&ec&dent, sauf que le cur& Hess
est vu ici en buste. La main et le crucifix ne sont point apparents. Le verso de
la toile porte ces mots : Wyrsch pinx(it) 1778.
® Haut. 0,80, larg. 0,64. Toile.
L’abb& Salzmann est vu & mi-corps de ?/, & droite. La figure, de face, un peu
tournee vers la gauche, est rude, les traits accentues. Les cheveux rares et les
sourcils tr&es arqu&s commencent & grisonner. Les yeux sont vifs et intelligents;
celui de gauche louche tres legerement. Le modele porte un camail de drap noir,
avec petit faux-col en toile blanche. De la rangee des boutons, entierement ferme&s,
sortent quelques anneaux d’une chaine en or supportant une riche croix, de m&me
metal cisele, sertissant six grosses pierres de couleur, et terminee en haut et en bas
par un pendentif &galement en or cisele. Le bras droit, seul visible, est repli& vers
la gauche sur le camail; la main, bien dessinee, porte & l’annulaire une bague
en or ornee d’un gros rubis et s’appuie sur un livre debout, dont on voit le dos.
A la partie sup£rieure de la toile, se trouve un blason ovale somme de la
— 1 —
La famille Salzmann, dont la descendance mäle est &eteinte, poss&de
un portrait de l’abb& d’Engelberg ; mais il n’est pas certain qu’il soit
de la main de Wyrsch.
Avant ou apr&s ses vacances de 1778, Wyrsch peignit, A Besancon,
une toile non moins remarquable que la precedente. Le Portrait du
chanoine de Montrichard represente un prelat, äge d’environ 50 ans,
dans le somptueux costume des chanoines de l’abbaye de Baume-
les-Messieurs (Jura). Le bras droit est &tendu, la main ouverte et
accueillante est artistement traitee. Le bras gauche rephe s’appuie
sur un livre place, avec des papiers, sur le marbre d’une console de
style Louis XV. La main gauche, finement dessinee, porte & l’auri-
culaire une bague d’or ornee d’une pierre precieuse. La majeste du
personnage n’exclut pas l’aisance de la pose ni la souplesse de la touche ;
ces qualites s’allient & la richesse et & l’'heureux effet du coloris !.
mitre, de la crosse et du bäton, insignes des hautes dignites abbatiales. L’ecu
est coupe par une bande d’argent, avec, en chef, une clef renversee, en forme de croiz,
en pointe, une grappe de raisins. Ce blason est orne de deux chutes de lauriers
et d’un double feston, sous lequel on lit : Leodogarius Salzmann elect(us) 1769,
obiit 1798. Au dos de la toile se trouvent la signature de Wyrsch et la date de 1778.
-— J. AMBERG, Lexikon.
Ne & Lucerne, le 22 fevrier 1721, Leodegar Salzmann fit profession & l’abbaye
benedictine d’Engelberg, le 2 novembre 1738. D’abord prieur du couvent, puis
cur& administrateur & Sins (Argovie), il fut &lu abb& le 5 juin 1769. L’abb& Salzmann
fonda une bonne Ecole dans cette commune. Durant son regne, il abolit la men-
dicite, introduisit l’industrie dans la valleEe d’Engelberg et specialement la manu-
facture de la soie. Il fut un p£re et un bienfaiteur pour ses administres. Apres
sa mort, arrivee le 14 mai 1798, son siege demeura vacant pendant cing ann£es,
en ex&cution d’un decret du Directoire Helvetique. — VON MULINEN, opere citato,
tome I, p. 85.
! Haut. 0,98, larg. 0,76. Toile dans un beau cadre dor& de l’eEpoque Louis XV.
Inedit.
Le chanoine de Montrichard est vu assis, & mi-jambes, de ®/, & droite. La
figure, de face, longue et osseuse, est encadree dans une volumineuse perruque
blanche & plusieurs rangs de boudins superpos£&s. Les yeux, dont le regard est dirige
vers la gauche, offrent cette particularite qu’un faux trait, dans celui de gauche,
donne l’'impression d’un leger strabisme ou de la perte de la vue.
Le prelat est rev&tu d’un rochet de mousseline, dont les plis sont harmo-
nieusement drapes sous un camail de soie violette ferm& par un rang de boutons
rouges, et un rabat d’etamine noire lisere de blanc. Sur la poitrine s’&tale un
ruban de moire noire bord& de jaune, supportant la croix & huit branches du
chapitre de Baume.
Ce tableau a &t& rentoil& vers le milieu du XIXme siecle, ce qui ne permet
plus de voir la notice inscrite au revers de la toile primitive. Cependant, on en
a reproduit, sur la nouvelle, les mots suivants : Peint par Wyrsch 1778.
Les genealogistes font remonter l’anciennete et la noblesse de cette famille
au XIVme siecle et indiquent que, des le siecle suivant, un Jean de Montrichard
Nous avons relate dans quelles circonstances Wyrsch recut d’impor-
tantes commandes du chanoine Charles-Joseph Quirot, prevöt de
etait religieux A l’abbaye des moines de Baume. Plusieurs membres de cette maison
furent inscrits & la Confrerie de Saint-Georges, en Franche-Comte, & partir de
cette Epoque.
Au XVIme sjecle, Gerard de Montrichard et, au siecle suivant, son fils Roland
etaient gouverneurs de Nozeroy pour les princes de Chalon. L’un des fils de ce
dernier entra au monastere de Baume-les-Moines ; mais il en sortit, se maria
et it souche d’une branche &teinte depuis.
Nicolas- Jean-Baptiste de Montrichard, au profit de qui la terre de Frontenay
fut Erigee en marquisat, en 1747, eut, de son mariage avec Suzanne de Visemal,
dıx enfants. L’un de ses fils, Pierre- Joseph, se maria en 1740 avec Jeanne-Charlotte
de Rougrave et en eut plusieurs fils.
Au cours des vingt annees qui suivirent 1759, date de la secularisation de
l'abbaye de Baume, par une bulle du pape Clement XIII, trois membres de la
famille de Montrichard furent, en m&me temps, chanoines de Baume-les-Messieurs,
apres avoir fait preuve de seize quartiers de noblesse.
1° Pierre-Louis-Bonaventure de Montrichard, qui Etait probablement l’un
des fils de Nicolas- Jean-Baptiste cite plus haut, et qui parait &tre le modele peint
par Wyrsch en 1778, d’apres l’äge accuse par le portrait que nous avons decrit.
2° Jacques-Paul, deuxieme fils de Pierre- Joseph de Montrichard et de Jeanne-
Charlotte de Rougrave, n& entre 1742 et 1747. Labbey de Billy le dit chanoine
trefoncier de Liege.
3° Henri-Gabriel de Montrichard, non cite par le m&me auteur, fils cadet
des prec&dents, ne au chäteau de St-Martin, pres Voiteur, le 2ı septembre 1748.
Docteur en th&ologie, chanoine lu de Baume le 28 janvier 1767, vicaire general
de Mgr de Rohan, & Bordeaux, puis & Cambray, doyen du chapitre de Baume
en 1780, abbe d’Andres au dioc&se de Boulogne en 1788.
Le chanoine Henri-Gabriel de Montrichard &migra en Suisse au moment
de la Revolution frangaise et se fixa & Fribourg. Il y fonda, dans l’&tablissement
de la Commanderie de l’Ordre de Malte, une &uvre charitable, en faveur des pretres
deportes et des &migres francais, qui distribua & ceux-ci 140,000 livres de secours
de 1794 & 179.
A cette date, l’invasion des arme&es frangaises obligea le chanoine de Mont-
Tichard A se retirer en Baviere et il ne rentra en France qu’apres le Concordat.
En 1804. le pape Pie VII le felicita de son d&vouement envers ses compatriotes
et, le 22 juillet 1816, une ordonnance de Louis XVIII le nomma archeväque de
Besancon. Le prelat ne prit point possession de son siege ; il mourut deux jours
apres sa nomination d’une attaque d’apoplexie.
Des renseignements qui pr&cedent, il r&sulte que les deux derniers chanoines
de Montrichard ne peuvent &tre, ni !’un ni l’autre, le modele du portrait peint
en 1778, en raison de la non-concordance de leur äge & cette Epoque, avec celui
du prelat qui se fit portraiturer par Wyrsch en 1778.
Ce beau tableau appartient au comte Charles de Montrichard, au chäteau
de la Chasseigne, pres Nevers, qui possede la croix et le cordon canoniaux de son
grand-oncle, exactement reproduits sur la toile de Wyrsch. — Dunop, Histoire
du Comt& de Bourgogne. — GUICHENOoN, Histoire de la Bresse. — LABBEY DE BiLLY,
Histoire de I’ Universite... op. cit.,tome II, p. 122 ä 131.—GASToN DE BEAUSEJOUR,
Mimoires de la famille de P’abbE Lambert, publies par la Societe d’histoire contem-
poraine, Paris, Picard, 1894, p. 146 et 147, note.
— 13 —
Saint-Anatoile de Salins, directeur spirituel de I’'Hötel-Dieu de cette
ville !.
L’annee m&me (1780) oü le maitre de Buochs peignit son magni-
fique Christ en croix destine par le donateur au retable de la chapelle
de cet höpital, il fit aussi un vigoureux Portrait en buste dw chanoine
Quirot. Dans cet ovale, on voit le Mecene salinois drap€ dans un ample
camail d’hermine demouchetee, aux tons harmonieusement rendus,
sur lequel est place un rabat noir bord& de blanc. La figure, d’une belle
carnation, aux yeux bruns exprimant la bonte et la douceur, est enca-
dree dans une large perruque & marteaux ?.
Tres satisfait de l’ex&cution de cette peinture, le genereux chanoine
en commanda plusieurs copies & son portraitiste. Trois d’entre elles
furent offertes A l’archeväque de Besancon, Mgr Raymond de Durfort,
qui en fit placer une dans la galerie des portraits des prelats, dans
son palais. Ces copies ne sont point parvenues jusqu’& nous.
Cependant, nous connaissons d’autres Repliques dw Portrait du
chanoine Charles- Joseph Qwirot. Elles sont aussi de forme ovale et de
dimensions approximativement &gales A celles de l’original. Le prevöt
de Saint-Anatoile y est represente dans son m&me costume et avec
la m&me pose ; pourtant, dans certaines toiles, « la touche parait moins
vigoureuse, le modele de la figure plus delicat, les details de la perruque
et de l’hermine plus fouilles », parfois m&me le coloris est moins chaud
et moins brillant ®.
Le portrait en buste de son bienfaiteur servit & Wyrsch pour
l’execution d’une grande toile commandee & la m&me &poque par le
riche prelat. Le Portrait de Ch.-]. Quirot, bienfaiteur de lhöpilal de
I Melchior Wyrsch peintre d’histoire. Ses Christs en croix et au tombeau. Revue
de lhistoire ecclesiastique suisse, 1927.
® Haut. 0,62, larg. 0,53. Toile dans un beau cadre dor& et sculpte de l’&poque
Louis XVI.
Au dos de cette toile, qui decore la salle des deliberations du Conseil muni-
cipal de Salins, on lit, de la main du peintre : Charles Joseph Quyrot chanoine
et pr&vost de l’insigne chapitre de St Anatoile de Salins, ne le I9 mars I70g Ad Salıns,
peint plar) Wyrsch 1780.
® La meilleure de ces r&pliques (0,650 X 0,545) a &t€ donn&e par M. Alexandre
de Lurion au mus£e de Salins et orne actuellement le cabinet de travail du maire
de cette ville. Sa notice au dos est la m&me que celle de l’original, sauf qu’elle se
termine par ces mots : peint par Wyrsch 4 Besangon I780.
Une autre r&eplique (0,60 X 0,48) appartient & M. de Beaujeu, & Villers-Farlay
(Jura) ; elle porte le m&me texte que la toile originale.
Enfin l’höpital de Salins possede une copie, en mauvais &tat (0,77 X 0,63),
de ce portrait, laquelle n’est ni dat&e ni signe&e.
== 139, =
Salins, place autrefois dans l’une des salles de malades de cet etablis-
sement, voisine maintenant avec le grand Christ en croix, dans le salon
du rez-de-chaussee. Le pr&vöt, qui avait fait A l’'höpital une importante
dotation, est represent€ en pied, debout en habit de chaur, dans une
attitude A la fois simple et majestueuse. Le visage et le haut du corps
sont semblables & ceux du portrait en buste. Le rochet en mousseline,
sans dentelles, n’est garni que d’une petite ruche plissee aux manches ;
le grand manteau d’hermine, rejete en arriere, tombe sur le dossier
d’un fauteuil place A cöte d’une console Louis XVI. Le bras droit est
replie, la main porte une barette noire avec un volumineux pompon.
Le bras gauche est allonge, la main ouverte indique une petite scene
que l’on apercoit plus bas & droite, sous les plis d’un grand rideau
rouge qui forme le fond du tableau.
« Cette scene represente une salle d’höpital ol trois malades sont
couches dans leurs lits. L’un d’eux absorbe une cuillere de potion que
lui presente une religieuse. Les autres regardent le groupe principal
ou l’on voit un malade assis dans un fauteuil et soutenu par deux reli-
gieuses v@tues de robes bleues avec tablier et voile blancs. Le patient
presente sa jambe & un chirurgien qui, un instrument & la main, se
prepare A faire une incision.
«a Au-dessus de cette scene, dans un replis du rideau, on apercoit
un petit cartouche oü est represente le traditionnel pe@lican qui se
perce les flancs, allusion & l’inepuisabje charite du venerable chanoine !. »
Les largesses du prevöt de Saint-Anatoile s’etendirent non seule-
ment & l’'höpital de Salins, mais encore & plusieurs couvents de cette ville.
Vers 1775, un incendie, provoque par la foudre, avait detruit une
partie du monastere des ‘Ursulines. Ces religieuses, ayant fait recons-
truire le bätiment incendie, se trouverent bientöt hors d’etat de payer
leurs dettes et menacees d’&tre expulsees de leur paisible beguinage.
Le chanoine Quirot leur donna les fonds necessaires pour s’acquitter
vis-a-vis de leurs cr&eanciers. De plus, il offrit & ces religieuses un grand
tableau allegorique, rappelant le souvenir de cet heureux Evenement,
dont il avait fait la commande & Wyrsch, en 1781.
La composition, bien ordonnee, de cette peinture comporte trois
scenes distinctes, reliees entre elles par une idee commune. Au centre
du premier plan, le chanoine Quirot, debout dans son costume eccle-
1 G. BLONDEAU, Ch. J. Quirot bienfaiteur de la ville de Salins et ses portraits
peints par Wyrsch. Memoires de la Societ& d’ Emulation du Jura 1917.
siastique de ville, le bras droit allonge, la main accueillante, appuie
la main gauche contre le mur du couvent dont les assises disjointes
annoncent la ruine prochaine. L’une des pierres & demi descell&e porte
ces mots : Dixit sta et stetit.
En haut et & gauche du tableau on voit, agenouillees dans les
nuages, sainte Anne de Xaintonge et sainte Ursule, patronne et fonda-
trice de l’Ordre des Ursulines. Elles implorent la pitie du Pere Eternel
vu, avec sa grande barbe blanche, & mi-corps, dans la nue, tout en
haut et & droite du tableau. Celui-ci, le bras droit allonge, designe
de l’index le pieux donateur et semble rassurer les deux saintes sur
le sort, desormais assure, de leur communaute salinoise. Un ange adulte
et deux ravissants angelots ailes contemplent, dans les nuages, cette
scene desormais historique !.
La toile representant Ch.-J. Quirot, protecleur dw couvent des
Ursulines de Salıns, a conserve& toute la fraicheur premiere de son coloris;
elle peut @tre rangee parmi les bons ouvrages du maitre de Buochs,
dans le genre de la peinture d’histoire. Le genereux donateur mourut
l’annee suivante (21 decembre 1782), trop töt pour notre artiste, &
qui il n’aurait pas manque de faire de nouvelles et aussi importantes
commandes, s’il avait vecu encore quelques annees, tout au moins
jusqu’au retour de Wyrsch en Suisse.
L’archev&que de Besancon, & qui le chanoine de Saint-Anatoile
avait offert des copies de son portrait, ainsi qu’on l’a vu plus haut,
sinteressa, A son tour, au directeur de l’Ecole de peinture de sa ville
episcopale et posa devant son chevalet. Le Portrait de Mgr de Durfort
parait avoir ete detruit pendant la Revolution francaise. Cependant,
on en conserve le souvenir par une gravure' qui le reproduit au fron-
tispice d’un volume renfermant le Missel, V’Antiphonaire et le Rituel
du diocese de Besancon. Cette auvre, assez bonne, porte au bas et
a gauche les mots : Wirsch (sic) del(ineavit). Michault sculp(sit). La
lettre de la gravure indique le privil&ge de l’imprimeur Le&pagney, de
Besangon, et la date 1781. On voit, dans cette image, le prelat, assis
dans un fauteuil, revetu de son costume &piscopal et, A cöte& de lui,
ses armoiries ?.
! La toile, de 2 m. de haut sur ım2o de large, est sign&e sur une grosse pierre
en bas et & gauche du premier plan : Wyrsch f(ecit) 1781. Elle appartient actuel-
lement & la famille de Lurion, & Salins. — G. BLONDEAU, op. cit.
2 Abbe PAUL BRUNE, Dictionnaire des artistes et ouuriers d’art de la France.
Franche-Comte, p. 1874. — JULES GAUTHIER, Dictionnaire des graveurs franc-
comtois, verbo Michault.
Il existe, dans le salon de l’höpital Saint-Jacques, A Besancon,
une toile repreEsentant Mgr de Durfort !, qui est l’oeuvre de Jourdain,
l'un des meilleurs &leves de Wyrsch ?.
Dans les premiers mois de l’annede suivante, l’archev@que de
Besancon exprima le desir de conserver devant ses yeux le souvenir
de ’un de ses vicaires generaux qui venait d’etre &leve A la dignite
€piscopale. Celui-ci posa, lui aussi, devant Wyrsch et offrit l’oeuvre
de l!’artiste a Mgr de Durfort. Le Portrait de Mgr de Clermont-Tonnerre 3,
eveque de Chälons, peint en demi-teintes bien soutenues, reproduit
! Raymond de Durfort-L&obard, ne au chäteau de La Roque, en Guyenne
le 10 octobre 1725, fils de Frangois-Gilles de Durfort, baron de L£obard, et de
Jeanne de Mareully, fit ses &tudes theologiques au Seminaire de Saint-Sulpice,
a Paris. Il fut nomme& abbe commandataire de l’abbaye de Vieuville, en 1750,
et exerca, pendant dix ans, les fonctions d’archidiacre du chapitre de Tours et
celles de vicaire general de ce diocese. Aumönier du roi Louis XV en 1761, il fut
nomme eveque d’Avranches en 1764 et archeveque de Besancon en 1774.
Au debut de la R&volution frangaise, Mgr de Durfort fut l’un des prelats
de France qui se montrerent, sinon favorables, du moins bienveillants & l’egard
des idees nouvelles. Mais il refusa le serment constitutionnel et se retira & Soleure
en 1791, oü il mourut le ı9 mars 1792. Le journal revolutionnaire La Vedette,
redige par l’abbe Dormoy, ne craignit pas de faire son &loge apres sa mort. —
Sauzay, La Dersecution religieuse pendant la Revolution dans le Departement du
Doubs. — Abbe BESsson, Oraison funehre de Mgr de Durfort, archeveque de Besangon,
suivie de la relation de ses obsäques d Soleure et 4 Besangon, 1792-1368, 2me edition,
Besancon, Turbergue, 1868, de 71 pages in 8°.
% PauL BRUNE, op.cit., p. 1496.
° Haut. 0,68, larg. 0,55. Toile ovale dans un cadre de style Louis XIV, en
bois dore et sculpte. Inedit.
Le prelat est vu en buste allonge, de ’, a droite. L’ovale delicat et gracieux
de son visage, vu de face, est d’une belle carnation ; les yeux bruns, sous des sour-
cils chätains, sont vivants ; les cheveux chätains et legerement poudres se relevent
en un seul rang de boudins ; les leEvres, dont la commissure est un peu arqu£e,
Paraissent souriantes.
Il porte un camail de soie violette & liseres et boutons rouges et petit capu-
chon, dont les plis, artistement drapes sur le bras droit, laissent apercevoir, sous
la doublure en soie rouge du camail, un coin de la dentelle qui orne la manchette
du rochet. Un large ruban, place sous un rabat noir bord& de blanc, soutient une
croix latine en or cisele.
Au dos de la toile, lepeintre a Ecrit: Anne Antoine Jules de Clermont Tonnerre
nomme a l’eväche de Chalon (sic) sur Marne le 253 X (decem)bre 1781. Peint par
Wyrsch 1782.
Un portrait de ce prelat, en cardinal-archeveque de Toulouse, se trouve
4 larchev&che de cette ville. Il en a et& tir& deux lithographies, l’une par Noel
et ’autre par Hersent, dessinee par Villain. Son portrait, vu de profil en medaillon,
a et grav& par Labbadye dans la Collection des Constituants. — Abbe AURIOL,
L’ipiscopat frangais depuis le Concordat jusqu’a la Separation (1802-1905), grand
ın 4°, Paris, 1907, p. 622.
avec habilete les traits fins et aristocratiques du modele. Les yeux
sont d’une vivacite qui denote le caractere independant du jeune
prelat, en m&me temps que l’activite, la bonte, la generosite et la fer-
mete dont il fit preuve durant son exil et au cours de sa longue carriere
episcopale et archiepiscopale !. Lorsque Mgr de Durfort partit en
ı Issu de l’illustre maison de Clermont, en Dauphine, et fils de Charles-
Henry-Jules, duc de Clermont-Tonnerre, marquis de Vauvillers, et de Marie-
Anne-Julie Le Tonnelier de Breteuil, Anne-Antoine- Jules de Clermont-Tonnerre
naquit & Paris le ıe? janvier 1749. Son oncle, Jean-Louis-Aymard de Clermont-
Tonnerre, &tait le c&lebre abbe commandataire de Luxeuil (1743-1804).
Apres avoir regu le bonnet de docteur en Sorbonne, il fut nomme& grand
vicaire du dioc&se de Besancon. Recu & l’Acad&mie de cette ville le 24 mars 1779,
en remplacement de Mgr de Lezay-Marnesia, dont il sera parl& ci-apres, il devint
president de cette Compagnie le 3 janvier 1781. Le 25 d&cembre de la m&me annte,
le roi le nomma &v&que de Chälons, peu de temps apres qu’il füt pourvu de l’abbaye
de Moutierender, dans ce diocese. Il fut sacr& le 14 avril 1782.
Depute du clerg&E aux Etats-Generaux de 1789 et membre de la Constı-
tuante, il signa le manifeste des &v&ques, refusa le serment constitutionnel et
se retira en Belgique. Revenu dans son diocese en 1792, il dut bientöt Emigrer
en Hollande, sejourna en Suisse et se fixa & Altona. Rentre dans sa patrie en 1798,
il signa V’Instruction des &väques sur les alleintes 4 la religion, refusa d’adherer
au Concordat et demissionna en 1801.
En 1814, Louis XVIII nomma Anne-Antoine-Jules de Clermont-Tonnerte
Pair de France et, en 1817, de nouveau Ev&que de Chälons. Mais ce siege n’ayant
pas &te retabli par le Saint-Siege, il fut promu & l’archev&che de Toulouse en 1820
et en prit possession le 16 octobre de la m&me anne£e. Aussitöt, il s’eflorga d’eteindre
les restes de l’ancien schisme constitutionnel et de ramener la concorde dans
son clerge. Il fit construire le Grand Seminaire de Toulouse et fonda, dans le
couvent des Re&collets de cette ville, une maison de retraite pour les pr&tres.
Mgr de Clermont-Tonnerre fut cr&& cardinal par Pie VII en 1822 et prit part
aux conclaves de 1823 et 1829. C’est lui qui harangua Charles X & la c£r&monie
du sacre. (Il figure sur le celebre tableau de Gerard au pied de l’autel, & cöte de
Mgr de La Fare.) A la suite de son mandement de 1827, il fut traduit devant le
Conseil d’Etat et condamne comme d’abus. Le ı®e" aoüt 1828, il signa, au nom
des &v&ques de France dont il etait le doyen, le Memoire au Roi, au sujet des
Ordonnances du 16 juin et, le 8 octobre suivant, il adressa une lettre de reproches,
restee celebre, au ministre, Mgr de Feutrier, oü il revendiquait la devise de sa
famille : Sı omnes, ego non. II mourut & Toulouse le 2ı fevrier 1830.
«C’etait un homme d’infiniment d’esprit, tres grand seigneur, d’une gene-
rosite qui se deploya avec Eclat lors de la terrible inondation de 1827. Il ne manqua
jamais de se prononcer avec franchise sur la situation faite & la liberte de l’Eglise. »
— Le Pere AnsELME, Histoire gendalogique et chronologique de la maison royal
de France, des grands oficiers de la couronne et de la maison du Roy, 1712, tome II,
p. 1589 et ss. — POTIER DE CourcY, Les continuateurs du Pöre Anselme. Nouvelle
edition, tome VIII, p. 149, 909 & 916. — Abbe DE Mac-CARTHY, Oraison funebre
de Mer de Clermont-Tonnerre. — Abbe CayRE, Histoire des &vöques de Toulouse,
1873, dans L’Ami de la Religion, tome LXIII, p. 84. — R. P. JEAN, Les duögquwes
et archev&ques de France de 1682 d I80oI, Paris, 1891, p. 321.
emigration, & Soleure, il fit cadeau & son medecin et ami le docteur
Rougnon de ce portrait qui existe encore dans la famille de celui-ci!.
Deux annees avant de portraiturer l’ev&que de Chälons, le maitre
de Buochs avait travaillE pour un autre prelat comtois, en peignant
le Portrait de Mgr de Lezay-Marnesia ?. Ce tableau a disparu ; mais
il en reste une reproduction dans un petit dessin conserve & la Biblio-
theque municipale de Besancon ®.
On ne connaissait aucune effigie authentique d’un historien com-
tois, dont le nom et les oeuvres ont acquis une certaine notoriete. Le
Portrait dw chanoine Labbey de Billy*, que Wyrsch peignit en 1781
1 G. BLONDEAU, Les portraits du docteur et de Mm® Rougnon peints par Wyrsch.
Mimoires de la Societ&E d’Emulation du Doubs, 1926.
ı La famille de Lezay est originaire des hautes montagnes du Jura, oü elle
possedait la prevöte de Grandvaux et la terre de Lezay, dans la Grande Judicature
de St-Claude. Sa noblesse remonte au XIIIme siecle et a &t& prouve&e & la Confrerie
de Saint-Georges au XVIIme siecle.
Claude-Humbert de Lezay, chevalier de Saint-Louis, brigadier des arm&es
du roi Louis XIV, seigneur de Marne&sia, Lezay et autres lieux, fit Eriger cette
derniere terre en marquisat par lettres-patentes de 1721 et 1724. De son mariage
avec Claude-Francoise de Poligny, il eut trois fils qui se distinguerent, eux et
leurs descendants, dans les armes, l’administration et le clerge. Le second, peint
par Wyrsch, Claude-Louis-Albert de Lezay-Marnesia, naquit & St-Julien-les-
Orgelet (Jura) en 1717. D’abord abb& de Bellevaux, il fut regu chanoine de l’Eglise
metropolitaine de Lyon, charge qui lui confera le titre de comte de Lyon, et devint
le doyen de ce Chapitre. Nomme& &v&que d’Evreux en 1759, il demissionna en 1773
et se retira & Lons-le-Saunier, oü il mourut le 4 juin 1790. Il avait &te &lu membre
de ’Academie de Besancon le ı7 janvier 1772. — CHEVALIER, Notes historiques
sur la ville et la seigneurie de Poligny, tome II, p. 376 et 377. — LABBEY DE BILLY,
Histoire de P Universite du comse de Bourgogne, tome II, p. 362 & 367. — L. PınGAup,
Documents pour servir A l’histoire de l’ Acadtmie de Besangon. Bulletin de l!’ Academie,
1892, p. 246.
® Haut. 0,13, larg. 0,10. Ovale sur papier au crayon noir, rehausse d’encre
de Chine, dont l’auteur est inconnu.
Le prelat est vu en buste, de face, la t&te coiffee d’une perruque blanche
4 plusieurs rangs de boudins. Il porte la mosette &piscopale en soie avec liser&s et
boutons, sur laquelle on voit une croix d’or cisele. — AuG. CAsSTAnN, Inventaire
des richesses d’art de la Bibliothöque de Besangon, p. 51.
* L’auteur de l’Histoire de V’UniversitE du comie de Boursoens a €crit les
annales de sa famille avec une complaisance facile, commune & la plupart des
gentalogistes de son &poque. Il fait remonter les Labbey au temps de Duguesclin
et leur donne pour berceau Neufchätel, en Normandie.
Ce qui est certain, c’est qu’un Jean-C&sar Labbey, seigneur d’Autrey, docteur
en droit, fut regu citoyen de Besangon en 1668. Son petit-fils Jean-Claude ‚Epousa,
en 1715, Gabrielle, fille de Jean Baquet, avocat general au Parlement de Franche-
Comts, et de Frangoise de Billy. Le fils de celui-ci, Jean-C&sar-Nicolas Labbey,
seigneur de Sauvigney, &tait conseiller au Bailliage pr&sidial de Vesoul. De son
—_— I4 —
et qui se trouve dans une collection particulitre a Besancon !, est un
document interessant pour l’art et l’histoire. Le jeune predicateur de
la Cour est represente dans son costume ecclesiastique qu’il a abandonne
mariage, celebr& en 1746, avec Claire, fille de Louis Melcot, docteur en droit, et
de Beatrix Vuilleret, il eut trois fils, dont Nicolas Labbey, peint par Wyrsch,
qui ajouta & son nom patronymique celui de de Billy.
Ne & Vesoul le 29 mars 1753, Labbey de Billy entra, & ı5 ans, & l!’Ecole mili-
taire du Ge£nie et en sortit pour &tudier, A Besancon, la th&ologie qu’il abandonna
bientöt pour l’&tude du droit. Recu avocat, il quitta le barreau pour reprendre ses
etudes theologiques A Paris. Il revint A Besangon prendre place comme chanoine
au chapitre metropolitain et accepta les fonctions de conseiller de ville. Ordonne
pretre en 1782, il pr&cha avec succes devant la Cour en 1786. Sauzey dit de lui:
Si on vantait son Eloquence, on parlait peu de sa piete.
Nicolas-Antoine Labbey de Billy etait, depuis 1789, grand vicaire de Mgr de
la Luzerne, ev&que de Langres, lorsqu’il prit la route de l’&migration en Suisse,
avec ce prelat, apres avoir refuse le serment constitutionnel. Il visita ensuite
V’Allemagne et l’Italie d’oü il rapporta 4 Besancon une quantit& de livres pre&cieux
et d’incunables. Nomme professeur d’histoire & la Faculte& des lettres de Besangon,
il y professa de 1803 & 1817. Il Etait entre & l’Acade&mie de cette ville le ı5 octo-
bre 1806 et faisait partie de celle de Florence. Labbey de Billy mourut dans sa mai-
son & Besangon, le 2ı mai 1825.
Sa riche bibliotheque fut vendue aux encheres en mars 1826, par sa saur
Anne-]Josephine-Alexandrine, femme de Nicolas-Gabriel Aymonet de Contreglise:
mais une partie des incunables avait Et& r&servee et fut leguee & la Bibliotheque
de Besangon par le neveu du de cujus, Charles-Francois Aymonet de Contreglise.
mort en 13863.
Labbey de Billy a publie, outre son Histoire de P UniversiteE du comte de Bour-
gogne (1814, 2 volumes in 4°), des Sermons €crits avec Elegance et divers ouvrages.
— AuG. CaSTAN, Catalogue des incunables de la Bibliotheque de Besangon, p. 6,
note. — Chanoine SUCHET, L’&loquence religieuse. — SAauzaY, Histoire de la perst-
cution revolutionnaire dans le departement du Doubs, tome I, p. 10 et 57. — SUCHAUX,
Biographie de la Haute-Saöne.
! Haut. 0,385, larg. 0,305. Toile ovale dans un cadre dor& & raies de caur
de l’eEpoque Louis XVI. Inedit.
Vu en buste, de®/, & droite, la figure de face, les cheveux blonds, legerement
poudr&s et roul&es en un seul rang de boudins, Labbey de Billy porte une soutane
violette, avec liseres et boutons rouges, serr&e ä la taille par une ceinture de soie
violette ; sur ses &paules, on apergoit le col carre d’un manteau de ville. Sous
un rabat noir borde de blanc et un faux-col de toile blanche, est place un large
ruban de moire violette & bordure jaune, soutenant la croix en argent et mail
blanc, & huit pointes, conc&edee au chapitre metropolitain de Besangon par
Louis XVI en fevrier 1779.
Vers le haut de la toile et & gauche, sur un fond brun, sont peintes les armoiries
des Labbey : d’argent au sautoir de sinople, accompagne£es en chef de leur devise :
Sine labe. Au dos de la toile, le peintre a &crit : Nicolas Antoine Labbey de Billy
docteur en droit civil et canonique, dge de 28 ans. Peint par Wyrsch 1781.
Ce tableau faisait autrefois partie de l’interessante collection de M. de Beaujeu.
decede A Port-Lesney (Jura) en 1913, p&re de Mme Charles Jeannerot qui le possede
actuellement.
— 145 —
vers la fin de son existence agitee. Ses yeux noirs, sous des sourcils
peu arques, ses paupieres tailllees en amande, son nez retrousse, ses
pommettes saillantes et ses l&vres &paisses donnent & sa physionomie
un caractere quelque peu asiatique. Il est curieux de rapprocher ce por-
trait de jeunesse de celui, egalement inedit, qui represente le m&me
personnage en 1810, sous le costume civil des academiciens de
Besangon }.
A l’automne de 1783, Wyrsch, qui devait abandonner definitive-
ment la direction de son Ecole de peinture & la fin de l’annde scolaire
suivante, vint passer ses dernieres vacances au pays natal. Sa vue
&tait deja fatigude, mais il ne continuait pas moins & travailler sans
reläche. C’est alors qu’il peignit notamment le Portrait de Dom Martın
Balthasar, prince-abb& de Saint-Urban. Ce tableau, qui fait pendant,
au musee des Beaux-Arts de Lucerne, & celui de l’abb& Pfyfier d’Altis-
hofen, son predecesseur, decede deux ans auparavant et que nous
avons vu portraiturE par Wyrsch en 1778, est d’une bonne facture,
mais d’une valeur artistique quelque peu inferieure & ce dernier portrait ®.
I Dessin rond, de 6 centimetres de diametre, au crayon noir grav&, de profil
& gauche, les cheveux boucl&es, ramen&s sur le front et les tempes suivant la mode
du temps. La physionomie grave du professeur, & 57 ans, ne rappelle que de loin
la figure €veill&e du jeune chanoine de 1781. Labbey de Billy est v&tu d’une redin-
gote de drap & haut col, ouvert sur un col de chemise & pointe et une cravate de
batiste terminee par un Elegant jabot plisse de m&me £&toffe. Sous le revers de
!'habit, on voit une decoration en argent compos£&e de deux palmes de laurier r&unies
en forme de couronne, qui est l’insigne de l’Academie de Florence.
Autour du cercle de la gravure, on lit : Er I8ro. Des(sine) et gr(ave&) p(ar)
Chrötien inv(enteur) dw Physionstrace rue St Honore en face de l’Oratoire N® 142
4 Paris ; et en bas, & la lettre : N(icolas) A(ntoine) Labbey de Billy.
Ce dessin fait partie de la belle collection du docteur Bourdin, membre de
Academie de Besangon, possesseur de trois portraits de M. et Mme de Lacore
et du duc de Randan, peints par Wyrsch.
? Haut. 0,90, larg. 0,60. Toile. N® 158 du catalogue du mus£e des Beaux-Arts.
L’abbe Martin Balthazar est vu & mi-corps, de ®/, A droite, la figure de face,
assez pleine, le nez busqu&, les yeux bruns, les cheveux et les sourcils gris. Il porte
une robe de flanelle blanche sous un camail de drap noir garni d’un petit capuchon
de m&me £&toffe. La t&te est coiffee d’une calotte de drap noir. Au milieu de la
poitrine est suspendue, par une chaine aux anneaux d’or, une croix ciselee de
meme metal, dans laquelle sont serties des pierres de couleur. Le bras droit, seul
visible, est repli&. La main, traitee avec moins de finesse dans le dessin que celle
du portrait de l’abb& Pfyffer, tient des feuillets de papier ; l’auriculaire est orn&
d’une bague en or garnie d’un rubis.
En haut et ä droite est peint un blason surmonte d’une crosse et d’une mitre;
!’&cu porte : d’azur d trois triangles d’or assembles un et deux avec, dans le centre
de chacun d’eux, une dtoile de möme metal.
Au dos de la toile, on lit l’inscription suivante de la main du peintre :
REYUE D’HISTOIRE ECCLÄSIASTIQUE 10
La collection Meyer Am Ryn, & Lucerne, renferme une Rödligue
du portrait de l’abbe Martın Balthazar !, faite par Wyrsch l’annee sui-
vante, c’est-A-dire apres l’installation de l’artiste dans cette ville.
Au mois d’octobre de la m@me annde 1783, Melchior Wyrsch se
rendit de Buochs & Altdorf. Il regut, des Peres Capucins de cette localite,
la commande d’un tableau destine & figurer aux fetes de la b£atification
du Pre Laurent de Brindisi, autrefois provincial de la Suisse et general
de l’Ordre des Capucins. L’un de ces religieux, Appolinaire Morel,
posa devant le chevalet du peintre dans le but de representer le nouveau
Bienheureux. Notre artiste reproduisit exactement les traits du visage
de son modele. C’est ainsi que ce tableau devint, en re&alite, le Portrait
du Pere Appolinaire Morel, qui fut l’une des victimes de la Revolution
frangaise 2.
Durant ce sejour & Altdorf, Wyrsch peignit, pour la chapelle du
m&me couvent, le Christ en croix que nous avons &tudie precedemment ?,
ainsi que plusieurs autres tableaux et portraits pour divers particuliers.
Revenu & Besancon & la fin du mois d’octobre 1783, pour sa der-
niere annee de professorat, le maitre de Buochs, dont la brillante clientele
n’avait cesse d’augmenter depuis seize ans et dont le talent de por-
traitiste etait arriveE A son apogee, regut de la famille de Camus la
commande .de trois tableaux. Apres avoir portraitur& le president
a mortier Beatrix de Camus et son fils, le lieutenant de vaisseau,
Wyrsch fit, en 1784, le Portrait du chanoine de Camus *, dans une gamme
Reverendissi(m)us D(ominus) Martinus Balthasar abbas monasterii S(anc)ti Urbanı
natus 1736, professus 1752, sacerdos I759, electus 1781 die II Juny. Wyrsch
pinzit 1783.
1 M&mes dimensions approximatives que le precedent. Toile.
Elle porte la date de 1784 et la signature de Wyrsch, au revers. — J. AMBERG,
Schweizerisches Künstler Lexikon.
Ne & Lucerne le 3 mai 1736, Martin Balthazar fit profession le 29 novem-
bre ı752 & l’abbaye de Saint-Urban. D’abord bibliothecaire, puis sous-prieur et
administrateur adjoint & Herdern (Thurgovie), il devint prieur de l’abbaye en 1777
et en fut Elu abbe le ıı juin 1781. Il se retira & la Chancellerie de Herdern, pour
raison de sant£, le 2ı juin 1787, et mourut le 17 juin 1792. — VON MULINEN, opert
cıtato, tome I, p. 199.
2 D' P. ADELHELM JANN, O.Min.Cap., Der selige Apollinaris Morel, Märtyrer
aus der Schweiz. Annuaire du College Saint-Fidel, 4 Stans, 1926-27. Hans von
Matt, Stans 1927, p. 9.
8 C$. Wyrsch peintre d’histoire, ses Christs en croix et au tombeau. Op. cit.
* Second des fils du president & mortier au Parlement de Besangon, Maurice
de Camus, et de Frangoise-Bonaventure Chappuis de Rosieres, Jean-Antoine-
Frangois de Camus naquit & Besangon le 28 septembre 1731. Il succeda & son
harmonieuse de demi-teintes. On remarque dans ce vivant portrait,
«avec la correction du dessin, la pose simple et sans aucune recherche
du modele, son attitude digne, sans raideur ni morgue ».
Le prelat, assis dans un fauteuil, porte la soutane bleu-violette
garnie d’une ceinture violette, un rabat de mousseline noire liseree
de blanc avec un large ruban violet päle borde de jaune soutenant
la croix & huit pointes des chanoines de l’illustre chapitre metropolitain
de Besangon. Le centre de cette croix est orne d’un medaillon en Email
sur lequel sont peintes les figures des saints Ferreol et Ferjeux, patrons
de la Franche-Comte. La manche droite de la soutane est garnie d’un
volant de mousseline plissee ; la main, admirablement dessinee, porte
un anneau au petit doigt et tient une plume d’oie, dont la pointe est
appuyee sur une feuille de papier placee sur une table.
Cette toile, qui est encastree dans l’une des boiseries du chäteau
de Montmirey-la-Ville (Jura), appartient au baron Andre d’Aligny
et porte, au dos, les noms et qualites du modele, avec la date de 1784
et la signature de Wyrsch'!.
Le docteur Ledoux, auteur d’une interessante etude sur plusieurs
tableaux de Wyrsch ?, decede a Besancon il y a quelques annees, posse-
dait un bon tableau de notre peintre : Le Portrait de Dom Fleury, Prieur
de Sainte-Marie, date de 1784. Cet amateur d’art faisait & cette peinture
un reproche qui ne nous a point paru me£rite. Il estimait que la tete du
oncle Gabriel-Antoine-Ignace de Camus en qualit& de chanoine de l’&glise metro-
politaine de Besangon, le 23 octobre 1748. Mais comme il n’avait alors que 17 ans,
ne prit possession de son canonicat que le ı2 fevrier 1762. Nomme archidiacre
de Gray, il fut choisi comme vicaire general du diocese de Besancon par Mgr de
Durfort, dont nous avons signal& plus haut le portrait peint par Wyrsch.
Pendant la p£riode revolutionnaire, le chanoine de Camus &migra en Suisse
4 la suite de son archev&que et le seconda jusqu’& sa mort. A ce moment, Mgr de
Lenzbourg, &v&que de Lausanne, et le plus ancien des suffragants du prelat decede,
prit la direction du diocdse de Besancon et, par acte donn& & Fribourg le ı0 avril
192, nomma douze vicaires generaux pour l’aider dans cette administration.
Le chanoine de Camus fut maintenu dans ses fonctions et ne rentra en France
qu’& la fin de l’annee 1795. Il se retira dans son hötel, A Besangon, et y mourut
le 27 novembre 1802. Elu membre de l’Acade&mie de cette ville en 1762, ilen avait
ete elu deux fois vice-president et, en 1788, president. Orateur de talent et poete
moraliste, il fit plusieurs communications & cette societe savante. — L. PınGAUD,
Documents pour servir... op. ci. — GASTON DE BEAUS£JOUR, Memoires de famille
de Fabbe Lambert, op. cit., p. 311.
1G. BLonDEAu, Les portraits de la famille de Camus peints par Wyrsch.
lemoires de la Societe d’A griculture, Letires, Sciences et Arts de la Haute-Saöne, 1919.
2 Les zuvres du peintre Melchior Wyrsch au musee du Louvre et en Suisse.
Allmoires de la Societ d’Emulation du Doubs, 1900.
—_— 48 —
modele &tait un peu grosse par rapport au corps de celui-ci. Nous pen-
sons que cette disproportion est un effet d’optique produit par la pers-
pective et la ligne des Epaules qui se profile en raccourci, la tete etant
vue de face et les &paules de trois quarts. Au surplus, comme on sait
que Wyrsch faisait ses portraits tr&s ressemblants, on peut en deduire
que l’abbe, au visage des plus pacifiques, avait naturellement la t&te
‘un peu forte, sans Etre « une forte täte »!.
Nos recherches dans differents couvents de l’Ordre des Fran-
ciscains ne nous ont point permis de retrouver la trace du Portrait du
Pere Tiburce Prost, execute par Wyrsch, en 1784 ; son existence est
cependant certaine. Il eüt ete interessant de connaitre, autrement
1 Haut. 0,48, larg. 0,37. Toile ovale dans un cadre & raies de caur et perles
rondes dor&es de l’Epoque Louis XVI. Inedit.
Le prieur est vu & mi-jambes, de ?/, & droite, assis dans un fauteuil recouvert
d’etoffe verte. Il porte la robe en drap blanc-jaune de son Ordre, dont le devant
est recouvert d’une large bande de drap noir, en forme de scapulaire, serree &
la taille par une ceinture de m&me £&toffe noire. Le bras gauche est &tendu, la
main non visible. Le bras droit est repli& et s’appuie sur un gros livre dont on voit
le dos et la tranche rouge, plac& sur une table recouverte d’un tapis vert.
La figure de Dom Fleury est vue de face, assez grasse et color&e, le nez fort,
les yeux bruns, les sourcils gris, le front d&couvert et coiffe d’une calotte ronde
en drap noir, les cheveux blancs roul&s sur les tempes.
Au dos de la toile, on lit ces mots : D(om) Fleury Prieur de Sainte-Mart
äge de 62 ans, peint par Wyrsch 4 Besangon en I784.
L’abbaye de Mont-Sainte-Marie, de l’Ordre de saint Bernard de Citeaux,
dont la fondation remonte au XIIIme siecle, Etait situ&e dans les montagnes du
Doubs, entre le lac de Remorey et celui de St-Point. Ses vastes bAtiments, vendus
aux encheres pendant la R&volution frangaise, furent entiörement detruits; il
n’en reste qu’une petite chapelle.
On possede peu de renseignements sur Dom Fleury. Ne en 1722, il succ&da,
comme prieur, & dom de Farjonel en 1783. Lors des premiers troubles r&volution-
naires en 1789, les habitants de la seigneurie de Sainte-Marie se r&unirent et for-
cerent les portes de l’abbaye. Un officier civil du monastere, qui &tait & la tete
des mutins, exigea la remise des titres constatant les redevances dues aux religieux
par les censitaires du pays. Dom Fleury dut c&der devant la force et remit une
partie des archives du couvent, qui furent incendiees. Bientöt il quitta lui-meme
son abbaye, c&dant la place 4 Dom Denizot, qui pr&ta le serment constitutionnel
en 1792. Apres s’&tre tout d’abord retire A Besangon chez sa saur, femme de
Jean-Baptiste Forestier, dom Fleury &migra & Fribourg. On ignore s’il rentra
en France et & quelle date il mourut.
Le tableau de Wyrsch resta dans la famille Forestier et, par succession,
passa dans celle des Branche, puis des Ledoux. — BARTHELET, Recherches sw’
Mont Ste Marie, Pontarlier, Simon, 1858, p. 154.— Chanoine SUCHET et J. GAUTHIER.
L’abbaye de Mont Ste Marie et ses monuments. Me&moires de I’ Academie de Besamot.
1883. — Sauzay, Histoire de la persecution revolutionnaire... Op. cit., tome 1,
p- 34, et tome III, p. 114.
— 149 —
que par son buste de Boiston, la figure de cet &Ecrivain sacr& et de ce
savant mindralogiste et ornithologiste !.
Avant de quitter la capitale de la Franche-Comte, qui venait
de lui decerner, en r&ecompense de ses services, le titre de citoyen
I Ce tableau a &t& signale, pour la premidre fois, par Ch. Weiss, bibliothecaire
de Besangon. En recherchant les manuscrits du savant Capucin, il trouva, dit-il,
«un portrait remarquable du P. Tiburce, de Wirselz (sic), artiste de beaucoup
de talent, qui l’a fait en 1784. Au bas de cette peinture, on lit : Pater Tiburtius
Prost, a Jussero, aelatis 50. Conventus Bisuntini Capucinorum musoeum ervexit ».
Il convient de remarquer que le Pere Tiburce n’avait alors que 48 ans.
Joseph Boiston £&tait le fils et l!’&leve de Philippe Boiston, qui avait essay&
de fonder, de 1756 & 1761, une &cole de peinture et de sculpture & Besancon. Pen-
sionnaire de ’Acad&mie de Rome, il modela ce superbe buste, qui est signe :
Boiston fils, fait d Rome 1789. — ARMAND MARQUISET, Quelques venseignements
sur le P. Tiburce et le statuaire Boiston. Journal de la Haute-Saöne, du 25 octo-
bre 1851. — AUG. CasTan, L’ancienne Ecole... Op. cit., p. 97 et la note. —
J. GAUTHIER, La sculpture sur bois en Franche-Comte du XVme au XVIIIme siöcle.
Reunion des Societes des Beaux-Arts des Departements, XIXre session. Paris,
Imp. nat., 1895, p. 814.
Le Pöre Tiburce, Prost de son nom patronymique, naquit & Jussey (Haute-
Saöne) en 1736. Le 24 juin 1750, il entra comme novice chez les religieux fran-
ciscains de Faucogney. En 1754, il fit profession et alla &tudier la philosophie
au couvent des Capucins de Besangon. Elu, en 1770, suppl&ant au delegue du
chapitre de son Ordre, & Paris, il fut choisi, en 1774, par le chapitre provincial,
comme Custode, c’est-A-dire delegu& de la Province au chapitre general des Capu-
ans, Rome. Definiteur &lu en 1777 et 1783, puis Provincial de 1786 & 1788,
il fut nomme, en 1789, Definiteur general et Procureur general charge de traiter
les aflaires de l’Ordre aupr&s des Congregations romaines.
Rentre en France, il refusa le serment constitutionnel et se retira & Corre.
Etant retourne & Rome, il fut, en 1796, r&tabli par Pie VI dans ses fonctions de
Definiteur general qu’il conserva jusqu’& sa mort, arrivee en 1804.
Le Pere Tiburce consacrait ses loisirs & l’&tude des sciences naturelles
durant ses voyages en Franche-Comt£& et en Italie. Il a r&uni une quantit& de
mineraux et de fossiles qui formerent le noyau du mus&e d’histoire naturelle
de son couvent, & Besancon. Il est l’auteur d’un Panegyrique de St Louis,
hı & l’Academie de Besancon, le 24 avril 1785, et de divers ouvrages de
pomique religieuse.
ll a laisse en manuscrits de nombreux sermons, &tudes scientifiques, journal
de voyages, etc., qui furent vendus en 1818 & un brocanteur de Langres, &
qui Ch. Weiss essaya vainement de les arracher. Ces manuscrits sont actuellement
la propriet€ de M. Feuvrier, professeur au college de l’Arc, & Dole, qui en a donne
le catalogue. — Abbe MorEY, Les capucins en Franche-Comie, Paris, Poussielgue,
1882. — Pre UBaLd, Etudes franciscaines, janvier 1903. — GASSER, Me&moires
de la Soci&t& d’ Agriculture de la Haute-Saöne, 1903, p. 19, 20, 26 et 27. — JULIEN
FEuUVRIER, Le Sundgau en 1785. Revue d’Alsace, novembre et decembre 1903.
— IDem, Un naturaliste franc-comtois. Memoires de la Societe d’ Agriculture de
la Haute-Saöne, 1926, p. 77 & 89.
— 150 —
d’honneur, Melchior Wyrsch peignit encore le Portrait de l’abbe Varin,
chevalier de Malte!.
A peine rentre dans sa patrie, le maitre de Buochs trouva, comme
autrefois, une brillante client&le dans la haute societe. Ses demiers
tableaux et surtout ses portraits sont, pour la plupart, des chefs-d’&uvre.
Parmi ces derniers, nous ne connaissons pas de portraits d’ecclesiastiques?.
ı Haut. 0,46, larg. 0,36. Toile ovale dans un cadre dor& de l’&poque. Inedit.
Le chevalier Varin est represente en buste de face, dans un habit de drap noir
a la frangaise, ouvert sur un gilet de satin de m&me couleur. Sur le cöt& gauche
de la poitrine, est fixce la croix de Malte & huit pointes. Autour du cou, un large
ruban, pass€ sous un rabat noir lisere de blanc, soutient une croix en &mail blanc
& huit pointes surmontee d’une couronne royale, qui est la decoration des
chanoines de Saint-Antoine.
La figure de face, legerement tournee vers la droite, est empreinte & la fois
de majeste, de noblesse et de simplicite. Sous des sourcils noirs abondants, de
grands yeux expriment la douceur du caractere. Le nez fort, la bouche arquee,
le menton gras ct Ic front haut sont encadr&s par une perruque poudree & plusicurs
rangs de boudins.
On lit au dos dc la toile, de la main du peintre : Claude Auguste Victor
Varin ne en 1732, chevalier de Malte, cy devant chan(noin)e reg(uli)er de St Anton,
peints (sic) par Wyrsch 1784. Ce vivant portrait appartient a M. Jean Varin d’Aın-
velle, au chätcau de Servas, par Alais (Gard). ,
Les registres de la municipalite de Besangon signalent des Varin parmı
les notables et les co-gouverneurs de la cit&, depuis le XIIIme jusqu’au XVII»® siecle.
Cette famille donna naissance & plusieurs branches.
Antoine Varin &tait recteur de l’Universit@ de Dole en ı585. Frangois Varın
(1636-1720) etait conseiller au Parlement de Besangon en 1689. De son mariage
avec Frangoise Vuillin de Thurey, dame de Solmon (1639-1735), il eut un fis,
Jacques-Antoine Varin. Ne ä Besancon en 1676, mort & Paris en 1769, celui-i
fut nomme conseiller au Parlement de Besancon le 27 juillet 1736 et requt
l’honorariat le 28 mai 1753.
De son mariage avcc Marie-Charlotte, fille de Claude-Frangois WVaceret,
greflier en chef de la Cour des Comptes, il eut douze enfants. Deux de ses fils
devinrent conseillers au Parlement de Besangon, Francois Varin d’Ainvelle et
Charles Varin du Fresne, ce dernier, ainsi que sa femme furent egalement peints
par Wyrsch en 1784.
Trois autres fils entrerent dans les Ordres. L’un d’eux, Claude-Auguste-
Victoire Varin, ne A Besancon en 1732, fut d’abord chanoine de Saint-Antoine:
il quitta l’e&tat ecclesiastique et devint chevalier de Malte. Au moment de la
Revolution frangaise, il se refugia & Neuchätel, puis entra au service des allics
en 1797 et servit dans l’arm&e de Cond£. Il mourut en &migration & une date qu!
nous est inconnue. — LABBEY DE Bırı.y, Histoire de l’ Universite... Op. cit., tome Il,
p. 378 & 380. — Castan, Notes sur l’administration municipale de Besancor.
pP. 498. — Archives d&epartementales du Doubs, serie B, Ns 616, 618 et 619.
?2 C’est par suite d’une erreur que le beau portrait de Frangois- Jacqurs-
Joseph zur Gilgen, signal& dans le Schweizerisches Künstler Lexikon, a pu 6tre
pris pour celui d’un chanoine. Ce magistrat de la ville de Lucerne, qui porte,
dans son portrait, une robe noire et un rabat blanc, &tait charg& de l’administration
des bles.
— 1I —
En m&me temps, gräce au concours de la municipalite de Lucerne,
Vartiste, avec une ardeur toute juvenile, organisa dans cette ville une
ecole gratuite de dessin et de peinture, sur le mod£le de celle qu’il avait
fondee a Besancon et qu’il venait de laisser en pleine prosp£rite. Mais
deux ans apres, sa vue s’affaiblissant de plus en plus, il etait atteint
de la cataracte et le peintre aveugle se retirait dans le pays oü il avait
vu le jour.
La liste des portraits de prelats, prötres et religieux peints par
\yrsch, qui sont & notre connaissance et que nous venons d’etudier,
nest vraisemblablement pas compläte. Cependant, elle est suffisante
pour donner une idee de la faveur avec laquelle le talent du maitre
de Buochs etait apprecie, dans les milieux ecclesiastiques tant en
Suisse qu’en France, depuis les premitres annees jusqu’& la fin de
sa longue et laborieuse carriere artistique.
REZENSIONEN. — COMPTES RENDUS.
Isobel A. Knowles. Vom Fögfür. A treatise on Purgatory by Tschudy,
edited from the original manuscript in the Abbey Archives of St. Gall
with a grammatical commentary, notes and a glossary by —. Mit einer
Schriftprobe Aegid Tschudis. xv und 252 S. Kommissionsverlag Rudolf
Geering, Basel 1926. Preis broschiert 8 Fr.
Die Herausgabe von Aegid Tschudis theologischem Traktate « Vom
Fegfeuer » die hier vorliegt, ist eine germanistische Dissertation der
Universität Glasgow. Miss Knowles wurde durch Professor Dr. James
M. Clark, der von St. Gallen nach Glasgow berufen worden war, auf das
Manuskript Tschudis aufmerksam gemacht und hat die große Mühe der
Herausgabe nach Schwarz-Weiß-Photographien auf sich genommen, die
Herr Stadtbibliothekar Dr. T. Schieß für sie anfertigte. Diese erstmalige
Herausgabe eines Tschudi-Manuskriptes in Tschudis Originalsprache und
nach seinem Autograph ist gewiß sehr erfreulich und aller Unterstützung
wert. Aber so durchschlagende Entschuldigungsgründe in der Entfernung
von allen schweizerischen bibliographischen Hilfsmitteln und in der Ein-
stellung auf eine philologische Dissertation liegen mögen, darf eine erbetene
Besprechung den Historiker doch nicht über die Mängel hinwegsehen lassen,
die, wie ich in der Schweiz. Rundschau, Bd. XXV, p. 177, andeutete, dieser
Ausgabe anhaften.
Zunächst ist das Mißverständnis richtig zu stellen, daß das Manuskript,
Band XX der Bibliothek des Pfäferser Archives, im Stiftsarchiv St. Gallen,
wie Knowles im Vorwort p. IV bemerkt, mit Kap. X auf f. 134 abbreche,
da, wo diese Ausgabe ebenfalls Schluß macht. Das Manuskript zählt,
wie schon Wegelin (in Archiv £. Schweiz. Gesch. VI, p. 188 f., und darnach
Vogel, Aegidius Tschudi, p. 311) angab, 304 beschriebene und von Tschudi
numerierte Seiten, enthält alle ı9 im Inhaltsverzeichnisse (p. ı9 f der
Ausgabe) angeführten Kapitel, gibt dazu auf S. 302-304 mit dem Titel:
a Vom irrthumb abston ist loblich » eine Schlußermahnung an die Prote-
stanten, um mit der Anführung aus Ambrosius epistolarum, 1. 5, c. 31,
zu endigen:«..... Es sol sich keiner schämen, das besser anzunämmen. >
Der Traktat, den Tschudi (p. ı8 der Ausgabe) mit dem Titel « Vom
Fegfur » bezeichnete, liegt damit zweifellos im Originalmanuskript voll-
ständig und abgeschlossen vor. Dagegen hat die Herausgeberin darin
recht, daß das, was sie auf p. xımı-xı und 1-17 ihrer Ausgabe wiedergibt,
nicht direkt zum « Fegfeuer » gehört ; sie hat auch darin richtig gesehen,
daß Tschudi mit der Bemerkung : «stat hievor am 79. blatt» (p. 4) auf
verloren gegangene Ausführungen verweist, die vor dem Anfange des
jetzigen Manuskriptes gestanden haben müssen. Doch hat schon die im
XVII. Jahrhundert angefertigte Kopie, Cod. 808 der Stiftsbibliothek
St. Gallen, nicht mehr vor sich gehabt als heute das Original umfaßt.
Knowles hat gut gelesen ; unnötig war die Tafel der wenigen, leicht
auflösbaren Abkürzungen wie die Hervorhebung derselben im Texte. Ich
notierte wenige Verlesungen, so p. 21, Z. 4, natürlich ecclesiae anstatt des
unerklärlichen Entae. Dagegen wurde das Manuskript leider mit allen.sich
wiederholenden Seitentiteln, mit seiner Orthographie, sogar mit seinen
großen und kleinen Buchstaben und Interpunktion wiedergegeben. Im
Glossar gehen die Seiten- und Zeilenzahlen nicht auf die Paginatur des
Druckes, sondern auf jene des Manuskriptes. Das hätte unbedingt
geändert werden müssen. Die große Mühe, die nach p. ııı aufgewendet
wurde, die vielen Väterstellen zu identifizieren, deren Tabelle mit den
Verweisen auf Migne dann aber doch wegblieb, ist aller Anerkennung wert.
Sie hat auch zur Auffindung eines terminus post quem geführt, zur Postille
Johann Wild’s im Kölner Druck von 1560, sofern wirklich keine frühere
Ausgabe der Postille existiert. Für den Theologen und Historiker wäre
es wahrscheinlich aber ertragreicher gewesen, wenn den katholischen
Kontroversisten nachgegangen worden wäre, aus denen Tschudi schöpfte.
Am Schlusse des Manuskriptes, p. 301, nennt er, von Emser und Eck
angefangen, die ganze Reihe bis auf Staphylus und Canisius ; daß er den
besonders hervorgehobenen Hosius nicht als Kardinal bezeichnet, könnte
eventuell die Zeit der Abfassung kürzer umgrenzen. Die meisten der
Väterstellen werden vermutlich in den benützten Kontroversisten zu
finden sein. Hätte wirklich Tschudi selbst sie zusammengelesen, müßte
man seinen Fleiß bestaunen und seine theologische Bibliothek für ihre
Zeit als eine außerordentliche betrachten. Ganz hinweggegangen ist die
Herausgeberin auch über die Frage, ob eine und welche der damaligen
gedruckten Bibelübersetzungen im « Fegfeuer » vorliegt. Nur ganz all-
gemein wird in den Bemerkungen über die Sprache Tschudis ausgesprochen
{p. 230 ff.), daß ihre Formen jene des damaligen ostschweizerischen Deutsch
seien. Schon germanistisch hätte ein Vergleich mit der Zürcher Bibel
vorgenoımmen werden sollen. Für die inhaltliche Übersetzung ergab eine
Stichprobe, daß die Stellen 2 Thess. 2 u. 3 (p. xıı1) eher mit der Zürcher
Bibel, die Hauptstelle über das Fegfeuer, ı Cor. 3 (p. 27 f.), ebenso Gen. IX
(p. 69), eher mit der katholischen Übersetzung Dietenbergers übereinstimmt.
Es stand mir hiezu zur Verfügung die Zürcher Quartausgabe von 1534
und Dietenbergers verbesserte Mainzer Ausgabe von 1540.
Bezüglich der Abfassungszeit von Tschudis « Fegfeuer », die Knowles
mit Berufung auf den angeführten Druck Johann Wild’s von 1560 allgemein
gegen das Lebensende Tschudis verlegt (p. vı), habe ich in der Schweize-
rischen Rundschau, p. 177 f., die bezüglichen Stellen aus Vogel, Aegidius
Tschudi, p. 71 f., 87, 90 f., 213, 231 verwertet. Ihnen ist beizufügen, daß
das « Fegfeuer » vor der « Fürbitte der Heiligen » geschrieben wurde, da
Tschudi es im Original des letzteren, Cod. 807 der Stiftsbibliothek, p. 109,
anzieht. Wahrscheinlich ist das « Fegfeuer » 1560-1561 verfaßt worden.
Zweifel vermag nur das von Vogel, p. 9ı, Anm. 33, angegebene späte
Datum der Gegenschrift Landammanns Paul Schulers, 5. Januar 1571,
— 4 —
zu erwecken. Sollte ein I.ese- oder Druckfehler vorliegen, oder sollte, da
Schuler von dem « büchli » Tschudis spricht, später ein Auszug angefertigt
worden sein ?
Möchte die Herausgabe des « Fegfeuer » durch Miss Knowles, die trotz
ihrer Mängel eine sehr begrüßenswerte und für eine Erstlingsarbeit aller
Anerkennung und Unterstützung würdige Tat ist, die historische Forschung
auf die bisher vernachlässigte Seite der theologischen Schriftstellereı
Tschudis hinlenken. Daß auch für die Kenntnis der damaligen kirchlichen
Zustände manches sich ergäbe, wird ein Durchblättern der pp. 169-220
der Ausgabe zeigen, in denen die Verteidigung des Gebetes in der Kirche,
der Festtage, der kanonischen Tagzeiten, des Lateins als Kirchensprache,
sowie das Kapitel der Beanstandung der mangelhaft gebildeten Priester
und der gereimten Kirchengebete wiedergegeben wurde, soviel auch hier
wieder die Zitate der Väterstellen Platz beanspruchen. Eine spätere
eventuelle Ausgabe des übrigen Teiles des Manuskriptes für historische
Zwecke würde alle diese Väterzitate streichen können, um auf bedeutend
geringerem Raume Tschudis’ Anschauung und Meinung als Beitrag zu den
kirchlichen Zuständen jener Zeit zur Verfügung zu stellen.
St. Gallen. Joseph Miller.
Dr. P. Otmar Scheiwiller 0. 8.B. Annette von Droste-Hülshoft in
der Schweiz. (272 S. mit 5 Einschaltbildern.) Benziger & C°. Einsiedeln
(1926). Brosch. 7 Fr. 50; gebd. 8 Fr. 75.
Ein köstliches Buch hat der gelehrte Einsiedlerpater dem Andenken
Deutschlands größter Dichterin gewidmet. Das in Biographien, Brief-
sammlungen und Einzeluntersuchungen zerstreute Material hat er mit
neuem aus der schweizerischen Lokalforschung zusammengetragen, und
so einen wertvollen Beitrag zur Erklärung ihrer Eigenart und auch zur
Schweizergeschichte jener Zeit geliefert. Der Dichterin Aufenthalt in der
Schweiz war zeitlich und räumlich beschränkt. Er dauerte vom August
1835 bis in den Herbst des folgenden Jahres bei ihrem Schwager Laßberg
auf Schloß Eppishausen bei Erlen. Sie ist kaum über den Thurgau und
das Appenzellerland hinausgekommen. Später kam sie nie mehr in die
Schweiz. Mit dem Blicke auf die fernen Schweizerberge ist sie am
ı9. Mai 1848 auf Schloß Meersburg am Bodensee gestorben.
Der Aufenthalt in unserem Lande hat ihr nicht behagt. Im « Abschied
von der Schweiz » nennt sie es ein « ungeliebtes Land », ein « Land, wo
ich keine Nachtigall und keine Liebe fand». An diesen Klagen war vor
allem die Glaubensverschiedenheit — sie vermißte «das einträchtige,
friedliche Wohnen unter Glaubensgenossen » —, die politische Unsicherheit
und der ihr unverständliche Schweizerdialekt schuld. Dazu fühlte sie sich
vereinsamt ; mit dem grundverschiedenen Laßberg kam sie in keinen
innern Kontakt ; das Volk war ihr fremd ; Verkehr hatte sie wenig oder
nicht zusagenden. Wohl schrieb sie über die Schweizernatur einen herrlichen
Brief, worin sie den Schönheiten des Landes und der Alpen ihren Tribut
— 155 --
zollt ; aber einige herrliche Gedichte, darunter die Säntislieder, sind fast
der einzige dichterische Niederschlag ihres Schweizer Aufenthaltes geblieben.
Eine gerechte Beurteilung des Volkes, das damals von einer großen
demokratischen Welle heimgesucht wurde, blieb dem ganz anders gearteten
westfälischen Freifräulein versagt. Die Schweizer hat sie nicht geliebt,
«der Menschenschlag gefällt mir im ganzen gar nicht»; die Schweiz ist
nie ihre Heimat geworden. Und doch ist der Aufenthalt im Thurgau
für die Entwicklung der Dichterin überaus bedeutungsvoll, indem sie
gerade hier « zur künstlerischen Selbstbesinnung gelangte und sich ihrer
poetischen Sendung, Westfalens Sängerin zu sein, bewußt wurde ».
Aber nicht nur diese literarische Seite des Buches ist wichtig. Auch
dem Historiker bietet es einen wertvollen Beitrag, und die Schilderungen,
die die Dichterin in ihren Briefen von den Kreisen entwirft, in denen sie
lebte und verkehrte, werfen oft überraschend trefisichere Streiflichter auf
Land, Leute und politische Verhältnisse. Wie köstlich schildert sie ihren
Schwager, den etwas sonderlingshaften Freiherrn Josef von Laßberg, der
als «der alte Sepp von Eppishausen » in den Germanisten- und Dichter-
kreisen als großzügiger Mäzen und unermüdlicher Handschriftensammler
wohlverdientes Ansehen und Liebe genoß. Auf seinem Schlosse kamen
die « Prophetenschüler », wie Annette die Germanisten nennt, zu eigent-
lichen Philologenkongressen zusammen, die die Dichterin mit feinem
Humor und Satire zu zeichnen versteht. Hart, aber nicht ganz unwahr
sind die Worte, mit denen sie den Thurgauer schildert : « Die Schweizer,
auch die vornehmen, sind so; sie laufen vier Meilen bergan, um sechs
Kreuzer zu verdienen, aber umsonst strecken sie nicht den Finger aus,
um Dir zu zeigen, daß Dein Haus brennte. Ausnahmen gibt’s freilich
auch hier, aber dies ist der Volkscharakter.» (S. 123 f.) Die ideal ver-
anlagte Dichterin fühlte sich durch die allen höhern Interessen unzugäng-
liche, materialistische Gesinnung, durch die Habsucht, Profit- und Geld-
gier, die sie ringsum wahrzunehmen glaubte, abgestoßen. In dem gelobten
Lande der Demokratie kommt ihr vor, «daß die freien Schweizer, die
keinen Rang anerkennen wollen, die ärgsten Sklaven des Geldes sind, daß
reiche Bauern in den Dörfern unbeschränktere Herren und schlimmere
Tyrannen darstellen, als je der Unterschied des Ranges dergleichen hervor-
gebracht hat ; anderwärts mögen Konnexionen manches bewirken, hier tun
sie alles, Geld und Nepotismus sind die einzigen Hebel». (S. 100.)
Daß die politischen Verhältnisse ihre Abneigung erregten, ist begreiflich ;
sie waren aber auch unerquicklich genug. In ihren und Laßbergs Briefen
kommen sie zu trefflichem Ausdruck. Einst war Laßberg in die Schweiz
als das Land der Freiheit gekommen ; jetzt fragt er bitter : wo ist Freiheit ?
Er sieht nichts als politische Leidenschaft, Parteihader und -haß, die ihm
schließlich den Aufenthalt so verärgern, daß er Eppishausen verkauft
und nach Meersburg zieht. Auch hier verfolgen die Laßbergs und Annette
die politische Entwicklung in der Schweiz mit lebhaftem Interesse. Die
Dichterin ist ganz auf Seite des Sonderbundes. « Gott schütze das Recht I»,
Sagt sie in einem Briefe an die Mutter. « Hier in Baden gibt’s nur eine
Stimme, für den Sonderbund, und zwar von Unfrommen wie von Frommen,
— 156 —
da die armen kleinen Kantone ebensowohl für ihre Freiheit wie für ihren
Glauben fechten, und die Jesuitenfrage von den großen offenbar nur vom
Zaune gebrochen ist, um bei dieser Gelegenheit die kleinen einzuschlucken. »
(S. 113.) Das ist die Stimmung des Kreises. Ihre Mutter schrieb kurz
nach der Niederlage des Sonderbundes aus Westfalen, sie hoffe, Onkel
August hetze in Berlin den König gegen das miserable Schweizervolk auf.
Zu jener Zeit befand sich die Dichterin bereits auf dem Sterbelager, und
die Ereignisse in der Schweiz und die badische Revolution von 1848 haben
ihre letzten Stunden umdüstert und gequält, da sie bei ihrer kränklichen
Erregung doppelt darunter litt.
Ein Beispiel ihrer treffenden Charakteristik mag noch angeführt sein:
Wessenberg, der einstige Konstanzer Generalvikar und Bistumsverweser.
«Seine Persönlichkeit ist jetzt [1842] weder angenehm noch bedeutend ;
indessen habe ich ihn zu spät kennen gelernt, da er offenbar schon sehr
stumpf ist.» «Zudem scheint er mir unbegrenzt eitel ; jede Miene, jede
Kopfbewegung hat etwas Gnädiges ; sein Gespräch ist durchspickt mit
Hindeutungen auf seine literarische und kirchliche Stellung, erlebten
Verfolgungen, und er bringt, passend oder unpassend, überall seinen
intimen Freund, den Erzbischof Spiegel [von Köln], an, dem er sich auch
so genau im Äußern nachgebildet hat, daß die Ähnlichkeit wirklich frappant
ist, nur daß der angeborne unnachahmliche schlaue Blick in Jenes Gesicht
in diesem sich fast lächerlich ausnimmt, weil die natürlichen Züge
dagegen protestieren. Kurz, ich meine, diese große Eitelkeit und die all-
zeit damit verbundene Kleinlichkeit und Schwäche müssen Wessenbergs
Bedeutendheit doch immer sehr geschadet haben, und ich kann mich,
seit ich ihn gesehen, nicht enthalten, weit mehr diese für das Motiv seiner
auffallenden Schritte zu halten als irgend etwas anderes. » (S. 97.)
Die Ausstattung, die der Verlag dem inhaltsreichen Buche gegeben
hat, verdient Anerkennung ; der Einband ist geschmackvoll und die
Einschaltbilder zeigen die handelnden Hauptpersonen und den Ort ihres
Aufenthaltes. Dagegen ist der von vielen Buchhändlern geübte Trick,
kein Erscheinungsjahr anzugeben, besonders bei wissenschaftlichen Büchern
ernstlich zu rügen.
Karl Schönenberger.
Durrer Robert. Die Schweizergarde in Rom und die Schweizer n
päpstlichen Diensten. Band I. Luzern, Räber & Cie. 1927. xılı und 432 $-
8°. Broschiert 22 Fr.
Dieses Buch sollte zum Jubiläum des Sacco di Roma, 6. Mai 1927,
erscheinen ; allein wenn es auch erst einige Monate später herauskam, so
dürfte es doch nicht weniger willkommen sein als eine seines Verfassers
würdige Leistung in vornehmer und geschmackvoller Ausstattung, die dem
feinen Kunsthistoriker wie auch dem Verleger alle Ehre macht. Dadurch
daß der Verfasser auch die Schweizer in päpstlichen Diensten mit in seinen
Rahmen einbezog, berührt und kreuzt es sich mit den älteren Werken von
Charles Kohler, Les Suisses dans les guerres d’Italie de 1506 & 1512,
Geneve-Paris 1897, und meiner Abhandlung über Kardinal Matthäus
Schiner, Freiburg 1923, während Ernst Gagliardi, Der Anteil der Schweizer
an den italienischen Kriegen, ı. Bd. 1494-1509, Zürich 1919, zwar noch
in dieselbe Zeit sich erstreckt, im übrigen aber kaum das gleiche Thema
streift.
Verf. hat der Schweizergarde, diesem einzigen Überbleibsel, « einer
nimmer wiederkehrenden Vergangenheit », von 421 Jahren, die mit der
Geschichte des Papsttums und seinen welchselvollen Geschicken aufs
engste verflochten ist, ein glänzendes Denkmal gesetzt und zugleich ein
Meisterwerk der Geschichtschreibung von seltener Beherrschung des weit-
schichtigen, zum großen Teil entlegenen und fremdsprachlichen Quellen-
materials und einer ungewöhnlichen Darstellungskunst, welche die Lektüre
auch für weitere Kreise zu einem Genuß werden läßt. Dabei legt er stets
großes Gewicht auf die kulturhistorischen Gesichtspunkte, auf die sach-
verständige Würdigung des Milieu und auf die Charakterisierung der oft
wenig bekannten Persönlichkeiten, die an Hand sorgfältiger und oft mühsam
herangezogener Personalien hier vielfach zuerst ihre richtige Würdigung
erhalten. Doch wird diese Fundgrube an trefflichen Einzelheiten erst
durch ein Register am Schlusse des zweiten Bandes völlig erschlossen
werden, wo auch eine übersichtliche Zusammenstellung der Quellen und
Literatur dem Forscher sehr erwünscht wäre. Interessant und beachtens-
wert scheint mir des Verf. Urteil über die Reformation als eine « germanische
Schulmeisterpedanterie », was ungefähr der Auffassung der Humanisten
entspricht. Nicht schmeichelhaft, aber auch nicht unrichtig ist es, wenn
er schreibt: « An die Stelle altehrwürdiger mystischer Zeremonien trat
das Idol des « Wortes», das «lautere Wort Gottes» und das Wort der
Prediger ! »
Neu und beachtenswert ist die Verfolgung der päpstlichen Soldrück-
stände bis in die werdende Reformation hinein und die dadurch beeinflußte
Haltung Roms wie Zürichs, die der Verf. ein « Versteckspielen » nennt !
Vor allem aber soll hier hervorgehoben werden die Feststellung (S. 337),
daß man die Bezahlung des rückständigen Soldes der Zürcher Truppen vom
Piacenzer Zuge bis heute unrichtig dargestellt hat und dabei übersehen hat,
daß 1524 bereits die Hälfte davon ausgerichtet wurde, die andere Hälfte
aber schon Ende 1524 hätte erhoben werden können, wenn man gewollt
hätte und daß erst später, da man das päpstliche Angebot nicht angenommen,
sie beiderseits mit der religiösen Frage verquickt wurde, zuletzt, erst
nach der Niederlage von Kappel, indem Filonardi es noch einmal versuchte,
durch das Versprechen der noch schuldigen Restzahlung die Zürcher wieder
zur Umkehr zu bewegen, was damals nicht aussichtslos erscheinen mochte.
Ferner, daß Zwingli bei seiner Neuerung (ähnlich wie Calvin in Genf) sich
hauptsächlich auf ausländische Emigranten, wie Leo Jud, Pellikan, ferner
Berchtold Haller, Franz Kolb und Oekolompad stützte, die alle ziemlich
wegwerfend als «a Schwaben » bezeichnet werden. Auch was von Joachim
am Grüt und seiner Rolle im Glaubensstreit gesagt wird (S. 344), verdient
alle Beachtung !
Als ein großes Verdienst möchte ich es auch ansehen, daß Verf. die
— 158 —
nur in einem seltenen Basler Druck erhaltene Leichenrede Joh. Fabers
auf den Gardehauptmann Kaspar von Silenen, der bei Rimini Anfang
August 1518 gefallen war, ganz wieder abdruckt. Eine große Zahl wohl-
gelungener und geschmackvoll ausgewählter Abbildungen liefern den
reichen illustrativen Schmuck : Siegel, Wappen, Porträts, Münzen, Ge-
schenke, Glasscheiben, Buchverzierungen, liturgische Gewänder, Zeich-
nungen und Holzschnitte, ja Freskobilder, Manuskripte, darunter große
Seltenheiten, aus entlegenen, schwer zugänglichen Fundstellen und viel-
fach auch erstmalige Wiedergaben, stets wertvoll wegen ihrer Beziehungen
auf den Inhalt des Buches, dessen Fortsetzung mit großer Spannung
erwartet wird !
Noch wären einige Kleinigkeiten und Berichtigungen für eine eventuelle
Neuauflage oder Übersetzung ins Italienische oder Französische hier
anzufügen. Auf S. 4, Anm. 8, wäre von Dierauer, Geschichte der Schweiz.
Eidgenossenschaft, Bd. II, die 3. Aufl. von Ig2o statt der ersten von 1892
zu zitieren. (S. 7.) Für Durrers Vermutung, daß eine schweizerische Palast-
wache bis in die Zeit Sixtus’ IV. hinaufreichen dürfte, spricht auch der
Umstand, daß der Einsiedler Dekan Albrecht von Bonstetten von seiner
Descriptio Helvetiae, dieser glänzenden Reklame für schweiz. Söldnerwesen,
dem Papste Sixtus IV. unterm 22. Mai 1480 ein Exemplar widmete, zu-
gleich mit seiner Beschreibung des Burgunderkrieges und des Liber de
provisıone vacantis Burgundie, alle drei in lateinischer Fassung.
Über Peter von Hertenstein (S. 14) sind jetzt die besten biographischen
Angaben zu finden bei Imesch, Das Domkapitel von Sitten zur Zeit des
Kardinals Matthäus Schiner, in Blätter aus der Walliser Geschichte VI,
S. 90-92. Es ist Verf. entgangen, daß ich dem Sturz des Bischofs Jost von
Silenen und dem in Rom gegen ihn geführten kanonischen Prozeß in
meiner Schinerbiographie zwei ganze Kapitel (S. 26-59) gewidmet habe.
Über die Gebrüder Kaspar, Jost und Albin von Silenen findet sich außerdem
viel aufschlußreiches Material bei /mesch, Walliser Abschiede, Bd. I, in
meiner Schiner-Korrespondenz, Bd. I, sowie in meinen « Urkunden und
Akten zur Walliser Geschichte des XV.-XVI. Jahrhunderts », in Blätter
aus der Walliser Geschichte, V. Bd. Eine fatale Verwechslung ist Verf.
passiert in bezug auf seine Angaben über meine Schinerbiographie und
die von mir edierte Schiner-Korrespondenz (S. 45, Anm. 24). Während
von der Biographie nur der ı. Bd., 1923, erschien, dagegen von der
Korrespondenz 2 Bde (1920-25), zitiert D. 2 Bde. der Biographie (1923-26)
und von der Korrespondenz nur den I, Bd., ein Beweis, daß er den 2. Bd.
jedenfalls nicht eingesehen hat. Daraus erklärt es sich auch, daß er zahl-
reiche Briefe und Urkunden nach den Originalen zitiert, während sie in
der Schiner-Korrespondenz bereits gedruckt sind. So z. B. das Breve
Julius’ II. vom 22. April 1506 (Sch-K., Nr. 83), auf S. 38, A. 5; ferner
der Brief Krummenstolls an Freiburg vom 24. Juli auf S. 50, A. 37
(s. Sch.-K. II, 530, Nr. 1242) ; ferner Breve Julius’ II. an Schiner vom
4. September 1510, auf S. 61, Anm. 24 (vgl. Sch.-K., Nr. 133). Das
Schreiben Peter Falks an Freiburg, 29. Mai 1512 (s. Sch.-K., Nr. 188),
S. 129, A. 73, Schiner an die Hauptleute in Villafranca vom 30. Mai ebda.
(s. Sch.-K., Nr. 189). Das Schreiben von Leonhard Holzhalb an Jakob
Stapfer (s. Sch.-K., Nr. 771), gehört weder ins Jahr 1520, wie das Original
angibt, noch ins Jahr 1512, wie Durrer meint (S. 131, A. 75), sondern ins
Jahr 1521, wie ich es eingereiht habe ! Ferner Schreiben Peter Falks aus
Pavia an Freiburg, 19. Juni 1512, auf S. 141, Anm. 101 (s. Sch.-K., Nr. 203) ;
Lienhard Grieb an Basel, Lodi, 2. November 1512, auf S. 164, Anm. 183
ivgl. Sch.-K., Nr. 277), Peter Falk an Freiburg, ı4. März 1513, Sch.-K.,
\r. 292), ist bei Durrer S. 171, A. 211, falsch datiert zum 2ı. März ebenso
5.173 und 174, A. Ferner Schreiben Schiners an Zürich, Rom 9. Juli 1522,
auf S. 323, A. 23 (vgl. Sch.-K., Nr. 836).
Von Caspar Wirz hat Verf. auf S. 39, Anm. 5, die falsche Archivsignatur
des päpstlichen Breves vom 22. April, T 29 statt 24, übernommen ! Auf
5.71, A. 6, sind unter den Vertretern Schiners, den Kaplänen Herr Walter
und Herr Peter, sehr wahrscheinlich Walter Sterren, Domherr, und Peter
Empchen, Hofkaplan des Bischofs, zu verstehen. Supersaxos’ und Schiners
Rechtschriften werden auf S. 76, A. 20, ferner S. 79, A. 31, noch nach der
älteren, fehlerhaften Ausgabe von Caspar Wirz zitiert, statt der neuen und
besseren, in Blätter aus der Walliser Geschichte VI, 2. v. J. 1923, wo auch
ein gutes Namenregister hinzugefügt ist nebst vielen erläuternden Fuß-
noten! Zum Arsent-Prozeß in Freiburg (S. 76) wurde die eingehende und
neueste Behandlung, der in meiner Schinerbiographie, Bd. ı, 232 ff., ein
eigenes Kapitel gewidmet ist, gänzlich übersehen !
Wenn Durrer S. 79, A. 31, einer Erhebung Schiners zum Kardinal in
petto gestützt auf das Tagebuch Paris de Grassis jede Tatsächlichkeit
bestreitet, so steht dieser Behauptung doch verschiedenes entgegen : Die
erste Andeutung auf diese Beförderung findet sich in einer undatierten
Instruktion Jörgs auf der Flüe vom Juni 1509 (s. Sch.-K. II, Nr. 1122),
wo es heißt : « Cesar peciit dudum, quod d. noster Sedunensis in ordinem
cardinalis assumeretur » (ferner Bl. a. W. G. V, 292), und etwas später,
Anfang Juli 1509, stellt Schiner selber dies Begehren in seinem Schreiben
an den Kaiser (s. Sch.-K., Nr. 113, S. 88) mit den Worten : « Darnach ....
wollen gnädiglich bey dem hl. Vatter und Stuhl zu Rom umb den kardinal-
hut .... mich vorwenden » etc. Jörg in seiner Rechtfertigung vom
20. November 1513 bestätigt dies (Bl. a.d. W. G. VI, 136) bei der
Erzählung seiner Audienz bei Julius II. Ende Juni 1509 rühmend :» ego.....
fogavi, ut persona vestra honore cardinalatus honoraretur » und erhielt
darauf einen gütigsten Bescheid. Dann heißt es weiter in der oben genannten
Instruktion : «si contra mentem S. D. N. non fuerit et si nunc non publi-
cetur, fiat tamen de eo nominatio et electio ad cardinalatum, prout fides
et devotio sua, quam Sedi Apostolice gerit, bene meretur. » Daraus ergibt
sich doch allermindestens, daß man im Sommer 1509 eine Ernennung
Schiners zum Kardinal dem Papste nahe legte! Gut dazu paßt es, wenn
d’Amboise unterm 20. August 1510 an den Großmeister in Mailand meldet,
der Papst habe dem Bischof von Sitten das Kardinalat verheißen, damit
er die Eidgenossenschaft aufwiegle (Imesch, Absch. I, 159). Auch die
Anspielung Schiners in seiner Rede vom 5. Januar 1514: « licet [d. n. cardi-
nalis Sed.] a proxime exactis [sc. annis] citra ad cardineum apicem assump-
— 10 —
tus permanserit ejusdem ecclesie Sed. administrator » (s. Sch.-K., Nr. 353,
S. 515) kann nur so verstanden werden, daß er vor Neujahr 1510 bereits
Kardinal geworden war! Auch Sanuto (XI 185) weiß im August 1510
zu berichten, der Papst habe einem Schweizer Bischof versprochen, ihn zum
Kardinal zu machen.
Warum zitiert Verf. das Schreiben von Heini Erb an Uri vom 18. Juni
1512, (S. 133, A. 80,) nicht nach seiner eigenen Ausgabe im Urner Neujahrs-
blatt XIX, S. 43, Beilage ? Auch das Breve Julius’ II. vom 6. Januar
1510 (S. 48, A. 30) ist nach einer ganz mangelhaften Abschrift zitiert, statt
nach der guten Wiedergabe von E. Wymann im Urner Neujahrsblatt 1922,
S. 15. Dort lautet die Adresse: « Dilecto filio Amano (statt Romano)
Beroldingen, Primario (statt Amanus) de Urania.» Ebenda, am Ende des
Absatzes, zitiert Verf. die deutsche Übersetzung eines Breves Julius’ Il.
an die Urner von 1510, während Wymann das lateinische Original im
Urner Neujahrsblatt ı913 veröffentlichte. Das Schreiben Burkards von
Erlach an Bern vom Pfingstabend 1512 (auf S. 127, Anm. 60) findet sich
abgedruckt im Schweizer. Geschichtsforscher I, 216. Zu den Vorgängen in
Rimini (S. 195) s. ferner Anshelm IV, 224, 229, und Petrus Martyr, Epistolae
CXXXV'. An Druckfehlern sind mir aufgefallen S. 143, A. 106, der 29.
(statt 19.) Juni; S. 312, Z. 6 der Anm. 302, soll es heißen : samer statt
sumer ; S. 148, A. 27, lies XVI stuck hauptbuchsen statt hauptstuck-
buchsen.
Albert Bücht.
Fribourg. — Imp. de I’CEuvre de Saint-Paul. 28.
Zeitschrift
Sehweizerische Kirchengeschichte
Ren #listoire Ecclösiastique Suisse.
eo
4
HERAUSGEGEBEN VON PUBLIGE PAR
Auserr BÜCHI, . ‘Jon. Perer KIRSCH
0. d. Professoren an der Universität Freiburg (Schweiz)
N Sr r . \ t ,
| ‚UND _ \ !
Low WI/EBER, . =
| Chanoine, prof au Grand Seminaire, Fribourg.
-
EN
XXI. JAHRGANG, 1}. HEFT. — 22” ANNEE, FASC. ll.
nd
Erscheint viermal jährlich. — Paraft lass fols par an.
FERNE : 8Fr. — Prix de l’abonnement : 4 ei
STANS 1928.
‚ Hans. von Matt, VERLAGSHANDLUNG.
Inhaltsverzeichnis — Sommaire.
R AR
Hans Dommann. — Die Kirchenpolitik im ersten Jahrzehnt des neuen
Bistums Basel (1828-1838) (Fortsetzung). Me BE ee 0
Ant, v, Castelmur. — Fragmente eines Churer Missale aus der Mitte
| des XI. Jahrhunderts . . . . Me A Br a | “0. 18
. J. Al. Scheiwiler: — Die Reform im Kloster St. Gallen (F ortsetzung) 198
Kleinere Beiträge. — Mölanges . ». . 2 200. 218
Rezensionen. — Comptes rendus . . . 2: 2 0. Den 2 223
GRÖSSERE BEITRÄGE, TRAVAUX
welche für die nächsten Nummern que la Revue publiera
in Aussicht genommen BUTOEN: ae
Arnold Winkler, Gestein und die Aurkuer Klosterfrage. — Rudolf
Henggeler, Der Äbte-Katalog von Fischingen, Rheinau und St. Gallen. —
K.E. Winter, Bachofen und die Romantik. — Fridolin Segmüller, Geschichte
des Kollegsvon Ascona. — Schlumpf, Quellen zur Biographie der sel. Rachild. —
L. Waeber, Lettres de Rome, de Sebastien Werro (1590-1593). — 'Le m&me,
.. Un projet de la France, de transferer A Soleure le sitge episcopat de Lausanne
(1714). — Georges Blondeau, Tableaux d’autel, peints par Wyrsch. —
H. Bastgen, Vatikanische Aktienstücke zur aröndung des Jesuitenkollegs ın
‘
Schwyz.
N,
NB. — Alle für die Zeitschrift für schweiz. Kirchengeschichte bestimmten
"Rezensionsexemplare sind an die Redaktion, Freiburg, zu adressieren. —
Tous les ouvrages destines @ recevoir un compte rendu dans la. Revue
. d’Histoire ecclesiastique suisse doivent etre envoyes BUS EDEN a la Redaction,
Fribourg. ;
Die Zeitschrift 0 LA REVUE
für Schweizerische Kirchengeschichte D’HISTOIRE ECCLESIASTIQUE SUISSE
erscheint 4 Mal jährlich. . parait par fascicules trimestriels.
Die Kirchenpolitik im ersten Jahrzehnt
des neuen Bistums Basel (1828-1838).
Nach Briefen des Bischofs Jos. Anton Salzmann,
des Schultheißen Jos. Karl Amrhyn und anderer.
Von Hans DOMMANN.
(Fortsetzung.)
Am ıo. März büßte das Gericht in Altishofen den Pfarrer mit
4 Franken ; die Regierung appellierte, trotzdem sich mehrere Bitt-
schriften für Huber verwandten. Das Appellationsgericht aber er-
klärte am 5. April den Beklagten für schuldlos und überband der
Regierung die Kosten. Trotzdem mußte Huber weiter in der Gefangen-
schaft bleiben. Die Erklärung dafür liegt in der Antwort, die
' Amrhyn dem Bischof auf dessen Schreiben vom ıı. Januar erteilt
hatte: «Der einmal geschehene und von nun an für die Regierung
unwiderruflich gewordene Schritt war getan, und mochte ich auch in
Hinsicht der Form über die Einleitung zur Entfernung des Pfarrers
Huber nicht ganz einverstanden gewesen sein, so blieb mir als
Standeshaupt von nun an nichts anders übrig, als den Ausspruch der
Regierung zu handhaben und ihre Würde und Konsequenz zu bewahren.
Das ihr streitig gemachte Recht, einen Geistlichen von seiner Pfründe
zu entfernen ; die sonach öffentlich gewordene Anfeindung dieses
Rechts ; die wahrheitslose, böswillige Verdächtigung der Handlungen
der Regierung ; die aufreizende Entstellung des Hergangs der Sache ;
die damit eingeflochtenen Fragen über die wichtigsten Verhältnisse
zwischen Kirche und Staat und zudem im freien organisierten Staate
...: alles dieses hat mich dann vollends in die durch Eid gebundene
Stellung gedrängt, auf dem Rechte des Staats, dem unverjährbaren
Erbteile der Väter (die die Päpste demungeachtet die Beschützer der
heiligen Religion nannten) standhaft und — ich sage es offen — aus
Überzeugung zu beharren. ... Mißbrauch und der dadurch hervor-
gerufene innere Drang zum Bessern, das sittliche Lebensprinzip des
nach höherer Bestimmung in geheiligter Stunde anstrebenden Menschen,
REVUE D’HISTOIRE ECCLESIASTIQUE 1
— 162 —
hat den Kampf der Zeit, die Revolution herbeigeführt. Selbstsucht
und Ehrgeiz haben sich mit blendender Arglist dieser heiligen Flamme
bemächtigt ; der Staat sank unter dem Lobgesange über die Volks-
herrschaft ; die Kirche sinkt durch die Herrschaft ihrer Glieder. Die
Revolution ist auch in diese übergegangen. Die Regierungen stehen
ohne Achtung, ohne Zutrauen und Würde da, dem öffentlichen Spotte,
der Verhöhnung preisgegeben ; der Bischof verlassen von der Geist-
lichkeit, die ihn zu beherrschen versucht ist: beide im bittersten
Kampfe um die wichtigsten, heiligsten Interesse[n] der Menschheit —
jene um Ruhe, gesetzliche Ordnung und Sicherheit, diese[r] um innern
Frieden und heilige Einigkeit. Allein um das Unglück der Welt zu
vollenden, sollten diese leitenden Weltorgane — ohne deren ein-
verstandenes, liebevolles Zusammenwirken keine Erlösung möglich —
sollten auch diese einander entfremdet werden, einander feindselig
gegenübertreten. ... Die Regierungen, wenn sie die ihnen entrissene,
für sie so unerläßliche Wirksamkeit wieder gewinnen wollen, haben
einen einzigen Weg noch, um dazu zu gelangen, und dieser besteht
im redlichen Festhalten an den politischen Grundlagen, die vorhanden ;
in ernster, konsequenter Behauptung der darin gegründeten Rechte
gegen jeden Angriff — möge er auch kommen, woher es immer sei —
und in dem mutvollen Entschlusse, eher zum Abtreten, als von dieser
Bahn abzugehen sich nötigen zu lassen, und um diese Notwendigkeit
erst auf den äußersten Fall eintreten zu lassen, zwar alle im eids-
genössischen Bunde liegenden Schutzmittel aufzubieten. Ein entgegen-
gesetztes Handeln würde nur den Feinden jeder Ordnung neue Siege
vorbereiten, müßte nur zu neuen Stürmen und am Ende zur schmach-
vollen Selbstzernichtung führen. — E. b. Gn. mögen nun selbst
urteilen, was der Regierung von Luzern nach ihren Vorschriften gegen
Hrn. Pfarrer Huber ... — der allem Anscheine nach zum erkiesenen [!]
Vorfechter der zunächst kirchlich-revolutionären Anmaßung, vorzüglich
der Geistlichkeit des Landkapitels Willisau gegen die Landesregierung
dienen soll — ihre Stellung sein und bleiben muß. Diese Anmaßung, die
jede Schranke — auch des gewöhnlichsten Anstandes — überschnitt,
selbst lieblos die Absichten der Regierung verdächtigte, wo sie ihren,
zunächst unter das Volk aufreizend geworfenen drohenden Forderungen
nicht entsprechen sollte, hat über Pfarrer Huber den Stab gebrochen ;
hat die Ansicht erzeugt und erzeugen müssen, daß es ihm [und] dieser
Geistlichkeit in ihrer Mehrheit um nichts Geringeres zu tun sei, als
die kirchliche Ordnung der Dinge zu untergraben und die Regierung
— 103 —
zu stürzen. — Jedes weitere Widerstreben seiner Entfernung kann
daher nur diese Ansicht noch mehr bestärken, führt die Regierung
zur traurigen Notwendigkeit : das Volk über diese ihm drohende Gefahr
aufzuklären, es vor derselben zu warnen und zur Seite geeignete Sicher-
heitsmaßregeln zu treffen, die bei der dadurch herbeigeführten all-
gemeinen Aufregung nicht mehr der freien Wahl der Regierung anheim-
gestellt bleiben werden. — Kann übrigens die bischöfliche Stelle die
Entheiligung des Tempels Gottes ununtersucht lassen, die Pfarrer
Huber unter dem vorgeschützen Rechte des Staatsbürgers durch die
Verlesung eines Zeitungsblattes — und sei es nun auch die Kirchen-
zitung — in der Kirche zu Uffikon verübt hat, und wodurch
jedem Laien das gleiche Recht — und noch für Schlimmeres — ein-
geräumt wird ? Darf es ihr gleichgültig sein, daß ohne ihr Vor-
wissen und ihre Mitgenehmigung von anderwärtigen kirchlichen Be-
hörden kommende Verordnungen usw. inner den Kirchen der Diözese
verlesen werden ? ...»!
Dieser Rechtfertigungsversuch, der vom Mißtrauen gegen die
kirchlich gesinnte Geistlichkeit ausging, mochte auf den Bischof einen
schmerzlichen Eindruck machen. Amrhyn aber war vom Rechte des
Staates überzeugt, wenn er auch mit der Art des Vorgehens nicht
einverstanden war. Er schrieb seinem Sohne: «Über die Art, wie
man bei der Abberufung zu Werke geschritten, war ich nicht der
Ansicht der Regierung, sondern hätte vielmehr gewünscht, es würde
der Bischof unter der Androhung dafür angegangen worden sein,
dafür die Einleitungen zu treffen, daß Pfarrer Huber von seiner
Pfrinde abtrete, ansonst die Regierung dessen Abberufung aus-
sprechen würde. Indessen, nachdem die Rechte der Regierung und
mittelbar jene des Staats angestritten werden wollen und die
Regierung kompromittiert, so werde ich — auf meine gehabten
Ansichten verzichtend — die Hauptsache : das Recht des Staats, aufs
! 10. Febr. 1834 ; St.-A. L. — Der bischöfliche Kommissär Waldis schrieb
am Iı. Febr. an Amrhyn, der ihm das Schreiben Salzmanns vom 9. Febr. an die
Regierung mitgeteilt hatte: «e... Sie können versichert sein ..., daß ich nach
Meiner mir aufliegenden Pflicht alles anwenden werde, um — wenn möglich —
den Bischof zu stimmen, zum Frieden des Staates das Seinige beizutragen. Gott
gebe meinem schwachen Worte sein Gedeihen !» — F.-A. A. IV. D. 83. — In
den Großratsverhandlungen vom 19. April erwähnte Amrhyn scine vertrauliche
Orrespondenz mit dem Bischof und drohte : wenn das Vaterland noch in größere
Gefahr kommen sollte, werde er dessen Schreiben mitteilen. — Schweiz. Kirchen-
zeitung 1834, Nr. 19.
—- 4 —
entschiedenste verteidigen. ... Die Regierung kann und darf nicht
zurückweichen — und wenn sie auch selbst zu weit gegangen wäre —
wenn sie nicht sich selbst und zugleich die gute Sache auf immer auf-
geben will.»! Die Furcht vor einem Umsturzversuch und vor der
Kritik des Großen Rats erweckte in Amrhyn die Absicht, dem Kleinen
Rat die Resignation in corpore vorzuschlagen. ? Dazu kam es aller-
dings nicht, da im Großen Rat zwar das Vorgehen der Regierung
scharf mißbilligt, aber von der Mehrheit auf Antrag Kasimir Pfyffers
am 19. April die Absetzung Hubers gutgeheißen wurde.
Am 25. April 1834 wurde Pfarrer Huber endlich aus der Gefangen-
schaft entlassen, doch mit der Bedingung, daß er seine Pfründe nicht
mehr betrete und innert 14 Tagen das Pfarrhaus räume. Huber
weigerte sich, das zu tun, mit Berufung auf seine kanonische Ein-
setzung. Am 5. Mai erneuerte der Bischof seinen Protest, erklärte
sich aber zur Verständigung bereit. Er schrieb an den Kleinen Rat:
« Auf Ihr verehrtestes Schreiben vom 25. April ... habe ich die Ehre
zu erwidern, daß auch ich innigst bedaure, in der Huberschen
Angelegenheit mit Hochdenselben nicht übereinstimmende Ansichten
hegen zu können, und nur in der beruhigenden Überzeugung, wie
Hochsie von meiner Ehrfurcht und Ergebenheit gegen die h. Regie-
rungen und von meinem unzweideutigen Bestreben zur Beförderung
des allgemeinen Friedens auf die strenge Notwendigkeit meiner
beobachteten amtlichen Handlungsweise schließen werden, etwas Trost
finde. Es gibt wirklich in den Verhältnissen zwischen Kirche und
Staat gewisse Saiten, welche besser unberührt bleiben, damit kein
Anlaß zu Dissonanz gegeben werde, und ich ließ es mir bisher immer
angelegen sein, in dergleichen Punkten nur im Einverständnis mit
1 14. März ; 17. April 1834 :e... Es handelt sich von beiden Extremparteien
um eine neue Revolution, um eine Gestaltung des politischen Zustandes des
Kantons. Die Extreme vereinigen sich. Die einen stürmen auf einen Verfassungs-
rat, die andern auf einen sonstigen Umsturz der Verfassung hin. ...» — Vergl. die
Briefe Chorherr Geigers an K.L. von Haller, hrg. von E. Reinhard, in der a Schweiz.
Rundschau », 25. Jahrg., ı2. Heft, 1926.
2 ı7. April. — Kanzler Amrhyn äußerte die Befürchtung, man wolle die
Geistlichen zu Dienern des Staates herabwürdigen. Sein Vater erwiderte ihm:
«a Darum war es nicht zu tun, und es dahin kommen zu lassen, wird auch Dein
Vater niemals gestatten. ... Allein, daß sich die Geistlichkeit von den Staats-
verhältnissen emanzipiere, über den Staat erhebe, wohl gar als die Propheten
einer Contrerevolution sich hervorstelle : dagegen werde ich mich immerfort und
aus allen Kräften stemmen. Zur Stunde war es noch darum zu tun, dem Staat.
der vollziehenden Gewalt das ihr zustehende ius supremae inspectionis et cavendi
zu entziehen. ...» (20. April.)
— 15 —
den betreffenden h. Staatsbehörden zu handeln. Diesem Grundsatz
werde ich auch künftighin huldigen. Da ich übrigens durch meine
zwei Schreiben vom ıIı. Jänner und 9. Hornung meine Amtes-
pflicht mit gewissenhafter Bedachtsamkeit vollzogen habe, bin ich in
jedem Falle und also auch in dem vorliegenden bereit, unter Vorbehalt
aller kirchlichen Rechte alles Mögliche beizutragen, jeden Stoff unheil-
bringender Zwietracht und Unruhe zu entfernen, zu welchem Zwecke
unter heutigem Datum zwei Briefe — der eine an meinen hochw. Herrn
Kommissar Waldis, der andere an den wohlehrw. Hrn. Pfarrer Huber
— von mir erlassen werden. Damit aber das beabsichtigte Ziel erreicht
werde, ist Hochdero Mitwirkung unumgängliches Bedürfnis. Erlauben
Sie mir, Ihnen in dieser Hinsicht den wohlehrw. Hrn. Huber, der
vierzehn Wochen lang gelitten hat, nachdrucksamst zu empfehlen. » —
Die Regierung nahm im Juni durch Amrhyn die Unterhandlung
mit dem Bischof während seiner Anwesenheit in Luzern wieder auf. Da
Huber aber in der Pfarrei Dagmersellen pastorierte und die Dekanate
Luzerns und die Bürger von Uffikon sich für ihn beim Oberhirten
verwandten, verlangte der Staatsrat am 28. Juni, daß der Bischof
dem Pfarrer den «gemessenen Befehl» erteile, sich künftig jeder
Berührung mit den Pfarrkindern zu enthalten. Die Regierung sehe
dem Einschreiten «mit Ungeduld » entgegen, «um nicht notgedrungen
zur eigenen Kraft ihre Zuflucht nehmen zu müssen. »! Salzmann
erwiderte am 4. Juli, er habe dem Pfarrer von Dagmersellen « unter
schwerer Verantwortlichkeit » verboten, Huber dort «irgend eine
priesterliche Verrichtung tun zu lassen », und er werde auch Huber
in diesem Sinne schreiben. Er fügte bei: «Was übrigens die ganze
Hubersche Sache betrifft, leidet niemand mehr darunter als gerade
der Bischof — und was ich zur Herstellung des Friedens getan habe
und immerfort tue, könnte Ihnen der hochw. Hr. Kommissar Waldis
vollkommenen Aufschluß gewähren. »
Huber übernahm dann vorübergehend die Pfarrei Root. Aber
auch dort blieb er nicht unbehelligt. Amrhyn wandte sich am
15. Januar 1835 an den Bischof mit der Klage, Huber biete in
! Entwurf mit Ergänzungen von Amrhyns Hand im St.-A. L. — Öffentliche
Erklärung Hubers gegen den Bericht des Kleinen Rats, Schweiz. Kirchenzeitung,
Nr. 30.— Über die Schritte wegen Dagmersellen : Schweiz. Kirchenzeitung, Nr. 31;
Eidgenosse, Nr. 58: «Es wäre zu wünschen, daß — wie beim Udligenswilerhandel
— auch hier die Nuntiatur sich offen ins Geschäft mischte ; vielleicht könnte
Luzern dann ebenso energisch wie Portugal verfahren, was eben kein Schade
wäre. »
— 166 —
Root «gleichsam der Regierung Trotz», und diese müsse ermnstlich
einschreiten. Der Staatsrat fordere, daß Huber «als Mietling der
Feinde unseres so sehr gepriesenen Vaterlandes » nicht nur von Root
entfernt, sondern überhaupt im Kanton Luzern nicht mehr zur
Ausübung der Seelsorge zugelassen werde. Am folgenden Tage schon
beantragte die Polizeikommission der Regierung, Huber von Root
zu entfernen, da zwischen ihm und dem Kaplan «feindselige Auf-
tritte» in der Sakristei stattgefunden haben und die Uneinigkeit die
Ruhe der Gemeinde bedrohe. Amrhyn stellte dem Bischof ein Ulti-
matum.* Dieser gab darauf dem Kommissär Waldis den Auftrag,
für die Entfernung Hubers zu wirken. Wenn das nicht gelinge, —
schrieb er Amrhyn konfidentiell — möge die Polizei nach ihrem
Belieben einschreiten ; der Bischof könne es nicht hindern. Er fügte
bei: «Hr. Huber hatte in Uffikon wirklich gefehlt ; doch nicht
in dem Grade, daß sich an eine Deposition auch nur denken ließe.
Deswegen vermochte mein mündliches und schriftliches Zusprechen
nichts über ihn, und er bestund hartnäckig auf dem Verlangen,
der Bischof soll einen geistlich richterlichen Spruch fällen. Die meisten
Ruralkapitel empfahlen mir angelegentlichst und dringend dieses
Verlangen des Herrn Huber. Jüngst erst erhielt ich von der Gemeinde
Uffikon eine neue Supplik zu Gunsten des Hrn. Huber. Würde ich
nun eintreten in diesen Prozeß, so könnte (auch wenn ich die Prozeß-
akten auf was immer für eine katholische Universität in Deutschland
oder Frankreich zur Begutachtung schicken würde) keine andere
Sentenz erfolgen, als eine temporäre Bestrafung Hrn. Hubers, zugleich
aber auch seine Wiedereinsetzung in die Pfarrei Uffiikon. Dadurch
würde jedoch der h. Regierung am allerwenigsten gedient sein. Des-
wegen glaube ich, die Sache auf sich selbst beruhen lassen zu müssen.
Um der Ruhe willen verbot ich zwar dem Hrn. Huber das Vikarisieren
in der Nachbarschaft Uffikons ; weiter aber darf ohne ein neues,
schweres Vergeh[e]n desselben mein Verbot sich nicht erstrecken.
Auf einen bloßen Rat oder Warnung aber nimmt er, wie ich ihn
kennen lernte, keine Rücksicht. ... Mit strenger Behandlung wird
nichts verbessert. Das Übel kommt nicht von ihm, sondern einenteils
von den radikalen Schmähschriften gegen unsere Religion, welche jeden
wahren Christen empören, andernteils von den sogenannten katho-
lischen Zeitungsblättern, welche unter den Augen der Regierung alle
1 16. Jan. 1835.
— 17 —
ihre Beschlüsse verdächtigen, verhöhnen und gleichsam öffentlich Auf-
ruhr predigen. Alles bleibt unbestraft. Ferner in den zwei Vereinen :
dem Schutzverein und dem Katholischen Verein, welche das Eingeweid
ihres eigenen Vaterlandes zerfleischen. Ach! wie herzlich bedauere .
ich Ihro Exc., in solchen Stürmen leilden zu müssen]. Aber auch Sie
werden mich bedauern, der ich — wie Sie — zwischen Hammer und
Amboß liege. ... »t — Pfarrer Huber lebte dann im Kapuzinerinnen-
kloster zu Luzern. Er wurde erst von der neuen konservativen Regierung
durch Beschluß vom 7. Juli 1841 in seine Pfarrei wieder eingesetzt. ?
Neben diesen luzernischen Angelegenheiten bereitete dem Bischof
in den ersten dreißiger Jahren auch der Verfassungseid der katholischen
Berner Geistlichen schwere Sorge. Er genehmigte schließlich auf das
Drängen der Berner Regierung eine weniger bedenkliche Eidesformel
nach dem Muster des Eides von 1818. Doch weigerten sich auf Ver-
anlassung des Provikars Cuttat alle Pfarrer, mit Ausnahme von drei,
der protestantischen Regierung den Eid zu schwören und appellierten
an den Apostolischen Stuhl. Bischof Salzmann schrieb darauf dem
Nuntius, daß er den Eid genehmigen möchte, und bat am 25. Februar
1832 Amrhyn um seine Vermittlung, mit der Bemerkung : «Wenn
die bischöfliche Autorität nicht aufrecht erhalten wird, werde ich
resignieren. »® Auch Regierungsrat Anton von Tillier verwandte sich
im gleichen Sinne bei Amrhyn. * Die jurassische Geistlichkeit sandte
an den Nuntius eine Deputation ; sie wies auf die ominöse Bedeutung
des Wortes « Prätre jure » hin, erklärte aber feierlich, der Weisung des
Heiligen Stuhles zu gehorchen. Der Nuntius ermahnte zum Gehorsam,
zur Unterwerfung unter den bischöflichen Willen. ®° So kam endlich,
nachdem Rom den Eid mit einem Zusatz bewilligt hatte, die Eidleistung
zustande. Die Haltung Cuttats aber war eine Ursache zu seinem
1 18. Jan. 1835. F.-A. A. — Kl. Rats-Protokoll, 30. Jan. 1835.
2 Am 2. Mai 1836 beklagte sich Amrhyn beim Bischof wegen des von Pfarrer
Huber verfaßten Gebetbuches : « Perlen aus der Vorzeit oder Gebete der Heiligen »
und schickte ihm dieses. Man suche durch seine Verbreitung im Volke die Befürch-
tungen wegen Religionsgefährdung zu erhalten. In der Vorrede zeige sich «der
verwerfliche, lieblose, wie selbstsüchtige Grund ..., warum dasselbe herausgegeben
ward. ...» Der Bischof schrieb deswegen dem Kommissär Waldis.
3 St.-A.L. Fach 9, Fasz. ı2 : Bischof, Domstift und Domkapitel. — Hurter,
3. 369 fi. 4 Bern, 27. Febr. 1832.
5 Der Nuntius an Amrhyn, 2. März 1832 ; Amrhyn an Tillier, 5. Mai 1832.
— In der Schweiz. Kirchenzeitung, Nr. 2, 1832, erschienen die Statuten des
«Vereins der Katholiken am Jura zur Erhaltung der Rechte der Kirche », unter-
zeichnet von Cuttat als Präsidenten.
— 18 —
spätern Sturze. Schon jetzt entsetzte ihn der Bischof auf Verlangen der
Berner Regierung seiner Stelle als Provikar.
Den ersten schweren Konflikt mit der radikalen Aargauer
Regierung brachte der Wohlenswiler Handel.! Pfarrer Stockmann, der
sich weigerte, ohne kirchliche Dispens die Ehe zweier Geschwister-
kinder einzusegnen, und vom Bischof entsprechende Weisung eingeholt
hatte, wurde am 23. Februar 1832 von der Regierung abgesetzt und
ein anderer Geistlicher polizeilich installiert. Der Bischof aber erklärte
die Ehe als ungültig. Angesichts der lebhaften Erregung in Volk und
Presse wandte er sich am 20. März an die Regierung. Er protestierte
gegen die Gewaltmaßnahme mit den Worten : «Gehören Sakramente,
Meßopfer nicht als wesentliche Bestandteile in das Bereich der Kirche,
so weiß ich nicht mehr, was in ihre Sphäre gehören könnte. » Und als
die Regierung dann einem andern Geistlichen die Pfarrverrichtungen
übertrug, anerkannte der Bischof auch diese einseitige Maßnahme
nicht. 35 Gemeinden des Freiamts richteten Petitionen an den Großen
Rat. Pfarrer Stockmann nahm zwar eine entfernte Kaplaneipfründe
an, und der Staatsgeistliche Borner bezeigte dem Bischof die Reue
über das gegebene Ärgernis ; aber der Konflikt zwischen Regierung
und Bischof kam zu keinem deutlichen Entscheid. * Allgemeinere
Streitpunkte beanspruchten bald das öffentliche Interesse.
III. Die Badener Konferenz
und der Kampf um die 14 Artikel (1834-1835).
Die Badener Konferenzbeschlüsse und ihre nähere Umschreibung
auf der Konferenz in Luzern bedeuteten den Höhepunkt im Staats-
kirchentum der dreißiger Jahre und die größte Schwierigkeit im Wirken
Bischof Salzmanns. ® Schon der sog. Langenthaler Gesamtvertrag
I Hurter, S. 599 fl.; Heer, S. 37 fl.
2 G. J. Baumgartner, II. 32 fl. ; Hurter, S. 599 ff. ; Schweiz. Kirchenzeitung, I.
1832, S. 4 ff. (Schreiben des Bischofs vom 20. März), S. 70 ff., 135 ff., 194 fl.
259 fl.; 1833, S. 738 ft.
8 St.-A. L. Fach 9, Fasz. 21; F.-A. A. II. 36 (Drucksachen, betr. Badener
Konferenz), I. 237 (Notizen Amrhyns). Baumgartner G. J., Die Schweiz in ihren
Kämpfen und Umgestaltungen, II. 54 fl. ; Baumgartner Alex., G. J. Baumgartner,
S. 103 fl.; Hurter, Die Befeindung der katholischen Kirche, S. 268 ff., 611 fl.;
Henne Ant., Geschichtl. Darstellung der kirchlichen Verhältnisse, III. 82 ff.;
Feddersen P., Gesch. der Schweizerischen Regeneration, S. 188 ff.; Tillier A. v..
Gesch. der Eidgenossenschaft während der Zeit des sogeheißenen Fortschrittes, I.
247 f., 330 fl. ; Siegwart-Müller, Der Kampf zwischen Recht und Gewalt, I. 141 f.:
— 19 —
vom 28./29. März 1828 und die Diözesankonferenz von 1830 hatten
die ersten Schritte zur Fixierung des Staatskirchenrechts getan ; sie
hatten u. a. die Reduktion der Feiertage, die Staatsaufsicht über das
Priesterseminar und das Plazet gefordert, waren aber zu keinem
Abschluß gekommen. Die Verwerfung der Bundesurkunde, die
Konflikte zwischen Bischof und Regierungen und die Bistumsverhält-
nisse im Kanton St. Gallen veranlaßten 1833 die Wiederaufnahme jener
Pläne. — Die Väter der folgenschweren Konferenzbeschlüsse von Baden
waren Eduard Pfyffer, G. J. Baumgartner, Prof. Christoph Fuchs und
Prof. J. A. Federer in Baden. ® Fuchs, der damals mit den kirchlichen
Behörden im Streite lag, regte schon am 8. Oktober 1833 in einem
Ratsherr Leu, S. 42 fl. ; Bluntschli J. K., Der Sieg des Radikalismus, S. 92 ff.,
484 fl.; Pfyffer Kas., Gesch. des Kts. Luzern, II. 5oı fl.; Heer, Das aarg. Staats-
kirchentum, S. 39 fl. ; Zschokke E., Gesch. des Aargaus, $. 249 fl. ; Derendinger,
Gesch. des Kts. Solothurn von 1830-1841, S. 343 fl. ; Vautrey, Il. S. 539 ; Lauter A.,
Die Idee eines schweizer. Erzbistums nach der Badener Konferenz, Kath. Schweizer-
Blätter, N. F. XII. 1896, S. 361 ff. ; «Die Badener Artikel vom Jahre 1834 »,
Schweizer-Blätter f. kath. Wissen und Leben, Luzern 1871, S. 193 fl. ; Karli Alb.,
Die Badener Konferenz, Kath. Schweizer-Blätter, N. F. XIV. 1898, S. 439 ft. ;
Schnyder F. L., Kurze Gesch. des Ursprungs der Badener Konferenzartikel, Luzern
1841 ; Schweiz. Kirchenzeitung, Luzerner Zeitung, Waldstätterbote, Eidgenosse,
1834, 1835.
1 St.-A. L. Fach 9, Fasz. ıı. Konferenzakten. — Die Protokolle wurden
teils von Amrhyn selbst abgefaßt, teils die Entwürfe des Sekretärs Friedr. von
Roll von ihm ergänzt und korrigiert. — Auch G. J. Baumgartner (II. 57) sagt:
die Badener Artikel seien « nichts anderes als eine Fortsetzung und Verallgemeine-
rung der Solothurner Beschlüsse von 1830 ».
2 Schultheiß F. L. Schnyder schreibt in seiner « Kurzen Geschichte » (1841)
das « Hauptverdienst » Christoph Fuchs zu : « Ihm gebührt bei dem großen Werke
das größte Verdienst. Er ist gleichsam der Schöpfer und Vater der gedachten
Artikel. ...» — Baumgartner schrieb am 27. Okt. 1834 an Dr. Karl Schnell:
«Ich kann Sie versichern, daß Eduard [Pfyffer] am wenigsten schuld an den
Badener Konferenzbeschlüssen ist: sie sind größten Teils aus meinem Kopf und
meiner Feder hervorgegangen ; insoweit aber weder das eine noch das andere
der Fall wäre, sind sie Folge der guten Räte Federers, der in diesen Materien
außerordentlich bewandert ist.» (Beitrag z. St. Galler Geschichte, 1904, S. 137 f.,
mitget. von G. Tobler.) — Kas. Pfyfjer bezeichnet in seiner Kantonsgeschichte
(S. 501 £.) — auf Grund eines Briefes vom 2. Nov. 1833 — den St. Galler Baumgartner
als Initiant ; ebenso Feddersen (S. 190). Baumgartner aber erklärt (« Die Schweiz
in ihren Kämpfen und Umgestaltungen », II. 55 f.): Eduard Pfyffer habe am
31. Okt. den Anstoß gegeben. Und P. Alex. Baumgartner bestätigt diese Behaup-
tung in seiner Biographie (S. 104) mit dem Wortlaut des erwähnten Briefes
Pfyffers, in dem dieser schrieb : « Wenn mit Erfolg der sich darbietende Moment
benutzt werden soll, so dürfen die Kantone nicht einzeln handeln, sondern die-
jenigen, die gemeinsame Interessen zu wahren oder zu fördern haben, müssen Hand
in Hand wandeln. Vorzüglich sollten nun Luzern, Solothurn, St. Gallen, Aargau
und Thurgau sich verständigen. ... Der Moment ist vielleicht günstiger als je. ... »
—- 70 —
Briefe an Eduard Pfyffer freundschaftliche Besprechungen einiger
Gesandten an der Tagsatzung an, da er den Zeitpunkt für günstig
erachtete. Anfang November schrieb er Pfyffer : « Ganz teile ich Ihre
Ansicht, daß sich die katholischen Kantone mit regenerierten Ver-
fassungen für kirchliche Emanzipation vom Joch der Nuntiatur und
römischen Kurialistik vorberaten und einigen sollten. ... Lieber gar
nichts, als nur etwas Halbes ; bei halben Maßregeln gewinnt und über-
listet — Rom. »! Pfyffer sah die Bedeutung und Gefahr des Schrittes ;
er schrieb Baumgartner : « Die Sache ist wichtig und heikel ; auch hier
muß sich Kraft mit Besonnenheit paaren. ... Wir haben im ganzen
einen unwissenden, unvaterländischen Klerus, an dessen Spitze
schwache, der Nuntiatur dienstbare Bischöfe stehen ; wir haben in der
katholischen Schweiz ein tiefstehendes, vorurteilsvolles, abergläubisches
Volk. ... Gegenüber steht das eigensinnige, an seinen Anmaßungen
starr hangende, aller Niederträchtigkeit fähige Rom. ...»? Fuchs
und Baumgartner unterstützten die Absicht des Luzerners. Am
23. November beantragte Franz Ludwig Schnyder — wohl auf
Pfyffers Veranlassung — dem Luzerner Großen Rate, den Kanton
St. Gallen nach dem Tode des Bischofs Karl Rudolf von Buol-
Schauenstein (23. Okt. 1833) für das Bistum Basel zu interessieren
und darüber, wie über die kirchlichen Verhältnisse überhaupt, eine
Besprechung zu veranlassen. Der Große Rat gab in diesem Sinne
dem Kleinen Rate Weisung. Am 4. Dezember wandte sich dieser
mit der Anregung an die Stände Bern, Solothurn, Baselland, Zug,
Aargau, Thurgau und St. Gallen. Er ordnete gleichzeitig zu münd-
licher Vorbesprechung Eduard Pfyffer an die Regierungen ab.’
I F.L. Schnyder, Kurze Geschichte.
4 11. Nov. 1833. Al. Baumgartner, G. ]J. Baumgartner, S. 104. — Baum-
gartner hatte einige Zeit vorher (13. Febr. 1833) von Pfyffer geschrieben : « Eduard
ist der gefährlichste Flicker, den man sich denken kann, und furchtsam ...'
(St. Gall. Analekten, V. 29).
8 Schreiben und Antworten im St.-A. L. Fach 9, Fasz. 2ı. Der Entwurf
für das Schreiben an St. Gallen stammt von Amrhyn. Es heißt darin: «In uns
lebt die Überzeugung, [daß] wenn die höhere kirchliche Einrichtung — wie die
Wiedererlangung eines Metropolitanverbandes, wodurch die Kircheninstitutionen
für die Schweiz im kirchlich-nationellen Sinne ihre Vollendung erhalten — eine
feste, heilbringende Begründung hindern soll, es durch gemeinsames, einver-
standenes Anstreben geschehen müsse.» — Der « Eidgenosse » (1833, Nr. 99 f.)
berief sich in einer einleitenden Betrachtung auf die Vergangenheit: «Die alte
Zeit ist reich an großen Taten und Lehren. Sollten wir uns nicht bemühen, diese
Taten und Lehren hinsichtlich der Kirchensachen auch in unsern Tagen wieder
anfzufrischen. ... ?»
—- yDIı —
Am 30. Dezember erging die Einladung zur Konferenz in Baden. !
Luzern gab seinen Gesandten — auf Pfyffers Wunsch — nur
allgemeine Instruktionen. Deutlichere Richtlinien aber zeichnete
Christoph Fuchs dem Konferenzpräsidenten Pfyffer in seinen «An-
sichten» vom 26. Dezember, die er mit den hochtönenden Worten
einleitete : «Sie haben eine höchst wichtige Stellung und streben etwas
an, wo mit der Wohlfahrt gesamter löbl. Eidgenossenschaft Ihr Name
unsterblich werden wird.» Fuchs leitete das Recht für normierende
Konferenzbeschlüsse aus der «Idee der katholischen Kirche » (dem
Rechte der Laien zur Organisation der kirchlichen Gemeinden), aus
der Übung alter und neuer Zeit und aus der Idee des Staates selbst
ab. Er behauptete, es handle sich «durchaus um nichts in und an
sich Neues, weder in Sachen des Glaubens noch in Sachen der Sitte. »
Als Grundlage der gemeinsamen Festsetzung der staatskirchlichen
Rechte durch die Konferenzstände bezeichnete er Balthasars « Jura
circa sacra». Dann schlug er — auch für eine künftige Bundes-
verfassung — vor: die Nuntiatur zu beseitigen und einen Metropolitan-
verband zu gründen ; den Metropoliten — mit den Rechten eines
Patriarchen — durch die Bischöfe aus einem Dreiervorschlag der
Stände mit bloßer Bestätigung durch den Papst wählen zu lassen ; alle
drei Jahre durch den Metropoliten ein Provinzialkonzil und alljährlich
durch den Bischof eine Diözesansynode halten zu lassen, bei denen
der Staat mit Vorschlagsrecht vertreten sein sollte ; die Domkapitel
als nutzlos aufzulösen ; Gleichförmigkeit des Gottesdienstes, der Fest-
und Fasttage einzuführen ; die Aufnahme ins Seminar oder Noviziat
von einem Examen vor Geistlichen und Laien abhängig zu machen ;
die Klöster und Dombherrenstifte «zweckmäßig » umzuwandeln oder
aufzuheben und jedenfalls alle Klöster dem Diözesanbischof zu unter-
stellen. All diese radikalen, nationalkirchlichen Maßnahmen sollten
gegen den Protest Roms durchgeführt werden ; das Volk müsse
darüber aufgeklärt, der Katholische Verein bekämpft werden. Der
jetzige Moment sei günstiger als die Zeit des Kaisers Joseph II., der
! Amrhyn an seinen Sohn, 26. Dez. : « Eduard Pfyffer ist versucht, um die
Kirchenstürmer von St. Gallen und damit seinen Liebling [Christoph Fuchs],
den er bei uns zur politisch-kirchlichen Taufe getragen hat, zu retten, die kirch-
lichen Angelegenheiten an sich zu reißen. ...» — Aargau gab am 19. Dez. die
Zusage, « damit einerseits einem schweiz. Episkopat eine selbständigere, wirksamere
und nationalere Grundlage gegeben werde und anderseits ... der in den
kanonischen Vorschriften der Schweiz noch mangelnde Metropolitanverband ins
Leben trete.» — St.-A. L. Fach 9, Fasz. 2ı.
Emser Punktation und der Pistojer-Synode. Der gerade damals von
der Luzerner Regierung zum Theologieprofessor ernannte Kirchen-
reformer schreckte auch vor der letzten Konsequenz nicht zurück:
«Im äußersten Fall haben wir ein Beispiel an Utrecht », sagte er.!
Am 20. Januar 1834 begannen die Verhandlungen der Vertreter
von Luzern, Solothurn, Bern, Baselland, Aargau, Thurgau und St. Gallen
unter dem Vorsitz Eduard Pfyffers, der in seiner Eröffnungsrede u. a.
erklärte: «Nicht nur politisch, auch kirchlich frei sei das öffentliche
Leben in der Eidgenossenschaft. Nie wären die Väter wahrhaft frei
geworden, wenn sie nicht, wie auf den Schlachtfeldern den Leibem
der feindlichen Krieger, so in den Ratssälen den Anmaßungen der
Klerisei zu widerstehen gewußt, und dies selbst dann, als Europa in
Roms Fesseln gelegen. »
Amrhyn, der mit Pfyffer seit den zwanziger Jahren die Kirchen-
politik Luzerns geleitet hatte, nahm an dieser wichtigsten Beratung
nicht teil. Er bekam aber vertraulichen Einblick in ihren Gang
durch die Briefe des Solothurner Konferenzabgeordneten Louis
von Roll. Als er vernahm, daß der Mitkommissär in den Bistums-
verhandlungen auch in Baden mitraten werde, wandte er sich an
ihn mit der freudigen Erwartung, nun von zuverlässiger dritter Seite
Nachricht zu erhalten. Er schrieb : «Um eine solche vertraute, nur
unter uns gekannte kurze Mitteilung ist es mir zu tun, damit ich bei
den künstlichen Bewegungen der Parteien desto klarer und bestimmter
einsehen und beurteilen könne, um was es zu tun sei und wie weit
man in der Sache zu gehen versucht sei. — Über die Frage: ob der
Augenblick zu einer solchen Konferenz über und zum Behuf der höheren
Kircheneinrichtungen und der festen Begründung der staatskirchen-
rechtlichen Verhältnisse in der Schweiz glücklich gewählt sei, erlaube
ich mir keine Bemerkungen ; sie würden ohnehin zu spät sein. Nur
trifft auch hier, wie bei unsern früher versuchten politischen Um-
[ge]staltungen dieses unselige Haschen und Treiben ein, das weder
Ziel und Maß zu halten versteht, und wo jede Partei, jeder Zeitheld —
ferne von sorgsamer Berechnung über die Möglichkeit des Gelingens
— alles auf den äußersten Punkt treibt und nur von seiner Persönlichkeit
abhängig zu machen, sich dienstbar zu erwirken sucht. Ein solches
Übertreiben der Sache läßt befürchten, daß wir — wenn nicht umsichtig
ı F.L. Schnyder, Kurze Geschichte. — Am 17. Dez. 1841 verwarf dann
Fuchs die Badener Artikel und alles, was er gegen die Lehren der katholischen
Kirche geschrieben hatte.
zu Werke geschritten wird — besonders bei der Befangenheit weitaus
des größern Teils des Volkes eher rückwärts als vorwärts schreiten
werden, und doch sollte — da die Sache nun einmal angeregt steht —
etwas getan werden ; denn nichts beschließen, nichts verabreden, müßte
unsern Gegnern eine Unbehülflichkeit, eine Kraftlosigkeit von unserer
Seite verraten, die sie ganz natürlich zu unsern und der Sache (um die
es sich handelt) Ungunsten benutzen würden, und wodurch ein noch
größerer Vorschritt zur Abhängigkeit der Regierungen herbeigeführt
werden müßte. ... — Daß dieser Briefwechsel den Augen der hiesigen
Gesandtschaft entzogen bleiben müsse, werden Euer Hochwohlgeboren
sich bald überzeugen können. Sie können ebendaher auch umso
unbedingter auf meine Verschwiegenheit zählen. »! Staatsrat von Roll
teilte mit Amrhyn die Abneigung gegen das schroffe Vorgehen. ® Er
gab ihm sofort nach den einzelnen Sitzungen Nachricht über ihren
Verlauf und über die gefaßten Beschlüsse. ®
Durch die Luzerner Gesandtschaft vernahm Amrhyn offiziell, was auf
der Konferenz geschah. Nach der Lektüre ihres ersten Berichts schrieb
ervon Roll: «Alsich den Traktanda-Küchezettel von 15 Punkten sah,
l ıg. Jan. 1834. F.-A. A. IV. D. 63. — Er bat von Roll, den Briefwechsel,
«auflauernden Augen und förschelnden Ohren zu entziehen » und die Briefe durch
die eidg. Kanzlei auszutauschen. Seinem Sohne, dem Kanzler, aber schrieb er
gleichen Tags : « ... Besonders hüte Dich, es wahrnehmen zu lassen, daß zwischen
Herrn von Roll und mir ein Briefwechsel bestehe. » Diese Vorsicht bezog sich
in erster Linie auf den Regierungskollegen Ed. Pfyffer, von dem er am 31. Dez.
1833 gesagt hatte: « Schultheiß Pifyffer ... sucht der Held des Tages zu werden,
worüber ich ihn mindestens nicht beneide. » |
2 An Amrhyn, 22. Jan. 1834: «... Je vous avoue franchement ... que
je ne puis jusqu’& ce moment me convaincre de l’utilite de cette conference. Si
les Hauts Etats envisagent l’etablissement d’un me&tropolitain suisse comme
tres important, pourquoi veut-on traiter dans le m&me moment d’autres objets
Qui nous conduiront & des difficultes avec le Saint-Siege, et qui rendroient les
negociations du principal objet tres difficil ou m&me impossible ; je crois par ces
Taisons que l’on devroit simplement s’occuper dans ce moment du metropolitain ;
Pouvons-nous obtenir un archeve&que suisse, alors tous les cantons se r&uniroient
pour les autres difficultes avec Rome, ce qui donneroit beaucoup plus de forces,
Ou si nous etions soumis & l’archev&que de Fribourg en Brisgau, alors nous obtien-
drions bien plus facilement ce que l’on a deja accord& aux Etats allemands et
nous serions soutenus probablement par ce me£tropolitain m&me. Je crois que
Plusieurs d&putes commencent & s’apercevoir que nous nous sommes engages
dans une fausse route... »
° 5 Bricfe vom 22. bis 26. Jan. 1834. Die Angaben decken sich mit denen
des Konferenzprotokolls. — Zum letzten Bericht bemerkte von Roll: « L’esprit de
moderation a prevalu jusqu’ä la fin; je crois que cette voie est la meilleure ; nos
Peuples ont encore trop de pr&ejuges & pouvoir marcher dans les reformes ecclesias-
tiques avec un pas pre£cipite. ... »
— 174 —
mit welchen sich die Konferenz zu befassen haben soll, so dachte ich
bei mir: fürwahr des Guten zuviel für den ersten Anfang! Dann
bedauerte ich die Unzeitigkeit der Anregungen in den $$ ı und 15
über die künftigen Verhältnisse der Nuntiatur und die Wahl des Erz-
bischofes und der Bischöfe. Sobald man sich für die Aufstellung eines
Metropolitanverbandes im Geiste der katholischen Urkirche entschließt,
so liegt darin mittelbar schon nicht nur das Verhältnis der päpstlichen
Nuntien, sondern dasjenige dieser zu jenem, auch die Stellung der
Klöster und Stifte ausgemittelt und festgestellt. Entweder kennt man
diese primitiven Kircheneinrichtungen nicht oder man will sie nicht,
oder dann will man auf eine — die Folgen nicht berechnende — Weise
großtuerisch in die Zeit hineinschreien und verschmäht damit den
zärtern Weg, auf welchem einmal zum Ziele vorgeschritten werden
muß, wenn man selb[es] auf katholisch-kirchlichem Wege erreichen will,
den Gesetzgebungen der Kantone und ihren Regierungen die Zu-
mutungen machen : die großen staatskirchenrechtlichen Fragen der
Emser-Punktation zur eigenen Sache zu machen, sich in das Feld der
französischen Gesetzgebung zu wagen und die Kircheninstitutionen
eines Kaisers Joseph und Leopold nach ursprünglichem Geiste und
Tendenz sich anzueignen, heißt meines Erachtens: diese Gesetz-
gebungen in unzeitige Versuchung und die Regierungen in offenen
Kampf mit ihrem Volk zu führen, statt sachte vorwärts, vielmehr rück-
wärts schreiten. Übrigens bin ich zum Glauben versucht, man wolle
die Konferenzverhandlungen vom Jahr 1830, die über manchen der
angeregten Punkte bereits entschieden haben, in [den] Hintergrund
stellen und als neue, selbst schaffende Zeitleuchte hervortreten, ohne
sich eine reine Anschauung gegeben zu haben über die Möglichkeit,
wie weit man zu kommen vermöge. Ich wünsche für mein Vaterland
. ein Fortschreiten zum Bessern, aber mit Umsicht und möglichster
Zartheit, die sich die dafür anzuwendenden Mittel dadurch dienstbar
zu gewinnen wissen und sich diese nicht zum vorhinein feindselig
machen. ...»!
Wir brauchen hier das Ergebnis der Konferenzberatungen, die
14 Badener Artikel, nicht anzuführen ; sie sind schon oft publiziert und
1 26. Jan. 1834. — Am 13. März teilte von Roll den Beschluß des Solothurner
Großen Rats vom ı2. März mit, der nur die bedingungsweise Geneigtheit zur
Errichtung eines Metropolitanverbandes äußerte. Er fügte bei: « Generalement
on a trouv& ce que j’avais aussi vu du premier moment: que le temps a £t£ bien
mal choisi pour s’occuper d’une matiere aussi delicate ; surtout ce quiadonne de
—- 75 —
kommentiert worden. ! Das Urteil des Bischofs und des Papstes wird
sie uns später vom kirchlichen Standpunkte aus beleuchten. Der Große
Rat von Luzern nahm sie am ı8. April 1834 an, kurz darauf auch
der Große Rat von Aargau, Baselland, St. Gallen, Thurgau und Zürich ;
Graubünden trat nur bezüglich des Metropolitanverbandes bei, während
Bern trotz der wiederholten Mahnung Luzerns bis am 20. Februar 1836
zögerte und Zug ganz verwarf, weil die Artikel « zur Zeit unnötig (seien)
und zu tief in die kirchlichen Angelegenheiten eingreifen ». ?2 Elf konser-
vative Mitglieder erklärten im Luzerner Großen Rate zu Protokoll:
sie werden die Artikel nicht genehmigen, bis der Bischof seine Zu-
stimmung gegeben habe. Am 7. März erließ der Große Rat ein Gesetz
über die Ausübung des landesherrlichen Plazets.
Im Volke und in der Geistlichkeit Luzerns erregte dieser neue
Anstand mit der Kirche — gleichzeitig mit der Berufung von Christoph
Fuchs und der Absetzung Pfarrer Hubers — starke Erregung. Die
Regierung ließ eine herumgebotene Bittschrift konfiszieren, die Polizei
verstärken und Truppen einberufen. Am 8. März erließ der Große
Rat eine Proklamation, in der er Fuchs als «Katholiken aus Über-
zeugung, gelehrten Mann und vortrefflichen Kanzelredner » in Schutz
nahm, die Badener Artikel als Sicherung der Staatsrechte und die
la mehance, m&me parmi la plupart des deputes A Baden, £tait les dissensions
existantes dans les Cantons de Lucerne et de St-Gall entre les Gouvernements
et l’autorite ecclesiastique. ... »
I Th. Curti z. B. sagt in seiner « Gesch. der Schweiz im XIX. Jahrhundert »
(5. 453): « Die Badener Artikel machten großes Aufsehen. Da sie nicht nur
schon bestehendes Staatsrecht zusammenfaßten, sondern auch neues enthielten
und stark in das innere Leben der Kirche eingriffen, erschienen sie dieser als eine
Herausforderung. ... » Die französische Zeitung « L’ami de la Religion » (N® 2242,
1834) bezeichnete die Badener Artikel als « Anzeige eines Schismas, welches man
in der Schweiz einführen möchte. ...» — Vergl. u. a. Kath. Schweizer-Blätter,
N. F. XIV. 1898, S. 439 ff. (Alb. Karli) ; Henne, S. 95 fl. ; Bluntschli J. K., Der
Sieg des Radikalismus ... S. 93 ff. Der « Waldstätterbote » schrieb in schärfster
Tonart gegen die « Kirchen- und Bistumsreformatoren in der Schweiz » (1834,
Nr. 5, 7, 9, ı2, 17 usw.). In Nr. ı2, 1834, druckte der « Eidgenosse » aus dem
t Erzähler » die Beschlüsse ab. Er suchte in verschiedenen Artikeln das liberale
Staatskirchentum am Beispiel Josephs II., des « Urchristentums », der Emser
Punktation usw. zu rechtfertigen. (Nr. 23, 25, 28, von «einem Geistlichen »)
Die Schweizer. Kirchenzeitung brachte den Wortlaut der Artikel in Nr. 6, 1834.
Chorherr Franz Geiger würdigte sie in mehreren Artikeln (Nr. 6, 7, 13, 15 usw.)
Vergl. auch andere grundsätzliche Ausführungen in Nr. 8 ff., ebenso die Vor-
stellungsschrift aus dem Freiamt an den Aargauer Großen Rat (4. Mai 1834) in
Nr. 22. — « Waldstätterbote », Nr. 88 ff., 1835.
? Schreiben dieser Stände an Luzern im St.-A. L. Fach 9, Fasz. 2ı.
_ 176 —
« ausgestreuten Besorgnisse über Gefahren für die Religion » als «leere
Vorspiegelungen » bezeichnete. Der Staatsrat gab Prof. Fuchs den
Auftrag, eine Urkundensammlung über das Verhältnis von Kirche und
Staat aufzustellen, damit daraus gegebenenfalls die Verteidigung der
Rechte des Staates geschöpft werden könne. !
In die wachsende Besorgnis und Erregung von Regierung, Klerus
und Volk gibt der Brief Amrhyns vom 15. April 1835 an den Bischof,
zwar einseitigen, aber lebendigen Einblick. Er schrieb u. a.: «Der
große Sturm über — durch den Katholischen Verein angeregte —
Bekümmernis wegen gefährdeter Religion beginnt — einverstanden mit
dem, was diesfalls in andern Kantonen und benanntlich im nahen
Aargau sich bewegt — im hiesigen Kanton. Hr. Chorherr und Domherr
Widmer [der entlassene Theologieprofessor], dessen jesuitische Zwecke
ich gleich bei einer lebhaften Unterredung, die ich im Spätjahre 1814
mit ihm auf seinem Zimmer gepflogen, durchblickt ..., ebenderselbe,
der mit äußerm Decorum und schlangenartiger Gewandtheit seinen
Entschluß zur kirchenrechtlichen, wie zur politischen Umilge]staltung
nicht etwa des Kantons [Luzern] allein, sondern der Schweiz selbst
bei seinen Schülern unverwandt vorzubereiten und durchzuführen
bemüht war : dieser Widmer durchläuft seit Jahr und Tag und besonders
seit einigen Monaten den hiesigen Kanton in allen Richtungen und
ist der eigentliche Missionär für Aufruhr und vorbereitenden Bürger-
krieg. Das Predig[t]amt soll seine vorbereitenden Konventikeln mit den
Reaktionsverschwornen bemänteln. Die jüngste Anwesenheit eines
Brentano wurde zu Zusammenkünften mit den Geistlichen des Kantons
benutzt. Eine solche Zusammenkunft hatte im Pfarrhofe zu Ruswil
vor 4 Wochen und eine sogenannte Kapitelsversammlung vor Io Tagen
1 St.-A. L. Fach 9, Fasz. 21, 25. Mai 1834. — Amrhyn an den Kanzler,
9. März 1834: «Mich ... beschäftigte der Große Rat die ganze Woche hindurch
unausgesetzt. Man ließ mich — wenn ich nur eine Stunde später kam — bitten,
ich möchte doch bald kommen. Es machte mich recht lachen, wie die Großtuer
der Zeit, die vorgreifenden Zeithelden meiner bedurften. ...» — 18. Mai: «Die
letzte Reise Sch[ultheiß] Pf[yffers]) war eine geheime Sendung an [den] Bischof und
Rumigny [den franz. Gesandten]. ... » — Im Dez. 1834 starb Ed. Pfyffer uner-
wartet rasch, von einem Kapuziner mit den Sterbesakramenten versehen. (Amrhyn
an seinen Sohn, ı2. Dez.) Dr. J. R. Steiger strebte nach seiner Stellung. Amrhyn
kennzeichnete diesen radikalen Führer folgendermaßen : «Steiger ist ... ein
höchst gefährlicher Mann, die Falschheit selbst, gewalttätig und jeder Handlung
fähig. Er ist einer der Vorzüglichsten, der die Regierung und Ed. Pfyffer in den
öffentlichen Blättern schamlos herabwürdigte und dagegen die hingebendste
Freundschaft letzterm heuchelte.» (An den Kanzler, 26. Dez. 1834.)
in Willisau, dem Sitze des Aufruhres und des trotzenden Ungehorsames
gegen Regierung und Bischof, statt. Auch sind Berichte aus verschiedenen
Kantonen vorhanden, daß Widmer unlängst einer Versammlung von
Reaktionairs höhern Ranges — welcher selbst mindestens die Lokalität
des Klosters St. Urban nicht fremd geblieben sein soll — beigewohnt,
und bei derselben zwar vor einer gewaltsamen, bewaffneten Contre-
revolution, die im Wunsche lag, abgemahnt, dagegen sie unter Mitteilung
dessen, was durch die katholischen Vereine bereits vorbereitet stehe,
ermuntert habe, ihren ganzen Einfluß, ihre ganze Wirksamkeit — und
vorzüglich unter der beim gutmütigen Volke angescheu[e]rten Besorgnis
der Gefahr für die Religion — auf die bevorstehenden Volkswahlen
hinzuwenden und allda zur Versperrung des Wiedereintrittes der so-
genannten Radikalen und Liberalen in die Regierung hinzuwirken,
wodurch sie, wenn sie sich keine Mittel gereuen ließen, in wenig Jahren
wiederum vollends und sicherlich zum Regiment gelangen würden. In
Verfolgung dieses vaterlandsverräterischen Zweckes soll nun auch der
hochwst. Bischof, sowohl durch die Geistlichkeit als durch die in
Tätigkeit gesetzten Katholischen Vereine, bestürmt, bekümmert, selbst
bedroht werden und das Anathema über die Badener Konferenz und
die jüngsten Gesetze und Beschlüsse, welche das Staatsverhältnis zur
Kirche mehr oder weniger regulieren, und mittelbar über die Regierungen
aussprechen. Der große Katholische Verein im hiesigen Kanton, der
zum gleichen Verrate am gesamten Vaterlande mithelfen soll, hatte
letzten Sonntag in dem Amte Habsburg, in der Umgegend von Udligen-
schwil statt, wo eine dringende Vorstellung an E. b. Gn., die Ein-
reichung der Bitte beschlossen war[d], daß Hochdieselben über die
schon so lange angefeindeten Beschlüsse der Badener Konferenz sich
definitiv und öffentlich — verwerfend oder billigend — und förderlichst
aussprechen möchten. ...»
Diese einseitigen Vorstellungen veranlaßten den Bischof — in den
Tagen, da er in einem Schreiben an die Aargauer Regierung die Badener
Artikel verurteilte (ro. April) — zu einer bestimmten Erklärung an den
verantwortlichen Staatsmann und Freund. Er schrieb am 17. April 1835 :
t... Traurig sind fürwahr die gegenwärtigen Zeiten, in deren banger
Voraussehung ich vor sechs Jahren das Episkopat zu übernehmen mich
geweigert hatte undendlich nur dem Drang der Not gewichen war. Mein
fester Vorsatz bestund und bestehet noch zu dieser Stunde, den Frieden
aufrecht zu erhalten und zu bewahren und in allem Möglichen nach-
_ zugeben. Und ich glaube auch, den h. Regierungen keinen Anlaß gegeben
REVUE D’HISTOIRE ECCLESIASTIQUE 12
— 738 —
zu haben, mit meiner bischöflichen Haltung unzufrieden zu sein.
Mein Betragen nämlich im sogenannten Wohlenschwyler Handel, in der
Huberschen Angelegenheit und der Professur des hochw. Herrn Christoph
Fuchs konnte unmöglich anders erwartet werden, weil es in der unnach-
läßlichen Pflicht des Bischofs lag. Und dennoch erschienen die
unglücklichen Badener Konferenzbeschlüsse, deren Grundsätze (ofien-
herzig und vertrauensvoll gesprochen !) nicht neu sind: Pistoja und
Ems und letztlich auch Frankfurt in seiner Pragmatik lieferten uns
dieselben ; der allgemeine Glaube der katholischen Kirche aber sprach
sich sogleich überall dagegen aus, und sie starben dahin wie Pflanzen,
welche nicht von Gottes Hand waren gepflanzt worden. Dieser veraltete
und verfaulte Kohl wurde in Baden wieder aufgetragen — mit dem
Zusatze etlicher Koerzitivmaßregeln gegen den jedesmaligen Bischof von
Basel, der — wenn eine derartige Beschränkung stattfände — weniger
Ansehen und Gewalt, als was immer für ein Priester, als was immer
für ein Laie behielte. Daß solche Artikel mich schmerzen mußten,
können Ihro Exc. sich leicht vorstellen. Dennoch klagte ich nicht,
sondern schwieg ; ich als Beteiligter wollte in meiner eigenen Sache
das Wort nicht ergreifen ; ich schwieg, ungeachtet Parteiblätter mich
meines Stillschweigens halber schmähten und lästerten, ja ungeachtet der
mannigfaltigsten Zuschriften aus verschiedenen Kantonen. Da jedoch
im Großen Rate des Standes Aargau von einem Mitgliede öffentlich
behauptet wurde, der Bischof habe diese Neuerungen gutgeheißen;
da liberale Zeitungen dem Publikum weißmachen wollten, der Bischof
habe alles adprobiert ; da jüngst ein Schreiben aargauischer Katholiken
mir überbracht wurde, worin einenteils ausgedrückt steht, die Beförderer
der geschehenen Neuerungen sagen durch den ganzen Kanton Aargau,
es geschehe mit meiner Genehmigung, andernteils die Aufforderung sich
befindet, mich über besagte Badener Beschlüsse amtlich auszusprechen :
konnte ich unmöglich länger schweigen, sondern schrieb an den
h. Kleinen Rat des Kantons Aargau, daß ich sowohl die Badener
Artikel als auch den jüngst gefaßten Großratsbeschluß, laut welchem
die Lehrbücher über den Religionsunterricht in den katholischen Schulen
von der Regierung auf den Vorschlag des Kantonsschulrates im Ein-
verständnis mit dem Kirchenrate (ohne Zustimmung des bischöflichen
Ordinariats) eingeführt werden sollen, mißbillige und den Bischof und
desselben Jurisdiktion und Rechte dagegen verwahre. Worauf der
h. Kleine Rat unterm 13. April mir die erfreuliche Rückäußerung
zukommen ließ, Hochselber werde meinen Wünschen gemäß meine
Mitteilung der obersten Landesbehörde seiner Zeit zur Kenntnis bringen.
— Ihre Exc. wissen besser als ich die Gesetze, welche in Luzern Schlag
auf Schlag erlassen wurden, nicht anders, als wollte man im Sturm-
schritt alles Bestehende niederreißen. Man griff tief ins Herz und
Leben des Volkes hinein, setzte sich über sämtliche Suppliken der
Katholiken hinweg und ließ dagegen den frechsten Tagesblättern freien
Spielraum. Gott weiß, daß ich nicht leidenschaftlich gesinnt bin, es
mit keiner Partei halte — weil ich auf keiner Mäßigkeit und Recht
finde — die Zeitungen aller Farben höchstens mißbillige, auch Ansichten,
die von den meinigen abweichen, zu dulden und zu ehren weiß: aber
unmöglich kann ich mich enthalten, zu sagen, daß — da der « Wald-
stätterbot[e] » und Konsorten einerseits den regenerierten Kantonen
durch die niederträchtigsten Artikel eine Wunde über die andere schlägt
— der Surseer « Eidgenoß » andrerseits durch gotteslästerliche Inserate
noch vollends seiner h. Regierung alles Anschen untergräbt und ihr
den eigentlichen Todesstoß versetzt. Die Katholischen Vereine sind
das konsequente Produkt der Schutzvereine. Per quod quis peccat,
per idem punitur et ipse. Das jus talionis tritt immerdar über kurz
oder lang ein. Und gerade diejenigen, welche den Ausdruck der Volks-
souveränität mißbrauchten, werden dieselbe bitter bereuen müssen. —
Leicht ist es möglich, daß ich wegen der fatalen Badener Konferenz-
artikel auch von den Luzerner Katholiken gedrängt und zu einem
Ausspruch gleichsam gezwungen werde. In diesem Fall kann ich nichts
anderes als die Wahrheit sprechen, wie ich sie im Herzen trage : nämlich
die Sache an die h. Regierung Luzerns referieren und — die Artikel
amtlich mißbilligend — mich und des Bischofs Jurisdiktion und Rechte
gegen dieselben verwahren. Wohl zu beherzigen bleibt es, daß die ganze
Klerisei der sieben h. Diözesanstände und mit ihr das ganze katholische
Volk die berüchtigten Badener Konferenzbeschlüsse verwirft. Die
wenigen Ausnahmen sind rari nantes in gurgite vasto. Wie mir gestern
zufälligerweise hinterbracht worden ist, hat auch der löbl. Kanton
Thurgau nun weislich besagte Beschlüsse unterdrückt. Möchte doch
der b. Stand Luzern, in Erkenntnis des Vox populi, vox Dei gleich-
falls einlenken und die Zuneigung und Liebe der Landesangehörigen
durch Willfahrung ihrer frommen Wünsche von der h. Regierung
gewonnen werden ! Wahrlich, es tut not. ...»1
! Nachschrift: « Diesen Augenblick erhalte ich ein weitläufiges Schreiben
der löbl. drei Kuratkapitel. Was Ihro Exc. mir erwähnten, ist also zum Teile
— I8&6. —
Als Amrhyn dieses energische Schreiben erhielt, ließ er dem
bischöflichen Kommissär Waldis eine vertrauliche Warnung zugehen
und lud ihn ein, « die Gegenvorstellungen der vaterländischen Geistlichen
sofort abgehen zu lassen».! Waldis hatte ihm schon am 14. April
geschrieben : « Der katholische Verein wird nächster Tage eine dringende
Adresse an den Bischof eingeben. Es ist so notwendig als zeitgemäß,
daß diesem Schritte ein andrer entgegengesetzt werde. Eine Adresse
an den Bischof : auszuhalten auf dem einmal betretenen Wege, von
Geistlichen anderer Gesinnung entworfen, liegt im Wuıfe. ... » Seinem
Sohne, dem eidgenössischen Kanzler, schrieb Amrhyn in diesen Tagen:
«Der gute, sonst vaterländische Bischof, bei dem ich mit meiner
Warnung um sechs Tage zu spät gekommen bin, läßt sich durch
religiöse Heuchler mißbrauchen und hat in seiner unglücklichen
Täuschung den unberechneten Brief vom Io. dies an die Regierung
von Aargau erlassen, welchen der «Schweizerbote » seiner letzten Zeitung
auf für andere unbegreifliche Weise beilegte..... Ich werde — des
ersten fehlgeschlagenen Versuches ungeachtet — aus Liebe und Hoch-
achtung für ihn fortfahren, ihm die Augen zu öffnen. .... »3
Nach einigem Zögern wandte Amrhyn sich in längeren Ausführungen
wieder klagend an den Bischof. Er wies auf verschiedene Flugschriften
hin, die durch Beauftragte der Katholischen Vereine im Kanton ver-
breitet worden seien, u.a. auf Chorherr Geigers Schriftchen « Über den
Aufruhr ». «Diese Schrift, in Fragen und Antworten eingekleidet »,
schrieb Amrhyn, «führt dem Volke mit theologischer Spitzfindigkeit
die unerläßliche Gewissenspflicht vor Augen, unter allen möglichen
Umständen und Verhältnissen an den bevorstehenden Volkswahlen
teilzunehmen ». Die Schrift warne vor jenen, die « vielvon Abänderungen
im kirchlichen Wesen, von Aufhebung der Klöster und Stifte, von
Verwendung des Kirchengutes zum Besten des Staates sprechen, die
die Badener Artikel rühmen und dazu raten, dieselben anzunehmen,
die dem Papst und den Bischöfen die ihnen von Jesus übergebene
Macht, sowohl über die Geistlichen als über die übrigen Gläubigen, zu
entreißen und der weltlichen Regierung in die Hände zu legen suchen. »'
gekommen. » — Das Schreiben des Bischofs vom ıo. April im Wortlaut in der
Schweiz. Kirchenzeitung, Nr. 17, 1835, in der Luzerner Zeitung, Nr. 32, und in
der Allg. Kirchenzeitung, mit Kommentar.
1! Randbemerkung Amrhyns zum obigen Schreiben Salzmanns.
2 F.-A. A. IV D. 83.
® 20. April.
% F.-A. A. Drucksachen.
— 131 —
Die hauptsächlichsten Verbreiter dieser und anderer «zum Aufruhr und
rohen Fanatismus aufreizenden » Flugblätter seien die Geistlichen
des Dekanats Willisau, behauptete Amrhyn. Mit dem Hinweis auf diese
Agitation verband der Schultheiß Betrachtungen über den Geist der
Katholischen Vereine. Diese seien nicht, wie der Bischof meine, Folge
der politischen Schutzvereine. Sie bestehen besonders in der Stadt
Luzern schon seit 1816. Allerdings zeigen sie sich seit der Gründung
der Schutzvereine öffentlicher und werden seit anderthalb Jahren mit
Gewissenszwang verbreitet. Ihre Versammlungen finden zur Nachtzeit
statt. Die Eintretenden müssen einen Eid für Geheimhaltung der
Verhandlungen leisten und dürfen nur solchen stimmen, die ihnen
bezeichnet werden. Die Folge dieser «religiösen Despotie » seien
betrüibende moralische Erscheinungen, besonders Beängstigung der
Gewissen. Am feindseligsten benehmen sich besonders jene Geistlichen,
«deren geheimere Lebensverhältnisse für die Moralität des Volkes die
gefährlichsten » seien. «Wenn ich je die Besorgnis in mir tragen
könnte », schrieb der Denunziant weiter, «daß dem Menschen gegen seinen
Willen die Religion entzogen, geraubt werden könnte, so müßte es zur
Stunde sein, wo man unter dem Scheine und Wortkram von Religion
sich das Frevelhafteste gegen das Vaterland erlaubt. ... Der katholische
Verein hat sein[en] heutigen Stützpunkt in unsichtbaren römischen
Agenten, in Bayern, in Würzburg, in den Jesuiten. ...» Nach diesen
unbewiesenen, vom Argwohn ausgehenden Verdächtigungen ging
Amrhyn auf das Schreiben des Bischofs an die Aargauer Regierung
über und trat ihm mit einer Reihe leidenschaftlicher Anschuldigungen
und Verdächtigungen entgegen. «Das Urteil des «Schweizerboten »
darüber, die Urteile aller Zeitungen, die in den reformierten und paritä-
tischen Kantonen nachfolgten, und die aufreizende Art, mit welcher
der « Waldstätterbote » — dieses Blatt des Aufruhrs und des frechsten
Verrates am Vaterlande, der schamlose Mietling der Feinde der freien
und unabhängigen Schweiz — des Bischofs Schritt für seine teuflischen
Zwecke benutzte, haben in mir tiefe Besorgnisse erweckt. ... Nehmen
mir E. Gn. es nicht übel, wenn ich offen bemerke: der von Hoch-
derselben ... getane Schritt hat — in Verbindung mit der von Rom
aufgedrungenen Wahl des Hrn. Bossi als Bischof von Chur und
St. Gallen ... eine Wichtigkeit genommen, die — ich besorge es nicht
ohne Grund — weit aussehende Folgen nach sich ziehen wird und
bereits in den reformierten und paritätischen Kantonen die Besorgnisse
über unmittelbare Anfeindung ihrer Religion, über neue Anfeindung
— I —
derselben von Seite Roms und seiner Anhänger aufs neue angeregt hat.
Hierüber entwickelt sich seit fünf Tagen eine nicht zu verachtende
Aufregung unter dem reformierten Teil des ohnehin schon tiefbewegten
Kantons St. Gallen. Die Sache wird als ein politisch-religiöser Kampf von
der Geistlichkeit gegen die Regierungen — und zum Teil nicht ohne
Grund — angesehen und aufgenommen werden, der mittelbar zur
gegenseitigen Schutzgewährung aufruft. Dabei findet der am Glauben
der Väter und ihren ausgeübten Rechte[n] in kirchlichen Sachen mit
eigener Ehrenhaftigkeit hängende Magistrat durch die vorläufige,
unerörterte Verdammung der Badener Konferenzverhandlungen ihre
Religiösität im Grabe angetastet. Diese Erscheinung führt die Erinne-
rung an die von Rom seit Papst Klemens XIII. (1769) unternommenen
und von Papst Pius VII. am 29. Heumonat 1815 wieder angefeindeten
Rechte und Privilegien der Schweizer in Kirchensachen, [die] durch
frühere Päpste — wo nicht anerkannt — doch geduldet [wurden],
zurück ; ruft ins Gedächtnis zurück den bittern Kampf, den die
Regierung des Standes Luzern seit 1806 im Geleite von vielfach
versuchten politischen Veränderungen wegen seinen mit dem Bischof
beredten verbesserten kirchlichen Einrichtungen mit Rom und seinem
Agenten zu bestehen hatte ; die Gewalt, die man gegen die Grundsätze
des Kirchen-, wie des Staatsrechts ... im Jahre 1819 auch am Kanton
Luzern zu verüben versucht war, als man ihn unbegrüßt dem Hirten-
stabe von Chur unterwerfen wollte ; das Verdammungsurteil, das Rom
gegen die Regierung des Standes Luzern infolge oben erwähnter neuen
kirchlichen Einrichtungen zu schleudern versucht hatte ... ; erinnert
an den übermütigen Trotz und die drohende Sprache, mit welcher die
Dekane der luzernischen Kuratkapitel im Frühjahr 1816 vor dem
Staatsrate erschienen, der dieselben zu einer belehrenden Unterredung
eingeladen hatte; an die Umtriebe im Kanton Nidwalden, unter
Leitung eines bischöflichen Kommissärs Käslin, vom Frühjahr 1813
gegen die dasige Regierung. ... Ich kenne die geheime Geschichte
unseres Vaterlandes zu gut, die Umtriebe, die in demselben seit 1803
gleichsam unterbrochen statthatten, zu deren Unterhandlung [Unter-
haltung?] und Ausbildung im Spätjahre 1813 die überstürzende Ab-
trennung vom Bistum Konstanz unternommen und im bewegten
Jahr 1814 durch Fälschung der Akten mit dem Eintritt des Jahres
1815 durchgeführt ward, und kann mich daher umsoweniger darüber
aufhalten, wenn im schweizerischen Freilande sich auch immer mehr
die Ansicht ausbildet : unsern innern Bewegungen, den Aufregungen
— 13 —
des Volkes gegen die Regierungen verleihe eine nicht bloß mißstimmte
Geistlichkeit Nahrung ; sie trete seiner freisinnigen Ausbildung entgegen,
ist Feind derselben. Ein Leichtes ist, ein gutmütiges, ein noch gläubiges
Volk mit dem Schreckensbilde gefährdeter Religion aufzuregen, störrisch,
selbst feindselig gegen seine Regierungen zu machen, dessen Magistraten,
wenn sie sich dadurch — so wenig als der treue Hausvater durch seine
ungezogenen Kinder — von seiner Pflicht abschrecken lassen, seiner
Wut preiszugeben, um aus dem sonst freundlichen Schweizerlande ein
durch Rache und Verfolgung blutendes Spanien und Portugal umzu-
[gelstalten. Aber diese Abirrung wird nicht lange andauern, und die
gebrachten Opfer werden in kurzer Zeit — wenn schon in ihren
Grabhügeln vielleicht — durch das aus seiner Betäubung ebenso furcht-
bar zurückkehrende Volk ihre Auferstehung, ihre Rechtfertigung feiern
können. — Die Klagestimme, die sich gegen die Badener Konferenz-
beschlüsse aus allen Gauen der Schweiz durch die dasige Geistlichkeit
zur Stunde erhebt, ist eine einverstandene, allein keine einstimmige.
Ich kenne die Mittel, mit welchen solche Vorstellungen teils erschlichen,
teils auf einfache mündliche Anregungen später ausgearbeitet oder wohl
gar erst dann zur Sanktion und Mitteilung an die Kapitelsbrüder
gebracht werden, wenn selbe bereits an ihre Bestimmung abgegeben
worden. Auch erdringen kann man solche Beschlüsse, wie es mit den
letzten im Kapitel Willisau vernämlich ergangen ist. Schon lange
herrscht in den geistlichen Kapiteln des Kantons Luzern keine freie
Beratung mehr. Das despotische Machtgebot des Vorstehers, in Ver-
bindung mit einigen Wenigen, die mit ihm allein den Faden des
Geheimnisses besitzen, gilt als Gesetz ; Einwendungen werden mit
Kränkung und Hohn, mit Verfolgung und Verdächtigung zurück-
gewiesen ; [keine] Erläuterungen, viel weniger Belegung gewagter
Behauptungen werden gegeben, Bemerkungen keine angenommen. ...
Es löse der Bischof der Geistlichkeit, den Verfolgten, den Verhöhnten
aus ihnen den Mund, und er wird hören, er wird vernehmen, was er
niemals als möglich zu sein glaubte. Ich bin zudem nicht der Meinung,
daß die Geistlichen, welche an allen diesen Zeitstürmereien keinen
Anteil nahmen, keinen Anteil nehmen wollten, so unbedeutend in
Zahl, Einsicht und innerm Werte sei[en], [daß sie] keine Beachtung
verdienen. Ich kenne solche, welche die Mäßigung des Bischofs, seine
belehrende, seine heilende Liebe bewunderten, darauf ihre Hoffnung für
die Zukunft setzen. Diese Geistlichen, welche den Ärger nicht noch
größer machen wollen, die ihren geistlichen Vater lieben und verehren,
—_— I4 —
weinen im Stillen, daß man ihre Hoffnung in den leidenschaftlichen
Strudel der Zeit — seiner eigenen Rettung willen — mithineinzureißen
versucht. — Möge der Bischof nicht zu spät einsehen, auf welcher
Seite der besonnenere, der salbungsvollere, der evangelischere Teil
seiner Geistlichkeit stehe ! ... — Beinebens erlaube ich mir, zu zweifeln,
ob der Bischof die nun verurteilten Konferenzialbeschlüsse von Baden
ganz und vollständig kenne. Der Grundsatz über das Placetum regium
— freilich etwas scharf durchgeführt — ist kein neuer. Er wird seine
Nachweisungen in den Akten der Kantone, wie in den Staatsgesetzen
anderer Völker und Staaten finden. Die Kantone der Schweiz, die
ehemals zum Bistum Konstanz gehört haben, sind nur mit feierlichster
Verwahrung ihrer Rechte und Freiheiten von diesem ab- und zu
einem andern Diözesanverbande übergetreten ; sie haben sich diese
Rechte urkundlich zu beschützen gelobt ; sie haben dieselben bei der
Einweihung der neuen Domkirche in Solothurn am 28. Heumonat 1823
im Angesichte des päpstlichen Exekutors der Circumscriptionsbulle in
förmlichen Anspruch genommen. Dabei verüble man den Kantonen
im Hinblick auf die vorangeschickte[n] geschichtlichen Tatsachen —
sich erinnernd der Handlungen eines Bischofs Schiner im Wallis, der
blutigen Auftritte zur Zeit der Reformation in dem Grauen Bunde —
die Vorsicht nicht, mit welcher sie ihre verjüngten Kircheneinrichtungen
zu umgeben suchten. Nicht immer ist der gleich milde Geist vor-
herrschend bei jedem Bischof, und ein vorhandener vermag — aller
seiner Hingebung und äußersten Anstrengungen ungeachtet — nimmer
Bürgschaft für seinen Nachfolger zu geben. Der Staat beratet sich
über die Gründung seiner Rechte und was zu ihrem Schutz gedeihen
soll, so wenig als die Kirche über die ihrigen und die Gegenstände der
Glaubenslehre mit der ihm gegenüberstehenden koordinierten Behörde ;
Sachen, die in beider Wirksamkeit übergreifen, ... vorbehalten. So
verhält es sich über Ehesachen, über Verminderung der Feiertage, die
mitwirkende Oberaufsicht des Staats über die Priesterhäuser, über die
Bildung der Kandidaten zum geistlichen Stande, die fortwährende
[Kontrolle ?} der bereits in diesen Stand Über[ge]tretenen und die
Erwahrung ihrer Fähigkeit. Über zwei dieser Gegenstände ist die
Unterhandlung mit dem Bischof bereits seit der Konferenz in Solothum
vom Jahr 1830 angeba[h]nt. — Die Unterstellung der Klöster und Stifte
der Jurisdiktion des Bischofs kann diesem am wenigsten nach den
Grundsätzen der Urkirche zum Ärgernis gereichen; zudem haben die
Diözesankantone bei der oben in Erinnerung gebrachten Einweihung
— 135 —
der Domkirche die bischöflichen und erzbischöflichen Rechte für ihr
Vaterland in ihrer ganzen Ausdehnung in Anspruch genommen. Für
die Wohltätigkeitsübungen der geistlichen Korporationen sollte es
gemäß ihrer Entstehung keine[r] Anordnung mehr bedürfen : kurz, die
Kantone fordern nicht mehr, als was auch andern Staaten gewährt
ist, zusteht, und was mit gleichem Rechte auch ihnen gebührt. Sie
suchen nicht Kampf ; sie wollen Ruhe und Friede und werden mutvoll
-. sich diesen und ihrem Volke zu erringen wissen. Wären doch die
Verleumder und lieblosen Verdächtiger, Entsteller aller Klassen ferne
von uns, schon lange wäre Ruhe im Vaterland eingetreten ! — Wie nun
aber die Sachen liegen, muß der Staat die ihm angefeindeten Rechte
durch freie öffentliche Diskussion mit Vorführung der Geschichte, die
ihre Notwendigkeit begründet, aufs neue verfechten, erörtern und
behaupten. » 1
(Fortsetzung folgt.)
13. Mai 1835.
Fragmente eines Churer Missale
aus der Mitte des XI. Jahrhunderts.
Von Ant. v. CASTELMUR.
Das bischöfliche Archiv in Chur birgt eine Reihe von Fragmenten
alter Handschriften, die im XVI. und XVII. Jahrhundert als Ein-
bände für Rechnungsbücher dienten. Die meisten Stücke sind belang-
los. Erwähnung verdienen ein Doppelblatt aus den Tuscul. Ciceros
in schöner karolingischer Minuskel des X.-XI. Jahrhunderts, wie sie
damals in St. Gallen gebraucht wurde, sowie einige Bruchstücke einer
Bibel in Folio zu zwei Kolonnen (IX.-X. Jahrhundert), die ein Pracht-
stück gewesen zu sein scheint.
Neben diesen Fragmenten sind noch einige Pergamentblätter vor-
handen, die sich bei näherer Untersuchung als Bruchstücke ein und
desselben Missale’s von Chur ergaben. Der Codex hatte das ursprüng-
liche Format von Igo X 255 mm. Der Schriftraum beträgt 145 x
200 mm, und die Linienzahl pro Seite ist 23-24. Die Schrift selbst
ist eine schöne karolingische Minuskel in schwacher Neigung nach
rechts. Die Tinte ist tiefschwarz. Titel und Initialen sind meist in roter
Uncialschrift geboten, jedoch kommen auch Überschriften in schwarzer
Capitalis rustica vor.
Die einzelnen Worte sind in der Regel gut getrennt. Praepo-
sitionen sind manchmal mit dem folgenden Worte verbunden. Ab-
kürzungen sind nicht sehr häufig. Für das Wörtchen et kommt nur
die Ligatur und nie die tironische Note vor. Der Umlaut ae kommt
vereinzelt vor, manchmal steht das geschwänzte e und oft ist nur ein-
faches e geschrieben. Das runde s am Schlusse ist der Handschrift
fremd. Trennungszeichen kommen keine vor und für w steht immer
ein doppeltes u. Als Interpunktionszeichen für kürzere und längere
Pausen (Komma und Punkt) wird nur ein Punkt in mittlerer Buch-
stabenhöhe verwendet.
Alle Indizien sprechen dafür, daß die Handschrift um die Mitte
des XI. Jahrhunderts entstanden ist. _
Ein glücklicher Zufall hat uns die Hauptbestandteile des Ordo
Missae erhalten. Folio ı ist ein loses Pergamentblatt und enthält die
—- 17 —
Praeparatio ad missam (Folio ı"). Auf die leere Vorderseite wurde
‘ eine Urkunde von 1084 niedergeschrieben, die den terminus post quem
. der Entstehungszeit des Codex bietet!. Das zweite Fragment, ein
“ Pergamentbogen, schließt direkt an Folio ı® an. Das erste Blatt ist
am Rande rechts um 2-2 %, cm beschnitten, sodaß der Text von
Folio 2 und Folio 2° in eckigen Klammern nach anderen Quellen ergänzt
werden mußte. Das dritte Bruchstück ist wieder ein gleichbeschnittener
Bogen und führt den Text von Folio 2° fort. Nach Folio 3° fehlt min-
‘ destens ein Bogen, da Folio 4 uns direkt in den Canon Missae versetzt.
Es fehlt also der Schluß der Opferungsgebete, wohl ein Bild zu Beginn
des Canons, sowie der Anfang desselben.
Dom Germain Morin O.S.B., dem der Verfasser die Fragmente
unterbreitete, riet zu deren Veröffentlichung, da sie manch Churerisches
enthalten. Besonders wichtig ist das «Libera nos» in dem die in
Chur speziell verehrten Heiligen: Stephanus, Laurentius, Luzius,
Florinus und Felix erwähnt werden. Diese Fragmente sind somit
ein Kronzeuge für die weit zurückreichende Verehrung der Bistums-
patrone Luzius und Florinus, ehe sie als Schutzheilige der Kathedrale
von Chur urkundlich genannt werden. Auch sonst bieten diese Bruch-
stücke des ältesten, nunmehr bekannten Missale’s von Chur Merk-
würdigkeiten. Erwähnt sei nur das Vorkommen der «confessio quam
sacerdos solus dicat», ehe der Priester zum Altare tritt.
Die meisten Gebete kommen auch in anderen liturgischen
Quellen vor. Viele treffen wir in der berühmten Messe des Flaccus
Ilyricus an, die im Mittelalter sehr weit verbreitet war. 2 Das Churer
Missale ist aber nicht etwa nur eine Copie irgend eines andern
Missale's. Es ist beinahe ein Mittelding zwischen dem fränkischen
Sacramentarium Gelasianum in alamanischer Überlieferung ® und dem
Inkunabeldruck des Churer Missale’s von 1497.
Im Bistum Chur war lange kein einheitliches Missale im Gebrauch.
Um diesem Übelstande abzuhelfen ernannte Bischof Heinrich VI.
v. Höwen eine Kommission, die er mit der Herausgabe eines neuen
! Diese Urkunde wird Gegenstand einer eigenen Publikation sein.
3 Die wichtigste Handschrift ist der Codex Helmst. ıı5ı der Bibl. Wolfen-
büttel. Er wurde gegen 1030 für den Bischof Sigebert v. Minden geschrieben
und war Gegenstand einer Publikation des Jesuiten Jos. Braun. Freundl. Mitteilung
von Dom G. Morin.
®cfr. P. Kunibert Mohlberg, «Das fränkische Sacramentarium Gelasianum
in alamanischer Überlieferung » (nach Cod. Sangall. 348) in Liturgiegesch. Quellen.
Münster i. Westf. 1918.
—_— 138 —
Meßbuches beauftragte. Ihr gehörten die Domherren Johann v. Wolfray,
Magister Heinrich Gabertul und Johann Fer an. Sie studierten alte
Handschriften und als Frucht ihrer Bemühungen konnte 1497 das
neue Missale bei Radtolt in Augsburg gedruckt werden. ? Unsere Frag-
mente und dieses Missale sind die ältesten bekannten Meßbücher des
Bistums Chur. Sie zeigen, wie der Meßritus durch Jahrhunderte hin-
durch verschiedene Wandlungen durchgemacht hat, sodaß diese Publi-
kation für manchen Freund der Liturgie vielleicht nicht wertlos ist.
Der Verfasser ist auf diesem Gebiete kein Fachmann, beschränkt
sich deshalb hauptsächlich auf genaue Textwiedergabe und auf Hin-
weise auf ähnliche oder analoge Stellen in anderen liturgischen Quellen.
Zum Schlusse soll noch der angenehmen Pflicht Genüge geleistet
werden, meinen hochw. Freunden, Dom Germain Morin und bischöf-
lichen Archivar J. Battaglia, für weites Entgegenkommen und gewohnte
Liebenswürdigkeit bestens zu danken.
Incipit Ordo qualiter sacerdos se preparare ad missam debeat. Cum
manus laval dicat oralionem
Largire sensibus nostris, omnipotens pater, ut sicut exterius ab-
luuntur inquinamenta manuum, sic a te mundentur interius pollutiones
mentium et crescant in nobis augmenta sanctarum virtutum. Per.?
Ad humerale
OQuam dilecta.®? Benedixisti. * Inclina.® Credidi. © Miserere.’
Humeros meos et pectus meum spiritus sancti gratia domine renesque
I Hain, Repert. bibl., Nr. 11287. — Vergl. auch J. G. Mayer, Geschichte
des Bistums Chur, I. Bd. Stans 1907, p. 522, der die Namen der Dombherren aus
dem Vorwort des Missale’s mit Wolfray, Gubertal und Her unrichtig wiedergibt.
Ein unvollständiges Exemplar des Missales befindet sich im bischöflichen Archiv;
ein vollständiges in der Bibliothek des Priesterseminars St. Luzi in Chur. Bei
diesem Exemplare ist der Canon Missae in prächtigen Lettern auf Pergament
gedruckt. Zum Vergleiche mit unserem Texte wurden sie herbeigezogen.
%2 Das gleiche Gebet ist zu finden: ı. in der Messe des Flaccus Illyricus
(zitiert Illyric.), ed. Edmund Martene, De antiquis ecclesiae ritibus libri tres.
Benützt wurde die Antwerpner Ausgabe v. 1763, p. 177 ; 2. im Pontificale von
Salzburg, Martene, l. c., p. 207, im Ordo des Klosters S. Gregorii in Valle
Gregoriana dioc. Basileensis, l. c., p. 235, im Missale eccl. Catalanensis l. c., p. 127.
Ganz ähnlich lautet das Gebet im Missale Curiense des Bischofs Heinrich VI. 1497.
8 Ps. 83. 4 Ps. 84. 5 Ps. 85.
e Ps. 115. ” Ps. so.
— 19 —
meos vitiis omnibus expulsis precinge tibi ad sacrificandum deo viventi
in secula seculorum amen. !
Ad albam
Indue me domine vestimento salutis et circumda me lorica
fortitudinis. ®
Ad Zonam
Circumcinge lumbos meos domine zona iusticie et circumcide vitia
cordis et corporis mei. ?
Ad stolam
Stola iusticie circumda domine cervicem meam et ab omni
corruptione peccati purifica mentem meam. #
Ad casulam
Indue me domine ornamento humilitatis et caritatis et pacis, ut
undique munitus virtutibus possim resistere viciis et hostibus mentis
et corporis. ®
Ad manıpulum
Da mihi domine sensum rectum et puram vocem, ut implere
possim laudem tuam. ®
Preces Exurge domine ; Faciem tuam ; Deus tu conversus’?;
Östende nobis ; Ne intretis in ; Domine exaudi orationem.
I cfr. Illyric, 1. c. p. 177. Ganz ähnlich Missale Cur. 1. c., worauf aber noch
das Gebet : Fac me queso omnipotens deus ita iustitiam indui, ut in sanctorum
tuorum etc. cfr. unseren Text: «ad manipulum. » [Ant. nach « Preces ».]
2 Pontif. v. Salzburg, Martene, 1. c. 207. Bei Illyric. steht das Gebet unter
dem Titel « Ad subtile». 1. c. p. 177 ; Missa Catalanensis, Martene, l. c. p. 127.
® Illyric. unter dem Titel: «ad cingulum », 1. c. p. 177. Miss. Curiense 1497:
«ad zingulum » : Precinge me domine zona iustitie et constringe me virtute
castitatis et pudicitie Per....
* Illvric. 1. c. p. 177. Pont. Salzburg, l. c. 207. Missale Ambros.v. 1560,
Martene, 1. c. Ordo III. Ganz ähnlich im « Sacramentorum libro eccl. Turonensis »,
Martene, 1. c. p. 126, sowie im Missale Bellovacensi, I. c. p. 127, sowie Miss. Cur.
l. c., wo noch als Anhang folgt : Quia tu dixisti apostolis tuis: jugum enim meum
suave est et onus meum leve Per.
5 Illyric. 1. c. 177. Salzburg, 207. Missale eccl. Catalanensis, l. c. p. 127.
Missale Cur. 1497 ist wörtlich genau bis pacis. Dann folgt: et da michi protec-
tionem contra hostem insidiatorem, ut puro corde et mundocorpore valeam laudare
nomen tuum gloriosum in secula seculorum. Per. Dann folgen noch einige
Psalmen und das Staffelgebet, aber mit Abweichungen vom heutigen Texte des
Missale Rom.
® Salzb.,1.c. 207. Miss. Cur. hat das «ad manipulum » vor dem « ad casılam »
mit der Abweichung «ut valeam adimplere » etc.
? Diese 3 Gebete sind in margine links zugefügt.
— 190 —
Rogo te, Deus altissime, pater sancte, ut me tunica castitatis accin-
gere digneris et lumbos meos baltheo tui amoris ambire ac renes cordis
et corporis mei tue caritatis igne perurere, ut pro peccatis meis possim
intercedere et adstantibus veniam peccatorum promereri atque paci-
ficas singulorum hostias immolare, me quoque audacem accedentem
non sinas perire sed dignare lavare, ordinare, leniter suscipere, pater
sanctissime, qui cum filio. !
Ant. Fac me, queso omnipotens deus, ita iustitia indui, ut
sanctorum tuorum merear exultatione letari, quatinus emundatus ab
omnibus sordibus peccatorum, consortium adipiscar tibi placentium
sacerdotum meque tua misericordia a vitiis omnibus exuat, quem reatus
proprie conscientie gravat. Per? Ant. Aures tue pietatis, mitissime
deus, inclina” precibus meis ® [et gratia sancti] * spiritus illumina cor
meum, ut tuis mysteriis digne ministrare [atque aeterna charitatis
diligere te merear Per]. ®
Confessio quam sacerdos solus dicat
Suscipe confessionem meam [unica spes salutis meae, domine Deus
meus, quia gula, ebrietate, fornicatione, libidine, tristitia, accidia,
somnolentia, negligentia, ira, cupiditate, invidia, malitia, odio, detrac-
tione] 5 perjurio, co[gitatione] 5 locutione, actione atque omnibus sen-
sibus extinctus sum, ® [qui iustificas] 5 impios et vivificas mortuos,
iustifica 7? me et resuscita me [Domine Deus meus amen] 5.
Domine Iesu Christe, redemptor mundi, propitius esto mihi pecca-
tori [omnibusque] 8 modis in peccatis ® iacenti, quia tu solus, Domine
I Illyric. 1. c. 177.
2 ]Illyric. l.c. 178 ; vergl. Miss. Cur. 1497 «ad humerale » und Anm. 7.
3 Hier bricht fol. ı ab.
* Ergänzt nach lllyric. I. c. 178 und Miss. Cur. da Fo. 2 vom Wasser stark
beschädigt und zudem am Rande rechts um 2 % cm beschnitten ist.
5 Die ganze Stelle ist durch Wasser derart verdorben, daß einzelne Worte
nur in der Durchsicht des Pergamentes gegen eine starke Lichtquelle zu ent-
ziffern sind. Das in [] Gesetzte ist nach Illyric. l. c. 178 und dem Ordo missae
v. St. Denis « circa tempora Caroli magni exarato » ergänzt. Martöne, ]. c. p. 187.
In beiden Messen steht aber das Gebet nach der Opferung nach der Oratio pfo
semetipso. Unser Text bringt kleine Varianten.
® Ordo v. St. Denis: extintus, sed tu qui ....
? St. Denis: vivifica.
8 Nach dem Ordo v. St. Denis, I. c. p. ı88 ergänzt. Nach dem Pontificale
v. Salzburg wurde dieses Gebet vom Zelebranten gebetet, während das Gloria
gesungen wurde. Martene, 1. c. p. 207.
® St. Denis: peccato.
— II —
Deus noster, inmort[alis es et]! sine peccato. Indulge mihi miserrimo
presumenti accedere ? ad [sanctum altare] ? tuum et invocare te, quia
peccavi ab infantia mea [usque nunc] ! coram te et ® omnibus sanctis
tuis, sed per illorum intercessionem trilbue mihi] ! divinam clemen-
tiam veniamque peccatorum ? meorum et doce me [facere] ! volun-
tatem tuam omnibus diebus vite mee. Qui vivis et regnas.
Pergendo in ecclesiam sive ad altare [sacerdos dicat] 5
Introibo ad altare Dei et cant. humiliter I.... 5
Ego peccator. Seguitur Converte nos deus salutaris noster et
av[erte iram tuam a nobis] ®. Deus tu conversus vivificabis nos, et pleps.
OÖstende nobis domine m[isericordiam tuam] ® et salutare. Domine
exaudi orationem meam et clamor.
Intervenientibus pro nobis istis et omnibus sanctis aelectis dei
aufer .... 5 domine iniquitates nostras, ut ad sancta sanctorum puris
mereamus men[tibus accedere].
Omnipotens sempiterne Deus, misericordiam tuam nobis ostende
supplicibus, ut qui .... 5 qualitate difidimus non iudicium tuum
sed .....5 .... am® sentiamus Per.
De osculando altare dicat
.... domine ut per mentem ....”? sunt .... ” dominus deus
indulgere mihi digneris propitius peccata mea Per. ....s? per evvan-
gelum suum tradidit.
Osculando evvangelium
.... ? et corda et corpora nostra in vitam eternam. Per.
Gloria in excelsis deo. Et in terra pax hominibus bone voluntatis.
Lauda[mus te] ®. Benedicimus te. Adoramus te. Glorificamus te.
Imnum [canimus ti ?)bi®, Gratias agimus propter magnam gloriam
! Nach dem Ordo v. St. Denis, I. c. p. 188 ergänzt. Nach dem Pontificale
v. Salzburg wurde dieses Gebet vom Zelebranten gebetet, während das Gloria
gesungen wurde. Martene |. c. p. 207.
3 St. Denis: stare.
3 St. Denis wiederholt coram statt et.
% St. Denis : delictorum.
5 Das Blatt ist am Rande rechts beschnitten.
® beginnt fo. ıb, das am Rande links um c. 2 % cm. Text beschnitten ist,
sodaß 7-8 Buchstaben fehlen.
? Die ganze Stelle ist vom Wasser sehr beschädigt, sodaß nur mehr einzelne
Worte gelesen werden können.
® [] ergänzt, da das Blatt am Rande links beschnitten. Es fehlen maximal
9 Buchstaben.
® Fehlen etwa ıo Buchstaben.
— 192 —
tuam. Domine deus, rex [celestis] pater omnipotens. Domine fili
unigenite Jesu Christe. Domine Deus, agnus Dei [filius patri]s. Qui
tollis peccata mundi, miserere nobis. Qui tollis pec[cata munldi,
suscipe deprecationem nostram. Qui sedes ad dexteram patris, [miserere)
nobis. Quoniam tu solus sanctus, tu solus dominus, tu solus altis'simus
Jesu] Christe. Cum sancto spiritu in gloria Dei patris amen.
Ponens incensum in turibulum
In nomine domini benedicatur [incensum istud et accepta]! bie
fiat in odorem suavitatis.
Benedictio diaconi
[Dominus sit in c]Jorde tuo et in labiis tuis ut nunties competenter
evvangellium paci]s ?.
Prelectur evvangelium ; deosculando dicat
Per istos ser[mones sancti] ? evvangelii indulgeat nobis dominus
universa delicta nostra.
Credo ?
Sacerdos stans ante altare ante quam offerlorium dicat
Ante conspectum divine maiestatis tue reus assisto, qui invocar.e
nomen] * sanctum tuum presumo. Miserere mihi domine homini pecca-
tori, ign[osce indig] *no sacerdoti per cuius manus hec oblatio videtur
offerri. P[arce mihi Domine delic]torum ® labe, pre ceteris capitalium
[polluto et non intres in judicium cum ser] *vo tuo, quia non iustifi-
cabitur in c[onspectu tuo omnis vivens: scilicet] ? vitiis ac voluptatibus
carnis adgravati sumus. R[ecordare domine quod] * caro sumus®,
in tuo conspectu etiam celi mundi non sunt [quanto magis] * nos
homines terreni immundi” sicut pannus menstrulatae. Indimi; '
sumus, Domine [Jesu Christe, ut simus] ® viventes, sed tu qui non
ergänzt nach Mart£ne, 1. c. p. 212 (Salzb.).
ergänzt nach pontif. Salzb. l. c. 207.
® Das Credo stimmt mit der Form des Missale Romanum beinahe wörtlich
überein, weshalb vom Abdruck abgesehen werden kann. Nur 2 Varianten kommen
vor: es fehlt hier das ef zwischen .... scripturis und ascendit in celum. Ferner
hat unser Text im Schlußsatz .... «et vitam /ufuri seculi amen » statt venturi.
Eine spätere Hand jedoch setzte venturi darüber.
* [] ergänzt nach Illyric. 1. c. p. 182.
5 Illyric. hat: Parce mihi, Domine, prae ceteris capitalium criminum labe etc.
Da aber am Rande höchstens 10-15 Buchstaben fehlen und das .... torum in foig.
I.inie klar ist, wurde die Lücke wie ober ergänzt.
6 Jllyric. nur sum.
? Tllyric. hat Singular.
A
ar
— 193 —
[vis mortem] ? peccatoris ?, da nobis [veniam in carne] ! constitutis,
ut per poe[nitentie] labores vita eterna [perfrui merean] !ur in celis.
Per te Jesum Christe 3.
[Folgt ein total verwaschener und unleserlicher roter Titel in
Uncialen]. Tibi domino creatori meo hostiam offero pro remissione
omn[ium peccatorum) * meorum et cunctorum fidelium tuorum.
Sacerdos acc....®
[Suscipe sancta] ® trinitas oblationem, quam tibi offert famulus
tuus, et presta, [ut in con] ®spectum tuum tibi placens ascendat. Accep-
tabilis sit Deo omnipotenti [oblatio t] ua. Memor sit Dominus sacrificii
tui et holocaustum tuum pingue [fiat].
„... Sacerdos Suscipe sancta trinitas hanc oblationem, quam tibi
ego [peccato]r ” et indignissimus offero in memoriam incarnationis,
nativitatis, pa] *ssionis, resurrectionis, ascensionis domini nostri Jesu
Christi et in honorem [sanct] forum tuorum, qui tibi placuerunt ab
initio mundi et eorum, quorum [hodie f] $estivitas celebratur Nomina
eorum dicat et quorum reliquie [et nomin]®a hic habentur, ut illis proficiat
ad honorem, nobis autem ad salu[tem, ut] ® illi omnes pro nobis inter-
cedere dignentur in celis, quorum memoriam faci[mus in ter] ®ris.
Pro semetipso
Suscipe sancta trinitas hanc oblationem, [quam tibi] ® offero pro
me peccatore et miserrimo omnium hominum pro meis [peccatis
inn] *umerabilibus, quibus peccavi coram te in dictis, in factis, in
[cogitationibus, ut preterita mihi dimitt] $as et de futuris me custodias
[et pro sanitate corporis et anime mee et pro] ® gratiarum actione de
tuis bonis, quibus [quotidie utor] ®.
[Pro 5] *alute vivorum
Suscipe sancta trinitas hanc oblationem [quam tibi offero] ® pro
salute famulorum tuorum, quatenus te donante, percepta [venia
I [] ergänzt nach Illyric. l. c. p. 182.
3 [llyric. hat nach peccatoris «sed ut convertatur et vivat, mihi veniam
in carne constituto ....»
® Jilyric.: statt Per .... «(Qi vivis etc.»
* f] ergänzt nach Pont. Salzb., 1. c. p. 203.
5 Am Rande rechts beschnitten. Hier endet Fo. 2. fo. 2b ist am Rande links
beschnitten.
° [] ergänzt nach Illyric. 1. c. p. 183 der mit dem Ordo v. St. Denis, 1. c.
p- 189 übereinstimmt.
? [] von mir ergänzt. Illyr. : hanc oblationem quam tibi offero ....
REYUE D’HISTOIRE ECCLESIASTIQUE 43
peccat] !orum vite quoque sempiterne im[mensa] ! gaudia percipere
[mereantur] !.
Pro infirmis
Suscipe [sancta trinitas] hanc oblationem, [quam tibi]! offero
pro infirmo famulo t[uo ?, ut me] !ntis et corporis sa[nitate rec] tepta,
in ecclesia tua tibi laudes referat et de tuo verbere [premia pro] Isequi
mereatur ? eterna. Per.
Pro defunctis
Suscipe [sancta trinitas hanc] ! oblationem, quam tibi offero pro
animabus famulorum [famularumque] ! tuarum illis *, ut requiem eternam
dones eis inter santos [electos, ut in illorum consortio vita perfruantur
aeterna. Per etc] !.
[Hier endet Folio 2, und mindestens ein Blatt fehlt nun ganz.
Folio 3 versetzt sogleich in den Canon missae, und zwar mit den
Schlußworten des Gebetes: Hanc igitur. .... Per Christum.)
QOuam oblationem tu Deus in omnibus quesumus benedictam‘,
asscriptam ®, ratam ®, racionabilem acceptabilemque facere dignens,
ut nobis corpus® et sanguis® fiat dilectissimi filii tui domini nostn
Jesu Christi. Qui pridie quam pateretur accepit panem in sanctas ac
venerabiles manus suas elevatis oculis® ad te Deum patrem suum
omnipotentem, tibi gratias agens, benedixit ®, fregit, dedit discipulis
suis dicens : accipite et manducate ex hoc omnes. Hoc est enim corpus
meum. Simili modo postquam cenatum est accipiens et hunc prec-
larum calicem in sanctas ac venerabilis manus suas : item tibi gratias
agens benedixit 5, dedit discipulis suis dicens : accipite et bibite ex eo
omnes. Hic est enim calix sanguinis mei, novi et eterni testamenti,
mysterium fidei, qui pro vobis et pro multis effundetur in remissionem '
peccatorum. Hec quotiescumque feceritis, in mei memoriam facietis.
1 [) ergänzt nach Illyric. . c. p. ı83 der mit dem Ordo v. St. Denis. c.
p. 189 übereinstimmt.
%2 Darüber die Pluralendungen .... is.
3 Über mereatur ein übergeschriebenes n für Pluralbildung.
4 jllis mit durchstrichenen 1l.
5 Darüber ein rotes +.
6 Incunabel v. 1497: oculis in celum wie heute. Ebenso im Sacrament.
Gelasianum (fränkisches) ed. P. Kunibert Mohlberg, « Das fränkische Sacramen-
tarıum Gelasianum in alamanischer Überlieferung. (Cod. Sangall. Nr. 348) in
Liturgiegeschichtl. Quellen. Münster i. Westf. 1918.
° Darüber ein schwarzes + von späterer Hand.
— I5 —
Unde et memores Domine, nos tui! servi? sed et pleps tua sancta 3
Christi filii tui Domini nostri, tam beate passionis necnon ab inferis
resurtectionis sed * et in celos gloriose ascensionis : offerimus preclare
maiestati tue de tuis donis ac datis hostiam ® puram, hostiam 5 sanctam,
hostiam ® immaculatam, panem sanctum vite eterne et calicem ® salutis
perpetue. Supra que propitio ac sereno vultu respicere digneris et
accepta habere, sicuti accepta habere dignatus es munera ® iusti tui
Abel et sacrificium patriarche nostri Abrahe, et quod tibi obtulit summus
sacerdos tuus Melchisedech, sanctum sacrificium, immaculatam hostiam.
Suplices te rogamus, omnipotens Deus, iube hec perferri per manus
sancti ” angeli tui in sublime altare tuum in conspectu divine maiestatis
tue, ut ®, quotquot ex hac altaris participatione sacrosanctum filii tui
corpus ® et sanguinem ® sumpserimus, omni benedictione celesti et
gratia repleamur. !
Memento mei queso domine et miserere licet hec sancta indigne
tibi, sancte pater omnipotens, eterne Deus, meis manibus offerantur
sacrificia, qui nec vocare sanctum ac venerabilem nomen tuum dignus
sum, sed quum in honore, laude et memoria gloriosissimi filii tui Domini
nostri Jesu Christi tibi offeruntur, sicut incensum in conspectu divine
maiestatis tue in odorem suavitatis accendantur.
Memento etiam Domine et eorum nomina, qui nos precesserunt
cum signo fidei et dormiunt in somno pacis. Ipsis et omnibus, domine,
in Christo quiescentibus locum refrigerii, lucis et pacis ut indulgeas
deprecamur. Per eum qui.
Nobis quoque peccatoribus famulis tuis de multitudine miserationum
tuarım sperantibus aliquam partem et societatem donare digneris cum 1!
sanctis apostolis et martyribus necnon et confessoribus 1? cum lohanne,
! Titel in « Capitalis rustica », schwarz.
2 heute servi tui. Das Sacr. Gelas. stimmt mit unserer Version überein.
® Das Missale Cur. v. 1497 hat wie heute sancta eiusdem. .... Das Sacr.
Gelasianum stimmt mit unserem Text überein.
* im Miss. Cur. v. 1493 fehlt das sed.
5 Darüber ein rotes +.
® Heute, im Sacr. Gel. und im Miss. Cur. v. 1497 folgt auf munera : pueri.
’ Im Sacr. Gel. fehlt das « sancti ».
8 beginnt Fo. 3b.
® Darüber ein schwarzes -- von späterer Hand.
10 Im Sacr. Gel. u. heute folgt noch das Per. .... Im Sacr. Gel. fehlen die
Kreuze bei Corpus und Sanguinem, also ursprünglich wie unser Text.
Il heute cum tuis sanctis.
12 Im Sacr. Gcl., wie heute, feblt der Passus « necnon et confessoribus ».
Bee 196 —
Stephano, Mathia, Barnaba, Ignatio, Alexandro, Marcellino, Petro,
Felicitate, Perpetua, Agatha, Lucia, Agna!, Cecilia, Anastasia et
omnibus sanctis tuis: intra quorum nos consortium non estimator
meriti, sed venie quesumus largitor admitte.
Per quem hec omnia domine semper bona creas, sanctificas ?, vivifi-
cas? benedicis ? et prestas nobis. Per ipsum et cum ipso et in ipso
est tibi Deo patri omnipotenti in unitate spiritus sancti omnis
honor et gloria. Per omnia secula seculorum amen. Oremus preceptis
salutaribus moniti et divina institutione formati audemus_ dicere:
Pater noster qui es in celis? etc.
Libera nos quesumus Domine ab omnibus malis preteritis, presen-
tibus et futuris et intercedente beata et gloriosa virgine Dei genitrice
Maria et sanctis® apostolis tuis Petro, Paulo atque Andrea et sanctismar-
tiribus vel confessoribus tuis Stephano 5, Laurentio ®, Lucio ?, Florino ®,
I heute Agnete. Im Sacr. Gel. steht « Agne ».
%2 Darüber ein schwarzes 4 von späterer Hand.
$ beginnt fol. 4. Das Pater noster stimmt genau mit der heutigen Version
überein.
* Im Sacr. Gelas., wie heute, statt «et sanctis» = «cum beatis».
5 St. Stephanus stand in Chur in hoher Verehrung. Sein Fest wurde mit
Oktav begangen (Necr. Cur., el. W. v. Juvalt, Chur 1867 (p. ı). Die « Dedicatio
eccl. S. Stephani» wurde am 27. Juni gefeiert. Die Kapelle stand neben dem
heutigen Priesterseminar St. Luzi, hinter der Kantonsschule. Sie dürfte vielleicht
auf römischen Ursprung zurückgehen, denn beim Bau der Kantonsschule fand
man dort römische Mosaikreste, die zum Teil in der Kathedrale und zum Teil
im Rätischen Museum aufbewahrt werden. Im XIV. Jahrhundert und später
hieB der Weinberg, der bei genannter Kapelle lag «Sant Steflans wingart
(z. B. 1371, Mohr, Cod. dipl. III. 238 etc.).
% Eine St. Laurentiuskirche stand im bischöflichen Hofe, dort, wo nunmehr
der Brunnen steht. Das Necrol. Cur. erwähnt auf den 10. Aug. (« Laurentii mart. :)
die « Dedicatio eius templi in civitate Curie v. Diese Eintragung deutet auf sehr
hohes Alter. Sie muß zu einer Zeit entstanden sein, wo man noch die Civitas
vom vicus zu Chur unterschied. Die civitas war der bischöfliche Hof. Auch die
Wiedergabe des Ortes « Curie» mit der Dativform des Substantives weist auf
hohes Alter hin, da später (wohl schon im XI. Jahrhundert) gewiß eine adjekti-
vische Konstruktion Platz gegriffen hätte. Die St. Laurentiuskapelle wird im
XIV. und XV. Jahrhundert noch mehrmals erwähnt. Das Fest des hl. Laurentius
wurde in Chur mit Vigilia und Oktav gefeiert. Über die einstige Wichtigkeit
der Laurentiuskapelle auf dem Hof in Chur vergl. Farner, Die Kirchenpatrozinien
des Kantons Graubünden, in Jahresb. der bist. Ant. Ges. Graub. 1924, p- 34 t.
Bischof Lucius Iter ließ die Kapelle niederlegen und 1546 eine andere
Laurentiuskapelle an das südl. Seitenschiff der Kathedrale anbauen.
° Der hl. Luzius ist der erste Patron des Bistums Chur.
8 Der hl. Florinus ist der zweite Patron des Bistums Chur.
—- Iy7 —
Felice! cum istis et omnibus sanctis da propitius pacem in diebus
nostris, ut ope misericordie tue adiuti et a peccato simus semper
liberiet ab omni perturbatione securi. Per dominum. Per omnia
secula seculorum. Pax Domini sit semper vobiscum. Et cum spiritu
tuo. Agnus Dei. ?
1 Wieso St. Felix, dessen Fest laut Necrol. Cur. am 14. Jan. gefeiert wurde,
in Chur so spezielle Verehrung genoß, daß er mit den Patronen der ältesten (?)
Churer Kirchen, sowie den Bistumsheiligen in den Canon Missae aufgenommen
wurde, ist mir noch unerklärlich. Der Kult der Thebäer herrschte zwar in Chur,
denn schon 1365 wird die St. Regula-Kirche zu Chur erwähnt. (Mohr, C. D. III.
Nr. 124.) Sollte die Kirche ursprünglich nicht etwa den Hl. Felix und Regula
gemeinsam geweiht gewesen sein ? Diese Annahme, in Verbindung mit unserem
Texte, würde auf sehr hohes Alter der Kirche deuten.
% Hiemit endet der Ordo missae. Es folgen keine Kommuniongebete, sondern
direkt jene Gebete, die an der « Dominica prima de adventu » verrichtet werden.
Die zu singenden Texte sind in kleineren Buchstaben geschrieben. Darüber stehen
Punkt und Strichneumen (deutsche Neumen) des XI. Jahrhunderts. Die folgenden
Stücke sind dermaßen fragmentarisch, daß von einer Wiedergabe abgesehen
werden kann.
a7
Die Reform im Kloster St. Gallen.
Von Dr. J. Ar. SCHEIWILER.
(Fortsetzung und Schluss.)
Am 25. Oktober 1587 muß Bruder Othmar von Altstätten,
« gewesener Laienbruder im St. Othmarsspital des Gotzhus St. Gallen »
Urfehde schwören, da er «nach vielen väterlichen Mahnungen des
Gnädigen Herrn » sich nicht gebessert, sondern «etlich vil Stücke,
als Öl, Wachs, lichter, Zwechlen und sonderlich etlich Gsang- und
Kilchenbücher aus dem Münster » entwendet und an einen Appenzeller
«um etlich Geld» verkauft hatte. Deshalb hat der Gnädige Herr
« mir den Orden abnehmen und mich auf 101 Jahre aus seinen Gerichten
verweisen lassen », bei Strafe der Hinrichtung, wenn er noch im Lande
bliebe. !
Am 2. April 1577 entsetzte Abt Joachim die « Frau Mutter Anna ı
im Wiboradaklösterchen zu St. Georgen ihres Amtes, da sie aus Geiz
und Härte ihren Schwestern zu wenig Speise und Trank gab. ?
Unter den auf Abt Joachim bezüglichen Schriften findet sich
auch ein Zeddel mit Reformbestimmungen, die zwar keine Zeitangabe
tragen, aber nach Form und Inhalt ganz dem Geiste dieses Abtes
entsprechen. ® Der Konventual (offenbar ist der Pfarrer von St. Georgen
gemeint) meide das Haus der Klosterschwestern, außer wenn er dort
Messe lesen muß, was selten und nur im Notfall geschehe.
Er meide auch müßiges Herumschwatzen in den Nachbarhäusern.
Er meide nach Möglichkeit Gespräche und Vertraulichkeiten mit
Frauen, was nicht erbaut, aber vieles zerstört.
Wenigstens drei- oder zweimal wöchentlich wohne er den in der
St. Othmarskirche gesungenen Vigilien bei, wenn das nicht möglich,
bete er sie andächtig zu Hause. Man wird feststellen, wie oft er im
Kloster essen dürfe. Er meide auch das Schwatzen an jenen Orten
des Klosters, wo er nichts zu besorgen hat.
Von besonderem Wert ist eine noch erhalten gebliebene Bestallung
1 St.-A. Bd. 303, S. 49-51.
2 St.-A. Bd. 850, Fol. 95-99.
3 St.-A. Bd. 303, S. 315.
für den Altvater der Laienbrüder im sogenannten St. Othmarspital. !
' Sie beginnt mit den Worten: «Meniglichen sei kundgetan, daß der
_ hochw. Fürst Herr Joachim, Abt des Gotzhus St. Gallen (von späterer
Hand ist Joachim gestrichen und darüber geschrieben Bernhardt), den
Bruder Hans Jakob Prinerer (Peierer ?) aus der Reichenau (letzteres
ist durchgestrichen und darüber von der gleichen Hand wie « Bernhardt »
geschrieben Mathis Lütenegger von Bichelsee) in St. Othmars Spital
zu einen Altvater gesetzt, folgendes zu halten : Er soll dafür sorgen,
daß die Brüder nach alter Ordnung in die Kirche gehen, zu Amt,
Vesper und Komplet, ihre Gewänder in den zugewiesenen Kästen
haben, zur Matutin in ihren Ständen .bleiben, rechtzeitig erscheinen,
«das man nit stetig klenken (d. h. in ihr neben dem Kloster gelegenes
. Haus hinüberläuten) oder sonst lang warten und umlaufen müsse ;
sie sollen andächtig zur Messe dienen, bei Festen schöner zieren und
Lichter usw. richten.
Der Altvater soll zu allen Kammern der Brüder Schlüssel haben
und sie des Nachts visitieren. Nach altem Brauch haben die Brüder
ihre Tischlesung und nach dem Essen eine freie Stunde, um etwas
zu lesen oder zu arbeiten ; alle Monate sollen sie beichten und
kommunizieren. Sie sollen sich nicht mit Stadtleuten einlassen vor
ihrem Haus, rechtzeitig zur Ruhe gehen, die Gewissenserforschung
machen und «mit gebogenen Knien » ihr Nachtgebet verrichten. Der
Altvater sorge, daß ein jeder Bruder an Sonn- und Festtagen einer
ganzen Messe beiwohne und nicht im Turm herumstehe oder in der
Stadt herumlaufe, und daß keiner außer dem Kloster übernachte und
keiner « Schlattrünke » annehme.
Der Altvater soll die Türen gegen den Kreuzgang, den Chor und
die Apsiden fleißig schließen ; er lasse keine fremden Leute durch
die Kirche, besonders über die Stiegen bei der Kusterei oder beim
Tormente, in den Konvent hinein. Namentlich lasse er keine Frauens-
personen in die Apsiden, in denChor, noch viel weniger in den Kreuzgang
oder Torment hinein (Schlafsaal). Wenn solche Personen einem Pater
etwas zu sagen haben, rufe der Bruder denselben oder jener gehe in die
Kirche hinunter, um rasch die Sache zu erledigen. Die Brüder sollen
stets ihre Kappen tragen.
Das Schriftstück trägt die Unterschrift : Joachimus, Abbas S. Galli
(Autograph) und darüber den Vermerk : Actum, den 17. Mai a. 1597.
1 St.-A. Bd. 303, S. 535-545.
Es stammt also von Abt Joachim her, ist aber unter seinem Nach-
folger unverändert für einen andern Altvater wieder verwendet worden.
Die Mahnung betreffend das fleißige Abschließen von Chor, Kreuzgang
usw. beweist, daß sowohl dem Abte Joachim wie seinem Nachfolger
die Sorge für die Klausur am Herzen lag, daß aber wohl die Auffassung
von der Klausur noch eine etwas schwankende und nicht allzu
rigorose war.
Mit dem Nuntius Paravicini stand Abt Joachim in regem freund-
schaftlichem Verkehr. 1 In einem Briefe vom 5. Februar 158g *® spendet
der Nuntius dem Abte (catholicae religionis adeo benemerito) hohes
Lob wegen seiner eifrigen und erfolgreichen Tätigkeit bei den Appen-
zellern. «Ich hoffe, daß durch Deine eifrigen Predigten, durch Dein
Ansehen und Dein Beispiel der Katholizismus in jenen Gegenden
wie auch im Toggenburg bald wieder hergestellt werde ; über Deine
Frömmigkeit und Deine Tugenden werde ich dem Heiligen Vater
Bericht erstatten. Ich muß oft wiederholen, daß ich in meinem Amte
als Nuntius bei den Schweizern besonders zwei Männer als Stützen
der Religion betrachte, nämlich den Bischof von Basel, Blarer von
Wartensce, und den Abt von St. Gallen, wobei Du der noch erfahrenere
bist. Möge Gott Dir nur immer mehr Kraft verleihen.» In einem
weitern Schreiben rühmt der Nuntius besonders die Klugheit des
Abtes im Vorgehen gegenüber den Appenzellern, die er durch Predigten,
Gebete, ja selbst durch Gastmähler zu gewinnen wußte. ® Von Papst
Sixtus V. erlangte er ihm eine Reihe wichtiger Privilegien für das
Kloster St. Gallen. ®
Im Jahre 1590 brach zwischen Abt Joachim und seinem Konvent
ein scharfer Zwist aus, der vom August bis in den Dezember hinein
viel Unruhe brachte und selbst den Nuntius in die Schranken rief.
Es ist ein Analogon zu dem fast genau 200 Jahre später zwischen Abt
Beda und seinen Konventualen entbrannten Streit.
Jener Zwist wirft auch mancherlei Licht auf die Reform-
bestrebungen des Abtes und auf den innern Geist seiner Kloster-
familie. 5
1 Maver, II, S. 156.
2 St.-A. Bd. 303, S. 156-157.
® St.-A. Bd. 303, S. 107 f.
% St.-A. Bd. 303, S. 146 u. 147. (Brief vom ıo. November 1588.)
5 Alle auf diesen Streit bezüglichen Akten siehe Staatsarchiv Luzern, 3. Fas-
zikel über Abt Joachim Opser.
ER: a ih ale Mei einen m Beisitzer mn
— 20I —
Schon am 6. Juni des Jahres 1590 hatten die Konventualen ihrem
Abt eine Bitt- oder Beschwerdeschrift eingereicht, worin sie um einige
Erleichterungen im klösterlichen Leben baten. Als ihnen keine
Antwort zuteil wurde!, machten sie einen zweiten und schärferen
« Fürtrag » (undatiert), worin besonders betont wird, St. Gallen «sei
laut Stiftung und löblichen Freiheiten nicht ein beschlossenes, ver-
mauertes Nunnen-Kloster, sondern geistlichem Stand unbeschadet ein
offen unverrigeltes Gotshaus». Daher die dringende Bitte an Joachim,
«die jetzt eingeführte neue verdrießliche unnotwendige, mißtrauliche
und brüderlicher Liebe und Einigkeit wenig förderliche Clausuras und
Verrigelung (was, wie wir oben gesehen, der Abt auf ausdrücklichen
Befehl des Visitators Bonhomini angeordnet hatte) sunderlich under
dem Gottesdienst und Zelebrieren abzuschaffen ». Auch in bezug auf
Geld, auf Essen und Fasten, sowie Erleichterung beim Beichten meldet
der «Fürtrag» Wünsche der Konventualen an,
Auch diesmal erfolgte keine Antwort vom Abt. Da wandten
sich die Bittsteller am 26. September 1590 in einem längern Schreiben,
das 18 eigenhändige Unterschriften der Konventualen trägt, an den
Schirmort Luzern, mit nicht weniger als 27 zum Teil allerdings fast
identischen Beschwerdepunkten.
In diesem Schreiben werden die Äbte Franz und Diethelm gerühmt
und dann gesagt, Joachim habe vor und nach der Wahl versprochen,
die Mönche bei ihren Freiheiten zu belassen (eine kirchenrechtlich
unstatthafte Wahlkapitulation).. Nun folgen die wichtigern Klage-
punkte: Sie hätten schier weder Kleider noch Essen und Trinken
und seien so arm, daß sie selbst Schulden machen müssen, besonders
jene, denen die Ihrigen nicht Hand zu bieten vermögen. Der Abt
sei ganz prächtig gekleidet in Sammethosen, mehr weltlich als geistlich ;
wenn ihm eine Speise nicht schmecke, werfe er sie zum Fenster hinaus ;
er sei den Lastern der «Hurerei, des Spielens und Suffens vast
ergeben», «gebe Katholischen und Sektischen viel Ärgernis»; er
verschwende das Einkommen des Gotteshauses, verschenke es den
Seinen und den Ratgebern, die werden reich, das Gotteshaus arm ;
er habe dieses in Schulden gebracht ; es sei eine solche Zwietracht
im Kloster, daß der Untergang drohe ; er rühme sich seiner « Gelerti »,
es sei keiner gelehrter ; «hatt dem Gotzhus 5000 Gl. verstudirt »
_* Das Schriftstück trägt die Nachschrift von Joachims Hand: «habe ces
Dicht gut aufgenommen. »
— 202 —
und will jetzt das übrige auch noch «durchrichten » ; er unterstehe
sich, den Gottesdienst zu ändern wider den Willen des Konvents;
mit den Speisen halte man keine rechte Ordnung, man koche so
unsauber als sollte man es den Hunden vorstellen, ähnlich mit dem
Getränk ; was die Diener nicht mögen, gebe man den Mönchen ; ihre
jährlichen gestifteten Pensionen und Gnadengelder gebe man ihnen
auch nicht ; den Konventualen sollte man erlauben, daß sie zu ihrer
Ergötzung auch die Ihrigen besuchen und von denselben Besuche
annehmen dürfen ; das Bauen werde vernachlässigt ; die jährlichen
Zinsen an den Statthalter, Dekan und das Bruderhaus seien seit
7 Jahren nicht mehr ausgerichtet worden ; der Abt habe strenge
geboten, daß keiner ohne Erlaubnis aus Zelle oder Konvent sich
entferne ; Beicht und Absolution werden ihnen erschwert ; wenn einer
im Münster zelebrieren will, schließe man vor- und nachher die Türen,
also daß einem Priester niemand zu Hilfe käme, «was ihm auch
zufiele » ; während sie Mangel haben, habe der Abt auch an Fast-
tagen Überfluß ; er lasse «sechs oder acht Trachten » unversucht,
ja sich oftmals bis zu 30 « Trachten » vorsetzen ; oft werde für ein
Essen ein Kessel Schmalz und vieles andere gebraucht ; vor den andern
zeige er große Heiligkeit, Abstinenz und Andacht, nachher ziehe er
sich in sein heimliches Gemach zurück zu «seinen schönen Nayeren »,
schicke die Diener fort und lasse sich «heimlich wol spysen und
tränken » bis über Mitternacht ; er gebe den ersten im Konvent ganz
verächtliche Namen ; er liefere viel Geld an die Jesuiten in Dillingen ;
er erhalte einige zwinglische Kinder der Stadt St. Gallen ohne Willen
des Konvents ; in kurzer Zeit sei das Gotteshaus «um 100,000 Gl.
ärmer worden ».
Auf Grund dieser Klageschrift kamen Delegierte der Schirmorte
Schwyz und Luzern am 6. Oktober 15go in Küßnacht zusammen und
richteten an den st. gallischen Konvent ein beruhigendes Schreiben.
Unter dem ı8. Oktober sandte der päpstliche Legat aus Uri einen
Brief sowohl an den Abt wie an den Konvent, worin er seinen Schmerz
ausdrückt über die unerquicklichen Zustände in St. Gallen und zu
einer Zusammenkunft in Einsiedeln auffordert. Auch an Oberst Pfyffer
in Luzern schrieb der Nuntius, es möge die Angelegenheit genau
untersucht werden «all italiana » ; Joachim sei bei allen Kardinälen
in Rom vorteilhaft bekannt und er habe gedroht, den Nuntius selbst
in Rom zu verklagen (offenbar ein dem Nuntius zugetragenes Gerücht).
Abt Joachim schrieb am 27. Oktober an die beiden Schirmorte
“Ol ie mer ui GEHT ui nn Ei m
|
— 203 —
Luzern und Schwyz, er sei ganz einverstanden damit, daß die Sache
vor den Nuntius gebracht werde als die zuständige Behörde, nur
darüber sei er befremdet, daß man den Unzufriedenen sofort geglaubt
habe.
Gleichzeitig richtete er an den Nuntius ein in jeder Hinsicht
klassisches Schreiben, wie sie diesem Abte eigen waren : Von Uneinig-
keit und Streit zwischen mir und meinen Mönchen weiß ich nichts,
außer man wollte den Ungehorsam nicht aller, sondern einiger,
Zwiespalt und Streit nennen. Nicht gegen mich in erster Linie,
sondern gegen die Gelübde und gegen die Regel des hl. Benedikt geht
ihr Kampf. Ich weiß wohl, was für Klagen gegen mich vorgebracht
worden, wer sie aber geschrieben hat, weiß ich nicht. Ich vermute,
es seien keine besonderen Freunde der Reform (non magni refor-
mationis amici).
Zur Beilegung der Schwierigkeiten ist aber kein Ort geeigneter
als unser Kloster St. Gallen selbst, umsomehr als der größere und
besonnene Teil meiner Mitbrüder, welche Gelübde und Reform hoch-
halten, auf meiner Seite steht. Darum bitte ich, der Nuntius möge,
wenn sich die Mönche nicht durch die Mahnungen und Briefe desselben
zur monastischen Disziplin und Reform nach den Forderungen des
Konzils von Trient bewegen lassen (nil aliud peto, nulla alia falsorum
rumorum causa), möglichst bald hieher eilen. Sollte der Nuntius
gesundheitshalber nicht erscheinen können, so werde ich unbescholtene
Männer senden, die über unsere religiösen, familiären und auch zivilen
Verhältnisse genauesten Aufschluß geben. Aus ganz wichtigen Gründen
will der Abt nicht nach Einsiedeln. Wie ich mich je und je ganz Gott
dem Herrn und unserm Erlöser Jesus Christus geweiht habe, so weihe
ich mich aufs neue gänzlich der katholischen Kirche und der Reform
meiner Brüder. Darum nochmal die inständige Bitte an den Nuntius,
doch zu kommen.
Die beiden katholischen Schirmorte suchten in taktvoller Weise
den Streit zu schlichten, ohne den dritten Schirmort Zürich mit der
Sache zu behelligen ; letzteres hörte aber doch von der Angelegenheit,
die viel Staub aufwirbelte und richtete eine Anfrage an die beiden
Mitstände, worauf Luzern den Zürchern eine ruhige, objektive Dar-
stellung des Handels unterbreitete. Von den Mönchen kamen unter-
dessen neue, noch heftigere Korrespondenzen. Insbesondere zeigten
sie sich nervös, da einige aus ihrer Mitte zum Abte «abfielen », nach
ihrer Darstellung, weil sie gute Stellen bekamen. Auch den «aman
tissimum Patrem Ludovicum », den berühmten Kapuziner P. Ludwig
von Sachsen, Guardian in Appenzell, beriefen sie als Vermittler.
Vom Nuntius kam nochmals ein Schreiben am 25. November 1500
an Joachim, es werde ja immer ärger in St. Gallen wegen der großen
Strenge des Abtes. Er sende nun seinen Sekretär Cornelius Pozzo
mit Vollmacht, um die Sache zu erledigen. Der Abt möge in allem
vertrauensvoll gehorchen.
Am ı. Dezember begann Pozzo, von dem Kapuziner P. Ludwig
unterstützt, im Kloster St. Gallen die Untersuchung, welche sechs
Tage dauerte. Zunächst wurden vier Mönche vom Konvent bestimmt,
mit dem Abt zu sprechen. Nach dreistündiger Unterredung kamen
sie zurück mit der Meldung, sie haben alles anders gefunden als sıe
gemeint, es sei alles auf guten Wegen zur Besserung. Der Abt
entlastete sich dann vollständig von den ihm vorgeworfenen Klagen.
Er wies die Rechnungsbücher vor und Pozzo stellte fest, sie seien
«di anno in anno diligenti ben tenutiv. Der Abt erklärte die
Behauptung, er habe das Gotteshaus einem Lutherischen versetzt, als
Lüge ; Ursache der aufgelaufenen Schulden seien fünf Fehljahre,
übrigens wolle er beweisen, daß sich die Schulden nicht höher belaufen
als 40,000 Gl., wovon der größte Teil noch aus der Zeit, ehe er Abt
gewesen ; er habe alle Zinsen bis auf diesen Monat abbezahlt, die an
Luzern schuldigen 12,000 Gl. habe er bereits ablösen wollen, dann
aber zum Wiederaufbau des durch Blitzschlag zerstörten Turmes und
der Glocken gebraucht, des «Gebüwes halb habe er nüt gebaut, denn
die Küche zu Notwendigkeit des Konvents » (also kein Frauenhaus,
wie Bonhomini verlangt hatte). Das Geld nach Dillingen sei nur
Tischgeld für die dort Studierenden, «laßt sehen in synem Schrib-
täffelin, das er uff derselben reis (nach Dillingen) gar wenig verzehrt ».
Der Kommissär fragte, warum so viele Laien Klosterverwalter seien,
da auch die Konventualen solche Ämter versehen könnten. Joachim
antwortet, er müsse jene halten wegen der weltlichen Angelegenheiten
und besonders wegen den Malefizsachen, den Mönchen gebe er schon
die Ämter, die für sie passen ; an Dienstleuten und Reiterei habe er
um die Hälfte minder als andere Prälaten.
Der Näherinnen halber im Kloster, seien dieselben seit vielen
Jahren dagewesen, um die Kirchen- und Klostergewänder zu nähen, und
1 S, Scheiwiler, P. Ludwig von Sachsen, Ein Beitrag zur Gegenreformation.
Diese Zeitschrift, Jahrgang 1916, S. 241-274.
— 205 —
. zwar ohne allen Argwohn (wieder ein Beweis für die etwas schwankende
und weitere Auffassung von der Klausur), als er aber gesehen, daß
man etwas Argwohn nehme, «habe er sie geurlobet ». Wegen unsau-
berem Kochen und «schlechtlich traktiren », trage er keine Schuld,
ahabe den Koch und Amtslüt oft übel darum gehandlet». Der
Kommissär ging dann selbst etliche Mal unvermutet zum Essen und
fand es sehr reich, ja «ihrer Regel nach zu vil, man gebe 6 oder
7 Trachten und jedem sin Maß wyn übers mal ».
Der Prälat stellt entschieden in Abrede, daß er Neuerungen ein-
führe, außer der Reformation «und Gelobung der Regel und des
Ordens». Auch habe er den Mönchen so viel Geld gegeben als für
Nahrung und Kleidung nötig war, und bei diesem Standpunkt werde
er bleiben und nichts nachlassen. « Des gewöhnlichen Gotzhus Almosen
halb fahre er der gewöhnlichen alten Ordnung nach ».
Joachim betonte auch, es fließe aller Unwille «von wegen der
Reformation und Anstellung des Haltens der Regel, so er angefangen,
und wären allein ihrer 3 oder 4, welche um ihres ärgerlichen Lebens
gestraft worden, die jetzt unter dem Namen des Konvents diesen
Lärm gemacht » (das wird noch im Detail ausgeführt).
Die Artikel gehen nun an den Nuntius, der werde «alles erduren,
was billig und gut blyben und bestäten». Ein italienisches Schreiben
des Nuntius an Luzern mit der beigeschlossenen Relation Pozzos
spricht den Gedanken aus, man sehe hier, daß es klug sei, nicht einem
oder zwei Mönchen Glauben zu schenken, weil sie voll Leidenschaft
seien, zwei oder drei verführen einen großen Lärm und tun, als ob
sie im Namen aller handeln, und schließlich wissen die andern nichts
davon.
Am 29. Dezember 1590 kam ein Vergleich zwischen Abt und
Konvent zustande. Man wolle sich gegenseitig alles verzeihen und
nichts mehr nachtragen. Sodann solle das nach dem Tode Abt
Öthmars geschlossene Übereinkommen (die seinerzeitige Wahlkapitu-
lation) weiterhin Geltung haben ; demzufolge werde Joachim den
Gottesdienst nicht gegen das alte Herkommen beschweren ; er wolle
auch nichts bauen oder verändern gegen oder ohne Wissen des
Konvents. Er werde ferner die Pfründen belassen, deren Zinsen
bezahlen, die nötigen Kleider den Konventualen geben, die Kranken
besorgen, was er an Klausur und neuen Bräuchen eingeführt, wieder
fückgängig machen ; ererbtes Gut dürfen die Konventualen behalten,
“niessen und bruchen », selbst verwalten und «mit unserm Wissen
=; 206.
den Verwandten übergeben ». Sollte der Abt resignieren, so sei das
Kapitel vollkommen frei in der Wahl. Dieser Vergleich bedeutet eine
völlige Kapitulation des Abtes vor den widerspenstigen Konventualen,
aber auch den Verzicht auf Durchführung der von Bonhomini so strenge
verlangten Neuerungen und die Zurücknahme der bereits angeordneten
Reformen. Der päpstliche Nuntius legte denn auch in einem Schreiben
vom 9. Januar 1ı5gı an den Schirmort Luzern Protest ein gegen die
Zumutung, daß die Konventualen zeitliche Güter, Erbfälle und der-
gleichen sich oder andern vorbehalten ; das sei ein grober Verstod
wider das Armutsgelübde.
In den Monaten Februar und März 1593 machte der Streithandel
des Abtes Joachim gegen Jakob Seybrand, Glaser von Memmingen,
viel von sich reden. Dieser Ausländer, der eine Zeitlang im äbtischen
Gebiet wohnte, verfeindete sich einer unbedeutenden Sache wegen aufs
bitterste mit P. Benedikt Pfister, Pfarrer in St. Georgen, und wurde
dann aus dem Stiftslande verwiesen, worauf er in der halben Schweiz
den St. Galler Abt und den Konventualen P. Pfister in gemeinster
Weise schmähte und verleumdete, ja durch den Nuntius die Sache bis
an den Papst zog. Abt Joachim schrieb am 13. März 1593 an Luzern, er
sei bereit, sich vor dem Papst, wohin der Glaser den Handel gezogen,
zu defendieren ; die überspannten Forderungen desselben könne er nicht
annehmen, sei aber bereit, ihm ein Almosen von 30-40 Gulden zu
geben, die wiederholt beschworene Urfehde müsse derselbe halten.
Nachschrift : «Ich hab dem Glaser mein Lebtag kein Leid weder
mit werken noch worten getan. So mir Gott helff.
Joachim, Abbas S. Galli. »
Unter dem 16. Januar 1593 erfolgte ein tadelndes Schreiben von
Seiten Kardinals Paravicini, des früheren Nuntius in der Schweiz,
an Abt Joachim, wozu Stipplin! bemerkt, Joachim sei von übel-
wollender Seite (eben von Glaser Seybrand) in Rom verklagt worden ;
wenn der Kardinal die Verhältnisse der Schweiz und des äbtischen
Gebietes besser gekannt hätte, wäre wohl sein Schreiben anders
ausgefallen. Der Kardinal mahnt in diesem Brief, Joachim solle seinen
weltlichen Räten nicht zu viel Vertrauen schenken ; und denselben
einschärfen, daß sie auf jede Weise dem katholischen Glauben in den
Gemeinden der Stiftslande Vorschub leisten, die Häretiker dagegen
1 St.-A. Bd. 194, S. 187.
klein halten. Hemberg, Peterzell und Wattwil seien mit tüchtigen
Seelsorgern zu versehen, dann werden noch fast alle Gemeinden des
Toggenburg zum alten Glauben zurückkehren. Joachim soll nicht
fragen, wer das alles dem Papst hinterbracht habe, er soll nur tat-
kräftig seine Pflicht tun, auch für das Volk von Appenzell besser sorgen,
«das in so großer Einfachheit lebt ».
Nebst den großen Verdrießlichkeiten seitens der widerspenstigen
Konventualen und des verleumderischen Glasers Seybrand hatte Abt
Joachim in seinen letzten Lebensjahren durch anhaltende Krankheit
viel zu leiden. Ein langwieriges Magenleiden quälte ihn Jahre lang,
:- so daß er fast nichts mehr genießen konnte. ! Dieses schwere Leiden
hat wohl auch die Energie und den die ersten Priester- und Prälaten-
jahre kennzeichnenden Reformeifer des tüchtigen Abtes vorzeitig
gebrochen und ihn vor den Widerständen erlahmen lassen. Mißwachs
und schlechte Ernten stürzten die Abtei in schwere wirtschaftliche
Not. Um 24,000 Gulden verkaufte Joachim den schönen Klosterbesitz
zu Neuravensburg und Wangen. Die Nachwelt kennt nicht mehr die
Gründe dieses Verkaufs, bemerkt Schenk in seiner Chronik ?, sonst
würde sie vielleicht den Abt loben ; der Autor der Wiler Chronik,
der genau die st. gallische Geschichte verfolgte, sagt, es seien große
Schulden angewachsen, weil viele Jahre hindurch keine rechte Ernte
einging ; sogar für den eigenen Hausgebrauch habe das Kloster Wein
kaufen müssen, was seit Ioo Jahren nicht mehr erhört war. Diese
mißliche ökonomische Lage des Stiftes hatte zur Folge, daß dem Abt
vier Administratoren aus dem Konvent zur Seite gestellt wurden. ®
Trotz all dieser großen Hemmnisse und Schwierigkeiten hat unser
Abt den Reformgedanken bis zu jener unglücklichen Kapitulation vor
seinen rebellierenden Mönchen nie aus dem Auge verloren, sondern
für die von der Kirche verlangte Reform getan, was er in Anbetracht
der Verhältnisse tun konnte, wie gerade die Anklagepunkte der unzu-
friedenen Mönche mit aller Deutlichkeit bekunden.
Zuerst mußte aber ein neues, ernster und kirchlicher gesinntes
Geschlecht von Mönchen heranwachsen, ehe es gelang, die Tridentinische
Reform erfolgreich durchzuführen. Unter den Äbten Bernard und
Pius ward diese schwere Aufgabe gelöst.
1 Schenk, Chronicon, Bd. 1240, S. 602.
®: a.a. O. S. 604.
® Diese Zeitschrift XII, S. 137.
— 208 —
Abt Joachim hat durch einen heldenhaften Tod seinem Leben die
schönste Krone aufgesetzt. Während eine furchtbare Pest wütete und
alles panikartig vor der Seuche floh, blieb er mit wenigen Mönchen
im Kloster zurück und verkündete eifrig und unerschrocken das Wort
Gottes. Bei dieser heiligen Handlung traf ihn ein Schlaganfall auf
der Kanzel und gleichen Tages starb er als ein Opfer seiner freiwillig
und herorisch übernommenen Pflicht. !
4, Die Reformtätigkeit Abt Bernards.
Am 24. August 1594 war Abt Joachim gestorben, nachdem er
17 Jahre, 6 Monate und 27 Tage regiert hatte. ? Nach dem Begräbnis
am 27. August fand sofort die Abtwahl statt, in welcher der bisherige
Dekan Bernard Müller von Ochsenhausen an die Spitze der Fürst-
abtei berufen wurde.
Die Abtwahl bekam noch ein bewegtes Nachspiel. Vom Kloster
Weingarten aus schreibt der päpstliche Nuntius Hieronymus Portia
am 28. Oktober 1594 an Bernard, er habe den Auftrag, einige Klöster
in Deutschland zu visitieren und wolle mit St. Gallen, das den ersten
Rang einnehme, beginnen. Schon im Jahre zuvor hätte das geschehen
sollen, also noch unter Abt Joachim ; damals sei aber die Pest da-
zwischen gekommen. ® Papst Klemens VIII. hatte unter dem 24. Sep-
tember 1594 dem Nuntius Portia Auftrag zur Visitation erteilt mit
der Motivierung *: «Quia non ignoramus multa in eodem monasterio
esse, quae non mediocri reformatione indigeant. »
Abt Bernard schrieb von Wil aus am 30. Oktober an den
Nuntius 5, daß er durch den Brief teils erfreut, teils aber erschreckt
worden sei. Es gehe nicht an, jetzt eine Visitation zu halten, es gebe
zu viel Lärm, alles sei unsicher, man müsse zuerst die Leute an
andern Orten daran gewöhnen, die Patres seien zudem zerstreut.
Darauf erfolgte vom Nuntius (wie 15 Jahre früher von Bonhomini
an Abt Joachim) eine sehr scharfe gereizte Antwort aus Sigmaringen
(6. November 1594). .... «Ich hatte gehofft, der Abt werde eine
Visitation freudig begrüßen als eine Gelegenheit, ut monasterium 4
1 S, diese Zeitschrift XII, S. 156.
2 S, Zeitschr. f. Schweiz. Kirchengesch. II, S. 89.
8 St.-A. Bd. 194, S. 225.
%a.a.0.S. 244 f. Vgl. St.-A. Tom. I, S. 604 f.
5 St.-A. Bd. 194, S. 236 f.
mala illa opinione liberaremus, qua tum apud Papam tum pene totam
Curiam Romanam valde laborat. Wenn nicht ich eine bessere
Meinung hätte und der Abt von Weingarten nicht diese bestätigte ....
confirmaretur Papa in mala et inveterata illa de Sangallensibus opinione
idque merito, wenn der neu Erwählte nicht einmal päpstlichen Mandaten
gehorchen will. Der Abt solle auf den ır. November nach Konstanz
kommen, ohne sich um das Geschwätz wenig religiöser Menschen zu
kümmern. Sonst würden härtere Maßregeln folgen. »
Sofort reiste Bernard nach Konstanz und gab dem Nuntius
beruhigende Erklärungen. Zu Anfang des Jahres 1595 teilte der Abt
seinem Kapitel die bevorstehende Visitation «suaviter et caute» mit.
Am 25. Januar traf dann der päpstliche Nuntius in St. Gallen
ein und hielt während fast drei Wochen, durch Abt Georg von Wein-
garten, «viro bono, docto, insigni et sancto», unterstützt, die
Visitation ab.! Der Visitationsrezeß wurde am 13. Februar 1595
unterzeichnet und dem Konvent übergeben. ® Es ist ein Reformdekret,
das mit großem Nachdruck die Beobachtung der klösterlichen Regeln
und Pflichten einschärft und auf vorhandene Übelstände mit aller
Schärfe, deren Sanierung fordernd, hinweist. In einem Breve vom
18. März 1595 an Schultheiß und Rat von Luzern, «ecclesiasticae
libertatis defensoribus », schreibt Klemens VIII. : Portia habe manches
Reformbedürftige in St. Gallen gefunden : «refrigerato spiritus fervore
et veteris observantiae nervis dissolutis, multa paulatim irrepsisse,
quae professioni et votis monasticis minime consentirent, quaedam
sustulit, mutavit, confirmavit. Helfet dem Abt, daß ihm: das Werk
gelinge. Euere Rechte sind nicht verkürzt. »?
Als besonders dringliche Reformen werden bezeichnet : « vitium
proprietatis radicitus evellatur », und das Armutsgelübde sei in voller
Strenge zu beobachten ; ferner, daß bei Profeß und Weihen das vom
Tridentinum vorgeschriebene Alter genau innegehalten werde ; endlich,
“ daß inter septa monasterii et clausurae fratrum nulla omnino mulier
admittatur, auch in die Abtei darf keine Frauensperson hinein. * «Ja,
weil selbst die Gefahr zu fliehen ist, verordnen Wir, daß jener Platz,
der neben der Kirche offen steht, und den viele in übelster Weise und
1 S, diese Zeitschr. II, S. 92.
2 St.-A. Bd. 194, S. 246-256.
3 St.-A. Tom. I, S. 626 f£.
* Für vornehme oder den Konventualen verwandte Frauenspersonen wird
verlangt : paretur illis in domo aliqua contigua extra septa monasterii hospitium.
REVUE D'HISTOIRE ECCLESIASTIQUR 14
— 210 —
sogar mit Ärgernis mißbraucht haben, durch eine mit zwei Schlössern
gut versehene Türe in der Nacht vollständig abgeschlossen, während
des Tages aber nur auf Geheiß des Abtes oder Dekans geöffnet werde. »
Auch in die Küche darf keine Frauensperson, nicht einmal eine Magd
eintreten, da es wohl bekannt ist, was für Übelstände von jener Stelle
herrühren, wo man von der Küche aus in das Refektorium hineinsehen
kann.
Kaum war die Visitation vorüber, als ein gewaltiger Sturm von
seiten des Konventes gegen den neuerwählten Abt losbrach. Bereits
am 2. April 1595 richtet Bernard einen flehentlichen Hilferuf an den
Nuntius Portia : «gravissima mihi et stupenda accidunt » ; und schon
wieder am 12. des gleichen Monats schreibt er nochmals an ihn von
unglaublichen Schwierigkeiten, die seinen Mut brechen würden, wenn
nicht Gott und gute Menschen ihn trösteten. Der Nuntius möge in
Luzern für ihn eintreten, aber nicht merken lassen, daß er um das
gebeten worden sei ; wenn die Luzerner den Rebellen helfen würden,
könnte der Abt nicht mehr weiter sein Amt ausüben. ?
Was war denn geschehen ? Eine ganz ähnliche Konspiration,
wie sie gegen die Reformversuche Abt Joachims im Sommer 1590
gearbeitet hatte, wurde fünf Jahre später gegen seinen Nachfolger
inszeniert.® Während aber der durch finanzielle Sorgen und stete
Kränklichkeit schwach und energielos gewordene Joachim vor seinen
Gegnern kapitulierte, nahm Bernard den Fehdehandschuh entschlossen
auf und setzte die von der Kirche geforderte Reform siegreich durch.
Es ist bezeichnend für die Geistesverfassung gewisser Mitglieder des
Konvents, daß sie ihrem Abt vorwerfen, er sei ein Fremder (Bernard
war von Ochsenhausen) und «nit unserer Nation », er habe die Wahl-
kapitulation (wie ihm befohlen worden) an den Nuntius ausgeliefert,
und dieselbe sei kassiert worden, der Nuntius sei einlogiert worden,
allen Stand des Klosters zu erkundigen, «on Inred des Abtes », sie
dürfen gar kein Geld und keine Pretiosen mehr besitzen, « Nüwerung
fallend täglich für mit irer höchsten Beschwärd », besonders in bezug
auf den Gottesdienst.
Der Abt stellt diesen Klagen gegenüber fest, daß ein oder zwei
la.a.O.c. 64, non enim est ignotum, quae incommoda ex loco illo, quo
ex culina in refectorium prospicitur, accidere possint.
3 St.-A. a. a. O. S. 262.
3 Die bezüglichen Akten, siehe Luzerner Staatsarchiv a. a. O.
= 21 —
a Brüeler » die Anstifter seien, die hinterrucks diesen Brief « gedichtet »
und von den andern ein weißes Papier haben unterschreiben lassen,
das sie dann mit dem Brief mitschickten. Im übrigen fällt es ihm
nicht schwer, einen Punkt um den andern zu widerlegen.
Schon am Io. September 1595 kann er dann auch dem Nuntius
mitteilen, daß die Dinge ordentlich gehen ; es sei gut gewesen, daß
er sofort nach der Visitation die wichtigeren Postulate in Angriff
genommen habe. Die besseren Patres stellen sich gut ein.! Noch
besseren Bericht kann er am 12. Januar 1596 geben : «Meine Brüder
fangen langsam an, sich zu fügen, da sie sehen, daß sie bei den
Weltlichen keine Hilfe finden ?; die Angelegenheit der Visitation und
Reformation schreitet glücklich voran pro statu et conditione hominum
quibuscum ago ; ich habe bereits die Hauptpunkte in Angriff genommen,
und obwohl einige Konventualen noch halsstarrig sind, so geben sie
doch gern oder ungern nach, weil sie sehen, daß ich in keinem Punkte
markten lasse. » 3
Mehrere Schreiben, sowohl vom Nuntius ®@, wie vom Papste selber,
sprechen denn auch dem Abte Dank, Anerkennung und Ermunterung
aus für seine eifrige und erfolgreiche Reformtätigkeit.
Schon am 18. März 1595 hatte Clemens VIII. ein Breve an
Bernard gesandt, worin er ihm schreibt, daß die Wahlkapitulation
vernichtet sei, und daß nie mehr eine solche geschlossen werden dürfe ;
«eine einzige Kapitulation sollt ihr hochhalten wie eure Vorfahren getan,
nämlich die Regel des hl. Benedikt ; so wird euer Kloster wieder ein
Paradies Gottes und gleichsam eine Werkstätte der Weisheit und
Heiligkeit werden. Du aber, mein lieber Sohn, sorge dafür, daß die
klösterliche Disziplin, quam valde in monasterio isto, quod dolenter
commemoramus, collapsam esse audivimus 5, diligenter instauretur
und daß die Statuten des Nuntius «inviolabiliter observentur ». Da-
widerhandelnde sind unerbittlich zu strafen. « Meine lieben Söhne, ihr
!a.a.0.S. 257.
? Der Appell an weltliche Hilfe gegen geistliche Instanzen war damals bei
Klerikern und Mönchen kein unbeliebtes Kampf- und Druckmittel. Ein klassisches
Beispiel dieser Taktik haben wir an der Klageschrift des Waldstätterkapitels
gegen Bonhomini. R. u. St. 16, 412.
?a.2.0.S. 258.
* St.-A. Rubr. 38 Fasz. 5.
® Ganz ähnliche Worte brauchte der Papst in seinem Schreiben an den
Nuntius, wo er diesen mit der Visitation von St. Gallen beauftragte. S. oben.
= 212 —
Mönche, Wir vertrauen auf euch, daß ihr alles genau haltet und dem
Abt als eurem Vater gehorchet. »!
Am 15. November des gleichen Jahres richtet Clemens VIII. an
Abt Bermard ein in hohen Tönen des Lobes abgefaßtes Schreiben :
Es sei dem Papst ein großer Trost in diesen trüben Zeiten, « dum zelum
tuum et regularis disciplinae restituendae ac religionis catholicae conser-
vandae et propagandae studium audimus. » ?
Zwei Tage nach Abfassung des Visitationsrezesses hielt Abt
Bernard mit den in St. Gallen anwesenden Mitgliedern des Konventes
ein Generalkapitel, worin er eigens betont, er sei nicht die Ursache
der geschehenen Visitation gewesen ; sie hätte gleichwohl statt-
gefunden, auch wenn er nicht Abt geworden wäre, nur noch in
strengerer Form ; dann ermahnt er die Brüder zum treuen Gehorsam
gegenüber den Dekreten ; er werde als gütiger Vorgesetzter diese
Gesetze in milder Weise durchführen ; alle mögen besonders den Kanon
gegen das persönliche Eigentum strenge beobachten. 3
Eine von Abt Johannes Jodokus aus Muri im August des Jahres
1600 zu St. Gallen gehaltene Visitation fand nur noch weniges zu
verbessern. Das römische Missale ist eingeführt ; dementsprechend
sollen auch die Paramente sein; die Messen sind so zu verteilen,
daß noch genügend Leute im Chor seien ; für die Kranken ist ein
größerer Raum zu schaffen. Kelche, Korporalien und Purifikatorien
scien allen gemeinsam ; das Stillschweigen ist noch genauer zu
beobachten, auch bei den Horen alles Lachen, Schwatzen und Unruhe-
stiften zu meiden ; gegenseitige Liebe, Flucht vor Müßiggang, Meiden
jeder Trennung voneinander bei Ausgängen wird eingeschärft. ?
Eine folgende Visitation von seiten des gleichen Abtes im Jahre
1601 fügt nichts weiteres bei, sondern bestätigt das obige. ®
Die vom päpstlichen Nuntius im Februar 1595 geforderte Reform
war also im wesentlichen durchgeführt. Die Gründung der schweize-
rischen Benediktinerkongregation, für die ein Breve Papst Klemens’ VIII.
vom Io. August 1602 den Prälaten von St. Gallen, Einsiedeln, Muri
und Fischingen freudiges Lob spendet ®, befestigte dann die begonnene
1 St.-A. Tom. I. S. 617.
2 a. a. O. S. 620.
3 St,-A. Bd. 309, S. 80 ft.
% St.-A. Bd. 309, S. 479 ft.
5a.a.0.S. 48ı.
6 St.-A. Tom. I. 624.
Reform und machte sie, nicht bloß für St. Gallen, sondern für das
ganze Gebiet der Schweiz erst recht wirksam. Das XVII. Jahrhundert
sah denn auch nach mehr denn einem Jahrhundert des Niederganges
oder schwächlicher Reformversuche einen mächtigen Aufschwung
Benediktinischen Geistes und Benediktinischer Kulturkraft auf den
verschiedensten Gebieten des Lebens und der Tätigkeit, einen Auf-
schwung, der sich bis in die Mitte des XVIIl. Jahrhunderts zu einer
wahren Hochblüte von Wissenschaft und Kunst, aber auch von
aszetischem Eifer und vorbildlichem Tugendstreben entfaltete. Die
Zeugen dieses Aufschwunges und dieser Kulturblüte sehen wir noch
heute in den wunderbaren klösterlichen Barockbauten der Schweiz
und Süddeutschlands, sowie in den reichen Bibliotheken der noch
bestehenden wie der säkularisierten Benediktinerstifte diesseits und
jenseits des Rheines. Auch dem altehrwürdigen Stamm des Benedik-
tinerordens hat also das Konzil von Trient neue Lebenskraft eingeflößt
und neuen Jugendglanz verlichen.
Exkurs über Florin Flerch.
Florin Flerch gehört zu den bedeutendsten Gliedern des schweize-
rischen Klerus in der zweiten Hälfte des XVI. Jahrhunderts. 1 Auf
die Reform im Kloster St. Gallen hat er wenigstens indirekt einen
segensreichen Einfluß ausgeübt.
Bei Hottinger, Glück und andern wird er Fleuch genannt ; in seinen
eigenhändigen Akten nennt er sich Flerch, in den Konstanzer Synodal-
akten von 1567 heißt er Flörch. ?
Unter dem ı2. Mai 1553 bekennt Florin Flerch von « Lemgaw »
mit eigenhändiger Unterschrift, daß ihm Abt Diethelm «uf mein
bittlich ainhalten und erzaigte fürgschrifft » die Kaplanei der St. Jakobs-
Pfründe «pro titulo priesterlichs ampts gnediglich conferirett und
zugestellt lautt und inhalt ains sondern an meinen g(nedigen) fürsten
und herrn bischoffen zu Costantz ausgangen brieffs » ; er verspricht
dagegen, dem Abte auf der Kaplanei oder einem andern Benefizium
«oder fürnemlicher uf ainer pfarpfrund » vier Jahre lang zu dienen.
Wird ihm aber eine andere Pfründe als die St. Jakobspfründe über-
15, H. Reinhardt, Nuntiatur-Berichte, Bd. I, Einleitung.
3 Segesser, Rechtsgesch. der Stadt Luzern IV, S. 328, A. ı.
geben, so wird er der letzteren freiwillig resignieren. Für ihn siegelt
auf seine Bitte Hans Sayler, Burger zu St. Gallen, « Frytags vor auf-
. fahrt Christi. »!
Am 19. Juni 1553 richtet Abt Diethelm mit Florin Flerch von
« Lemgenow », päpstlichem Notar, eine Bestallung auf: Flerch ist
verpflichtet, « all lateinisch brieff, so im gotzhus Sant Gallen zü schreiben
innfillind, muglichs fleiss zü concipieren und zü verfertigen, ouch wahin
er gescheffthalb von minem gnedigen fürsten und herren geschickt
würt, dasselbig flyssigklich und mit trüwen ussrichten », dagegen hat
ihn der Abt beritten zu machen, ihm, wenn er allein irgendwohin
geschickt wird, einen Diener mitzugeben und « fütter und mal, nagel
und yssen all zit zutzallen ». Zur Vergeltung verleiht ihm der Abt die
Pfründe der St. Jakobskaplanei auf St. Johannstag 1553. Dazu soll
er den Tisch mit Essen und Trinken in dem Siechenhaus wie die andem
Priester auf dem Liebfrauenamt haben. ?
Am ı3. November und 16. Dezember 1555 ist Florin Flerch
plebanus in Gossau, ist er procurator des Abtes in Konstanz betreffend
die Union des Klosters St. Johann im Toggenburg mit St. Gallen,
wobei Konstanz protestiert, und nach vollzogener Union Notar, wo
er sich unterschreibt ex Lemmingen, Paderbornensis dioecesis ; er ist
hier nur päpstlicher Notar. ?
Vom ı9. Dezember 1556 datiert die Bestallung Florin Flörchs
« von Lenngenow von bäpstlichem gwalt offner Notarius und Priester »
als Pfarrer von Gossau : «Ich soll mich auch allein der pfarrpfruend
güetter und derselben nutzung sampt dem jarzyttbuoch, was das
innhalt benützen lassen». Dafür gibt ihm der Abt jährlich 100 fl.
Nebstdem steht er in des Abtes Dienst, um für ihn lateinische Briefe
zu schreiben und zu andern ähnlichen Funktionen, erhält dafür alle
Jahre ein Fuder Wein und 30 fl. ?
Dieser Florin Flerch war, bevor er als Pfarrer installiert wurde,
schon während drei Jahren Pfarr-Vikar von Gossau. ®
Flerch erscheint als päpstlicher und kaiserlicher Notar, sowie als
Protokollführer der Prälatenversammlung in Rapperswil betreffend
Beschickung des Konzils von Trient am 26. Januar 1562. 5
1 Papier-Original mit wohl erhaltenem Oblatensiegel ; Autograph Flerchs-
St.-A. Rubr. ı3, Fasz. 16.
2 St.-A. Rubr. 13, Fasz. 16.
3 Abgedruckt bei Ruggle, Geschichte der Pfarrgemeinde Gossau, S. 212-214.
%a.a.0.S5. 214. 5 5. Meyer, Konzil von Trient I, 46.
— 215 —
Er wurde dann von dem Einsiedler Abt Joachim Eichhorn zum
Begleiter an das Konzil gewählt. Die Pfarrei Gossau soll ihm mit allen
Rechten vorbehalten bleiben ; sein Stellvertreter an Sonn- und Feier-
tagen erhält für jedesmal ıı Batzen.! Er ist auch am 29. Januar 1562
Begleiter des Abts Joachim auf dem Tage der V Orte zu Luzern. ?
Im März 1562 begleitete Flerch von Uri aus den Einsiedler Abt
als Sekretär, Theolog und Redner nach Trient, wo er bei der Begrüßung
in lateinischer Sprache antwortete ® und die Abgeordneten der Eid-
genossenschaft dem Präsidenten des Konzils vorstellte. ®
In der Rechnung Abt Joachims steht für Bekleidung des Sekretärs
Florin Flerch 25 fl. 6 Batzen, Pferd für Flerch 25 fl. 6 Batzen. 8
Im September 1562 schreibt Florin an die schweizerischen Gottes-
häuser um Bezahlung der 2. Taxation von Montag nach Lätare 1562. ®
Ägid Tschudi überschickte an Abt Joachim ein Manuskript «Col-
lectanea »; der Abt möge die Schrift niemanden als dem Florinus
mitteilen. ” Da er als Sekretär des wegen Erkrankung zurückgekehrten
Abtes Joachim schreibt, 5. September 1562, scheint er auch nach
der Rückkehr zeitweilig in dessen Diensten geblieben zu sein. Auch
er war krank. ®
Flerch erscheint wieder als Notar in der Beistimmungserklärung
Abt Joachims von Einsiedeln zum Konzil von Trient (26. Januar 1564).
Doch ist das Instrument nicht von Flerchs Hand geschrieben, was
er extra anführt, wohl aber mit seinem Signat versehen. Er nennt sich
apostolischer und kaiserlicher Notar, ex Lemmingen.
Florin begab sich Ende August auf seine Pfarrei zurück. Weiterhin
wird von einem Besuche Flerchs bei Abt Joachim Eichhorn in
Pfäffikon gesprochen. Er blieb auch weiterhin mit dem Einsiedler Abt
im Briefwechsel. 19
Im November 1563 bittet Joachim den St. Galler Abt Diethelm
um die Erlaubnis, daß ihn Flerch wieder nach Trient begleiten dürfe.
Diese wurde am 23. November erteilt, unter der Bedingung, daß für
die Pfarrei Gossau während der Abwesenheit Flerchs gesorgt werde. 11
Il Mayer, a..a0.I. 48. 82 Mayer, I, S. 53.
® Mayer, I, S. 57. % Mayer, 1, S. 58.
5 Maver, 1. S. 63 A. 6 Mayer, I. 66.
? Mayer, I, S. 69, cit. Archiv f. schweiz. Geschichte und Landeskunde I,
I. 123 ff. 8 Maver, 1. S. 73
? Abgedruckt bei Segesser, Rechtsgesch. IV, S. 346 (348), A. 2.
1 Mayer. 1, S. 74 f. 76, A. ı. ıl Mayer, I, S. 78.
— 216 —
Der Abt verließ am 14. Dezember Einsiedeln ; am 13. erhielt er ın
Feldkirch die Nachricht, daß das Konzil beendigt sei. !
Flerch fertigte eine Übersetzung der Konzilsakten an. Er nennt
sich 1564 nur noch Priester und Notar und bittet um Verleikung
einer Pfründe.
Am 2ı. Juni 1567 erhält subiectissimus sacellanus Florinus Flerch ?
von Abt Othmar die Pfarrpfründe Altstätten. Er will die Schwenk-
felder Sekte bekämpfen, die damals in Altstätten und Umgebung auf-
getreten war. Zur Besserung der Pfründe gibt ıhm der Abt jährlich
90 fl., und da Flerch zugleich für die st. gallischen Dienste verpflichtet
wird, noch 30 fl. und 30 Eimer Rheintaler dazu. ®
Wie Flerch im Jahre 1562 den Abt Joachim von Einsiedeln zum
Konzil nach Trient begleitet hatte, so begegnet er uns als Adlatus des
St. Galler Abtes Othmar auf der Diözesansynode zu Konstanz Ende
August und anfangs September 1567. * Die Prälaten der dritten, die
Stiftsgeistlichkeit der vierten und der Ruralklerus der siebenten Klasse
vereinigten sich zu einer Abordnung an den Diözesanbischof, Kardinal
Markus Sittich, die aus Florin Flerch als dem Beauftragten der Prälaten
und Georg Fink, Pfarrer in Baden, als Vertreter des Weltklerus bestand.
Die Ansprache an den Kardinal, die offenbar von Flerch gehalten
wurde und einen entschiedenen Reformwillen bekundet, weist darauf
hin, wie die beiden Prälaten von St. Gallen und Einsiedeln innert
Jahresfrist nach Veröffentlichung der Trienter Konzilsbeschlüsse zu
einer Konferenz zusammengekommen seien und über die Reform,
namentlich über eine strengere Klausur und andere die Klosterzucht
betreffende Gegenstände, mit allem Eifer verhandelt und sie auch teil-
weise durchgeführt haben. ®
Florin Flerch hat auch den weitschweifigen Bericht verfaßt über
die Wahl, Konfirmation und Benediktion des Abtes Othmar Kunz. ®
Ebenso ist das Instrumentum electionis für Joachim Opser vom
1 Mayer, 1, S. 78 f. 3 St.-A. Bd. 358, S. 218.
3 Chronik von Altstätten, S. 154.
* S, Constitutiones et decreta synodalia ; acta synodi f. 261 s. Acta quarti
diei. S. dazu Reinhardt-Steffens, Die Nuntiatur, Einleitung, S. 139.
5 Sedulo tractasse et eadem pro parte executos esse, 4.2.0. f. 261 bf. Mayer.
T, S. 147, übersetzt pro parte mit den Worten « für ihren Teil » ; diese Übersetzung
ist aber offenbar unrichtig ; pro parte heißt vielmehr, dem Text wie dem Sina
entsprechend, « teilweise ».
® St.-A. Bd. 358. Vgl. hiezu: J. Müller, Karl Borromeo und das Stift
St. Gallen, ı ft.
päpstlichen und kaiserlichen Notar Florin Flerch unterzeichnet. Bei
den Ausgaben finden wir die Bemerkung : «Item hab ich H. Florino
um sin gehapte mye in der election und insetzung ze Sant Johan
verehrt XXX sonnen Kronen. » ?
Endlich stammt die Urkunde über den Mauerbau, der das Kloster
von der Stadt trennte, aus Florins Feder. ? Diese Mauer wurde am
13. April 1569 vollendet durch Baumeister Kaspar Dietschi.
Nachdem der vielverdiente Priester drei st. gallischen Äbten treu
gedient hatte, fand er in Altstätten sein otium cum dignitate.
Im Jahre 1584 schreiben die Altstätter dem Abt Joachim: Im
verflossenen Herbst seien sie durch die Pest erschreckt worden ; sollte
sie Gott wirklich mit dieser Krankheit heimsuchen, so möchte ihnen
die Vakanz der beiden Pfründen, Frühmesserei und Sebastianspfründe,
zum großen Nachteil gereichen, denn ihr Pfarrer Florin Flerch sei schon
ziemlich betagt, manchmal auch unpäßlich. Wenn nun noch der die
Mittelmeß versehende Kaplan krank würde, wäre man in großer
Verlegenheit. * Sechs Jahre später bitten die Katholiken von Altstätten
den Abt, ihre Frühmesserei wieder zu besetzen, weil Florin Flerch
so alt und unvermögend sei. ®
1 St.-A. Tom. I ecclesiasticus.
8 St.-A. Tom. 306, S. 299.
® Florinus ex latino raptim transtulit. St.-A. Bd. 1013, S. 237.
* Chronik von Altstätten, S. 171.
5 Chronik, S. ı75.
KLEINERE BEITRÄGE. — MELANGES.
La chapelle de Tercier.
Filiale de l’eglise de Blonayv :Vaud , cette chapelle est sireee & lexıre-
mite orientale du village de Tercier, & gauche de la route tesdant 4 La
Chiesaz oü se trouve la paroissiale. Elle se compose d’une nef a p>ztraisa
apparente, fermee au nord par un chmzur rectangulaire, voüte et de si
gsthique. Le clocher, construit directement sur la nef, un peu en rerrait
de la facade remanide au X\ IIme siecle, renferme une cloche et une horlaee.
Quand et par qui la chapelle de Tercier a-t-elle ete fondee ? Un dax-
ment conserve dans les archives de la commune de Vevey donne, ä cet
€egard, quelques precisions utiles & noter. Il s’agit d’un « ıinventaire de
« tiltres, lectres et aultres instrumens appartenant ä Noble Jean Franini
de Cojonnav, seigneur de Saint Martın du Ch£ne..... lesquelles choss
Noble et Puissant Henry de Cojonnay son frere promet de restituer au
dit Noble Jean Francois de Cojonnay, toutes et quantes foıs il en sera
requis.
« Faitä Vevey, dans la maison du dit Noble Jean Frangoıs de Cojonnay,
e le ı4 mars 1325. » !
Ce catalogue renferme une liste d’objets mobiliers les plus divers,
ainsi que les analyses tres sommaires d’une grande quantite d’actes relatifs
aux droits possedes par la famille de Cojonnay aux XV me et XV'Ime sıecles.
A la page 6 et suivantes sont inscrits ceux qui concernaient la chapeile
en question. Nous les resumons comme sult :
1503 avril 5. Lettre de la Chapelle Saint-Antoine construite entre
Tercier et Cojonnay, avec le consentement du Vicaire de Monseigneur
l’Eveque de Lausanne et ceux du prieur et du cur& de Blonay. Acte reyu
par Audet Richard, notaire.
1504 mai ı8. Lettre de resignation du benefice de la dite chapelle,
par Domp Antoine Michod, en faveur de Domp Humbert Cojonnay dit
Chastellan. Acte recu par Legier Martignier, notaire.
1505 juillet 8. Consentement et licence de Monseigneur l’eveque de
Lausanne. Acte regu par Colleti, notaire.
Deux autorisations de pouvoir faire sepulture en la dite chapelle,
accord&es, l’une par le prieur de Blonay (acte recu Griffon, notaire), et
l’autre par le Cur€ du m&me lieu (acte regu par Luysi, notaire).
1 L’emplacement de cette maison, qui se trouvait au Bourg Bottonens, est
occup& actuellement par l’immeuble portant le N® ı0 de la rue d’Italie, & Vevey.
- nn nn — _ ur
a PER
1507 aoüt 10. Donation faite par Noble Nicod de Cojonnay & Domp
Humbert Chastellan dit Cojonnay de certaines parcelles de vignes sises
niere Tercier et Cojonnay, & charge par ce dernier de dire deux messes
chaque semaine dans la chapelle de Bahyse, dont il est recteur, construite
entre Cojonnay et Tercier. Acte regu par Jaques Martignier, notaire.
1507 novembre 27. Concession accordee par Noble Nicod de Cojonnay,
aux Syndic et communaute de Blonay,
du droit de jouir des avantages et pri-
vleges attaches & la dite chapelle.
Acte regu par Jaques Martignier, notaire.
1508 mai 6. Donation en faveur du
pieur et du cur&€ de Blonay, par Noble
Nicod de Cojonnay, d’une creance de
15 livres. Inter&t annuel : ı 5 sols. Actes
'sgus par le m&me Jaques Martignier,
notaire,
1509 juin ıo. Concession faite par
le dit Noble Nicod de Cojonnay & Nicod
Guey (sic) et A sa femme non denom-
mee d’un droit de sepulture dans la
dite chapelle. — Acte recu par Jaques
Martignier, notaire.
1522 juin 6. Reconnaissance de
Messire Francois Ravenel, en vertu de Chapelle de Tercier.
Iaquelle ce dernier confesse avoir recu
en garde les ornements de la dite chapelle. Acte recu par Duchable,
notaire,
Dans le chapitre des meubles et utencilles de maison figurent quelques
articles curieux, parmi lesquels nous citons :
üne ymage saincte Barbe, sur toille,
deux petites ymages Nostre Dame enchassees en bois,
un sainct Jerosme sur parchemin,
un tapis de Turquie pour une table,
une grande couverture de lit en tapisserie,
üne autre petite couverte de me&me, toutes deux en couleur,
une petite colovrine portant son feu avec la charge, et autres artifices
Necessaires,
une robe de drap noir quasi usee, etc., etc.
Chose regrettable, tous les documents cites plus haut semblent avoir
dEfinitivement disparu. En effet, nous les avons vainement cherches, soit
& Vevey dans le fonds, cependant tr&s riche, des archives de la famille de
Cojonnay 1, soit dans celles de la commune et de la paroisse de Blonay,
sit enfin aux Archives cantonales vaudoises. Force est donc de tirer parti
des breves mentions parvenues jusqu’& nous.
I Depose aux Archives communales : actes prives.
— 220 —
Malgre& leur laconisme, ces analyses d’actes renferment des indications
sufisamment claires pour permettre de pr&ciser certains faits relatifs &
l’origine de notre chapelle.
Tout d’abord, il est &vident que celle-ci fut fond&e le 5 avril 1503 sous
le vocable de saint Antoine, par Noble Nicod de Cojonnay avec le consen-
tement du vicaire general de l’EvEeche de Lausanne, et ceux du prieur et
du cure de Blonay.
Cette fondation fut approuvee par Aymon de Montfaucon, &veque
de Lausanne, le 8 juillet 1505, et, d’autre part, le fondateur et ses descen-
dants obtinrent des autorites ecclesiastiques de la paroisse un droit de
sepulture dans la chapelle nouvellement fondee. Auparavant, le caveau
funeraire de la famille de Cojonnay se trouvait dans le ch&ur me£ridional
de l’Eglise paroissiale oü l’on voit encore une pierre tombale portant leurs
armoiries !.
Par acte du Io mai 1509, un communier de Blonay nomme Nicod
Guex, ainsi que sa femme, acquirent la faculte d’etre ensevelis dans la
chapelle qui nous occupe.
La chapelle de Tercier &tait pourvue des ornements ne&cessaires au
culte, et son fondateur l’avait dotee d’un revenu sufhisant pour la cE£lebra-
tion de deux messes par semaine. Ces offices &taient publics ; la population
de Tercier et des hameaux voisins y assistaient de droit en vertu d’un
privilege special accord& par Nicod de Cojonnay lui-m&me aux syndic et
communaute de Blonay, le 27 novembre 1507.
Enfin, les desservants €taient nomme6s par le fondateur, et apres le
deces de celui-ci, par ses descendants. Le premier chapelain fut Messire
Antoine Michod. Nomme en avril 1503, il resigna sa charge le ı8 mai de
l’ann&e suivante en faveur de Domp Humbert Cojonnay, dit Chätelan ou
Chätelain, originaire du hameau de Cojonnay, situ& dans la m&me paroisse.
Ce dernier, qui €tait encore en fonctions en aoüt 1507, eut pour succes-
seur, probablement mediat, Messire Frangois Ravenel mentionne dans
un acte du 6 juin 1522.
Quelques de&tails gen&alogiques sur la famille du fondateur de la chapelle
dont il s’agit nous semblent & leur place dans cette notice.
Au moyen äge, deux familles d’antique noblesse se partageaient les
droits de fief et de juridiction sur la paroisse de Blonay. Ce sont, d'une
part, les de Blonay qui comptent encore des repr&esentants dans le pays
et, de l’autre, les de Cojonnay, leurs vassaux, &teints, sauf erreur, des le
milieu du XVIme si&cle. Ceux-ci, qui remontaient & Henri Cojonnay, donzel
et feudataire d’Oron en 1248, possederent des biens dans toutes les paroisses
de la region (Blonay, Vevey-La-Tour, Montreux, Corsier, etc.) et meme
jusqu’& Lausanne.
La fin du XVme siecle marque pour eux l’apogee d’une periode parti-
culierement brillante. C’est ainsi qu’en 1484 Nicod, le fondateur de la
! Les de Cojonnay possedaient &galement, dans l’eglise de Saint-Martin,
&ä Vevey, une autre chapelle qui, des le milieu du XVIme siecle, devint la propriet®
de la ville de Vevey et servit de lieu de sepulture aux membres du Conseil.
— 22I —
chapelle de Tercier, acquit de Noble Jean d’Allinges, le chäteau et seigneurie
de Saint-Martin du Chäöne. Plus tard, il exerga, & Lausanne, la charge de
bailli &Episcopal (1500 & 1520).
Il fut pere de : Henri, mort vers 1540, qui he£rita de la Terre de
Saint-Martin.
Jean Frangois qui eut sa part de biens paternels riere Blonay, et Jcan
qui obtint la sienne riere Vevey et lieux circonvoisins.
Noble Henri de Cojonnay, fils de Nicod, seigneur de Saint-Martin du
Chene, fut l’un des chefs de la Confr£rie de la Cuillier (1520-1527), et acheta
en 1538, de Noble Claude de Vergy, le chäteau et seigneurie de Montricher,
pour le prix de 10,000 fr. de notre monnaie.
Il fut pere de Gaspard, mort sans posteriteE en 1537; Rose, femme
de Noble Charles de Saint-]Joire, seigneur de la Chapelle-Marin, pres Thonon,
et Frangoise, mariee & Jaques de Geneve, seigneur de Boringe (Haute-
Savoie). Actuellement, il n’existe plus, croit-on, aucun descendant m&me
indirect de la famille de Cojonnay.
Jusqu’& ce jour, la date de la fondation et le nom du fondateur de la
chapelle de Tercier etaient completement ignores. En les faisant sortir de
’oubli, nous nous sommes demande& s’il n’y aurait pas lieu de perpetuer
le souvenir de l’acte de foi accompli il y a quatre siecles par Noble Nicod
de Cojonnay.
Notre proposition de faire apposer & l’interieur de l’Edifice une plaque
comme&morative remplissant ce but a regu le meilleur accueil de la part
des autorites civiles et ecclesiastiques interessees & la question.
Ajoutons & titre de renseignements que la chapelle a &t& restauree
en 1918 ; un magnifique vitrail repr&sentant des scenes de la Passion, don
d’un particulier genereux, &claire le vieux sanctuaire. Depuis plusieurs
annees, des cultes selon le rite anglican y sont c&lebres pendant l’ete et
reEgulierement chaque dimanche des 1926. Le pasteur de la paroisse y
preside egalement un culte le dernier dimanche de chaque mois & 9 h. en
ete etä& 14 h. d’octobre & avril.
F. RAOUL CAMPICHE, archiviste.
Zur Entstehungsgeschichte
des X. Gerichtenbundes in Graubünden.
Die III Bünde, die den rätischen Freistaat, den heutigen Kanton
Graubünden ausmachen, haben eine ganz verschiedene Entstehungs-
geschichte. Der Gotteshausbund (1367) galt der Abwehr gegen das mächtig
um sich greifende Österreich. Die zahlreichen Fehden, die im bündnerischen
Oberlande und den daran grenzenden Tälern im XIV. Jahrhundert aus-
gefochten wurden, ließen das Bedürfnis nach Ruhe und Rechtssicherheit
mit solchem Ungestüm erwachen, daß sich Herren und Untertanen im
— 222 —
Obern oder Grauen Bunde verbanden (1424). Im Osten rätischer Lande
hatte sich ein bedeutender Komplex von Tälern in den Händen derer
von Toggenburg zusammengefunden, die schließlich Graf Friedrich VII,
als letzter seines Stammes, in seiner Hand vereinigte. Es waren sowohl
Allodial- als auch Leehensgüter, über die der mächtige Dynastin so reichem
Maße verfügte.
Das wichtigste Lehen, das Friedrich VII. in Graubünden besaß, war
das Tal Schanfigg. Der eigentliche Landesherr war der Bischof von Chur,
welcher das Tal s. Z. den mächtigsten rätischen Dynasten, den Freiherten
von Vaz, zu Lehen erteilt hatte. 1 Mit dem Tode Donats von Vaz (zwischen
1334 und 1338) erloschen diese Freiherren. In das reiche Erbe Donats
teilten sich dessen zwei Töchter, Ursula und Kunigunde. Erstere war
mit Graf Rudolf von Werdenberg-Sargans vermählt. Ihr fiel in der Erb-
teilung das Schanfigg zu. 2 Im Jahre 1353 verkaufte sie jedoch das Tal
an ihre Schwester Kunigunde und deren Gemahl Graf Friedrich V. von
Toggenburg. ® Diesen Verkauf erneuerten zehn Jahre später (1363) Gräfin
Ursula und ihr Sohn Johannes I. von Werdenberg. * Unabgeklärt ist es,
wie Bischof Hartmann das Tal neuerdings (1393) den Söhnen des genannten
Grafen Johann zu Lehen erteilen konnte. ® Sicher ist jedoch, daß das
Schanfigg später toggenburgischer Besitz war, denn es tritt im Nachlasse
Friedrichs VII. von Toggenburg auf. Am 30. April 1436 starb dieser
mächtige Dynast, mit dem das gräfliche Geschlecht ausstarb. ® Was sollte
mit dem reichen Erbe geschehen ? Zürich und Schwyz schlugen sich im
alten Zürichkrieg um das schöne Gasterland und auch in Graubünden
sah man den Dingen nicht müßig zu. Schon am 8. Juni 1436 hatten sich
die currätischen Untertanen Friedrichs VII., im Einverständnis mit der
Gräfin Witwe, zum Bunde der Gerichte vereint. Sie bekundeten als
Zweck des Bundes ihren festen Willen, sich beim Herrschaftswechsel
nicht an verschiedene Herren verteilen zu lassen. Ungeteilt wollten sie
einem Herrn zufallen.? Die Gefahr einer Zersplitterung drohte nämlich,
als die Intestaterben Friedrichs VII. dessen Testament nicht anerkennen
1 Vergl. Castelmur, Maladers und die kirchlichen Verhältnisse im Schanfigg
(Bündn. Monatsblatt, 1923, und separat), p. 2 f.
2 Vergl. J. J. Simonet, Die Freiherren von Vaz. Ingenbohl o. D., p. 86 fl.
® Mohr, Codex diplomaticus III, Nr. s2.
4 Mohr Th. v., Codex diplomaticus III, Nr. 108.
5 Quellen zur Schweiz. Geschichte X, Nr. ı11.
® Moor C. v., Geschichte von Currätien und der Republik « Gemeiner drei
Bünde» I, p. 353, Chur 1870.
” 1. c., p. 354. Der Text des Bundesbriefes ist gedruckt bei: C. Jecklin,
Urkunden zur Verfassungsgeschichte Graubündens, Nr. ı8 (Jahresbericht der
hist. ant. Gesellsch. Graubündens, 1883). Das Einverständnis der Untertanen
mit der Gräfin Witwe Elisabeth, geb. v. Mätsch, ergibt sich aus einer Urkunde
von 1452 im Gem. Archiv Lenz: «.... und machtind ain verainung und ain
bund mit ainander mit willen und raut da wolgebornen, miner gnädigen frowen
von Tockgenburg. ....» Jecklin, 1. c., P. 32.
— 223 —
wollten, das allen Besitz an Allodial- und Lehensgütern der Gräfin
Witwe zuerkannt hatte. !
Der erste Ansturm auf die geplante Einigkeit der currätischen Unter-
tanen erfolgte aber nicht von den genannten Erben aus, sondern durch
den Bischof von Chur, welcher das Tal als heimgefallenes Lehen für sein
Bistum forderte. Da der neue Bund aber keine Zersplitterung der
Gerichte zugeben wollte, wurden die Ansprüche des Bischofs von den
Untertanen nicht anerkannt. Sie verweigerten den verlangten Treueid
und schritten sogar zur Beschlagnahmung der Bistumseinkünfte im Tale.
Bischof Johann von Chur, der mit seinen Untertanen in guten Verhältnissen
stand, versuchte seine Ansprüche nicht mit Gewalt, sondern mit fried-
licheren Mitteln zur Geltung zu bringen. Er wandte sich in einer Klage-
schrift an das Konzil von Basel und bat die versammelten Prälaten, gegen
das ihm zugefügte Unrecht einschreitend, die Leiter der Bewegung vor
das Tribunal des Konzils zu beordern. Bischof Johann bestätigte seine
Klagepunkte gegen die Schanfigger durch eidlich beglaubigte Aussagen
mehrerer Zeugen. Das Konzil beauftragte den Dr. jur. Wilhelmus Hugonis,
Erzdiakon von Metz, mit der Untersuchung des Falles. Dieser zitierte
den Ammann, sowie die Bewohner des Tales vor seinen Richterstuhl.
Das Zitationsdekret wurde u. a. auch an der Domkirche zu Chur und an
der Pfarrkirche zu Zizers angeschlagen. Zu den verschiedenen anberaumten
Rechtstagen, an denen niemand aus dem Schanfigg erschien, ließ sich
der Bischof sukzessive durch Magister Johannes Urnut, Johannes de
Ortenberg und Magister Albert Schiepal vertreten. Das bischöflliche
Gesuch, eine Anerkennung der Lehensrechte durch das Konzil zu erlangen,
wurde vom beauftragten Richter in contumaciam erfüllt. Am 1o. September
1436 erklärte Wilhelmus Hugonis, der Bischof von Chur sei der wirkliche
Herr des Schanfiggertales, dessen Hoheitsrechte die Bewohner des Tales
anerkennen müßten. Für den Fall, daß sich die Untertanen diesem
Richterspruche nicht fügen wollten, verhängte der Richter über den
Ammann und die Bewohner des Tales den Bann. Dieses Banndekret
mußte in den Diözesen Chur, Lausanne, Konstanz und Basel, also beinahe
in der gesamten heutigen Schweiz verkündet werden. 2
Das Einschreiten der Basler Synode zugunsten des Bischofs scheint
von Erfolg begleitet gewesen zu sein, denn von Gewalttaten der Schan-
figger gegen das Hochstift vernimmt man nichts mehr. Allerdings hatte
sich auch die Lage der Dinge inzwischen zu verändern begonnen. Die
Gräfin Witwe von Togenburg war des allseitigen Streites müde und trat
am ıı1. April 1437 alle ihre Herrschaften an die Intestaterben ihres Mannes
ab. In der nun folgenden Teilung kamen Schanfigg, Churwalden, Belfort,
Davos und Klosters gemeinsam an Kunigunde, Graf Wilhelm von Mont-
fort’s (Tettnang) und Catharina, Graf Johanns von Sax-Misox’ Gemahlinnen. 3
I Moor, 1. c.
® Vergl. Anhang.
® Moor, 1. c. I, p. 356.
Die meisten Gerichte des Bundes blieben somit unter einer Herrschaft
vereinigt. Dies scheint die Gemüter im Schanfigg beruhigt zu haben,
zumal auch auf eine friedliche Auseinandersetzung mit dem Bischof durch
genannte Erben zu hoffen war. Der Bischof gab aber seine landesherrlichen
Ansprüche nicht auf. Offenbar war es ihm daran gelegen, klar und nach-
drücklich das Faktum zu betonen, daß das Schanfigg Lehen des Bistums
und nach Lehensrecht dem Hochstifte zu freier Verfügung heimgefallen
sei. Es handelte sich also um eine Lehensfrage, und solche wurden vom
Pfalzgericht, d. h. von den bischöflichen Ministerialen und Lehensmannen
beurteilt. Den Vorsitz des Pfalzgerichtes führte der Marschall des Bistums
Chur. Das Marschallamt war ein Lehen im Besitze der Familie von
Marmels. So sehen wir denn das Pfalzgericht unter Conradin von Marmels
in der bischöflichen Pfalz oder Residenz Fürstenau am 19. März 1437
zusammentreten. Vor dem Gerichte erschien der Bischof Johann von Chur
mit seinem Anwalt Rudolf Schuler von Castelmur. Sie führten aus, wie
das Schanfigg immer bischöfliches Lehen gewesen sei. Da nun Graf
Friedrich VII. «än liberben layder abgangen und gestorben ist .... und
mit schild und helm vergraben » worden seit, forderten sie den Heimfall
des Lehens. Der Bischof erklärte aber, allfällige Rechte Dritter anzuerkennen,
Es ist interessant, festzustellen, daß nicht die oben genannten Erben
Friedrichs VII., sondern die Untertanen aus dem Schanfigg vor das Pfalz-
gericht, das ein ausgesprochenes feudales Standesgericht war, als Gegenpart
zitiert worden waren. Offenbar hatte man erkannt, daß die Nachfolge-
frage in der Talschaft nicht über die Köpfe der Untertanen hinweg gelöst
werden konnte. Als Vertreter der Schanfigger, war deren Ammann Hans
Conrad erschienen. Conradin von Marmels forderte ihn auf, namens seiner
Auftraggeber zur bischöflichen Forderung Stellung zu nehmen. Hans
Conrad teilte dem Gerichte aber nur mit, sein Auftrag sei nur « zu losen»
und sich nicht in Verhandlungen einzulassen. Aus dieser Stellungnahme
scheint der oben angedeutete Schluß zulässig, daß die hauptsächlichste
Opposition der Talschaftsleute gegen den Bischof gebrochen war, denn
sonst hätten sie gewiß eine andere Stellung eingenommen. Offenbar waren
Verhandlungen zwischen dem Bischof und den Erben Friedrichs VII.
denen das Schanfigg zugeteilt worden war, vorausgegangen, wonach der
Bischof diese mit dem Tale belehnen werde. Der Vereinigung der Gerichte
drohte auf diese Art keine Gefahr und die Oberhoheit des Bischofs war
auch anerkannt. So läßt sich die Haltung des Landammanns von Schanfigg
zu Fürstenau erklären.
Da gegen die Forderung des Bischofs keine Einsprachen erhoben
worden waren, urteilte das Pfalzgericht : Schanfigg sei ein heimgefallenes
Lehen. Der Bischof wurde zwar verpflichtet, allfällige berechtigte An-
sprüche Dritter zu respektieren. ® Offenbar faßte man eine Belehnung
I cfr. Castelmur, Conradin v. Marmels und seine Zeit, p. 5ı (Freiburgef
Dissertation 1922).
2 Orig. Perg. Gemeindearchiv Langwies. Druck, J. G. Mayer und F. Jecklin,
Der Katalog des Bischofs Flugi vom Jahre 1645. Anhang, Nr. 18. (Jahresbericht
der hist. ant. Gesellsch. Graubünden 1901.)
— 235 —
der Erben Friedrichs VII. schon damals ins Auge. Doch diese erfolgte
noch nicht, da die Handänderungen noch nicht abgeschlossen waren. Graf
Johann von Sax und seine Gemahlin traten nämlich ihren Anteil an den
sechs Gerichten (darunter auch Schanfıgg) ums Jahr 1438 an Graf Wilhelm
von Montfort-Tettnang ab, sodaß nun die sechs inneren Gerichte des
Bundes tatsächlich in einer Hand vereinigt waren. Nun erst erfolgte
die bischöfliche Belehnung mit dem Tale. Am 24. Oktober 1439 erteilte
Bischof Johann dem Grafen Heinrich, dem jüngsten Sohn des Grafen
Wilhelm ven Montfort-Tettnang, das Schanfiggertal als Lehen. 2
Dadurch war die ganze Bewegung zu einem friedlichen Abschluß
gelangt. Der Bund der Gerichte hatte einen schönen Erfolg errungen,
und das Bündnis, das ursprünglich nur die Unteilbarkeit der Gerichte
bezweckte, hatte sich bewährt und wurde sukzessive zu einem ewig
dauernden Bunde.
Archidiacon Guillermus Hugonis spricht namens des Basler-Konzils auf
Ansuchen des Bischofs Johann von Chur den Bann aus gegen alle
Amisleute und Bewohner des Schanfiggs und belegt das Tal mit Sus-
pension, da es gegen den Bischof von Chur rebellierte.
1436 Sept. 10 Basel’
Guillermus Hugonis legum doctor, archidiaconus Metensis, judex et
commissarius causarum et cause ac partibus infrascriptis a sacrosancta
venerabili synodo Basileensi in spiritu sancto congregata, universalem
ecclesiam representante specialiter deputatus, universis et singulis dominis
abbatibus, prioribus, prepositis, decanis, archidiaconis, scolasticis, cantoribus,
custodibus, thesaurariis, sacristis, tam cathedralium quam collegiatarum
canonicis, parrochialium ecclesiarum rectoribus ac locatenentibus eorumdem,
plebanis, viceplebanis, capellanis, curatis et non curatis, vicariis perpetuis,
altaristis ceterisque presbiteris, notariis et tabellionibus publicis quibus-
cumque per civitates et dioces. Curiensem, Lausanensem, Constantiensem,
Augustensem ac alias ubilibet constitutis et cuilibet eorum insolidum ac
illi vel illis, ad quem seu quos presentes nostre littere pervenerint, salutem
in domino et mandatum nostris [litteris] ymo verius dicte sacrosancte
sinodi firmiter obedire.
Noveritis quod pridem dicta sacrosancta synodus quandam commis-
sionem seu supplicationis cedulam nobis per certum suum cursorem
presentari fecit, quam nos cum ea qua decuit reverentia recepimus huius-
modi sub tenore : Reverendissime pater : recurrit ad hanc sanctam synodum
I Moor, 1. c. I, p. 357.
% Mayer und Jecklin, 1. c., 87, Anhang, Nr. 20.
® Orig. Pergament, bisch. Archiv Chur, ist in sehr kleiner Schrift geschrieben
und sehr umfangreich. Deshalb sollen hier nur die wesentlichen Stellen geboten
werden, unter Weglassung aller Wiederholungen und der Formeln.
REVUE D’HISTOIRE ECOLESIASTIQUE . 8
— 226 —
Basileensem devotissimus ecclesie filius Johannes episcopus Curiensis non
sine gravi querela humiliter exponendo, quod licet terra vallis Schanfisz
Curiensis diocesis, sic vulgariter nuncupata et appellata, pleno iure ad
ecclesiam ac episcopum pro tempore Curiensem spectasset, pertinuisset,
etiam per tantum tempus, citra memoriam hominum in contrarium non
existat, ac sic fuerit et erat prout prefatus dominus Johannes, modemts
episcopus esse deberet in eiusdem vallis et eius dominii possessione seu
quasi pacifica et commota absque hoc, quod aliquibus aliis et presertim
adversariis infrascriptis in dicta valle juribusque et pertinentiis eiusdem
jus proprietatis sive dominium aliquod competivisset aut se de illis intro-
misissent aut aliquo titulo intromittere potuissent, saltem legitime ad
aliquem sic unquam spectasset prout nec spectat de presenti. Nichilominus
tamen offhitiales sive ministri inhabitatoresque et incole ac tota communitas
dicte vallis, quo spiritu ducti nescimus, se ab obediencia dicti domini epis
copi subtrahere et contra eum insurgere bonaque et jura dicta episcopatus
sibi usurpare ac cum gravi iactura ipsius domini episcopi et ecclesie sue
locupletari et sequestrari querentes homagium sive fidelitatis iuramentum
prefato domino episcopo dari, solutum prestare recusant ac denegant,
ymmo quidem deterius etiam fructus, redditus et proventus exinde quo
modolibet provenientes, temere et de facto dampnabiliter eis imbursare
non verentur, dictum dominum episcopum illis privando et spoliando, in
animarum suarum grave periculum, ipsiusque domini episcopi et ecclesie
sue, iuriumque suorum preiudicium non modicum dampnum et gravamen.
Dignetur igitur P.V.R. omnes et singulas causam et causas, quam
et quas prefatus dominus Johannes episcopus movet seu movere vult
contra et adversus ofhciales sive ministros incolasque et inhabitatores a
communitatem predictos dicte vallis Schanfigg, prefate Curiensis diocesis,
de et super dicta valle, iuribus et pertinentiis eiusdem ac eorumdem
omnium spoliatorum et privatorum ac homagii sive fidelitatis iuramenti
prestatione, devertatione et recusatione necnon expositione et interes®
rebusque aliis occasione alicui ex venerabilibus viris dominis huius sancte
synodi causarum judicibus commissionem audiendi, cognoscendi, et size
debito terminandi cum omnibus et singulis suis mergentibus, incidentibus
et dependentibus cum potestate etiam citandi officiales, ministros incolas-
que et inhabitatores ac totam communitatem dicte vallis necnon omnes
et singulos interesse putantes coniunctim et divisim et in execution®,
citatione nominandi ac etiam per edictum, ad eos tutus non pateat accessu3
necnon illis et quibuscumque aliis tam ecclesiasticis, quam secularıbus
personis sub ecclesiasticis penis et censuris in hoc loco sacri concilii extf4
et ad partes inhibendi totiens quotiens opus erit, non obstante quod cauS&
seu cause huiusmodi non sint in eodem sacro concilio de juris necessita!?
tractande neque finiende ac aliis in contrarium forsan faciendi non ob-
stantibus quibuscumque in dicte commissionis sive supplicationis cedul2
scripte erant.
Volgen die 3 verschiedenen Citationen der Schanfigger, zu denen
sie nicht erschinen, worauf als Urteil gefallt wurde :)
Nos tunc dictos citatos non comparentes reputavimus merito, prout
caute exigenda justitia, contumaces et in eorum contumaciam in ultimo
predictorum termino omnes officiales sive ministros ac inhabitatores et
incolas in scriptis excomunicavimus ac comunitatem vallis Scaffig ex ad-
verso principales predictos ob multiplicem eorum contumaciam a divinis
suspendimus, prout excomunicamus et suspendimus presentium per tenorem.
.... Omnes et singulos officiales sive ministros, inhabitatoresque et incolas
excomunicatos necnon comunitatem vallis Scafliıgg ex adverso principales
predictos a divinis suspensos per vos ut premittitur in vestris ecclesiis,
monasteriis et capellis singulis diebus dominicis et festivis ac alias, ubi,
quando et quotiens opus fuerit et ut prefertur fueritis requisiti seu
requisitus ex parte nostra, ymmo verius dicte sacrosancte synodi publice
alta et intelligibili voce nuncietis et publicetis ac ab aliis, quantum in
vobis fuerit, ita nunciari et publicari faciatis et procuretis, tamdiu et donec
et quousque a nobis vel superiori nostro meruerint a sententiis predictis
absolutionis beneficium obtinere ; absolutionem vero omnium et singu-
lorum, qui prefatam nostram excommunicationis sententiam incurrerint seu
incurrerit quoquo modo, nobis vel superiori nostro tantummodo reser-
vamus. etc. etc.
Datum et actum Basilee in ambitu conventus fratrum Minorum etc.
sub anno a nativitate domini millesimo quadringentesimo tricesimo sexto,
indicione quartadecima, die lune decima mensis Septembris, pontificatus
sanctissimi in Christo patris et domini nostri domini Eugenii divina pro-
videntia pape quarti anno sexto etc.
(Das Siegel des Guillermus Hugonis hängt gut erhalten.)
S. T. Ego Johannes Bernardi de Gheffon, clericus Leod. dioc. publ.
apostolica et imperiali auctoritate notarius etc.
Orig. Perg. bisch. Archiv, Chur.
Ant. v. Castelmur.
REZENSIONEN. — COMPTES RENDUS.
Staehelin Ernst. Briefe und Akten zum Leben Oekolampads. Zum
400-jährigen Jubiläum der Basler Reformation, herausgegeben von der
theologischen Fakultät der Universität Basel, bearbeitet von —. Band Il.
1499-1526. Leipzig, Eger und Sievers 1927, xvıı und 627 S. 8°, broschiert
50oM.
Diese mit einem gelungenen Bild des Reformators samt eigenhändiger
Unterschrift, einer sehr dankenswerten Zusammenstellung der gedruckten
Quellen und wichtigern Literatur nebst einem trefllichen Namenregister
versehene Publikation, erscheint frühzeitig als Festschrift zur Durch-
führung der Reform in der Stadt Basel (1529) und ist dem unbestrittenen
Führer der Bewegung, Johann Oekolampad, gewidmet, die erste Ausgabe
der Briefe und Akten dieses Mannes. Vorangestellt ist ein Geleitwort der
Fakultät, welches über die Veranlassung zu dieser Textausgabe handelt,
während der Bearbeiter, Inhaber des Lehrstuhles für neuere Kirchen-
geschichte an der dortigen theologischen Fakultät, über die Gesichtspunkte,
nach denen die Auswahl der aufgenommenen Stücke getroffen wurde,
und die Grundsätze für die Herausgabe selber Auskunft gibt. Darnach
wurde keine Gesamtausgabe der Werke von Oekolampad beabsichtigt,
was bei der schriftstellerischen Fruchtbarkeit dieses Mannes, und fügen
wir hinzu, auch dem nicht genügenden Interesse an einer solchen, kaum
gerechtfertigt wäre, sondern eine Auswahl in zwei Bänden getroffen, wobei
der gesamte Briefwechsel, alle Dokumente, in denen sich Sinn und
Umfang seiner Publikationen wiederspiegeln, und endlich auch alle jene,
die über sein Leben und seine Tätigkeit Aufschluß geben, Aufnahme fanden.
Diese weise Beschränkung, die vor allem dem Briefwechsel zugute kommt,
der heute noch das allgemeinste und über die theologische Wissenschaft
weit hinausreichende Interesse beansprucht, ist nur zu billigen ; nur hätte
der Preis des Buches nicht eine für viele Interessenten unerschwingliche
Höhe erhalten sollen, zumal bei einer Festschrift ! Ebenso verdient die
chronologische Folge der Stücke nurLob, und umdiese feststellen zu können,
hat Herausgeber bei den zahlreichen undatierten Stücken keine Mühe
gespart. Ganz besondere und sehr verdienstliche Arbeit verlegte er aber
auf die in Fußnoten angebrachten erläuternden Anmerkungen, die von
vielen nicht hinreichend, von Kennern aber um so höher geschätzt zu
werden pflegen, und wodurch der vielseitige Inhalt der meist lateinisch
abgefaßten Stücke vielfach erst verständlich und auf alle Fälle dem Leser
leichter vermittelt wird. Auch wünschenswert wäre es gewesen, jedem
Stück noch ein knappes Spitzregest voranzustellen und die Eigennamen
im Texte durch Sperrdruck hervorzuheben, was das Nachschlagen an
Hand des Registers sehr erleichtert hätte. So wird das um so zeitraubender
und umständlicher, als im Register die Stücknummer statt der Seiten-
zahlen angegeben wird, was bei längeren Stücken zur Geduldsprobe aus-
wächst.
Daß die Dokumente in der Regel in vollem Umfang wiedergegeben,
und von dieser Regel nur beim Zwinglibriefwechsel und den Basler Refor-
mationsakten eine Ausnahme gemacht wird, ist nur zu billigen. Dagegen
hätte in den Typen noch größerer Wechsel stattfinden dürfen : alles, was
sich auf Herkunft und Fundort der Stücke bezieht, wäre wohl besser von
den übrigen Anmerkungen ausgeschieden und eingeklammert, einfach an
den Schluß der Stücke angefügt worden, wenn man es nicht an die Spitze
stellen wollte. Während über die Normierung der lateinischen Stücke
wenigstens einige, aber nicht vollständige Winke gegeben werden, fehlt
jede Angabe über die Herstellung der deutschen Texte, Frage der Ab-
kürzungen, Auslassungen und dgl.
Unter den Persönlichkeiten, die öfter vorkommen, sind zu erwähnen:
Erasmus, Johann Fabri, Ludwig Ber, Reuchlin, Urban Rhegius, Ulrich
Zasius, Joh. Froben, Ulrich von Hutten, Luther, Zwingli, Caspar Hedio,
Leo Iud, Melanchton, Pellican, Tilmann Limpurger, Ludwig Hätzer, Farel,
Froschauer, Jakob Meli, Joh. Lüthard, also in erster Linie Reformatoren
und Humanisten, während die Politiker und Staatsmänner ganz zurück-
treten. In den Nachträgen leitet Verf. den Namen Oekolampads von
Huszgen = Häus’chen ab in einleuchtender Beweisführung.
Diese Publikation verdient als eine wertvolle, zuverlässige, wissen-
schaftliche Quellenausgabe zur Geschichte der Glaubenstrennung und
des geistigen Lebens in jener Epoche alle Beachtung auch in katholischen
Kreisen, wenn sie auch in erster Linie für den Protestantismus in Betracht
kommt.
Daß der Dominikaner Johann Faber nicht zu Freiburg in der Schweiz
geboren wurde, wie auf S. 326, Anm. ı8, auf Grund älterer Annahmen
gesagt wird, sondern zu Augsburg, hat bereits Nikolaus Paulus in seinem
Buche : Die deutschen Dominikaner im Kampfe gegen Luther, Freiburg
im Br. 1903 (S. 292), einwandfrei nachgewiesen, was Verf. offenbar
entgangen ist. Im Register hat sich ein Versehen eingeschlichen, indem
das auf S. 469, Anm. 2, erwähnte Freiburg unter Freiburg im Uechtland
statt Freiburg i. Br. angeführt wird. Über Ludwig Läubli, Dekan zu
Bern (S. 528, A. 5), finden sich gute biographische Angaben im HBLSch. III,
705, sowie bei L. R. Schmidlin, Solothurns Glaubenskampf und Refor-
mation, Solothurn 1904, S. 82.
Albert Bücht.
Bonjour. Die Schweiz und Savoyen im spanischen Erbfolgekrieg.
Bern, Haupt, 1927. 149 S. S.-A. aus Archiv des Hist. Ver. Bern XXIX.
Herr Edgar Bonjour in Bern hat uns eine interessante Arbeit ge-
liefert, — ein farbenreiches Bild aus der Zeit der macchiavellistischen
— 230 —
Politik des angehenden XVIII. Jahrhunderts und der schweizerischen
Söldnerdienste. So viel dankenswertes Material beigebracht ist, muß
indessen doch gesagt werden, daß die Quellenbenutzung unvollständig
und einseitig ist und daß die französischen Quellen höchst ungenügend,
die schwyzerischen gar nicht zu Worte kommen. Deshalb ist der Charakter
der schwyzerischen Lohntruppen und vorab des Führers Franz Johann
Reding arg verzeichnet, und das nicht eben löbliche Verhalten derselben
viel schwärzer dargestellt, als es schon in Wirklichkeit ist. Eine Arbeit,
die von kompetenter Seite in Angriff genommen ist, wird dies klarlegen.
F.S.
A. v. Castelmur. Jahrzeitbuch und Urbare von Ruschein. S.-A-
aus dem Jahresbericht der Hist.-Ant. Gesellschaft von Graubünden, 1923.
xıı und 27 S.
Aus dem Pfarrarchiv in Ruschein bringt der Verfasser Bruchstücke
eines Jahrzeitbuches aus dem XIV. Jahrhundert, ein Urbar aus dem
Jahre 1358, ein Urbarfragment aus dem XV. Jahrhundert, sowie ein Urbar
von 1576 zum Abdruck. In einer sehr guten Einleitung umschreibt der
Verfasser in wesentlichen Zügen zunächst die kirchenrechtliche Stellung
der Kirchen zu Ruschein, Seth und Ladir, um uns darauf mit den vor-
liegenden Quellen näher bekannt zu machen. Hervorzuheben ist, daß
Verfasser für die Fälschung einer nicht unwichtigen Bulle Gregors \.,
in der zirka 998 die Besitzungen des Klosters Pfäfers bestätigt werden,
neue Beweise liefert. (Vgl. dazu die Literaturangaben bei Brackmann,
Helvetia Pontificia in Regesta Pontificum Romanorum, vol. II, Pars II,
Berolini 1927, p. ıIIo-ıı2.) Das Urbar vom Jahre 1358 ist in sprachlicher
Hinsicht wohl wertvoller als nach der historischen Seite. Die Edition ist
sehr sorgfältig. Der Verfasser hat es nicht unterlassen, die Flurnamen
soweit möglich zu bestimmen und ein zuverlässiges Register hinzuzufügen.
Oskar Vasella.
Straßer Otto Erich. Capitos Beziehungen zu Bern. Leipzig, Heinsius
1928. xıı und I178S. (Quellen und Abhandlungen zur Schweiz. Reformations-
geschichte VII.) 7 M. 2o Pfg.
Zu den vom Bischof von Basel, Christoph von Utenheim, an die dortige
Universität berufenen Gelehrten gehört auch Wolfgang Capito, Dr. med.
jur. et theol., ein Humanist, Prediger am Dom, Mitarbeiter des Ersamus
und trefflicher Hebraist, später Reformator von Straßburg und Gegner
des gelehrten Augustinerprovinzials Dr. Konrad Treyer aus Freiburg im
Uechtland. Verf. stellt auf Grund der Akten fest, daß C.s Auftreten an
der Berner Disputation von 1528 wenig günstig zu beurteilen sei, indem er
dort keine Hauptrolle gespielt habe, und polemisiert gegen die Vermutung
Schuhmanns (Zeitschrift f. Schweiz. Kirchengesch. IV 94 ff.,) es möchte der
unbekannte Jacobus Monasteriensis, der einen Bericht über das Gespräch
— 231 —
verfaßt hat, in Capito zu suchen sein, immerhin mit vorsichtiger Zurück-
haltung und ohne dessen Meinung ohne weiteres zurückzuweisen, sondern
im Gegenteil, indem er noch neue Argumente anführt, die zu Gunsten
Schuhmanns sprechen. Dagegen spricht Str. mit Gründen, die sich hören
lassen, die Vermutung aus, C. möchte der Urheber der Intervention
Straßburgs zu Gunsten der Aufständischen im Oberland sein (1528). Sodann
schildert Verf. eingehend C.s Auftreten an den Berner Synoden von 1532
und 1537, wo die Abweichung in der Sakramentenlehre von Zwingli und
vielfache Berührung mit Luther hervorgehoben wird, und wie er mit Bucer
sich um eine Versöhnung zwischen Lutheranismus und Zwinglianismus
und eine Unionsformel bemüht, so zwar, daß Capito und Bucer den
Lutherischen auf der Berner Synode von 1537 den Vorrang verschaffen.
Da C. auch, wie Bucer, eine Union mit den Altgläubigen anstrebte, die
aber in der Schweiz Mißfallen erregte, so steht Verf. nicht an, ihn als
edelsten Vertreter «einer evangelischen Katholizität» zu erklären. Mit
Stähelin hält er nicht den Berner Unterschreiber, Thomas von Hofen, als
Verfasser der Capito zugeschriebenen Schrift «Wahre Handlung », aber,
abweichend von St., vielmehr den Drucker Wolf Köpfel. Als Beilage wird
hier der Bericht Hallers über die Berner Synode von 1532 zuerst abgedruckt
und auch ausgiebig verwertet. Die Abhandlung ist eine gediegene Leistung,
sehr gründlich und rein sachlich, unter sorgfältiger und kritischer Verwertung
eines reichen Quellenmaterials verfaßt und zeichnet sich außerdem aus durch
sehr gute Literaturzusammenstellung und ein recht dankenswertes Personen-
Tegister.
Albert Bücht.
Emil Ermatinger. Weltdeutung in Grimmelshausens Simplicius Sim-
plieissimus. Verlag B. G. Teubner, Leipzig und Berlin 1925. 123 S. 8°.
Als literaturwissenschaftliche Leistung ist das Buch in der ver-
nichtenden Rezension Alewyns (Zeitschr. f. deutsche Philologie) und in
der wohlwollenden Scholtes (Deutsche Literaturzeitung) hinlänglich ge-
würdigt worden. Für die kirchengeschichtliche Forschung dürfte das
Buch symptomatisch wichtig sein, denn mit seinen überaus fragwürdigen
Deutungen des «Simplicissimus » macht es auf brennende Fragen auf-
merksam, die von der Kirchengeschichte des XVII. Jahrhunderts noch
keineswegs beantwortet sind. Erst wenn wir über die besondere Gestaltung
des Moralismus, über den Anteil von Rationalismus und Voluntarismus an
der kirchlichen Lehrdarbietung unterrichtet sind, wird es möglich sein,
die Stellung Grimmelshausens, der, als er schriftstellerisch auftrat,
erwiesenermaßen katholischen Bekenntnisses war, zu den geistigen
Strömungen des Barockzeitalterss zu bestimmen. Daß Ermatingers
Grimmelshausen-Deutung unhaltbar ist, läßt sich freilich schon jetzt
feststellen. Es ist nur bei völliger Blindheit für geistige Strukturen
möglich, Gr. in «jene Kette deutschen Denkens » einzureihen, «die von
Luther und (!) Zwingli, Paracelsus und Böhme zu Leibniz, Hamann und
Goethe führt». Die Unfähigkeit, einen « Text» sachlich zu lesen und zu
interpretieren, bezeugt das ganze Buch. Ich verweise nur auf eins der
schlagendsten Beispiele, die Ausführungen über die drei sogenannten
höfischen Romane Gr.s, die fast mit jedem Wort den literarhistorischen
Tatsachen Gewalt antun.
Günther Müller.
Rudol£ von Fischer. Die Politik des Schultheißen Johann Friedrich
Willading (1641-1718), Bern, Stämpfli & C!e, 1927. x und 198 S. 5 Fr.
Die Berner haben den Vorteil, nicht bloß ihr reiches Kantonsarchiv,
sondern auch die Kopien der äußerst reichhaltigen französischen Bestände
des Bundesarchivs mit aller Bequemlichkeit benützen zu können. Davon
machte auch Verf. dieser Monographie umfassende Gebrauch, benützte aber
nebstdem die Archive von Zürich, St. Gallen, Berlin, sowie Handschriften
verschiedener Bibliotheken des Inlandes, und dies umsomehr, als ab-
gesehen von den E. A. die gedruckten Quellen ihm wenig Ausbeute lieferten.
Er stellte fast nur aus ungedrucktem Quellenmaterial diese in verschiedener
Hinsicht recht aufschlußreiche und darum dankenswerte Arbeit mit großem
Fleiß und guter Methode zusammen und befliß sich außerdem einer gefälligen,
gut lesbaren Sprache und recht objektiver Haltung.
Abgesehen von der Person Willadings, über die alles Nötige gesagt
wird, erfahren wir manches Neue und Interessante über die vielen Phasen
des Neuenburger Erbfolgestreites, den spanischen Erbfolgestreit und vor
allem auch über den Toggenburgerhandel und zweiten Villmergerkrieg.
Bezeichnend, aber wohl zutreffend sind seine Schlußfolgerungen über die
Berner Politik im Neuenburger Erbfolgestreit : «Der Wunsch zur Größe
bestand noch ; am Willen gebrach es und der Kraft.» Man gewinnt aus
seiner Darstellung den Eindruck «einer großen Zerrissenheit des alten
Bern, das Mühe hatte, seine Prestige zu wahren, von außen bedroht, im
Innern uneinig ».
Über das Toggenburger Geschäft wäre noch einige gedruckte Literatur
anzuführen, wie J. Müller, Der Bau der Rickenstraße, Uznach ıgıo, und
derselbe, Landweibel Jos. Germann, in Zeitschrift f. Schweiz. Kirchen-
geschichte VIII. Der Briefwechsel Fidels von Thurn mit Willading wird
zwar erwähnt; doch scheint Verf. ihn nicht verwertet zu haben!
Dagegen erfahren wir, daß Zürich und Bern die evangelischen Toggenburger
aus strategischen Gründen unterstützen mußten wegen der für den Fall
eines Krieges so wichtigen Verbindung mit Sax, Rheintal, Werdenberg,
eventuell Glarus und Graubünden. Recht interessant ist es auch, zu ver-
nehmen, wie 1710 der französische Gesandte Du Luc als Vermittler Bem
durch Aussicht auf Erwerb von Neuenburg, Valangin und einem Stück
Freigrafschaft, Zürich durch Anbietung von Abtretung des Toggenburg
und der Waldstätte für seine Absichten zu gewinnen hoffte |
Beim zweiten Villmergerkrieg vertrat W. die scharfe angriffslustige
Politik des Zusammengehens mit Zürich, während der Feldoberst Tschamer
aus Gewissensgründen nicht einen ungerechten Krieg gegen die V Orte
führen mochte. 4A. Büchi.
Wind, P. Siegfried O.M.Cap. Geschichte des Kapuzinerklosters Wil,
Ein Beitrag zur Geschichte der schweizerischen Kapuzinerprovinz. Nach
meist ungedruckten Quellen. Im Selbstverlag des Klosters Wil. 1927.
210 S. Mit ı8 Abbildungen.
P. Siegfried Wind, O.M.Cap., schenkt uns in seiner Geschichte des
Kapuzinerklosters Wil eine ganz interessante und eingehende Darstellung
von Klosterbau und Klosterleben der Kapuziner aus der Mitte des
XVII. Jahrhunderts bis in unsere Tage. Der Verfasser begnügt sich nicht,
uns nur eine Klostergeschichte im engen lokalen Rahmen zu bieten,
sondern überall versteht er es, das Lokale durch allgemein schweizerische
Provinz-Verhältnisse und -Gebräuche zu beleuchten, wodurch das Ganze
an historischem Wert und allgemeinem Interesse gewinnen muß. Überaus
klar ist der Aufbau, schlicht und gemeinverständlich die Sprache.
Wie sein früheres Werk, die Geschichte des Kapuzinerklosters Dornach,
zerlegt er auch dieses in sechs große Kapitel, von denen schon das erste
mit der geplanten Klostergründung in Lichtensteig sehr interessiert. So
groß die Bemühungen des Fürstabtes Bernhard Müller von St. Gallen
von 1598 an durch zwei Jahrzehnte hindurch auch waren, in Lichtensteig
ein Kapuzinerkloster zu gründen, sie zerschlugen sich immer wieder. Erst
das Jahr 1653 brachte die endgültige Klostergründung, und zwar in Wil.
Wie bei vielen andern Kapuzinerklöstern der Schweiz, haben wir auch
hier einen eigentlichen Klosterstifter, der die intensivste Anregung und
zugleich auch die finanzielle Grundlage zur Gründung bot. Es ist dies
in Wil der Reichsvogt Georg Renner. Nun stellt uns der Verfasser ein
buntes Bild von Zusammenarbeit von Stadt und Land, von Abt und
Regierung vor Augen.
Die eigentliche Geschichte des Klosters teilt er in zwei größere Ab-
schnitte vor und nach der französischen Revolution, und hier findet der
Laie, sorgfältig aus dem großen und ganzen ausgeschieden und unter
bezeichnende Titel gestellt, eine Fülle von kleinen Darstellungen, in denen
sich nebst dem Klosterleben auch das Schaffen und Wirken des einzelnen
Paters, sowie im kleinen die Tätigkeit der gesamten schweizerischen
Kapuziner-Provinz wiederspiegelt. Wir schauen da ein friedliches Bild
ruhiger Entwicklung, bis die Provincia Helvetica zu 60 Konventen anwuchs,
so daß man im Jahre 1668 zur denkwürdigen Teilung schritt und das
schwäbische Gebiet als oberrheinische Provinz abtrennte. Dieser wichtige
Akt wurde auf dem großen Kapitel in der Stadt Wil vollzogen. Bald
erfolgte eine zweite Abtrennung 1729, es war die des Elsaß. Einen eigenen,
zwar kleinen Abschnitt widmet der Verfasser der Klostergeschichte in der
Zeit der französischen Revolution, der Helvetik und der Mediation. Der
fünfte Abschnitt des Buches beschließt die eigentliche Geschichte des
Klosters mit der Darstellung des neuesten Umbaues. Mit einem gewissen
Stolz zeigt uns der Verfasser das neue Bauwerk in Wort und Bild, als
wollte er sagen, und er sagt es auch: das ist ein kleines Abbild vom zeit-
lichen Segen, der über die 270-jährige Kapuzinerwirksamkeit in Wil und
Umgebung niedergegangen ist, und ein Wahrzeichen der Dankbarkeit
— 234 —
des gläubigen Volkes und seiner Hirten für geistliche Hilfe im Leben und
Sterben.
Die wertvolle Monographie wird beschlossen mit einer chronologischen
Nachlese, in der besonders das Verzeichnis der aus dem Klosterbezirke
hervorgegangenen 136 Kapuziner interessieren wird.
Appenzell. P. Adalbert Wagner O.M.Cap.
Hans Dommann. Franz Bernhard Meyer von Schauensee als Staats-
mann und Zeuge seiner Zeit (1763-1882). S.-A. aus Geschichtsfreund.
Bd. LXXX und LXXXI (1925-26). Derselbe, Franz Bernhard Meyer von
Schauensee als helvetischer Justiz- und Polizeiminister und als Politiker,
S.-A. aus der Zeitschrift für Schweizerische Geschichte, VI. Jahrgang, 1926,
Diese sorgfältige objektive und auf Grund eines reichen Aktenmaterials
gedruckter und ungedruckter Briefsammlungen schweizerischer und aus-
ländischer Zeitgenossen erstellte Biographie ist ein wichtiger und reich-
haltiger Beitrag zur neueren Schweizergeschichte, speziell über Aufklärung
und Revolution und eine Ergänzung zu der schönen Studie über Meiers
Schwager, Vinzenz Rüttimann, die uns der gleiche Verf. geschenkt hat.
Wertvoll nicht bloß zur Erkenntnis Meyers und seines Lebenslaufes,
sondern vor allem wegen der reichlich eingestreuten Personalien von hervor-
ragenden Zeitgenossen wie Lavater, Pestalozzi, Cesar Laharpe, Johannes
von Müller und der Freimaurer Le Grand und Ochs, aber auch seiner
Luzerner Freunde und Gesinnungsgenossen Balthasar, Alphons Pfyffer,
Keller, Krauer, Chorherr Mohr, Thaddäus Müller u. a. mehr.
M. war helvetischer Minister und Mitglied der Consulta, ein begeisterter
Freund der französischen Revolution, die er aus nächster Nähe mitangesehen
und trotzdem ein Gegner der Volksherrschaft, Feind des Fremddienstes,
Anhänger der Enzyklopädisten und der Aufklärung, religiös ein morali-
sierender Deist. Diese Anschauungen Meyers, sowie seine persönlichen
Beziehungen finden ihre Erklärung aus seiner Zugehörigkeit zur Frei-
maurerei, die den Schlüssel zu seiner Biographie bildet und zu seiner
philosophisch-religiösen Einstellung. Manches Neue erfahren wir auch
über die Absetzung Ig. Vital Troxlers, über den Keller-Prozeß, seine
Stellung zur Bistumsfrage und seine Kirchenpolitik überhaupt, sowie sein
Verhalten gegenüber dem Aufstande in Nidwalden. Trotz seiner Bewunde-
rung für Frankreich, wollte er aber von seiner Einmischung in die Schweizer
Verhältnisse nichts wissen.
Im Anhang zur ersten Monographie sind zwei Briefe Fichtes an Meyer
vom 19. und 28. April 1794 aus dem Familienarchiv Meyer hier zum ersten-
mal abgedruckt ; ferner die Porträts der Schultheißen Krauer, Keller,
Amrhyn und Eduard Pfyffer in Lichtdruckbildern beigegeben. Dagegen
vermißt man ein Inhaltsverzeichnis, und wegen der vielen ungedruckten
Briefauszüge, die so nicht genügend zur Geltung kommen, wäre sogar ein
Namenregister erwünscht gewesen. In der Gesamtwürdigung Meyers dürfte
Verf. das Richtige getroffen haben.
Albert Büchi.
Henri Naef, Fribourg au secours de Gendöve,. 1525-1526. Fribourg,
Fragnieres 1927, 316 S. 5 Fr. Luxusausgabe 20 Fr.
Das 500-jährige Jubiläum des Burgrechts der Städte Bern und
Freiburg mit Genf vom 9. März 1526 hat Abhandlungen gerufen, die sich
mit diesem Ereignisse in einläßlicher und gründlicher Weise befassen.
Zunächst beleuchtete der Genfer Historiker Edouard Favre in seinem
vortreflichen Buche «Combourgeois, Geneve, Fribourg, Berne 1526»,
Geneve 1926, die Frage vom Genfer Standpunkt aus, vor allem auf Grund
des Genfer Quellenmaterials, während H. Naef nun dasselbe vom Freiburger
Standpunkt und insbesondere mit Verwertung der Dokumente des Frei-
burger Staatsarchivs unternimmt. Zwar hat schon Berchtold im Jahre 1858
in einer Abhandlung « Fribourg et Geneve ou precis des relations de ces
deux Etats jusqu’& la rupture de leur alliance» (Archives de la Societe
d’historie du canton de Fribourg, IIme vol.) die Beziehungen zwischen
Freiburg und Genf vom ersten Bündnis 1477 bis zur gänzlichen Loslösung
von Genf, 1534, in seiner Art und in großen Zügen dargestellt, ohne das
Problem in seiner ganzen Tiefe zu erfassen oder das vorhandene Quellen-
material auch nur mit annähernder Vollständigkeit heranzuziehen und
auszuschöpfen.
Der Abschluß des Bündnisses von 1526 stellt sich dar als der zweite
Akt des Dramas, das im Beginn des XVI. Jahrhunderts sich abspielt.
Der erste Akt fällt ins Jahr 151g mit dem Burgrecht Freiburgs und seiner
bewaffneten Hilfe zum Schutze Genfs gegen Herzog Karl III. von Savoyen,
die durch Dazwischentreten der eidgenössischen Orte abgestellt wurde
und die Auflösung des Bundes zur Folge hatte. Der dritte und Schlußakt
endete mit dem Rücktritt Freiburgs aus dem Genfer-Bernischen Burgrecht
infolge Annahme der Glaubensänderung durch die Genfer und Entfernung
des Bischofs aus seiner Residenz. Wenn die Entscheidung Genfs bei dem
durch den Übertritt Berns zur Reform bedingten Gegensatz Freiburg-
Bern zu Gunsten des letztern ausfiel, trotzdem Bern in seinem Verhalten
gegen Savoyen abweichend von Freiburg und zum Nachteil Genfs sich
viel entgegenkommender zeigte, so sieht Naef den Grund hiefür weniger
in der gewaltigen Übermacht Berns, die bessere Garantien zum Schutze
Genfs bot als das kleine Freiburg mit einem eng begrenzten Gebiet und
mehr moralischen als militärischen Machtmitteln, als vielmehr darin, daß
Genf sich innerlich bereits Freiburg entfremdet hätte. Durch seinen
Glaubenswechsel war Bern auch in Gegensatz zum katholischen Herzog
von Savoyen gekommen und sind damit jene Rücksichten weggefallen, die
bisher noch gegen dieses Haus zu nehmen waren. Das haben jene Elemente,
die auch in Genf den Abfall vom katholischen Glauben energisch und ziel-
bewußt betrieben, richtig erkannt, und darum mußte Freiburg trotz oder
gerade wegen seiner vorwiegend idealen Politik, die es auf ein Zusammen-
wirken mit dem glaubensverwandten Herzog hinwiesen, bei diesem
Dilemma geopfert werden.
Man kann natürlich das Bündnis vom Jahre 1526 nicht verstehen,
ohne den Zusammenhang mit den früheren Bünden und namentlich mit
— 23 —
jenem von 1519, wo Freiburg allein beteiligt ist, stets im Auge zu behalten,
und Herr Naef würde sich sehr verdient machen, wenn er auch dieses,
das eigentlich vorausgehen sollte, mit der gleichen Gründlichkeit und
demselben Ausmaß zum Gegenstand einer eigenen Publikation machen
würde !
Allein auch damit sind die Beziehungen Genf-Freiburg noch nicht
genügend erklärt; wenn man weiter zurückgeht, so begegnet man wirt-
schaftlichen Relationen, aus denen sich dann die politischen fast mit
Notwendigkeit ergeben. Schon Berchtold hatte diesen Zusammenhang
erkannt und in der Entwicklung und Ausdehnung des Freiburger Tuch-
gewerbes die Erklärung gefunden. Leider fehlt uns noch immer eine
Monographie über die Geschichte des Freiburger Tuchgewerbes, die nach
verschiedenen Richtungen sehr aufschlußreich werden dürfte. Dafür haben
wir einstweilen einigen Ersatz in der eindringenden, gehaltvollen Studie
von Hektor Ammann «Freiburg und Bern und die Genfer Messen »
(Langensalza 1921), wo die Bedeutung des Genfer Marktes für den Absatz
der Freiburger Tuchindustrie sehr zur Geltung kommt. Genf bildete den
wichtigsten Markt für die Freiburger Tucherzeugnisse ; deshalb waren die
Genfer Messen von größter Bedeutung für das Wirtschaftsleben Freiburgs
und umgekehrt auch der Freiburger Handel für Genf. Daraus erklärt
sich die politische Verbindung, die 1477 erst schüchtern und zögernd erfolgt
und vor allem die Handelsfreiheit und gegenseitige Hilfe bezweckt, 1519
aber erneuert wird nebst einer Garantie der Genfer Unabhängigkeit, ohne
weiteres. In dem von Ludwig XI. entfesselten Kampf um Begünstigung
der Lyoner Märkte auf Kosten Genfs hielt Freiburg stets und unentwegt
zu Genf und im Gegensatz zu Bern, das bei seiner Annäherung an Genf
stets durch die Rücksicht auf den mit ihm verbündeten Herzog von
Savoyen stark gehemmt und zur Zurückhaltung gezwungen war, finden wir
Freiburg konsequent in Verfolgung der einmal eingeschlagenen Richtung,
unbedingt und rücksichtslos an der Seite Genfs, insbesondere als die wirt-
schaftliche hinter der politischen Frage zurückzutreten anfıng und Genf
zur Erhaltung seiner politischen Unabhängigkeit der Hilfe seiner Ver-
bündeten dringend bedurfte. Während bei dem Bündnisse Berns mit
Genf politische Ziele überwogen, hatten bei der Allianz Freiburgs die
wirtschaftlichen und ethischen bei weitem die Oberhand |
Naef weist auch zum ersten Mal und mit guten Gründen darauf hin,
daß das Jahr 1526 der burgundischen Eidgenossenschaft, die auf dem
Bündnisse der Städte Solothurn und Freiburg mit Bern beruhte, ein Ende
machte ; aber das wäre auch ohne dieses Burgrecht, dem Solothurn fern-
blieb, als eine unvermeidliche Folge des religiösen Gegensatzes zwischen
den Alliierten notwendigerweise eingetreten. Der alte Zusammenhang läßt
sich nur noch gelegentlich erkennen, und die Anlehnung an Bern ist bei
Solothurn auch nachher noch mehr spürbar als bei Freiburg.
Wenn Naef Freiburg die ursprüngliche Idee der Eroberung der Waadt
zuschreibt, so vergißt er dabei, daß diese zu den alten Programmpunkten
bernischer Expansionspolitik schon zur Zeit der Burgunderkriege gehörte,
deren Durchführung am Widerspruch und der Interesselosigkeit der übrigen
Orte aber vorher stets scheiterte. Dagegen ist Naef völlig im Recht, wenn
er Freiburg bei Abschluß des Burgrechtes von 1526 die führende Rolle
zugesteht. Und erst als Freiburg kühn vorausgegangen war, am 25. Januar
1526, wagte auch am 7. Februar der Große Rat von Bern trotz Wider-
spruchs des Kleinen Rates, ganz wie in Freiburg, den Vertrag zu genehmigen.
Über die kühl berechneten Erwägungen der verantwortlichen Leiter der
auswärtigen Politik hatte an beiden Orten das ungestüme Drängen und
teilnahmsvolle Empfinden des Volkes gesiegt | Aber Freiburg kommt das
ungeschmälerte Verdienst der Initiative zu, und ihm verblieb auch die
militärische Führung des Unternehmens.
Die deutschen Texte sind im allgemeinen recht gut wiedergegeben ;
doch sollte zu besserer Lesbarkeit die Orthographie nach den üblichen
Normen vereinfacht werden. An einigen Stellen sind mir noch Lese- oder
Druckfehler aufgefallen. So sollte es S. 4ı in Anmerk. I « ver » statt « ved »
heißen ; ferner S. 61, Anmerk. 3, gegen Schluß « niendret » statt des sinn-
losen «mendret»; ebda. Anmerk. 4, Zeile 2, «den» statt «der» gutten
willen und gegen Schluß lies: «eher» statt «hurer». S. 79, Anmerk. z,
Zeile5: «erenn », statt airenn». S. 142, Zeile 3, ist « exporter » falsch über-
setzt für das deutsche « vergandten », d. h. vielmehr « mettre aux enchdres ».
5. 153, Anmerk. I, gegen Schluß sollte es heißen « under » statt « unden »
und auf der folgenden Zeile von «ihm » statt « hin » gelesen werden.
Die Zitate aus dem Berner Missivenbuche sollten stets im Original-
wortlaut statt in neuhochdeutscher Übertragung gebracht werden. Verfasser
könnte sich zwar für das von ihm eingeschlagene Verfahren auf die
Herausgeber der Eidgenössischen Abschiede berufen ; aber ich möchte sie
in dieser Hinsicht nicht als Vorbild gelten lassen. Daß sich Zürich, wie
Verf. auf S. 79 behauptet, im Jahre 1519 unter dem Einflusse Zwinglis
von der großen Politik zurückgezogen habe, ist nicht zutreffend, da es
bekanntlich noch immer dem päpstlichen Bündnis anhing und im Sommer
1521 allein von allen Orten dem Papste zur Verteidigung seines Territoriums
und ungeachtet der Opposition Zwinglis einen Aufbruch von 2000 Mann
bewilligte. Das Gasthaus zum Strauß (S. 140, Z. 5) ist bereits 1450 und
nicht erst 1492 nachweisbar, und zwar als Zunfthaus der welschen Kauf-
leute, vgl. meine Abhandlung über Freiburgs Bruch mit Österreich, Bei-
lage V. Auch ist es dem Verfasser entgangen, daß der Text des Burgrechtes
vom Jahre 1526 sich stark an denjenigen des Jahres 1477 anlehnt, worauf
schon Victor van Berchem im Jahrbuch für Schweizerische Geschichte XLV,
S. 79, hinweist. Doch sind alle diese Bemerkungen nicht von Belang
gegenüber den großen und unbestreitbaren Vorzügen, denn die Ab-
handlung ist eine hervorragende Leistung und verdient wegen umfassendster
Quellenforschung, streng kritischer Methode und ungemein gründlicher
und eindringlicher Verarbeitung alle Anerkennung. Wenn daran etwas aus-
zusetzen ist, so möchte ich höchstens die fast übergroße Einläßlichkeit
und Peinlichkeit dazu rechnen, welche Originale und Übersetzung von
Quellentexten zugleich bringt, wo das eine oder andere völlig genügen
würde und auch belanglose Zitate in den Quellen nicht übergehen zu dürfen
glaubt. Dagegen möchte ich dem Verfasser als großes Verdienst anrechnen,
— 23 —
daß er sich so große Mühe um Ermittlung von biographischen Angaben
machte und durch eingehendes Inhaltsverzeichnis und sorgfältiges Namen-
register das Nachschlagen bedeutend erleichtert und damit erst die ganze
Ausbeutung ermöglicht. Endlich darf die geschmackvolle und prächtige
Illustrierung durch Beigabe von 16 feinen, geschickt ausgewählten Licht-
drucktafeln nicht unerwähnt bleiben. Dem Verlag aber gebührt Dank
für die elegante Ausstattung und den sorgfältigen Druck. Der billige
Preis, der ohne finanzielle Unterstützung durch Kanton und die Städte
Bulle und Freiburg nicht denkbar gewesen wäre, ist auch ein Vorzug,
der die Anschaffung des Buches weiteren Kreisen gestattet.
Albert Bücht.
Benedikt Bury. Geschichte des Bistums Basel und seiner Bischöfe,
Solothurn 1927 (Selbstverlag), 565 S. 8°.
Das Buch erscheint auf das Zentenarium der Neuumschreibung des
Bistums Basel. Es dürfte aber kaum die Geschichte des Bistums Basel
sein. Dem Bedürfnis nach einer solchen wird durch sein Erscheinen nicht
abgeholfen. Schon deshalb nicht, weil es keine wissenschaftliche Arbeit
ist, nach des Verfassers Absicht keine sein soll. Es ist eine deutsche
Zusammenfassung, ein Auszug aus der zweibändigen « Histoire des Eve&ques
de Bäle » von Louis Vauthrey.
Vauthrey schrieb vor bald 50 Jahren. Er stützte sich neben eigenen
Forschungen, die er mit Bienenfleiß betrieb, auf Trouillats Urkunden-
sammlung, deren erster Band auch schon in den 5oer Jahren des vorigen
Jahrhunderts erschien. Seither hat die geschichtliche Forschung Fort-
schritte gemacht. Urkunden wurden herausgegeben, die auch für das
Bistum Basel von Wichtigkeit sind. So hätte Vauthreys Werk einer gründ-
lichen Neubearbeitung bedurft. Bury leistet sie nicht. Wohl zieht er
Wackernagels « Geschichte der Stadt Basel » heran, zitiert aus ihr, schreibt
sogar ab aus ihr 1, aber von einem Verarbeiten des gesamten neuen Materials
merkt man nicht viel. So haften dieser Geschichte die Mängel an, die man
bei Vauthrey heute rügt. Sie bleibt in der annalistischen Form der Dar-
stellung stecken und wird so zu einer chronologisch zusammenhängenden,
immerhin nicht vollständigen Materialsammlung. Sie bietet nicht ein Bild
des wirklichen historischen Geschehens. Sie zeigt uns nicht, wie das
Bistum Basel geworden ist. Da hätte gerade Wackernagel als Vorbild
dienen können.
«Das Verquicken der eigentlich historischen Darstellung mit Anmer-
kungen bibliographischer Art», wobei oft die Mühe um den Stoff etwa$
stark durchdrängt, hat Bury aus Vauthrey übernommen. Ebenso die
Eigenart, Urkunden mit dem ganzen Eingangs- und Schlußprotokoli
1 Oder was ist es denn anderes, wenn Stellen aus Wackernagel wörtlich
herübergenommen werden, ohne jedes Zeichen der Entlehnung (vergl. Wacher-
nagel 1. S. 33 und Bury S. 68/69).
anzuführen. Oft mit irrigen Folgerungen, die einen Mangel an historischer
Allgemeinbildung verraten. So z. B. wenn aus den «herrlichen Worten »
der invocatio einer mittelalterlichen Urkunde auf die Gesinnung und den
Charakter des Ausstellers zurückgeschlossen wird.
Wie die großen Geschehnisse des Abendlandes ihre Auswirkung auf
die Geschichte des Bistums Basel hatten, kommt nur bruchstückweise zum
Ausdruck. Die Kraftgestalten einzelner Bischöfe werden uns in keiner
Weise näher gebracht. Die lange Beschreibung z. B. des Kreuzzuges von
Bischof Heinrich von Horburg fördert die Darstellung in keiner Weise
und trägt zur Charakteristik des Bischofes so gut wie nichts bei. Wohl
aber hätte eine Darstellung seines Streites mit den Grafen von Homberg
diesen Basler Fürsten prächtig gezeichnet. Solche Beispiele ließen sich
mehren.
Und was erfahren wir dann über den Klerus, seine Bildung in den
verschiedenen Zeiten, sein Leben usw ? Wohl sind die Klosterniederlassungen
immer erwähnt. Aber vom geistigen und geistlichen Leben in diesen
Klöstern wird nichts gesagt. Gerade so wenig, wie vom liturgischen Leben
im Bistum : Feste, Andachten usw. Und doch ist all das von erstem
kirchengeschichtlichen Belang. Weit mehr als die vielen ausführlichen
Urkundenzitate. Das Gleiche gilt von den finanziellen Verhältnissen. All
das wird wohl da und dort gestreift, da und dort kurz erwähnt ; aber sich
über einer dieser Punkte ein Bild zu machen — z. B. für eine bestimmte
Zeit — ist unmöglich.
Auch das Verhältnis des Fürstbischofs zur Stadt Basel findet nicht
die gebührende Darstellung. Wie kann man z. B. schreiben, die Basler
hätten erst nach ihrem Eintritt in den Bund der Eidgenossen « nach und
nach die Gewalt des Bischofs abzuschütteln » gesucht ? Dabei hat man
schon früher über Streitigkeiten zwischen Bischof und Stadt berichtet
(vgl. S. 127).
In der Zeit der Glaubenserneuerung erfahren wir — um nur wieder bei
der Stadt Basel zu bleiben — nichts vom schwachen, aber zähen Wider-
stand der Katholiken mit ihren Führern, nichts vom langen Zögern des
Rates, nichts von dem heldenmütigen Verhalten der Kartäuser. Und all
das hätte auf den 560 Seiten Platz gefunden, hätte man Nebensächliches,
die Darstellung nicht Förderndes weggelassen.
Für die neue Zeit ist der Stoff ziemlich gut zusammengetragen, aber
nicht innerlich zu einer Darstellung verarbeitet. Der Altkatholizismus
wird überaus dürftig abgetan. Dafür sind Feierlichkeiten, z. B. beim Amts-
antritt eines neuen Bischofes, recht breit geschildert. Die Einführung des
römischen Rituale durch Bischof Haas hätte erwähnt werden müssen.
Wertvoll ist das Schlußkapitel mit den statistischen Angaben über den
heutigen Stand der Diözese. Ein Verzeichnis der historisch nachweisbaren
Bischöfe des Bistums Basel schließt den Band. Ein Register fehlt. Das
Inhaltsverzeichnis gibt die Kapitelüberschriften wieder, die kurz den
Inhalt des Kapitels anzeigen. Eine Anzahl Druckfehler wurde nicht
berichtigt. Die erste Predigerniederlassung in Basel datiert vom Jahre 1223
nicht 1233 (S. 59).
Es ist begreiflich, daß sich für das Buch kein Verleger fand. Es ist
eine Stoffsammlung für Vorträge, aber nicht die Geschichte des Bistums
Basel, die noch fehlt.
A. Breitenmoser.
Eoclesiastica. Annalen für zeitgenössische Kirchen- und Kulturkunde,
herausgegeben von der katholischen internationalen Presse-Agentur
Freiburg, Schweiz.
Diese von Dr. Ferdinand Rüegg redigierte Zeitschrift hat in den sieben
Jahrgängen, die nunmehr vollendet vorliegen, den Beweis geleistet, dad
sie je länger desto mehr eine wertvolle Fundgrube bildet für alle wichtigen
zeitgenössischen Vorgänge und Ereignisse, insbesondere durch Sammlung,
Registrierung und Wiedergabe von wichtigen Dokumenten und damit ein
unentbehrliches Hilfsmittel zur zeitgenössischen Kirchengeschichte, ganı
allgemein aber auch für katholische Politik, darum ebenso wertvoll für
Publizisten, Politiker, wie für den Historiker. Sorgfältige, von kundiger
Hand angelegte Personen- und Sachregister zeichnen diese Zeitschrift vor
allem vorteilhaft aus, machen sie zum bequemen Nachschlagewerk und
geben zugleich ein Bild von der Menge der Nachrichten und der Viel-
seitigkeit des Inhaltes !
4A. Büchi.
en nn nn nu nu nn nen nn nn
Fribourg. — Imp. de l'CEuvre de Saint-Paul. 28.
Zeitschrift oh,
” für
Schweizerische Kirchengeschichte.
Revue dHistire Ercisiastige Suisse.
eo
_ MERAUSGEGEBEN voN - PUBLIEE PAR
Aunerr. BÜCHı, Jon. Peter KIRSCH
°. ö. Professoren an der Universität Freiburg (Schweiz)
UND |
Louis WJEBER,
1
Chanoine, professeur au Grand Seminaire, Fribourg.
r
xX1. JAHRGANG, IV. HEFT. — 23” ANNEE, FASC. IV.
Erscheint viermal AED — Parait quatre fois par an.
Abonnementspreis : 8 Fr. — Prix de v abonnement : 8 Fr
ı
STANS 1928.
Hans von MATT, VERLAGSHANDLUNG.
a — :Sommaire.
K. E. Winter. : —_ Johann Jakob. Bichofen und die Romanik . . . .Agl
Hans Dommann. — Die Kirchenpolitik im ersten Jahrzehnt des neuen |
Bistums Basel (1828-1838) (Fortsetzung). ee 32
E. Schlumpf, Quellen zur Biographie der sel. Rachild. . - 2. . 284
P. Aebischer. — Etudiant du Pays de Vaud & ’Universite de Monspelir |
EI a ee ir, BEE a Be
Kleinere Beiträge. = Mölanges . .. . 2 22. ne 309
Rezensionen. — Comptes vondus . 22 nenn. 31a
_ GRÖSSERE BEITRÄGE, 20. TRAVAUX
welche für die nächsten Nummern que la Revue publiera
in Aussicht genommen wurden. ge LÜRRGCHE RE
Arnold Winkler, Desiereich und die Aargauer Kieleragere _ Rudolf Ä
Henggeler, Der Äbte- -Katalog von Fischingen, Rheinau und St. Gallen. —_
Fridolin Segmüller, Geschichte des Kollegs von Ascona. — L. Waeber, Lettres
de Rome, de Sebastien Werro (1590-1593). — Le.me&me, Un projet de la |
France de transferer & Soleure le siege &piscopal de Lausanne (1714). —
Georges Blondeau,, Tableaux d’autel, peints par Wyrsch. — H. Bastgen,
Vatikanische Aktienstücke zur Gründung des Jesuitenkollegs in’ Schwyz. Br
Scheiwiller, Ein St. Gallischer Kirchenstreit am Vorabend der Glaubensspaltung
i r
NB. — Alle für die Zeitschrift für schweiz. Kirchengeschichte bestimmten
Rezensionsexemplare sind an die Redaktion, Freiburg, zu adressieren. —
Tous les ouvrages destines A recevoir un compte rendu dans la Reue
d’Histoire ecclesiastique sı suisse onen Eetre en directement ä la Redacuon;
Fribourg. | | | = gi
m — —— —— ge — — en
Die Zeitschrift = LA REVUE
für Schweizerische Kirchengeschichte 'D’HISTOIRE ECCLESIASTIQUE SUISSE
erscheint 4 Mal jährlich. | parait par fascieules trimestriels.
Johann Jakob Bachofen und die
Romantik.
Von Dr. Ernst Kar WINTER (Wien).
Seit einigen Jahren gibt es so etwas wie eine Bachofen-Remmaissance,
stellenweise sogar einen Bachofen-Kultus. Bahnbrechend wirkten hiefür
die Studien und Editionen von Carl Albrecht Bernoulli (Basel), Alfred
Baeumler, Manfred Schroeter.! Das « Mutterrecht », dessen Kulmination
in Ethnologie und Soziologie längst hinter uns liegt, will Mode werden
im Bereiche der Religions- und Mythenforschung. Die Schweiz, die
Johann Jakob Bachofen (geb. 22. Dezember 1815, gest. 25. November
1887 zu Basel) hervorbrachte, beteiligt sich an dieser Wiederentdeckung
in besonderem Maße. Bernoulli, der Basler protestantische Theologe,
will Bachofen als «Religionsforscher » würdigen, seine «historische
Symbolpsychologie », wie er es nennt, neu beleben, und er widmet daher
! Von der neueren Bachofen-Literatur wären folgende Werke zu nennen:
Bernoulli, Johann Jakob Bachofen und das Natursymbol. Ein Würdigungs-
versuch. Basel 1924, Benno Schwabe, xxvI u. 697 S. ; Bernoulli, Johann Jakob
Bachofen als Religionsforscher, Frauenfeld und Leipzig 1924, Huber, 120 Seiten.
(37. Band der Sammlung : Die Schweiz im deutschen Geistesleben, hrg. v. Harry
Maync, Bern) ; Der Mythus von Orient und Occident. Eine Metaphysik der
alten Welt. Aus den Werken von J. J. Bachofen. Mit einer Einleitung (« Bach-
ofen, der Mythologe der Romantik ») von Baeumler, hrg. v. Schroeter, München
1926, C. H. Beck, ccxcıv u. 628 S.; Johann Jakob Bachofen, Urreligion und
antike Symbole. Systematisch angeordnete Auswahl aus seinen Werken in drei
Bänden, hrg. v. Bernoulli, Leipzig 1926, Philipp Reclam, Universal-Bibliothek,
512; 523; 524 Seiten; J. J. Bachofen, Versuch über die Gräbersymbolik der
Alten. Zweite, unveränderte Auflage. Mit einem Vorwort von Bernoulli und einer
Würdigung von Ludwig Klages. Basel 1925, Helbing und Lichtenhahn, 433 S.;
J. J. Bachofen, Das Iykische Volk und seine Bedeutung für die Entwicklung des
Altertums, hrg. v. Schroeter, Frauenfeld und Leipzig 1924, Huber, 110 S. (30. Band
der Sammlung : Die Schweiz im deutschen Geistesleben) ; J. J. Bachofen, Selbst-
biographie und Antrittsrede über das Naturrecht, hrg. u. eingeleitet v. Baeumler,
Halle a. S. 1927, Max Niemeyer, 66 S. (s. Band Neudrucke der Sammlung:
Philosophie und Geisteswissenschaften, hrg. v. Erich Rothacker) ; Johann Jakob
Bachofen, Mutterecht und Urreligion. Eine Auswahl, hrg. v. Rudolf Marz, Leipzig
1927, Alfred Kröner, 276 S.
REVUE D’HISTOIRE ECOLESIASTIQUE 16
— 242 —
seine Bachofen-Edition expressis verbis «allen Mitarbeitern an einer
allgemeinen überstaatlichen, völkerverbindenden Religionswissenschaft,
die im Verständnis für das Muttertum der menschlichen Urreligion
wurzelt ». |
Wenn in den folgenden Darlegungen dem Bachofen-Problem näher-
getreten wird, so nicht vom soziologischen Standpunkt, wie ich es in
einer Studie in der «Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft »
versuche !, sondern vom kuliurhistorischen Standpunkt. Es handelt sich
darum, die Rolle Bachofens im Rahmen der Romantik klarzustellen
und in Verbindung damit den Kulturwert seines Muttergedankens für
die Gegenwart, soweit die Religions- und Geistesgeschichte der Schweiz
solches erheischt.
Bernoulli und Baeumler haben die Zugehörigkeit Bachofens zur
Romantik behauptet. Nach Bernoulli? «verfiel» zwar Bachofen —
ebenso wie Karl Friedrich von Savigny, der Empfänger seiner Selbst |
biographie in Briefform (1854) — der Romantik «nie eigentlich », « weil
er wie dieser ein klarer Kopf war und scharf zu denken verstand:
‘ Doch ist die Antrittsrede über das Naturrecht eine «echt romantische
Kriegsfanfare » und ihr Verfasser, besonders in seiner Stellung zum
Christentum, ein «echter Sohn und Erbe der Romantik ». In einer
späteren Zusammenfassung ® wird Bachofen sogar «in mehr als einer
Hinsicht ihr (der Romantik) wichtigster Erbe» genannt und seine
Selbstbiographie «als ein bemerkenswertes Beispiel spätromantischer
Denkweise » bezeichnet. Doch ist Bachofens « Anhängerschaft an die
Romantik » für Bernoulli immerhin mehr «eine mittelbare und ab- |
geleitete». «Das romantische Teil seines Werkes liegt eben mehr in
der Färbung, die es von der Zeitströmung erhielt, als in dem Kem
selbst, aus dem es erwuchs. Dieses Samenkorn ist aus weit größeren
Zeitfernen ihm ins Herz gesenkt worden, und zwar genau eben daher,
von wo es auch in die Furche der Romantik sank, — aus einem wesens-
verwandten Zugehörigkeitsgefühl zu den Geheimnissen der antiken
Seele. Sowar Bachofen der Romantik mehr ein blutsechter Vetter als ein
aus ihrem Schoße hervorgegangener Sohn. » Und Bernoulli, der das
Kennzeichnende bei Bachofen in den «Schauungen » sieht, «die hoch über
bloßen Kenntnissen standen, dank dem warmen, strengen Erlebniston,
1 Johann Jakob Bachofens Methode der Sozialforschung, Zeitschrift für die
gesamte Staatswissenschaft, 1928 (im Erscheinen).
®2 Natursymbol, 20, 30, 33 f.
9 Religionsforscher, 14 fl.
nn
der darauf lag »!, der Bachofens « Mystizismus » feiert ?, durch den das
« Ungenügen » der Historie wie der Archäologie zur Ergänzung kam,
steht nicht an als das Bachofen und der Romantik Gemeinsame zu
bezeichnen, «ein unverkennbares Mißtrauen gegen vernünftige Maß-
stäbe und eine dadurch bedingte Hinwendung zu den en
und mystischen Phänomenen ». 3
Eingehender und konsequenter faßt Baeumler * das Problem an.
Seine literarhistorischen Analysen der verschiedenen romantischen
Schulen, der Görres und Creuzer, Savigny und Grimm, K. O. Müller
und Ranke, welch letzteren er den « Historiker der Romantik » nennt,
führen ihn dahin, von einem « Doppelwesen der Romantik » zu sprechen
und die literarische von der religiösen Romantik, Jena von Heidelberg
zu trennen. « Die religiöse Romantik », so schreibt er ®, « beginnt mit
Görres und den Brüdern Grimm, nicht mit Fr. Schlegel und A. H. Müllers
Konversion. .... Zwischen Schlegel und Görres liegt eine Kluft, die
weit tiefer ist als die zwischen Winckelmann und Schlegel.» «Die
Jenaer Romantik, heißt es weiter, ist die Euthanasie des Rokoko. ....
Auflösung ist die geistige Signatur der Romantik. .... Daß die
Romantik von Jena ein Ende ist, ersieht man am besten aus dem
symbolischen Lebenslauf Friedrich Schlegels. Seine Konversion ist nicht
die Erfüllung der Romantik, sondern ein Ausdruck der Rastlosigkeit :
der geistige Führer einer «Bewegung », die nur scheinbar eine war,
sucht, von der Zeit auf den Sand gesetzt, Halt auf dem uralten Fels
der Kirche. »
Durch diese Gegenüberstellung, die den «beiden berühmten poli-
tischen Romantikern » Schlegel und Müller das Epitheton « romantisch »
entziehen möchte, wurde «der in heilloser Verwirrung liegende Begriff
der Romantik » kaum wie erwünscht einer Klärung nähergebracht.
Im Gegenteil, die Sache liegt womöglich noch trostloser wie früher. Es
ist schließlich Geschmackssache, was ich «Romantik » nenne. Doch
muß sich, wer immer diesen Begriff gebraucht, seiner Vieldeutigkeit
bewußt bleiben. Die Kontroversen, welche die Romantiker miteinander
führten, machen es relativ leicht, von welchem Romantiker ich eben
herkomme, in dessen romantischem System die Norm des Romantischen
I Natursymbol, 68.
3 Ebd. 79 fl.
® Religionsforscher, 19.
% Orient und Occident, Einl. 93 #f.
5 Ebd. 166 fi.
— 24 —
schlechthin zu finden. Dieses Schachspiel, das die eine Gruppe Roman-
tiker gegen die benachbarte setzt, bleibt in seinen Ergebnissen immer
etwas problematisches. Wer seinen Lieblingsromantiker zum einzig-
gültigen Maßstab macht, der findet leicht eine neue Romantiktheorie.
Wenn Baeumler die Begriffsverwirrung, die das Bild der Romantik
beherrscht, «aus einer einseitigen, literargeschichtlichen Einstellung »
erklärt, «die nur Biographien und Werke, nicht Epochen kennt », so
muß man zweifeln, ob er selbst die Geistesstruktur der Epoche vor
lauter Einzelgeistern sieht. Wer Bachofen in den einzelnen Romantikem
und sonstigen Zeitgenossen sucht, der findet eben immer nur Bach-
ofen und niemals die Romantik. So kommt es, daß Bachofen neuestens
sogar von Baeumler ! mit K. L. v. Haller zusammengestellt wird, wie von
Bernoulli ® schon früher mit Numa Denis Fustel de Coulanges. ? Bestehen
freilich diese Gleichsetzungen zu Recht, dann wären bei einigem Bemühen
doch wohl auch noch Fr. Schlegel und A. H. Müller in eine Linie mit
Bachofen zu bringen, und Baeumler hätte nicht davor zurückscheuen
müssen, dem reifen Görres zu begegnen, dem Verfasser ebenso kühner,
konstruktiver, wie phantasievoller, elementarer Werke *, die Baeumler
nicht zum Vergleiche heranzieht. Es ist einer der schwersten Mängel
der Baeumlerschen Untersuchung, daß sie, wiewohl sie gerade Görres
so große Bedeutung beimißt, bloß die erste Lebenshälfte des Mannes
kennt und sein Reifen, das nicht minder ein Symbol der Epoche ist,
nicht sehen will.5 Denn gerade dieses Reifen von Görres, Fr. Schlegel,
A. H. Müller, die Baeumler sämtliche viel zu wenig kennt, um seine
Urteile wirklich aufrecht erhalten zu können, läßt die daternale und
maskuline Struktur der Romantik erkennen, das Streben der besten
und ernstesten Romantiker eine gewisse Phantastik zu überwinden,
einen gewissen Mystizismus abzuklären, während gerade Bachofen das
typische Bild des Steckenbleibens in infantilen und femininen Ent-
wicklungsformen des Lebens bietet, Formen, die gewiß viele, wenn nicht
die meisten Romantiker einmal erlebt haben, durch die sie aber
hindurchgeschritten sind. Es ist ein methodologisches Hauptgebrechen
I Selbstbiographie, ed. Baeumler, 4 fi.
% Natursymbol, 170 ff.
® Der antike Staat, deutsch v. Paul Weiß, Berlin und Leipzig 1907.
* Die Völkertafel des Pentateuch : Die Japhetiden und ihr Auszug aus
Armenien, Regensburg 1845 ; Die drei Grundwurzeln des celtischen Stammes in
Gallien und ihre Einwanderung, Münchner Abhandlungen, 1845-46, IV./2-3-
5 Vgl. meine Görres-Studie, Schönere Zukunft, 1924-25, Nr. 17/18.
— 2435 —
Baeumlers, diesen Prozeß, der namentlich bei Görres und A. H. Müller
offen zutage liegt, nicht berücksichtigt und die Entwicklungshemmung
Bachofens nicht daran gemessen zu haben.
Den Romantik-Konstruktionen, wie sie sich schon in der Kontro-
verse Carl Schmitis mit der Wiener Schule Spann-Baxa und neuestens
ın der Bachofen-Literatur bemerkbar machen, muß, wie es in dieser
Zeitschrift bereits geschehen ist!, immer wieder entgegengehalten
werden, daB zwei große historische Ströme romantischen Geistes unter-
schieden werden müssen. Die Opposition des XIX. Jahrhunderts gegen
das XVIII., speziell gegen dessen revolutionären Exitus, offenbart sich
in einer doppelten Gestalt. Wir können eine sädwestliche, romanische
Romantik und eine z#ordöstliche, deutsch-slavische, «ostelbische »
Romantik unterscheiden, eine, die mit dem Begriff der Romanitas
zusammenhängt, mit Form und Maß, mit luciditas und liquiditas, weil
sie in Kontinuität steht mit dem klassischen Barocco, speziell innerhalb
des österreichischen und des französischen Kulturkreises, und eine andere,
vielfach entgegengesetzte und nur in formaler Hinsicht verwandte
Romantik, die das Romanhafte, Phantastische, Gestaltlose, Genialische
repräsentiert, das freilich oft Impulse enthält, die sonst fehlen. Mittel-
europa bildete die Kreuzungsfläche beider Kulturerscheinungen, be-
sonders Wien und Berlin standen widereinander, hier die Romantik um
St. Klemens Maria Hofbauer, dort die des «deutschen Idealismus »
(Fichte, Schelling, Hegel). Die Funktion des österreichischen Kultur-
kreises war dabei stets die der engen Verknüpfung romanischer Klassik
und germanisch-slavischer Romantik, und diese Synthese kennzeichnet
den Begriff der österreichischen Romantik.* Daß die Schweiz in diesem
Prozeß des europäischen Geistes ebendieselbe Mission hat und daß die
Impulse, die Österreich bestimmten, zum Teil von der Schweiz ver-
mittelt wurden, konnten bereits mehrere Studien in dieser Zeitschrift
betonen. ® Man muß Bachofen, soll seine Stellung zur Romantik klar-
gelegt werden, in diese Erkenntnisse eingliedern.
! Vgl. meine Romantik-Studie in dieser Zeitschrift, 1927, 81-102.
? Vgl. meine Artikel in der neuen Auflage des Staatslexikons der Görres-
Gesellschaft, besonders Abel, Brunner, Gruscha, Hofbauer, sowie meine Rezension
des Jarcke-Buches von Frieda Peters (1926) in der « Zeitschrift für die gesamte
Staatswissenschaft », 1927, 83, 168 ff.
® Vgl. meine Studien über P. Dießbach S.]J. in dieser Zeitschrift (1924),
dazu nunmehr Mgr. Jaquet in «La Semaine Catholique » (1927, 56, 469 fl.), ferner
über P. Efinger O.S.B., ebenfalls in dieser Zeitschrift (1925), sowie über Berol-
dingen in der « Zeitschrift für Schweiz. Geschichte » (1925).
— 246 —
Der Fehler, den Bernoulli und Bacumler beim Vergleiche Bachofens
mit Fustel de Coulanges und Haller begehen, ist darin zu suchen, da
sie aus der Tatsache, daß beide Teile bestimmte Probleme formal ın
gleicher Weise stellen und behandeln, eine materiale Parallele erschließen,
wiewohl die Resultate beider Richtungen, das Moment, worauf es ım
letzten Grunde ankommt, so sehr differieren, daß eher von elementaren
Gegensätzen statt von Parallelen die Rede sein sollte. So konstatiert
Bernoullii!, daß Bachofen und Fustel de Coulanges in folgenden drei
Punkten Verwandtschaft zeigen : sie gehen beide aus « vom religiösen
Kult als der sichersten Quelle zur Erforschung der Staatseinrichtungen »,
sie sind beide einig «in der Benützung einer historischen Sozialtheone
mit verwandtschaftlichen Ursprüngen zum Leitgedanken », sie sind
endlich beide durchdrungen « von der starken inneren Ertragsfähigkeit
echter Quellen». Diese drei formalen Momente, nämlich die grund-
sätzliche Herleitung der Staatscinrichtungen von der Religion und vom
Kult, die Bezugsetzung des Staates zur Familie und zum Verhältnis
der beiden Geschlechter, endlich eine starke Kritiklosigkeit und
Quellengläubigkeit, dies wiegt für Bernoulli so schwer, daß er die
maleriale Gegensätzlichkeit des « Mutterrechtes » zur «Cite antique».,
die bekanntlich das Vaterrecht in die Mitte der historischen Betrachtung
rückt und dieselben Komplexe, die Bachofen maternal deutet, selbst
paternal sieht, gering anschlägt. Die «innere Eintracht ihrer in der
Erklärungsrichtung sich strikte entgegenlaufenden Auffassungen »
scheint ihm gewaltig genug, um behaupten zu können, Bachofen und
Fustel de Coulanges hätten, wiewohl «äußerste Antipoden in theore-
tischer Hinsicht », «freilich auf getrennten Schienensträngen, dieser
väterlich, jener mütterlich, denselben Weg befahren ».
Dieselbe Geringschätzung der inhaltlichen Gesichtspunkte und ein-
seitige Vergleichung nach der formalen Verfahrensweise betätigt
Bacıumiler 2, wenn er Bachofen mit Haller konfrontiert. « Bachofen sucht
den Inhalt aller menschlichen Verhältnisse aus dem Geschlecht, au‘
den Urtatsachen des Zeugens und Geborenwerdens abzuleiten. .... E
ist etwas primitiv Rücksichtsloses in der Art, in der Bachofen alles
zu dem Unterschied des Männlichen und des Weiblichen in Beziehung
setzt. ..... Eine ähnliche Primitivität ist Haller eigen, der sein ganz>
Werk hindurch den Gedanken, daß alle gesellschaftlichen Verhältniss
8 Natursymbol, 170 fl.
® Selbstbiographie, ed. Baeuniler, 4 ff.
in der natürlichen Überlegenheit des einen Menschen über einen anderen
ihren Ursprung haben, mit einer eintönigen Wucht ohnegleichen ab-
handelt. » Genauer wäre zu sagen, daß Haller, ebenso wie Görres oder
A. H. Müller, von der Familie als der Keimzelle der Sozietät ausgeht,
und daß die formalen Beziehungen Bachofens zu ihnen daher eigentlich
noch intimere sind, als Baeumler hier voraussetzt. Daß dabei Hallers
Einstellung paternal ist, nicht maternal, wie die Denkweise Bachofens,
hält Baeumler übrigens für einen Gegensatz Hallers zur Romantik.
Wer lediglich in einer Verfahrensweise, welche die politischen und
ökonomischen Komplexe der Geschichte religiös und mythologisch
deutet, das Kriterium der Romantik sieht, ferner in einer Quellen-
gläubigkeit, die in den historischen Quellen Offenbarungen des Genius
einer Epoche verehrt, daran Kritik zu üben Profanierung wäre, der
kann ruhig die Gleichsetzungen Bachofens mit Haller und Fustel de
Coulanges vollziehen. Es ist dann freilich nicht recht einzusehen, warum
nicht Fr. Schlegel, A. H. Müller, der reife Görres, die sämtliche im Fort-
schritte des Denkens immer mehr in die Nähe Hallers und der
«romanischen Restaurationsphilosophie » rückten, der wieder Fustel de
Coulanges nahestand, warum nicht auch diese mit Bachofen verglichen
werden könnten. Es wird der Begriff der Romantik dann eben ein
formaler, in den die widersprechendsten Inhalte zu gießen sind. Was
dabei gewonnen werden soll, ist nicht einzusehen. Ehrlicher und sach-
licher wäre es, einzugestehen, daß man Bachofen in der Romantik sucht,
nicht den historischen Sinn der romantischen Epoche selbst. Denn
dieser ist, was die Materie des Denkens betrifft, sowohl in den charakte-
ristischen romanischen Formen (Bonald, De Maistre, Donoso Cortes,
Haller) wie in den mitteleuropäischen, die sich in der romanischen
Richtung entwickelten (A. H. Müller, Görres), ein durch und durch
daternaler.
Schon Casımir von Kelles-Krauz!, einer der ersten Bachofen-
Biographen, hat, woran Bernoulli erinnert ?, darauf verwiesen, daß die
malernale Denkrichtung im Geiste des sentimentalen Rousseauismus tief
begründet liegt und Bachofen in der maternalen Deutung der mensch-
lichen Frühgeschichte eine Reihe von Vorgängern besitzt. Die Romantik
hat sich in elementarer Form gegen den Rousseauismus erhoben und sich
sogar gegen die prärousseauschen, semirousseauschen Formen des Staats-
! Die neue Zeit, 1901-02, XX./l. 517 ft.
! Natursymbol, 146 f.
— 28 —
denkens gewandt, wie sie besonders in der swarezianischen Scholastik
enthalten sind. Hier klafftt somit das Denken Bachofens und der
Romantik weit auseinander. Es ist bisher noch keinem Bachofen-
Forscher in den Sinn gekommen, das Mutterrecht mit den Naturstands-
theorien des XVIII. Jahrhunderts zu vergleichen. Ein solcher Vergleich
würde ergeben, daß Bachofen ebenso mit dem Rousseauismus und
Suarezianismus zusammenhängt, wie die Romantik mit der paternalen
Staatstheorie des Barocco. Ein offensichtlicher Vorläufer Bachofens,
von dem noch festgestellt werden müßte, ob ihn der Verfasser des
« Mutterrechtes » nicht vielleicht gekannt und benützt hat, der jeden-
falls die frappierendsten Ähnlichkeiten mit Bachofen zeigt, P. Joseph-
Francois Lafıtau S.]J. in seinen «Maurs des sauvages americains,
compar&es aux maeurs des premiers temps » (Paris 1724), befolgt nicht
nur dieselbe Methode wie Bachofen (kritiklose Kompilation der antiken
Quellen, naiv realistische Deutung der historischen und mythologischen
Komplexe, Konfrontation der antiken und ethnologischen Quellen
zwecks wechselseitiger Erhellung), sondern erhebt sich ebenfalls zu
dithyrambischer Schilderung der Gynaikokratie, welchen Begriff er
ebenso wie Bachofen den klassischen Quellen (Strabo) entlehnt. So
schildert Lafitau das Mutterecht der Irokesen und Huronen, das er
mit dem der Lykier vergleicht, wie folgt : « Rien n’est cependant plus
reel que cette superiorite des femmes. C’est dans les femmes que con-
siste proprement la nation, la noblesse du sang, l’arbre genealogique,
l’ordre des generations et de la conservation des familles. C’est en elles
que reside toute l’autorite reelle ; le pays, les champs et toutes leurs
recoltes leur appartiennent. Elles sont l’Ame des conseils, les arbitres
de la paix et de la guerre ; elles conservent le fisc ou le tr&sor public;
c’est a elles qu’on donne les esclaves ; elles font les mariages ; les enfants
sont de leur domaine, et c’est dans leur sang qu’est fonde l’ordre de
la succession. Les hommes, au contraire, sont entierement isoles et
bornes a eux-memes. Leurs enfants leur sont &trangers. Avec eux tout
perit ; une femme seule releve la cabane, mais s’iln’y a que des hommes
dans cette cabane en quelque nombre qu’ils soient, quelque nombre
d’enfants qu’ils aient, leur famille s’eteint ; et quoique, par honneur,
on choisisse parmi eux les chefs, que les affaires soient traitdes par le
conseil des anciens, ils ne travaillent pas pour eux-m&mes, il semble
qu’ils ne soient que pour representer et pour aider les femmes dans les
choses oü la biens&ance ne permet pas qu’elles paraissent et qu’elles
agissent. » Diese klassischen Sätze, die ebenso gut Bachofen geschrieben
—— -
haben könnte und die die Verwandtschaft seines « Mutterrechtes » nicht
mit der Romantik, sondern mit den Naturvölkertheorien des XVIII. Jahr-
hunderts ad oculos demonstrieren, sind ein Fingerzeig, wie notwendig
es wäre, der vorromantischen Wurzel des Bachofenschen Gedanken-
gutes einmal ernsthaft nachzuspüren. Eine Schule der neueren Ethno-
logie, die sogenannte «Kulturkreislehre »„ wie sie Schmidt-Koppers
repräsentieren, bietet in ihrem Hauptwerk « Gesellschaft und Wirtschaft
der Völker »1, dem ich den ersten Hinweis auf Lafitau verdanke ?, eine
charakteristische Verbindung Bachofenscher und Lafitauscher Lehren,
die ebenfalls kaum etwas von der paternalen Bedeutung des sozialen
Kosmos weiß.
Bernoulli ® weist ferner flüchtig darauf hin, daß Bachofens Mutter-
rechtstheorie von seinem Göttinger Lehrer Gustav Hugo (1764-1844)
herrühren könnte, dessen « vorsavignyischer Standpunkt » eine Brücke
bildet vom XVIII. Jahrhundert zur « historischen Rechtsschule ». Den
Begriff des Mutterrechtes als eines rechtshistorischen Gegenstandes,
Statt eines religionsgeschichtlichen und metaphysischen, habe Bachofen
«jedenfalls einst in dem juristischen Kolleg zu Göttingen in sich auf-
genommen ». Sieht man näher zu, dann repräsentiert sich Hugo nicht
bloß als der flüchtige Anreger, sondern in der Tat als der eigentliche
aVater des Mutterrechtes» und wir erkennen neuerdings, wie fest und
tief dasselbe im Boden des XVIII. Jahrhunderts wurzelt. Hugo ist
Sarkastischer Gegner der Monogamie und der Paternität ; seine Einstellung
ist charakteristisch maternal. Der Geist, der Bachofens Mutterrecht
grundgelegt hat, kommt klassisch in einer nach Hugos skeptischer
Weise halb ernsten, halb spöttischen Stelle zum Ausdruck, die ein Motto
abgeben könnte für Bachofens soziologisches Lebenswerk. Es heißt
in Hugos « Lehrbuch des Naturrechts als einer Philosophie des positiven
Rechts»*: «Da durch die Ehe .... die Freiheit und Gleichheit der
Menschen so sehr eingeschränkt wird, da sie zu einer Handlung, welche
ihrer Natur nach ganz freiwillig sein muß, .... Zwang mischt, im
Gegenteil aber allen Reiz der Neuheit und Abwechslung verbietet, da
sie einen Menschen an den andern fesselt, von dem er in der Organisation,
1 Vgl. meine Rezension in der Studie « Die historische Ethnologie und die
Sozialwissenschaften » in der « Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft »
(1927, 82, 457-511).
® Gesellschaft und Wissenschaft, 268.
: Natursymbol, 33, 147, ebenso Baeumler, Orient und Occident, Einl. 137 f.
* Berlin 1798, ı. Auflage, 62 ff., 75 fl.
— 250 —
in der Erziehung, in den Neigungen so sehr abweicht, den er noch nicht
ganz kennt, der sich nachher immer ändert, und der wenigstens die
Vergleichung mit einem andern nachher aufgefundenen und durch jene
Verbindung getrennten oft nicht aushält, .... da sie ferner dasjenige
organisierende Wesen, welches dabei am meisten tut und leidet (die Frau)
selbst und mit den Kindern dem andern unterwirft, das nur mehr Stärke
hat, — so ist es zu verwundern, daß noch niemand bewiesen hat, die Ehe
könne nicht positives Recht sein, weil sie ja dem Naturrecht offenbar
widerspreche. Und dies alles um der Paternıtat willen ? Ist es nicht
Egoismus, der uns einen Unterschied zwischen den Kinder, deren
Vater man zu sein glaubt und zwischen den übrigen Kindern des
Staates machen lehrt ? Und ließe sich nicht selbst die Gewißheit der
Paternität ohne Ehe erreichen ? .... Verdiente nicht wenigstens eım
Verbindung mehrerer Männer mit mehreren Weibern den Vorzug, damit
auch der Tod der natürlichen Eltern die Kinder nicht zu Wäaisen
mache ?» Ebenso heißt es von der väterlichen Gewalt, daß sie «der
natürlichen Freiheit und Gleichheit aller Menschen zuwider sei und
noch Spuren ihres ersten Ursprunges aus der physischen Übermacht
an sich trage, welche bei einem vollkommenen rechtlichen Zustande
vertilgt werden müßten ». Die Vaterschaft und väterliche Gewalt wird
ein «unnatürliches Verhältnis » genannt, denn besser sorge der Staat
für die Nachkommenschaft. Es heißt hier: «Ein vernünftiges Wesen
wird dem andern unterworfen, sein Recht, nach eigener Überzeugung
zu handeln und Pflichten zu erfüllen, durch die Willkür von diesem
beschränkt. .... Der Jüngere wird dem Älteren unterworfen, und
dadurch das von vielen behauptete Fortschreiten der Menschheit zur
Vervollkommnung geradezu aufgehalten. Und wenn dabei noch auf
persönliche Fähigkeit gesehen würde ! Aber ein bloßer Zufall, eine
Handlung, bei welcher (wenn sie auch dem positiven Rechte zu Ehren.
für wahr und wirklich angenommen wird, da sie doch auch in dieser
Rücksicht mit den Bemühungen der Mutter oder der Amme nicht verglichen
werden Rann), meist nur die Sinnlichkeit gewirkt hat, gibt dem
dümmsten und boshaftesten Menschen Vaterrechte über den genie
vollsten und edelsten Sohn. » Ebenso wird in der « juristischen Anthro-
pologie » der zweiten Auflage ! das Problem behandelt. Programmatisch
heißt es von der Ehe, daß in dieser Materie die « Philosophie des positiven
Rechts » nicht anders als «angriffsweise zu Werke gehen » könne.
! Ebd. 1799, 183, 189. Baeumler (a. a. O.) zitiert die 4. Aufl. (1819).
— 2531 —
Hugo schlägt mehr oder weniger verblümt die Abschaffung der Ehe vor.
«Daß damit die Paternität wegfiele, .... ist nicht zu leugnen ; allein,
ist denn die Paternität .... auch an sich so was unentbehrliches, als
sie uns jetzt scheinen kann ?» Wir müssen zu diesen Sätzen bloß die
Sprache der Romantiker halten, eines K. L. Haller, A. H. Müller,
Görres, Jarcke, um sowohl den abgrundtiefen Abstand wahrzunehmen,
der diese Welt des XVIII. Jahrhunderts, der Bachofen entstammt,
von der Romantik trennt, als auch einzusehen, vor welcher Barbarei
des Denkens die Romantik das XIX. Jahrhundert bewahrt hat. Man
vergleiche das soziale Ethos, das in den Bekenntnissen P. Dießbachs
zur Gesellschaft Jesu (1790), Beroldingens zum römischen Reich (1792),
P. Efingers zur vorrevolutionären Sozialordnung (1798-99) liegt, mit
diesen gleichzeitigen Kundgebungen eines führenden und schulbildenden
deutschländischen Rechtslehrers (1798-99), und man wird erkennen
nicht nur woher die Romantik stammt, nämlich die Romantik als eine
positive, die kulturelle Kontinuität Europas sichernde Geistesbewegung,
sondern auch gegen wen sie sich richtete und wer sie in ihrer Wirksamkeit
behinderte.
Erhellt aus diesen Vergleichen, daß Bachofens maternale Kultur-
soziologie ebenso der Romantik wie dem Barocco widerspricht, dafür
aber typisches XVIII. Jahrhundert ist, so fragt es sich, worin etwa
sonst Bachofens romantische Orientierung bestanden habe.
Eine von Bernoulli wie Baeumler nicht genügend in Betracht
gezogene Form romantischen Denkens bei Bachofen ist seine konser-
valive politische und seine romanistische kulturelle Einstellung. Beide
Momente belegen die Selbstbiographie. Italien und Frankreich ver-
mittelten Bachofens Bildung. Rom und Hellas blieben ein Leben lang
seine wissenschaftliche Liebe. «Es hängt an den Mauern Roms etwas,
das das Tiefste im Menschen aufregt », schreibt er an Savigny. ® Diese
Haltung teilt Bachofen mit den Schweizer Romantikern. Ebenso ist die
konservative Politik, der er huldigt, in entscheidenden Punkten
romantisch. In der Selbstbiographie berichtet Bachofen vom « Sonder-
bundssturm ». 3 Er nahm an der entscheidenden Landsgemeinde am
Roten Turm teil und veröffentlichte eine Beschreibung derselben in der
“Basler Zeitung ». Nach wie vor, erblickte er «in der Konföderation
der 22 Kantone die einzige Form, welche mit Wahrheit und nicht bloß
I Vgl. die S. 245, Anm. 3 genannten Studien.
* Selbstbiographie, ed. Baeumler, 32.
3 Ebd. 35 ft.
— 252 —
zum Scheine bestehen kann, in der die Kraft und das Mark des Landes
ruht, und mit welcher die guten und biedern Eigenschaften des
Schweizer Volkes aufs innigste zusammenhängen ». «Seit dem Siege von
Luzern », so schreibt er, «hat sich die Lehre von der Volkssouveranilat
und der Allgewalt der Demokratie zur praktischen Grundlage unserer
öffentlichen Zustände ausgebildet. .... Aber vollendete Demokratie
ist der Untergang alles Guten. Republiken haben von ihr am meisten
zu fürchten. Ich zittere vor ihrer Ausbildung, nicht um Hab und Gut
willen, sondern weil sie uns in die Barbarei zurückwirft. Die Lehre
von der Volkssouveränität steht meinen tiefsten geschichtlichen und
religiösen Überzeugungen entgegen. Nicht, daß ich das Volk verachte
oder gar vor der Berührung mit ihm aus Ekel zurückbebte, — all das
Elend, dem es unterliegt, würde ihm eher mein Herz gewinnen. Nein,
weil ich eine höhere Weltordnung anerkenne, der allein die Souveränität
und Majestät zukommen kann. Aus dieser höhern Weltordnung stammt
die obrigkeitliche Gewalt. Sie ist das Amt Gottes, so lautet die römisch-
heidnische sowohl als die christliche Lehre. Auch Richteramt ist von
Gott, und der es übt, übt ein Recht höhern Ursprungs. Das Amt habe
ich von Gott, nur die Berufung dazu stammt mir vom Volke. ....
Darin nun findet die heutige Demokratie ihre Verdammung, daß sie
den göttlichen Charakter der Obrigkeit vernichtet und die göttliche
Staatsordnung in allen Stücken verweltlicht. .... Denn das ist der
Fluch der Demokratie, daß sie ihre Verwüstungen in alle Gebiete des
Lebens hineinträgt, Kirche, Haus und Familie gerade am schwersten
ergreift, und für jede, auch die kleinste Frage den wahren Standpunkt
verrückt. Weil ich die Freiheit liebe, so hasse ich die Demokratie. »
So konservativ und romantisch diese politischen Sätze sind, so
eklatant stehen sie, wie Bernoulli! betont, in Widerspruch zu Bachofens
kultursoziologischer Grundkonzeption, in der das Naturrecht der Freiheit
und Gleichheil 2 eine so hervorragende Rolle spielt. Bernoulli will
Bachofens « Legitimistenallüren », seine «geradezu theokratische Be-
tonung, z. B. des Richteramtes », die « politische Absonderung » und
«starre Unerbittlichkeit seiner privatmännischen Staatsanschauung >
nicht verteidigen, doch ist dies nach ihm bloß « der Mantel, den Bachofen
trägt, das Zeitkostüm, in welchem er sein eigentliches Gut birgt».
Diese « Zeitgebundenheit, eben die romantische Abwehr neuzeitlicher
I Urreligion, III, ıı ff.
®2 Ebd. II, 393 ff., 402 fl.
Wandlung » dürfe man nicht für die Quelle seiner Triebkraft halten.
«Der dämonische Träger seherischer Einsichten ist er außerhalb jeder
politischen Färbung durch seine realsymbolische, erscheinungswirkliche
Auffassung der Antike geworden. » Und mit Recht fährt Bernoulli
fort: «Einer primären Schicht kann sein radikaler Konservatismus
schon deshalb nicht angehören, weil er ja viel zuviel von den diskredi-
tierten Kulturkräften selber enthält, und Bachofens Weltanschauung
eine Befreitheit von autoritären Bindungen, eine Souveränität des
natürlichen Wesens, ein Vorrecht instinktiver Triebhaftigkeit voraus-
setzt, die von der patrizischen Lebenshaltung nur eben mit dünner
Kruste übertüncht wird. » «Der Verächter der Revolutionslosung lebt
eben doch in Freiheit und Gleichheit als in den menschlichen Ursprungs-
forderungen. .... Wie darf er nur die Demokratie mit solcher Härte
schelten, da es ja ihre historischen Wurzeln sind, was er als die wahren
Segnungen des Staatslebens preist. »
Die Liebe zur Heimat, die Bachofen dazu trieb, sich in seinen
Studienjahren mit der Schweizer Geschichte zu befassen 1, war es auch,
die ihn in die Antike führte. « Übersetzter Patriotismus », wie es
Bernoulli 2 nennt, ließ ihn Lykien finden, und in diesem Land, das ihm
eine anlike Schweiz zu sein schien, das «Mutterrecht », von dem
Herodot berichtet. «Ohne die Beachtung der Landesplastik, schreibt
er®, kann kein Volk je Verständnis finden. Wer vermöchte schweize-
rischen Geist, schweizerische Sitten und Geschichte getrennt von der
Natur der schweizerischen Landschaften sich zu denken ? Unter den
! Exzerpte aus Manuskripten des Britischen Museums, die Bachofen im
Jahre 1840 sammelte, erwähnt die Selbstbiographie (ed. Baeumler, 21 f.) : « Äußerst
merkwürdige Briefe britischer Gesandter aus dem Anfange des XVI. Jahrhunderts
über die Italienischen Schweizerkriege, die Schlachten von Novara, an der Bicocca,
von Marignano, Schreiben der Herzöge Sforza und an dieselben, des berühmten
Kardinals Schiner, andere, welche Franz I., seine Unternehmungen in Italien,
seine Gefangenschaft betreffen, kurz eine große Mannigfaltigkeit merkwürdiger
Dokumente aus jener so merkwürdigen Zeit, in welcher schweizerische Freischaren
ihrem Vaterlande, in der Lombardei eine große gemeine Herrschaft zu erobern
Lust und Kraft genug zeigten, fiel damals zufälligerweise in meine Hände. Ich
nahm ein genaues Verzeichnis und Abschrift der merkwürdigsten Stücke. ....
Jetzt dient sie dem schweizerischen Geschichtsschreiber Vrsilliemin in Lausanne
zu Studien über jene Zeit.» Wie Bernoulli mitteilt (Natursymbol, 587), sind diese
‘ Beiträge zur Schweizergeschichte aus englischen Manuskripten » von Bachofen
(in Verbindung mit Karl Stehlin) im « Archiv für Schweizergeschichte » (1858,
XI. Bd.) veröffentlicht worden.
% Natursymbol, 151.
? Lyk. Volk, ed. Schröter, 69 f.
— 254 —
Kulturvölkern der alten Welt zeigt aber keines mit Helvetien so viel
Ähnlichkeit als das /ykische. Seine Schneefirnen, seine reißenden Gie-
bäche, seine Täler und Gebirgspässe, die gewaltigen Kontraste seiner
Bildungen erinnern den Wanderer auf jedem Schritte an die Ersche-
nungen unserer Alpen, und ebenso ruft dem Forscher die Betrachtung
mancher politischen, geschichtlichen, ethischen Erscheinungen stets
entsprechende Züge des helvetischen Volkes zur Vergleichung vor die
Seele. Die großartige Gebirgswelt ergreift des Menschen innerstes Wesen
mit einer Gewalt, die auf die Ausbildung der ganzen Denkweise einen
mächtigen Einfluß ausübt. In der lykischen Geistesrichtung sind die
charakteristischen Züge edler Bergvölker nicht zu verkennen. In der
Begrenzung der Täler und Landschaften bildet sich jener heimische
Sinn, dessen Innigkeit die Bewohner weiter Ebenen nicht kennen.
Der stete Anblick überwältigender Naturgröße erfüllt die Seele mit der
Ahnung des Göttlichen, der ewige Kampf gegen die Gewalt der Elemente
mit lebendigem Gefühl der Abhängigkeit, und unter diesem doppelten
Einfluß befestigt sich immer von neuem die Tugend der Sophrosyne,
welche die Abneigung gegen jede Hybris mit der Hochhaltung der
Arbeit, des ewigen Ringens und Kämpfens verbindet. Tiefer ist be
solchen Völkern das Naturgefühl, gesteigert die Energie und Frische
des Lebens, inniger die Anhänglichkeit an das Erworbene, an örtliche
Unabhängigkeit, an das Haus, die hergebrachte Sitte und jede Über-
lieferung. Manche einzelne Züge des lykischen Lebens werden durch
diese Bemerkungen noch verständlicher oder beziehungsreicher. »
Das Grundschema der Bachofenschen Lehre! ist die stufenweise
Entwicklung der Kultur von der aphroditischen Sumpfzeugung (Hetäns
mus) oder Promiskuität über das demetrische Mutterrecht und die
Gynaikokratie, den ersten Formen der kulturellen Bemeisterung des
wild wuchernden Sexualtriebes, bis hinauf zum apollinischen Vaterrech,
in dem Bachofen den Gipfel der menschlichen Kulturleistungen erkennt.
Athen und Rom, Apollon, der Orestes schützt, und Augustus, der neue
Orestes, dessen Schutzgott Apollon ist, verkörpern für Bachofen das
Vaterprinzip in reinster Form. Im «rein geistigen Vaterrecht » Apollons
erfüllt das heidnische wie christliche Rom den höchsten Triumph der
Kultur, die Vergeistigung des Stoffes. Die Geschichte Roms bedeute!
den stufenweisen Sieg des Okzidentalismus über den Orientalismus, de
! Einl. zum « Mutterecht », Neudruck in Orient und Occident, 3 ff. = Ur-
religion, I, 5ı ff.
Be
Et An
geistigen Vaterrechtes über das stoffliche Mutterrecht. Der Mythos vom
Okzident und Orient ist Bachofens Grundthema.
In klassischer Form repräsentiert die romanistische Denkform des
Bachofenschen Geistes die Einleitung zur «Sage von Tanaquil».1 «Die
Emanzipation der römischen (d. h. paternalen, appollinisch-uranischen)
Welt aus den Fesseln der orientalischen (d. h. maternalen, aphroditisch-
demetrischen, tellurischen Tradition » ist das Grundmotiv dieser Studie.
«Rom, auf Asien gegründet, wird dessen endlicher Besieger. » « Jeder
Schritt der römischen Entwicklung ist ein Sieg der reineren Lebensauf-
fassung des okzidentalischen Geistes. .... Das Volk wird seines Gegen-
satzes zu den es umringenden Trägern der fremden Kultur, zugleich
seiner geschichtlichen Bestimmung immer klarer sich bewußt. Die
Vernichtung der asiatischen Elemente ist die Bedingung erst seines
Daseins, dann seiner Macht, meist von beiden zugleich. Daher jene
beispiellose Wut, mit welcher alles, was dem neuen Gedanken sich nicht
assimilieren läßt, von der Erde weggefegt wird, und jene ebenso
ungewöhnliche Zähigkeit und Ausdauer, die, stets auf dasselbe Ziel
gerichtet, keine halben Mittel und halben Lösungen kennt.» «Nicht
Alexander, sondern Rom hat den Jahrtausende alten Kampf, den
Herodot als leitenden Gesichtspunkt seiner Geschichte zugrunde legt, zum
Abschluß gebracht ; daher Rom, nicht Griechenland die Übertragung
der Universalmonarchie von dem Osten auf den Westen und damit die
Geschichte der alten Welt vollendet. Was ist Marathon, was Salamis
und Platää gegen den Hannibalischen Krieg ? Verschwindend klein
gleich den kurzen Jahrzehnten der athenischen Macht neben römischer
Ewigkeit. .... Karthagos Vernichtung, dieser größte Wendepunkt in
den Geschicken der Menschheit, ist das Werk der unter Roms republi-
kanischer Führung geeinten italischen Volkskraft und mehr als irgend-
eine andere Tat aus dem Innersten des abendländischen Geistes hervor-
gegangen. In dieser Zeit vollendet die Stadt recht eigentlich ihre
geschichtliche Aufgabe. In dieser ist die Beerbung des Orients durch den
Ökzident für immer entschieden. In derselben steht das siegreiche
Geschlecht auf der Höhe seiner sittlichen Erscheinung. Ohne Bedauern
sehen wir die Verluste an Kenntnissen und Erfahrungen jeder Art,
welche die Welt durch den Untergang der Königin Afrikas erleidet ....,
das Schauspiel des Triumphes, den das höhere Sittlichkeitsprinzip der
westeuropäischen Menschheit über Asiens niedrige Sinnlichkeit feiert,
l Urreligion, I, 2ıı fi.
See 256 —
läßt alle jene Verarmungen vergessen. .... Wir fühlen die Kluft, welche
Naturen wie Hannibal, Mithridat, Jugurtha von der unsern trennt.
Aber in den Scipionen, Catonen, Juliern lebt europäischer Geist, den wir
aufzunehmen vermögen, in ihren staatlichen und rechtlichen Schöpfungen
ein Kern von Gedanken, dessen Aneignung uns noch heute möglich,
meist Bedürfnis, nicht selten Trost ist. Rom hat etwas durchaus Neues
in die Welt eingeführt.» « Karthagos und Jerusalems Fall sind nicht
nur die vorzugsweise tragischen Ereignisse des erstaunlichsten aller
Dramen, der römischen Geschichte, sondern auch die zwei wichtigsten
Wendepunkte der Weltgeschicke. Wird durch Scipios Tat die politische
Emanzipation des Westens von dem Osten auf alle Zeiten gesichert,
so verkündet der Flavier Triumph .... die Befreiung der Religion und
der Zukunft aus den Banden des Mosaischen Orientalismus und die
Ansprüche der abendländischen Stadt auf die geistige Beerbung des
Morgenlandes. Nicht Byzanz, nicht Antiochia, weder Alexandria noch
die afrikanische Hippo, sondern Ron trat an Jerusalems Stelle. »
Schon in der « Unsterblichkeitslehre der orphischen Theologie »
(1867), wie in der «Sage von Tanaquil » (1870) und in den posthum
edierten « Römischen Grablampen » (1890) führte Bachofen diejenigen
Gedankengänge seines « Mutterrechtes », die im Sieg des Vaterrechtes
gipfelten, fort und wandte sich im Gegensatz zum maternalen und
chthonisch-tellurischen Heidentum seiner Blüteperiode wieder mehr der
paternalen und olympisch-solaren Orientierung des Christentums zu,
wenn wir so in der Bachofenschen Sprechweise sagen können. Es ist
schr bezeichnend, daß die Erneuerer Bachofens in dieser Rückkehr zum
Christentum und zum Vaterrecht einen senilen Rückschritt sehen und
es ihnen bei ihrer Wiederentdeckung des Bachofenschen Gedankengutes
nicht so sehr um dessen Gesamtheit als eines geschlossenen Lebens-
werkes zu tun ist, sondern eben nur um den maternal-chthonischen
Paganismus. Schon Ludwig Klages !, einer der ersten Wiederentdecker
Bachofens, der die Bekanntschaft mit dessen Hauptwerken «sein
größtes literarisches Erlebnis » nennt, hat Bachofens Herzgedanken von
den Kopfgedanken geschieden und getadelt, daß letztere « unter dem
Einfluß der Willensreligion des Christentums » ihn verleiteten, «den
teils geschichtlich, teils vorgeschichtlich belegbaren Vorgang, mit dem
! «Vom kosmogenischen Eros» (München 1922, ı81f.). Die Bachofen
betreffenden Partien sind enthalten im Neudruck der « Gräbersymbolik der Alten»,
Einl. 9 ft.
sich der Tagesseite des Lebens Schritt für Schritt der an und für sich
schlechterdings bildfremde Geist bemächtigt, für eine Selbstüber-
windung und Höherentwicklung des Urzustandes zu halten ».
Bernouili!, der durchaus auf ÄAlages und dessen mysterieusen Meister
Alfred Schuler fußt, nimmt sich wohl vor, Bachofen «gegen diesen
seinen tiefsten Ausleger (Klages) im freien Besitze seines (uranischen)
Sondergutes zur Seite zu stehen » 2, doch stimmt er letzterlinie mit seinem
Vorgänger und Wegbereiter doch dahin überein, daß die Altersperiode
Bachofens im Grunde einen Abfall bedeutet. Schuler, den Bernoulli als
kautzhaften Sonderling schildert, darf nach allem wohl als eigentlicher
Vater des Muttertumkultes, dem die Bachofen-Rennaissance entstammt,
bezeichnet werden. Bernoulli weiß von ihm, daß ihm einerseits «in
klösterlichen Hallen, in gewölbten Grabkrypten und in butzenfenstrigen
Stiftsbibliotheken, wo man gelegentlich aus Versehen seine schwarz-
gekleidete Klerikerfigur mit ‚Euer Hochwürden‘ anredete, ausnehmend
wohl war », daßer aber auch andererseits sehr geschmackvoll das Kruzifix
«die klebrige Fliegenstange » nannte, «an der sich die gläubigen Seelen
zu Tode zappeln», — somit nach des Berichterstatters Versicherung
sein starker, edler Heide durch und durch » war.® Von Klages, dem
Schüler Schulers, stammt das, was Bernoulli die « erkenntnistheoretische
Abklärung » des Problems nennt *#, nämlich die pathologische Verneinung
von Geist und Wille als den die rhytmische Lebensentfaltung im
Menschen behindernden Kräften, sowie die Hypostasierung des begriffs-
fremden, verstandesfreien Bildes als des Inbegriffes der wahren Wirk-
lichkeit. Nach Klages Lehre von der «Wirklichkeit der Bilder »5, die
Bernoulli rezepiert, sind die Symbole «erscheinende Vergangenheits-
seelen», deren sich die Seele in ekstatischer Schauung und magischem
Erleben bemächtigt. Dieser nahezu in den Okkultismus hinüber-
spielende Mystizismus kann hier nicht näher verfolgt werden; es
genügen diese Andeutungen, um zu zeigen, welchen Un-Geistes Kind,
d. h. hier im wahren und bewußten Wortsinn, welchen Geistes-Nicht-
sens Frucht dieser Bachofen-Kult eigentlich ist ! Er opfert bedenkenlos
den Logos, vor dessen «willensgestraffter Unersättlichkeit » ihm in
tielster Seele graut, dem «elementaren Eros » hin, dem «nie ruhenden
! Natursymbol, 364 fl.
3 Ebd. Einl. vıı.
® Ebd. 396, 373.
* Ebd. 378 fi.
® Ebd. 386 ff., 395 f.
REVUE D’HISTOIRE ECCLESIASTIQUR 17
—_ 2383 —
Eros der Natur », wie nicht minder den Monotheismus, die « eigentliche
Vernunft- und Willensreligion », dem Chthonismus, der neben der
« kosmischen Priorität des Weibes » und dem « Naturrecht der Freiheit
und Gleichheit », die in der Bachofenschen « Sumpfzeugung » ein Sinnbild
findet, vermessen genug ist, die «Entteufelung der Unterwelt» zu
proklamieren !!
Baeumler betont ? mit Recht, daß die Kulmination der Bachofen-
schen Stufentheorie im apollinischen Vaterrecht zu wenig beachtet werde,
daß seine Promiskuitäts- und Mutterrechtstheorie doch nur ein Durch-
gangsstadium der Kulturentwicklung bedeute und daß Bachofen trotz
dieser Theorie das Vatertum bejahe. Bachofen wollte gewiß mit seiner
Lehre von Apollons reinem Vaterrecht seine romanistische Kultur-
theorie, sein kulturpolitisches Bekenntnis zu Rom wissenschaftlich
fundieren. Trotzdem haben diejenigen Recht, die dem Sumpfzeugungs-
und Mutterrechtstheoretiker diese Schlußwendung und das Bekenntnis
zum triumphierenden Vaterrecht nicht glauben. Bachofens Name ist und
bleibt an die Sumpfzeugung und das Mutterrecht geknüpft, nicht an
das apollinische Vaterrecht. Die Bachofen-Rennaissance, in der wir
stehen, folgt nicht aus der Vatersehnsucht der Epoche, sondern aus dem
Vorwiegen maternaler Gesichtspunkte in Kultur und Wissenschaft.
Weil die Mutter herrscht, die Mutter ohne Vater, deshalb wird Bachofen,
der Theoretiker des « Mutterrechtes », heute wiederentdeckt und gefeiert !
Dies hat freilich seine tieferen Gründe. Bachofen sah nicht, daß
dieses rein geistige Vaterrecht, von dem er träumte, das sich restlos
vom Weibe emanzipiert und selbst die Zeugung des Sohnes im Wege
juristischer oder geistlicher Sukzession sucht, daß dieses Vaterrecht
eben gar nicht das wahre Vaterrecht ist, sondern diejenige Form des
Vaterrechtes, die notwendig immer wieder zum Mutterrecht führt.
Denn der Exzeß des Vaterrechtes begründet das Mutterrecht. Das
wahre Vaterrecht besitzen die Romantiker, die dem Barocco folgen,
wenn sie die Familie, die Kooperation von Mann und Weib, die Keim-
zelle der Gesellschaft nennen (K. L. Haller, A. H. Müller, Görres), der
Familie aber, in welcher der Mann herrscht, einen kongruenten Staat
beiordnen.
Hier leuchtet ein, wie «aktuell » Bachofen wohl ist und wie wenig
doch seine religiöse wie seine rechtliche Metaphysik befriedigen kann.
1 Ebd. 422 ff., 440, 445.
? Orient und Occident, Einl. 277 fl.
Denn daß heute der Vater entthront ist, in der Kultur, in der Sozietät,
das ist es, was ein modernes « Mutierrecht» begründet hat. Diesen
sozialen Zustand, den Baeumler erkennt !, können weder Bachofen noch
Schuler-Klages-Bernoulli beheben ; ihr System bejaht ihn vielmehr. Nur
dort, wo das Mutterrecht erkannt wird als eine Entartung des Vaterrechtes,
nicht aber, wo es gewissermaßen seine logische Vorstufe bildet, kann es
beseitigt werden. Nur wo das Vaterrecht und die Familie logischer-
weise herrschen, in der tiefsten Natur der menschlichen Gesellschaft
begründet sind, nicht dort, wo Promiskuität und Mutterrecht an den
Anfang gestellt werden, ist Kultur denkbar. Dies gilt sowohl für den
Bereich des Rechtes wie für den der Religion. Der Staat wie die Kirche
ruhen auf Palernaler Grundlage und dies von Natur aus, nicht kraft
irgendwelcher « Entwicklung ». Es ist bemerkenswert, daß gerade der
orthodoxe Protestantismus, dem sowohl Bachofen wie die entscheidenden
Bachofen-Entdecker zuzurechnen sind, von der striktesten Bekämpfung
der katholischen Marienverehrung bis zur Bejahung jener mystischen
Weibeskräfte kommen mußte, welche die Proklamation des Chaos, die
Entthronung des männlichen und väterlichen Prinzips in sich schließt.
Im Gegensatz zu solch ebenso sentimentaler wie anarchischer Ein-
stellung zu den religiösen und sozialen Problemen der Gegenwart führt
die katholische Kirche, die eine Mutter ist, doch eine solche, die weiß,
daß sie unter dem Vater steht, ihre Kinder hin zum Vater und König
Jesus Christus, und sie schließt in dem Begriff der « katholischen Aktion »,
in deren Zeichen das Pontifikat Pius XI. steht, in erster Linie nicht so
sehr politische Effekte ein, sondern die Erneuerung der Familie, in der
Mann und Weib, beide in ihrer Art zusammenwirken, doch so, daß das
Vaterrecht dem Mutterrecht übergeordnet ist, letzteres von ersterem
hergeleitet wird. Nach dem Bilde der Familie allein, das ist die über-
einstimmende Lehre der katholischen Soziologie, der scholastischen wie der
barock-romantischen, kann die Gesellschaft geformt und dadurch allein
gerettet werden. ?
Es ist für die innere Kirchen- und Geistesgeschichte der Schweiz
bemerkenswert genug, daß in der Stadt Bachofens, von der auch seine
Wiederentdeckung ihren Ausgang nahm, ein einfacher katholischer
Pfarrer, Robert Mäder ?, in seinen packenden, emporteißenden Schriften
I Ebd. 2gı fl.
2 Vgl. meine Studien « Souveränität» und « Die katholische und die öster-
reichische Aktion » in der Sammlung « Die österreichische Aktion » (Wien 1927).
? Gedanken eines Reaktionärs, Mainz-Köln-Basel 1921, 5 ft., 43 fl., 137 fi.
— 200 —
immer wieder diesen Gedanken einer Erneuerung der Familie verficht.
«Wir sind gegen die moderne Demokratie, schreibt er, weil sie in
Familie, Gesellschaft, Staat, Kirche und Völkerleben Friedhofsarbeit ist.
Wir sind gegen die Gleichmacherei in der Familie. Was ist die Familie ?
Die Ungleichheit in der Gleichheit ...., die Ungleichheit der Persönlich-
keit in der Gleichheit der Natur. Göttliches und darum unzerstörbares
und heiliges Gesetz! .... Die moderne Frauenrechtlerei, die Gleich-
stellung des Mannes mit der Frau .... ist Abfall vom Christentum.
Das Christentum baut die häusliche Ordnung auf dem Prinzip der
Ungleichheit in der Gleichheit. Der Mann ist Haupt, die Frau Gehilfin
und das Kind untertan, somit der Mann der erste, die Frau die zweite,
das Kind das dritte. Die Demokratisierung der Familie, wo der König
Vater nur noch durch die Stimmenmehrheit der Frau, der Söhne und
der Töchter existiert, wo die Befehle des Oberhauptes dem gesetzlichen
Referendum der Familienglieder unterworfen und wo das Selbst-
bestimmungsrecht der Kinder erstes Verfassungsrecht ist, führt zum
Ruin der Familie. Die Familie ist Monarchie, nicht Demokratie.
Mäder nennt Moses und Paulus «die Klassiker der Frauenfrage». Er
schreibt : « Der Mann ist nach der Heiligen Schrift der zuerst Geschaffene,
Gottes Bild und Ehre, das Haupt des Weibes, derjenige, der in der
Öffentlichkeit das Wort hat. Er ist somit die von Gott selber über die
Erde gesetzte Regierung. Er ist der eigentliche Vertreter der göttlichen
Autorität in der menschlichen Gesellschaft. Er ist also auch der Gesetz-
geber, der Politiker. Er muß in den Ratssaal und an die Urne. Der
Kopf regiert ! Ist der Mann der Repräsentant der göttlichen Majestät,
dann ist er es auch im Staatsleben. Ist der Mann als Mann das Haupt
der Familie, dann ist er auch das Haupt in der erweiterten Familie,
in der Gemeinde und im Rate der Völker. Ist der Mann geborener
Gesetzgeber im kleinen Königreich des Hauses, so muß er konsequenter-
weise auch der Gesetzgeber der Nation sein. .... Der Mann ist der
offizielle Lehrer. Das Lehramt ist in der Kirche und im Staate ein
Männeramt. »
«Die Familie ist der Eckstein des Katholizismus und somit der
Ordnung, heißt es weiter. .... Der Vater ist der König. .... Der
Vater ist die Regierung. .... Die Aufgabe des Staates ist die Erhaltung
der Familien. .... Der Staat, welcher der Familie zu viel an Menschen
und Besitz nimmt, ist ein Verschwender, der seine Kapitalien vergeudet.
. Der Vater ist heute Sklave und Bettler. .... Der moderne
Proletarier ist nur denkbar auf den Ruinen der Familie. .... Die Seele
— 261 —
der sozialen Frage ist die Familienfrage. » «Die Erde wankt wie ein
Trunkener. Die Tage Noes wiederholen sich. Man spricht von einer
Sintflut von Blut und Feuer, die im Begriffe steht, sich über die Völker
dahinzuwälzen. Es ist nicht wahrscheinlich, daß sie mit Katholikentag-
beschlüssen aufgehalten werden wird. Wir kommen zu spät. Aber
wenn auch die Wasser über die höchsten Berge steigen sollten, wenn
sie alles überschwemmen, was groß ist auf Erden, dann werden Sie
wiederum die Arche unter dem Namen Kirche durch Sturm und Nacht
dahinfahren sehen über die Wellen und in der Arche ruhend das Unter-
pfand der neuen Erde, die neue Familie. Dann, wenn die Wasser sich
verlaufen, wird der Vater Neu-Nazareth bauen, mit Mosesstein und
und Golgathafels und Petrusquader, ein kleines Königreich, die
Pflanzschule der neuen Gesellschaft. Nicht die Politiker, sondern die
Väter werden uns retten, die Männer neuer, großer Rechte und darum
neuer, großer Pflichten. .... Katholische Männer ! Wenn Sie vorwärts
wollen, müssen Sie zurück. Nur die Heimkehr zur Familie wird Ihnen
den verlorenen Vorsprung in der Öffentlichkeit zurückgewinnen. Vater,
entthronter König, zurück in dein Reich ! Ich sage Amen!»
Es sind gewiß zwei Welten, der schwerfällige Gelehrte, dessen
«riesenhaft Plumpes und Ungeschlachtes », dessen «Gehemmtheit in
Anordnung und Ausdruck » Bernoulli ! betont, und der wortmeisternde
Prediger, der keine Soziologie der Familie und des Vaters schreiben
will, sondern in seinen Hörern Begeisterung wecken, — es halten sich
gewiß auch die Lehren Mäders nicht so sehr bloß im Rahmen des
theologisch Notwendigen, sie sind vielmehr durchaus romantisch betont
in der Gefühlsweise wie in der logischen Durchführung ; es lassen sich
demnach vom Standpunkt des Katholizismus, denselben theologisch
und nicht kultursoziologisch genommen, gewiß auch andere Lehren
verfechten, ganz ebenso wie es umgekehrt ein paternal und familial
orientiertes Luthertum gibt, — trotzdem möchte ich in dieser Gegen-
überstellung ein für die Schweizer Religions- und Geistesgeschichte lehr-
reiches Dokument sehen, das die Kulturkraft des Katholizismus und
des Protestantismus konfrontiert und der Bachofen-Rennaissance, sei es
der soziologischen, sei es der mythologischen und religionswissenschaft-
lichen, ein katholisches Urteil spricht.
1 Natursymbol, 77 f.
— Tor
Die Kirchenpolitik im ersten Jahrzehnt
des neuen Bistums Basel (1828-1838).
Nach Briefen des Bischofs Jos. Anton Salzmann,
des Schultheißen Jos. Karl Amrhyn und anderer.
Von Hans DOMMANN.
(Fortsetzung)
Dieser einseitigen Darlegung des Josephinisten, die dem kirchlichen
Standpunkt nicht gerecht werden konnte, trat der Bischof in seiner
Antwort nochmals bestimmt entgegen ; doch verschloß er den Klagen
des Freundes sein Ohr nicht. Er verurteilte im Bestreben, sich über
den Parteien zu halten, auch Erscheinungen auf kirchlich-konservativer
Seite und zeichnete seine fast unerträgliche Stellung inmitten der leiden-
schaftlichen Kämpfe, indem er schrieb : « Mit innigstem Herzensdank
erkenne ich das hohe Wohlwollen, welches Sie mir durch Ihr konfı-
dentielles Schreiben neuerdings bekundeten und ich niemals bezweifelte,
weil ich weiß, daß, wo hochedler Sinn und Geist herrscht, auch ab-
weichende Ansichten immer noch geehrt werden. Daß meinerseits das
an den h. Stand Aargau erlassene Reskript und die Wahl des Hrn. Bossi
zum Bischof von Chur-St. Gallen in gar keiner Verbindung stand, ergibt
sich schon hieraus, weil ich erst ein paar Tage, nachdem mein Brief in
Aarau war, durch die Zeitung von St. Gallen, die mir ganz unerwartete
Nachricht von Hrn. Bossis Präkonisation erhielt. Von meinem Briefe
hatte ich keinem Menschen Kenntnis, noch viel weniger eine Abschrift
gegeben ; folglich muß von der h. aargauischen Regierung selbst — oder
wenigstens ihrer Kanzlei — sein Abdruck im sogenannten « Schweizer-
boten » herrühren. ... Die Publizität desselben und der davon gemachte
Gebrauch und Mißbrauch lastet ursprünglich auf Aarau. — Auf Wahlen
der Regierungsräte habe ich, solang ich lebe, keinen Einfluß gehabt
und will nie einen haben. ... — Daß die öffentlichen Blätter wider mich
— 253 —
losziehen, wundert mich nicht, weil sie eine Faktion bilden. Ich weiß,
daß ein und derselbe Geistliche (von meiner Diözese, leider!) den
nämlichen Artikel, nur in den Ausdrücken modifiziert, in drei bis vier
Zeitungen einsendet. Gegen alle diese Lästerungen schwieg ich still,
gleichwie ich auch bei den feindlichen Anfällen des « Waldstätter-
boten » und seiner Konsorten wider mich geschwiegen. Es sind zwei
Parteien, welche die Hauptrolle spielen, und mit keiner von beiden
kann es der Bischof halten, weil beide dem Christentum widersprechen.
Die eine will die von Jesu eingesetzte Kirche zur Magd des Staates
herabwürdigen, die andere will dem Staat das Schwert, das Gott ihm
anvertraut hat, entreißen. — Die Badener Konferenzialbeschlüsse kenne
ich nur zu gut; sie lassen sich in wenige Worte zusammenfassen : Alle
einem Bischof zukommenden Rechte sollen ihm vindiziert werden, er
selbst aber in der Zeit, wo allgemein Denk-, Sprech- und Druckfreiheit
gesetzlich anerkannt und ausgesprochen ist, gleichsam nichts reden
und schreiben können, ohne selbes der weltlichen Zensur zu unter-
werfen ; und nicht nur die Laien, sondern auch alle ihm untergeordnete[n]
Priester sollen zu Denunzianten gegen ihn gemacht werden ; sogar die
kirchlichen Privatsentenzen über was immer für Personen — also auch
über Kleriker — finden ihre Beschränkung, und sämtliche Diözesan-
stände sollen sich verbinden, auf solche Weise die bischöfliche Juris-
diktion zur Nulle zu machen. Ihro Exc. ! soweit ist man in der Schweiz
noch niemals gekommen. Sogar die Bestimmung der Lehrbücher über
den katholischen Religionsunterricht eignet die h. aargauische Regierung
durch Großratsdekret, das des bischöflichen Ordinariates nicht einmal
erwähnt, sich selbst zu. Und dieses alles sollte der Bischof gutgeheißen
haben ? Der Bischof von Basel kann alles ertragen und hat in wenigen
Jahren Unglaubliches ertragen, denn er litt von doppelter Seite; er
weiß auch unter dem größten Drucke zu schweigen ; er hat immer
Gehorsam gelehrt und geleistet. Daß man aber sagt, er habe gutgeheißen,
was sein Gewissen ihm niemals kann adprobieren lassen, geht zu weit.
Schon anderthalb Jahre lang kämpfe ich gegen die Anfechtung, mein
Amt zu resignieren. Nur der Gedanke, welche Verwirrung hieraus
entstünde, und meine Liebe zum Vaterland und zu meinen Diözesanen
hielt mich zurück. Ich hange nämlich nicht am Weltglanz und sammle
mir auch kein Vermögen. Arm bin ich nach Solothurn gezogen und
werde nicht reicher von Solothurn dereinst abziehen. Ja, wenn ich
nicht Bischof geworden wäre, würde ich jetzt reicher sein. Im
Vertrauen aber zu Ihro Exc. gesprochen : mit jedem Tage reift mein
— 244 —
Entschluß mehr, nach Rom zu schreiben und um die Erlaubnis zu bitten,
resignieren zu können. In allen Angelegenheiten geht der Sturm immer
über den Bischof, der doch bis auf den heutigen Tag nichts publiziert
hat, noch publizieren ließ, ohne die betreffende Landesregierung in
vorläufige Kenntnis zu setzen ; der sein Kollaturrecht nur im Einver-
ständnis mit dem Staat ausübte ; der zu allem Möglichen freund-
schaftlich die Hand bot ; der sich keines gerechten Anlasses zum
hoheitlichen Mißfallen und zur Erlassung der die Kirche Gottes
demütigenden Dekrete schuldig weiß. Er sieht sich in allem kompro-
mittiert. Sogar die wohlwollende Warnung, wie eine gefährliche Krise
abgewendet werden könne, wird ihm mißdeutet. Daß auf dem Wege,
der wirklich gewandelt wird, wenn man nicht mit religiöser Klugheit
einlenket, eine Krise eintreten werde, muß jedem Unbefangenen ein-
leuchten. Die Gefahr aber liegt nicht in der Kirche ; die Kirche ist
vielmehr der Schutz und die Stütze des Staates. Allein wenn die Kirche
verweltlichet wird und fällt, fällt mit ihr unfehlbar auch der Staat und
geht zu Grunde. Ich kann nicht weiter schreiben ; mein Herz ist zu
voll, meine Wehmut zu groß. In Gottes allmächtigen Schutz empfehle
ich meinen ganzen Sprengel. Ihro Excellenz ! Sie sind der einzige,
dem ich all meine Gefühle offenbaren und mein ganzes Herz aufschließen
konnte. ... »1
Darüber, daß der radikale « Eidgenosse » eine maßlose Sprache
führe, waren auch führende liberale Staatsmänner einig. Schultheiß
Franz Ludwig Schnyder schrieb Amrhyn:: «Hinsichtlich des «Eid-
genossen » teile ich ganz Ihre Ansicht und werde nicht ermangeln,
dieselbe auch dem Redacteur des Blattes, Hrn. Steiger, mit der Bitte,
um mehrere Behutsamkeit zu eröffnen. »2 Der gleiche Staatsmann
meldete Amrhyn am 25. April auf einer Inspektionsreise — als Referent
für das Landschulwesen — über die Wahlagitation im Kanton: «Bei
diesem Anlasse habe ich die Wahrnehmung gemacht, daß im Lande
Entlebuch und in allen Teilen des Amts Willisau und Sursee die größte
Rührigkeit der fanatischen Partei in bezug auf die bevorstehenden
Wahlen stattfindet, während die Liberalen völlig untätig, die Hände
im Schoße, diesem Treiben zusehen. Wo ein freisinniger Mann im Aus-
tritte ist, da wird ihm irgend ein Gegner von entschieden entgegen-
gesetzter Gesinnung gegenübergestell. Man entwickelt dabei eine
1 5. Mai.
8 7. Febr. 1835 ; F.-A. A. IVD. 72.
— 265 —
ungemeine Tätigkeit und scheint mit viel Plan und Umsicht zu Werke
zu gehen. Seit zwei Tagen wird das Geigersche Aufruhrschriftchen
überall verteilt. ... Sollten die Gutgesinnten — wozu ich überall
dringend ermahnte — nicht noch in den nächsten Tagen mit Eifer
und Klugheit sich der guten Sache annehmen, so werden die Wahlen
fast überall schlecht ausfallen. ... » Diese Befürchtungen der Liberalen
erfüllten sich dann allerdings nicht. — Da die radikale Richtung immer
stärker wurde, wagte die Regierung nicht, gegen den « Eidgenossen »
vorzugehen. Umso rücksichtsloser wandte sie sich gegen die kirchlich-
konservative Bewegung, besonders gegen den Katholischen Verein.
Am 30. Mai ließ der Kleine Rat durch den Staatsanwalt Kopp
gleichzeitig und überraschend — auf das Gesuch des Bezirksgerichts
Muri im Prozeß gegen Dekan Groth in Merenschwand — bei Pfarrer
Egli in Root, bei Chorherr Geiger, bei Professor und Redaktor Schlumpf
und bei der Buchdruckerei Räber Hausdurchsuchungen vornehmen. Bei
Pfarrer Egli wurden Briefe an Prof. Schlumpf, ferner solche von
Pfarrer Schubiger in St. Gallen-Kappel, auch der Vertrag mit den
Gebr. Räber wegen des Druckes der «Schweiz. Kirchenzeitung » und
Rechnungen des Katholischen Vereins beschlagnahmt. Bei Geiger fand
man Schriften « durchaus ohne politischen Inhalt », u. a. zwei Schreiben
des Abts Coelestin Müller von Einsiedeln, bei den Gebr. Räber die
geschäftliche Korrespondenz, darunter einen Brief von Dekan Groth,
mehrere Schreiben des Einsiedler Abts wegen einer Assoziation der
Druckerei Räber mit der Einsiedler Druckerei Kälin usw. Bei Prof.
Schlumpf fielen den Eindringlingen verschiedene Briefe von Geistlichen,
Schriften über die Organisation des Katholischen Vereins, über die
Redaktion katholischer Zeitungen und anderes in die Hände.! Trium-
phierend schrieb Amrhyn am folgenden Tage dem Bischof : « Der ganze
Plan des Katholischen Vereins, seine Mittel, seine Zwecke, seine Teil-
nehmer in den Kantonen Luzern, Zug, Solothurn, Aargau, Thurgau und
St. Gallen liegen enthüllt vor. ... Was im Kanton St. Gallen erfolgt ist
— wie und durch welche Mittel — ist ebensowenig ein Rätsel mehr,
als zweifelhaft ist, was im Kanton Luzern, Aargau und Solothurn auf
U F.L. Schnyder an Amrhyn, 30. Mai. — Amrhyn an seinen Sohn, 31. Mai,
I. Juni: «Die ganze Hausdurchsuchungsoperation hat in hier tiefen und bei
einem Teile höchst übeln Eindruck gemacht. » — Die Akten im St.-A. L. Fach 9,
Kirchenwesen, Verwaltung der Disziplin. Vergl. auch : Schweiz. Kirchenzeitung,
Nr. 23, 36 ; Luzerner Zeitung, Nr. 47 ff. ; Eidgenosse, Nr. 44 ff., und die Polemik
gegen den Katholischen Verein in der Allg. Kirchenzeitung, Nr. 42 fl. -— Henggeler
Rud., Abt Cölestin Müller von Einsiedeln.
—_ 266 —
dem Wege politischer Reaktion erzweckt werden sollte. Die Klöster
Muri und noch mehr Einsiedeln sind höchst kompromittiert.»! Der
Bericht der Justiz- und Polizeikommission vom 26. Juni suchte di:
Gewaltmaßnahme so zu rechtfertigen: «Die Justiz- und Polizei-
kommission ist keineswegs gegen die freie Bildung von Vereinen, insofern
sie keinen feindseligen Charakter gegenüber der Staatsgewalt annehmen,
gestimmt ; allein sobald Vereine zutage kommen, welche dahin streben.
die legalsten Handlungen der rechtmäßigen, vom Volke selbst aus-
gegangenen Behörden als Attentat zu bezeichnen, fremde Einmischungen
in unsere inneren Angelegenheiten hervorzurufen und in diesem ver-
brecherischen Sinn auf die öffentliche Meinung mit allen Künsten urd
Schlichen zu wirken, kann und darf von Seiten der Staatsgewalt diesen
Bemühungen nicht gleichgültig mehr zugesehen werden. » Die Schwäch:
der Argumentation für das gewalttätige Vorgehen gegen die keineswegs
revolutionäre katholische Bewegung liegt auf der Hand. Ein Schreiben
des Kleinen Rats an den Staatsanwalt redete von Untergrabung der
bestehenden Ordnung, von Männern, die « mit verbrecherischen Plänen
umgehen », und verwies für die gerichtliche Verfolgung — mangt!:
stärkerer Beweise — besonders auf den Ausdruck « Attentat der Staats
behörde » in einem Artikel über Pfarrer Hubers Absetzung. — Chorher
Geiger und Abt Coelestin reklamierten umsonst beim Kleinen Rate.’
Prof. Schlumpf, der sich energisch verteidigte, wurde durch da:
Appellationsgericht wegen «Verletzung der schuldigen Ehrerbietung
gegen die Obrigkeit » gebüßt und aus dem Kanton Luzern ausgewiesen.
Einige der beschlagnahmten Schriften erhielt das Bezirksgericht Mun
als Anklagematerial gegen Dekan Groth. 3
Obschon das Ergebnis dieser Hausdurchsuchungen den Erwartungen
1 St.-A. L. Fach 9, Fasz. ı2.; 31. Mai.
? Amrhyn an den Bischof, 28. Juni 1835: «Nach Briefen, die gestern in
meinen Händen lagen, ist Abt Coelestin von Einsiedeln eines derjenigen Glieder
des Kath. Vereins, welche zu den heutigen Erscheinungen, mittelbar durch dıe
Nuntiatur und unmittelbar auf Rom einwirkend, den Apostolischen Stubl prov®
ziert haben. »
3 In der Großratssitzung vom 20. und 21. Jan. 1836 wurde über die Haus
durchsuchungen und besonders über die Verurteilung Schlumpfs debattiert. —
Waldstätterbote 1836, Nr. 8; Herzog Xav., Geistl. Ehrentempel I, Luzern 1891.
S. 72 ff. (Leutpriester Egli in Root) ; Henne, S. 40 fl. ; Siegwart-Müller, Der Kamp!
zwischen Recht und Gewalt, S. 225 ff. ; Hurter, S. 436 fi. — Vgl. auch die Briefe
Geigers an K.L. von Haller, hrg. von E. Reinhard in der « Schweiz. Rundschat ’.
25. Jhrg., ı2. Heft, 1926. — Die Statuten des Kath. Vereins in Nr. 46 der « Schwelt
Kirchenzeitung » 1835.
“ ee) R
BR 267 —
nicht entsprach, benutzte die Regierung den Anlaß, um den Katholischen
und den Grebetsverein, nachdem sie ihnen die Führer zu nehmen ver-
sucht hatte, in den folgenden Jahren aufs schärfste zu beobachten. Die
Amtsstatthalter und Gemeindebeamten berichteten über jede Regung
die sie erkunden konnten, in gehässigem Tone. Eine Denunziation aus
Zell z. B. berichtete von einer Zusammenkunft des Gebetsvereins auf
dem Berghof zu St. Urban — am 6. Januar 1836 — und wünschte,
daß «solches Gezücht und Schlangenbrut » besser verfolgt werde ;
auch der Gemeindeammann von Schötz meldete einige Tage später
von geheimem « Unwesen » der « Krautstirzler » Über die Zusammen-
kunft auf dem Berghof wurde eine Untersuchung geführt, ein beteiligter
Thurgauer verhaftet und über die Grenze befördert. — Am 31. August
1836 berichtete die Polizeidirektion dem Kleinen Rate über Besuche
im Kloster St. Urban ; es seien ein « auffallendes Hin- und Herfahren
und geheime Zusammenkünfte in diesem Kloster bemerkbar ». Der
dortige Zöllner diente als Spion. Er hatte schon früher über eine
« Pfaffenzusammenkunft » im Kloster berichtet und die Besucher aus
verschiedenen Kantonen genannt. — Durch diese Denunziationen auf
amtlichem und privatem Wege und durch scharfes Vorgehen gegen
bestimmte Personen und Fälle sollte das Leben der kirchlich-konser-
vativen Organisationen unterbunden und die Sammlung der Opposition
verunmöglicht werden. !
In diesem Vorgehen wurde die Regierung bestärkt durch den
lieberalen Teil des Klerus. 48 Geistliche — darunter Kommissär Waldis
— wandten sich am 6. Juni 1835 an den Bischof. Sie drückten in
ihrem Schreiben die Besorgnis über die dauernde Spannung zwischen
Kirche und Staat aus. «Wir müssen es», schrieben sie, «höchst
bedauern, daß mehrere unserer Mitbrüder die Stütze der Religion in
äußern und zufälligen Verhältnissen, Verfassungen oder Personen zu
finden vermeinen, und noch mehr müssen wir bedauern, daß die Religion
zum Mittel der Parteien erniedrigt, im Namen derselben Verwirrung
gepflanzt, nützliche und gute Anstalten zur geistigen Veredlung des
Volkes durch Verdächtigung gehindert und Unfrieden in den unglück-
lichen Gauen unseres Vaterlandes verbreitet wird. Darum muß auch
das politische Treiben eines in unsern Tagen unter religiösem Vorwande
entstandenen Vereins und der Organe desselben jeden wahren Freund
1 St.-A. L. Fach 9: Kirchenwesen ; Verwaltung der Disziplin (Kath. Verein).
— Korr. Amrhyns ; F.-A. A.
—_ 8 —
der Kirche und des Vaterlandes höchlich empören. Denn auf solche
Weise werden aus dem Gebiet des Staates die Verwirrungen auch in
das Gebiet der Kirche und Religion verpflanzt..... Und wir können
nicht ohne bange Sorgen in die Zukunft blicken, wenn wir bedenken,
daß gerade auf diese Weise der Unglaube und die Irreligiosität immer
mehr überhandnehmen, durch politischen Haß oder Verachtung gegen
die Diener der Kirche Glaube und Zutrauen des Volkes zu seinem
Seelenhirten aufhören, die Kluft zwischen Kirche und Staat immer
größer und so stets mehr dem unkatholischen Grundsatze Eingang
verschafft werden muß, daß die Kirche durchaus dem Staate unter-
worfen und die Geistlichen nur Pfründner des letztern seien. »! Die
Achtundvierzig baten zum Schlusse den Bischof, « die in unserm Vater-
lande etwa nötig gewordenen kirchlichen Verbesserungen einzuleiten
und die Rechte und die Macht der Kirche dadurch zu sichern, daß
dieselbe in keiner Hinsicht und in keinem Falle hinter den vernünftigen
Forderungen der Zeit zurückbleibt». Das Schreiben wurde durch
Kommissär Waldis auch der Regierung bekanntgegeben. Diese sprach
den Unterzeichnern ihr Wohlgefallen aus, und die freisinnigen Blätter
verbreiteten das Schreiben mit Genugtuung.
Doch diesem Schritte der Minderheit stellte die Mehrheit des
Klerus am 31. Juli eine von den Dekanen der drei Ruralkapitel im
Namen von 95 Geistlichen unterzeichnete Gegenschrift an Bischof und
Regierung entgegen, nachdem die Dekane schon am 8. Juli dem
Bischof ihre Besorgnis über die Anschuldigung von seiten ihrer
Amtsbrüder ausgedrückt und um die «namentliche Bezeichnung und
kanonische Beurteilung der so schwer beschuldigten Geistlichen des
Kantons Luzern » gebeten hatten. Die Schrift der Fünfundneunzig
verteidigte das Benchmen der Angeschuldigten und verwahrte sich
gegen die allgemeine Anklage, die nicht dem evangelischen Geiste
des Friedens und der Versöhnung entspreche. Der Kleine Rat ant-
wortete auf die Gegenvorstellung am I4. August ebenfalls im freund-
lichen Sinne ; er erklärte sich bereit, die Hindernisse des priesterlichen
Wirkens zu beseitigen, versprach den Gehorsamen Schutz und hofite,
daß sich die Fünfundneunzig «immer mehr denjenigen Ansichten
anschließen werden, welche jene 48 ehrwürdigen Amtsbrüder in ihrer
I Kas. Pfyffer, II 5o5, hat gerade diesen letzten Satz weggelassen. — Hurter,
S. 345 fl. ; Schweiz. Kirchenzeitung 1835, S. 499 ; ebenda das Schreiben (Separat-
abdruck) der 95 (S. 594 ff.) ; die Antwort des Bischofs auf beide Schreiben (31. Aug.),
S. 684. — St.-A. L. Fach 9, Fasz. 19.
— 269 —
Zuschrift ausgesprochen haben und deren Ausbreitung in den Wünschen
einer katholischen und eidgenössischen Regierung liegen müsse ».
Inzwischen hatte auch Papst Gregor XVI. in seiner bekannten
Enzyklika vom I7. Mai 1835 die Badener Artikel förmlich verurteilt. I
Bischof Salzmann teilte das päpstliche Schreiben, zugleich mit dem
an ihn gerichteten Breve, am 26. Juni dem Schultheißen Amrhyn
mit folgendem Schreiben vertraulich mit: «In größter Verlegenheit
nehme ich wieder die Freiheit, mich an Ihro Exc. zu wenden. Gestern
erhielt ich von Rom die epistolam encyclicam, von der ein Exemplar
gegenwärtigem Briefe beigefügt ist. Im gleichen geheimnisvollsten
Vertrauen lege ich Ihnen die Kopie eines an mich gekommenen
Apostolischen Breve bei. 2 Unschwer erkennen Ihro Exc. hieraus meine
höchst bedrängte Lage. Wiewohl mir mehrere Exemplaria der Encyclica
überschickt worden sind, werde ich dennoch kein einziges austeilen.
Allein soll ich nicht jeder Regierung der h. Diözesanstände ein Exemplar
übersenden ? Mir scheint es Pflicht gegen Kirche und Staat zu sein.
Doch wollte ich nicht handeln, ohne vorher mir Ihren weisesten Rat
zu erbitten. Mein Zustand ist umso drückender, weil ich mein Leiden
nicht einmal kund werden lassen darf, sondern in meinem Busen
verschlossen halten muß. » ?
Das für manche der damaligen Liberalen bezeichnende Ergebnis
nächtlichen Nachdenkens über die Haltung gegenüber dem päpstlichen
Verwerfungsakt faßte Amrhyn in seiner Antwort vom 28. Juni
zusammen. Er schrieb u. a.: «... Wäre nicht der Glaube an eine
alles zum Bessern leitende Vorsehung vorhanden, man dürfte sich
fragen, wohin es unter solchen Erscheinungen mit Religion und
öffentlichem Frieden kommen [solle]. Man will Unfrieden, Zweitracht,
Verfolgung, stößt das Gebot der Liebe höhnend und trotzend von sich
und hofft im leidenschaftlich angeregten Sturme des Volkes Heil für
Herrschsucht jeder Art und Befriedigung persönlichen Hasses und der
I St.-A.L. Fach 9, Fasz. 2ı (lat. und deutsch). — Gedrucktes Exemplar im
F-A.A.: Drucksachen ; Kath. Schweizerblätter XIII, 1871, S. 200 ff. (deutsch) ;
Schweiz. Kirchenzeitung 1835, Nr. 27 ff. ; Waldstätterbote, Nr. 56 ff. ; Eidgenosse,
Nr. 53 fl.; Allg. Kirchenzeitung, Nr. 35 ff. (u. a.: «Bemerkungen über das
Schreiben der Geistlichkeit der luzernischen Ruralkapitel an den hochw. Bischof
im Juli 1835 », in Nr. 45).
?2 6. Juni 1835. Wortlaut siehe Anhang (1).
3 Nachschrift : « Ich bitte inständigst, diesen Brief als das größte Geheimnis
in Ihrem Herzen aufzubewahren, damit nicht etwa Freunde meiner Person im
unbehutsamen Eifer zu Gunsten meiner Person meine Lage noch verschlimmern. »
Verfolgung zu finden. Was mich am tiefsten betrübt, am meisten mich
bekümmert, ist die Sprache eines Papstes, die Verdammung des Stell-
vertreters des Stifters unserer heiligen Religion, der die Liebe, die
Sanftmut, die hingebende Belehrung selbst war. ... Ich möchte bittere
Tränen darüber weinen, daß ein Papst Gregor XVI. das Werkzeug
einer ehrgeizigen und verleumderischen Klasse von Menschen werden
mußte, die heute Christum so gut zur Kreuzigung dem Pilatus über-
liefern würde, als es die Juden jener Zeit getan haben. ... Ich glaube,
Hochderselben schmerzvolle Lage zu durchblicken ; ich besorge auch
nicht, Ihre Lage zum Oberhaupte der Kirche, wie zum Staat img
aufzufassen, von dem E. Gn. in der Zeit zum bischöflichen Hirten für
seine katholischen Angehörigen, seine christlichen, wie politischen
Kinder auserkoren worden sind und in welchen beiden Beziehungen
sich E. b. Gn. durch einen schweren Eid gebunden finden. Sohn der
der Kirche wie des Staats — und wenn schon zur Stunde von beiden
verkannt, von beiden verleumdet — bleibt Ihnen die Eigenschaft ın
beiden Beziehungen heilig. Sie leiden, dulden und wirken zum Wohle
für beide, wenn Sie den Sturm der angeregten Leidenschaft mit heiterer
Duldung brechen, damit Zuversicht wieder anregen und der Liebe
wieder die Bahn allmächtig öffnen. Liebe gebietet E. Gn., den Akt
nicht zu verbreiten, der die Flamme der Leidenschaft zum Brande
über Kirche und Staat auflodern machen sollte, um unter Trümmem
versengter Menschheit das starre Weltgericht herbeizureißen. Liebe
gebietet E. b. Gn., die Regierungen vertraulich über die Gefahren zu
warnen, die ihnen drohen, wenn auch sie der überstürzenden Leiden-
schaft sich hingeben. Unter letzterm Gesichtspunkte und ohne die
Regierung zum wilden Kampfe herauszufordern, der nicht im Geiste
der Wahrheit und der Liebe liegt, teilen Sie nicht den Regierungen
selbst, sondern ihren Häuptern — und zwar ganz konfidentiell und
im pflichtigen Verhältnis zum Staat, ich sage: unter diesem unein-
löslichen Gesichtspunkte allein — das zwar nicht zur Mitteilung an
sie erhaltene päpstliche Kreisschreiben mit, damit der Landesherr
wisse, was vor sich gehe, und durch E. b. Gn. Stillschweigen nicht
größeres Mißtrauen, größere Aufregung, größere Gefahr und Unheil
entspringe. Eine solche einfache vertrauliche Mitteilung, die keinen
Staatsverhältnissen vorgreift (denn jeder Regierung, selbst ihren
Häuptern bleibt vorbehalten: ob sie von einem zur allgemeinen
Aufregung berechneten Akt Kenntnis nehmen wollen), ist eine
unmittelbare Sorgfalt für die Verhältnisse zur Kirche. So will es mich
— 27I —
unmaßgeblich gedünken. ... » — So schlossen mit Amrhyn auch andere
Leiter der liberalen Kirchenpolitik die Augen vor den religiösen
Konsequenzen ihrer Politik ; sie suchten den im Gewissen verpflichten-
den Ausspruch der höchsten kirchlichen Autorität dem Volke zu
verheimlichen und ihn als persönliches Urteil, als Werk einer politischen
Partei darzustellen. — Amrhyn ersuchte darum seinen Sohn, den eid-
genössischen Kanzler, in Bern beim Schultheißen dahin zu wirken, daß
die Regierung von der Bulle keine Kenntnis erhalte oder doch keine
nehme. « Die Regierungen der Schweiz sollen gleich den Regierungen
der süddeutschen Kirchenprovinz von solchen Erscheinungen vorder-
hand keine Notiz nehmen, gegen die Verbreiter solcher Akten polizeilich
einschreiten. ... »!
Im Luzerner Staatsrate beantragte Amrhyn, von der Bulle keine
Kenntnis zu nehmen und dem Kleinen Rat davon nichts mitzuteilen.
Doch er drang mit dieser Meinung nicht durch. Er konnte nur ver-
hindern, daß die Quelle nicht angegeben wurde, aus der er die Kenntnis
geschöpft hatte. «Wenigstens wird dadurch, wenn man reinen Mund
hält, der Bischof, den ich als Freund seines Vaterlandes kenne, von
seinem Kirchenoberhaupte nicht als Verräter an der Kirche verdächtigt.
Die exzentrischen Feuerköpfe beider Parteien überbieten alles, haben
weder Billigkeit, Klugheit noch Mäßigung. ... Ich bin eigentlich dazu
verdammt, mit beiden Extremen offen zu kämpfen », schrieb er seinem
Sohne. 2 Der Kleine Rat beschloß am 2. Juli: die Justiz- und Polizei-
kommission habe darüber zu wachen, daß das Plazetgesetz vom 7. März
1834 bezüglich der Bulle genau gehandhabt werde. Weil diese aber
in Schwyz gedruckt und rasch verbreitet wurde, verbot sowohl die
Regierung von Luzern als die von Aargau die Bekanntmachung und
traf Vorsichtsmaßregeln gegen Unruhen. ?
Am 1o. Juli teilte der Luzerner Kleine Rat dem Bischof mit, daß
der Schultheiß das päpstliche Kreisschreiben vorgelegt habe, und fügte
! 1. Juli 1835.
?2 3. Juli 1835. — In der Großratssitzung vom ıı. März 1836 erklärte dann
Amrhyn : der Bischof habe ihm das päpstliche Breve auf vertraulichem Wege
mitgeteilt ; aber es sei nicht ein Akt, wie ihn der Papst erlassen würde, wenn er
seine Stelle und Würde noch behaupten wollte. (Waldstätterbote, Nr. 23, 1836.)
3 St.-A. L. Fach 9, Fasz. 2ı. 4. Juli, 26. Sept. 1835. Am 4. August meldete
der Amtsstatthalter von Willisau, daß er die Verbreiter der Bulle verhaften lasse.
— Vgl. den Artikel im « Eidgenosse », Nr. 55 : « Wie hat man sich gegen Rom
zu benehmen ? » (« Wir wollen, wie Christus zu Petrus, ausrufen : « Hebe dich
weg, Satanas!....»)
bei, «daß jenem Kreisschreiben das Plazet nie erteilt werden könnte,
demnach die Bekanntmachung und Verbreitung desselben untersagt
bleibe ». Als dann Joseph Leu von Ebersol im Großen Rate die oflizielle
Bekanntgabe der Bulle verlangte, wurde diese verweigert, mit der
Erklärung, die Regierung habe keine amtliche Kenntnis davon. Leu
wandte sich deshalb mit ı4 andern Großräten im März 1836 an den
Bischof. Doch dieser schwieg. In einer neuen Zuschrift vom 18. Mai
1836 ersuchte ihn Leu um eine Antwort innert vierzehn Tagen. « Würden
Sie uns die verlangte Antwort in der obgedachten Zeitfrist nicht erteilen,
so müßten wir schließen, daß Sie uns keiner Antwort würdig halten ;
daher wir mit betrübtem Herzen uns als von unserem geistlichen Hirten
in Gewissensangelegenheiten die nötige Belehrung und Trost zu erhalten,
aller Hoffnung beraubt sehen müssen, so werden Sie es nicht übel
aufnehmen, wenn wir schon mit unseren Beschwerden, um Beruhigung
zu erhalten, an das Kirchenoberhaupt uns wenden. »! Der Bischof
schickte diesen Brief dem Schultheißen Amrhyn und bat ihn um Rat,
was er tun solle: «Soll ich antworten, daß ich einen doppelten Eid
gegen Kirche und Staat auf mir habe und zu halten schuldig sei und
auf gleiche Weise auch sie [die ı5 Großräte] dem Staate und der
Kirche, deren Obern von Gott gesetzt seien, zu gehorchen haben’
Oder darf ich erwähnen, daß wegen den Badener Artikeln Unter-
handlungen mit der kompetenten geistlichen Behörde werden eingeleitet
werden ? ... Oder ist es besser, gar nichts zu antworten ? » — Amrhyn
antwortete: «... Ich konnte mich mit der Ansicht nicht vertraut
machen, daß der Bischof im Falle sei, über allgemeine Kirchensachen
oder Religionsangelegenheiten sich gegen jemand andern als gegen die
Regierungen und die ihm untergeordnete Geistlichkeit amtlich ein-
zulassen, so wie er auch gegen jene, wie gegen die Kirche allein durch
einen Eid gebunden ist. Es dürfte daher auch unter diesem Gesichts-
punkte die Zudringlichkeit des Hrn. Großrats Leu und Mithaften
ablehnend beantwortet und daneben die Zusicherung gegeben werden:
es werde der Bischof, vermöge dieser Doppelverpflichtung, auch für
sich unter allen Verumständungen nichts Angelegeneres haben, als für
Bewachung und Beschützung der heiligen Religion, wie für Erhaltung
des innern Friedens sein Möglichstes zu tun, und worin er innigst
1 Das Original im F.-A. A. als Beilage des Briefes Salzmanns vom 2ı. Nai
1836. — Vgl. Siegwart-Müller, Ratsherr Leu, S. 50 f. — Die Schweiz. Kirchenzeitung
hatte schon in Nr. 33, 1834, tadelnd geschrieben : « Die eigentlichen kirchlichen
Behörden beobachten noch immer ein eisernes Stillschweigen. »
wünschen müsse, von allen, denen Religion und Vaterland am Herzen
liege, im kindlichen Glaube[n] an eine alles leitende göttliche Vor-
sehung mit friedfertigem Geiste unterstützt zu werden. »! Nach diesem
Rezepte des liberalen Staatsmanns scheint dann der Bischof dem Manne
geantwortet zu haben, der vier Jahre später die große Mehrheit des
Volkes im Sturm auf das liberale Regiment hinter sich hatte.
Um das lebhaft erregte Volk zu beschwichtigen, den Eindruck der
kirchlichen Verurteilung zu verwischen und ihren staatskirchlichen
Standpunkt zu begründen, warfen die liberalen Regenten Verteidigungs-
schriften ins Volk. Am 14. August 1835 beauftragte der Luzerner
Kleine Rat die Justiz- und Polizeikommission, den Entwurf des zweiten
Staatsschreibers Siegwart-Müller zu einer « Bekanntmachung und Beleuch-
tung der Badener Konferenzartikel von dem Kleinen Rat des Kantons
Luzern an die Bürger desselben » zu publizieren. Die 48 Seiten starke
Druckschrift wurde dann in Hunderten von Exemplaren an die Großen
Räte der andern Konferenzstände versandt. 2 Diese ofhizielle Ver-
teidigungsschrift, die nachher vom Papste ebenfalls verurteilt wurde,
brachte den Wortlaut der Badener Artikel, erwähnte das Plazetgesetz
vom 7. März 1834 und die Abänderung des Eheartikels, der nun die
Einsegnung von gemischten Ehen gewährleistete. Sie wies auf « Vor-
urteile » und Verdächtigungen der Regierung hin und ging zur Erklärung
der Badener Artikel über mit dem gewagten Satze: «Wer mit
Unbefangenheit und Bedachtsamkeit die Badener Konferenzartikel
durchlieset, wer sich vom katholischen Glauben Rechenschaft zu geben
imstande ist, wird finden, daß jene Artikel nicht nur nichts gegen die
katholische Glaubenslehre enthalten, sondern im Gegenteil die älteste
Kirchenordnung wieder herzustellen, die katholische Gesinnung neu zu
beleben, Mißbräuche und Willkürlichkeiten abzuschaffen und den
l Salzmann an Amrhyn, 2ı. Mai; Amrhyn an ihn, .29. Mai 1835.
® St.-A. L. Fach 9, Fasz. 21. — Allg. Kirchenzeitung 1835, Nr. 46 ff. (wört-
lich) ; Waldstätterbote 1836, Nr. 10 ff. (Kritik) ; Hurter, S. 302 f. — Das päpstliche
Verwerfungsbreve vom 23. Sept. 1835 im « Waldstätterboten », Nr. 84, 1835. —
Der bekannte Exeget und Kirchenhistoriker Möhler urteilte darüber (Schweiz.
Kirchenzeitung 1837, Nr. 4): «... Die in der neuern Zeit herrschend gewordenen
beschränkten und irdischen Ansichten von der Religion und Kirche, sie als
bloß örtliche Angelegenheit zu betrachten, die Kirche nach einzelnen Territorien
abzugrenzen, lauter Staatskirchen zu gründen und in dieser Weise von Grund
aus zu säkularisieren, gleich als wäre sie ein Produkt der Erde und des Bodens
ihrer Bekenner, sind ganz und gar in diese öffentlichen Dokumente eingedrungen.
Daher das Bestreben, den Zusammenhang mit dem gemeinsamen Mittelpunkt
möglichst zu schwächen und allmählig zu vernichten ....»
REVUE DHISTOIRE ECCLESIASTIQUE 18
Frieden des Vaterlandes zu bewahren beabsichtigen. » Die Verteidigung
berief sich auf die frühere Zugehörigkeit zu einem Metropolitanverband,
auf das Konzil von Basel, die Erklärung Lussis am Konzil von Trient,
den Pfaffenbrief usw. Sie schloß mit der nochmaligen Versicherung,
daß die Badener Artikel « die Kirchenordnung in der Eidgenossenschaft
wiederherstellen, den Bischöfen und der Geistlichkeit ihre Rechte
sichern, die kirchlichen Einrichtungen für Bewahrung der reinen
Glaubenslehre und für Verbesserung des äußern Kirchenlebens wieder
ins Leben rufen, den Staat gegen die Anmaßungen kirchlicher Gewalten
schirmen, den Frieden in der Eidgenossenschaft ungestört erhalten,
Mißbräuche abschaffen, ... die Verfassungen und die von unsem
Vätern ererbten Rechte und Freiheiten handhaben wollen ». In dieser
Absicht werden die Regierungen die Artikel gegen jede Gewalt ver-
teidigen | —
Gleichzeitig mit dieser offiziellen Verteidigungsschrift erschien eine
private, von Schultheiß Amrhyn verfaßte, unter dem Titel: « Erklärung
und Verteidigung der Badener Konferenzartikel von einem katholischen
Schweizer.»! Sie berief sich ebenfalls auf das «leuchtende Beispiel »
der Vorfahren und auf die Unordnung, die seit der Lostrennung von
Konstanz erwachsen sei. Schon während der Bistumsverhandlungen
seien «mehr als einmal die Rechte, sowie die Würde der Staatsgewalt
aufs tiefste verletzt worden », und die eidgenössischen Stände, welche
die Unterhandlungen führten, seien «in eine Stellung zurückgedrängt
1 Luzern, Meyer, 1835, 36 S. 8°. — Daß Amrhyn der Verfasser ist, ergibt
sich — gegenüber der Darstellung Liebenaus in den « Kath. Schweizerblättern »
1896, S. 101 f. — aus dem von Liebenau selbst veröffentlichten Briefe des tüchtigen
freisinnigen Philosophieprofessors Ernst Großbach an Amrhyn (12. Sept. 1835),
der gegenüber der ofhziellen a Bekanntmachung » verschiedene rechtliche Bedenkea
erhob. Prof. Großbach schrieb dort: « Je mehr mich aber in manchen Stücken
diese Erläuterung der B[adener] C[onferenz]-Artikel unbefriedigt ließ, desto mehr
erstaunte ich über die köstliche diplomatische Arbeit, so aus der Feder Ew. Excel-
lenz geflossen. Diplomatisch, nenn ich sie, weil sie mit jedem Schritt, den Sie
tut, treu und streng auf dem Boden der Geschichte bleibt ; ferner weil sie sich
über Subjektivität erhebt und nur die Sache im Auge hat, und endlich, weil sıe
mit Feinheit und Gewandtheit den Gegner — entkleidet von seinen unfehlbaren
Attributen — auf dem politischen Boden festzuhalten weiß. » — St.-A. L. Fach 9,
Fasz. 21. Beilage: die « Bekanntmachung und Beleuchtung » mit den kritischen
Randnotizen Großbachs. — C. Siegwart-Müller schreibt (« Der Kampf zwischen
Recht und Gewalt », S. 142) : «Im Auftrage der Regierung von Luzern schrieb
ich mit vielem Aufwand von Zeit und Studium die « Bekanntmachung und
Beleuchtung der Badener Konferenzartikel», welche zu Rom in das Verzeichnis
der verbotenen Schriften gesetzt worden ist. »
worden, welche sich nie unsere Vorfahren würden haben gefallen lassen ».
Darum die Solothurner Konferenz. « Die Angriffe auf die Staatsgewalt
wuchsen mit jedem Jahre » — fährt der geriebene Politiker fort —
«und man schien damit umzugehen, die Grenzen zwischen der Staats-
und Kirchengewalt gänzlich zu verwischen. Ein größerer und ein
kleinerer Teil der Priesterschaft in den rein katholischen und pari-
tätischen Kantonen offenbarte — uneingedenk ihrer hohen Bestimmung
— bei jeder Veranlassung einen feindseligen Geist gegen die errungene
neue Freiheit und ihre Segnungen, mischte sich verwegen und ungescheut
in jede politische Frage und schuf zuletzt als bleibende Stätte und
Nahrungsquelle für ihre unreinen Absichten den sogenannten Katho-
lischen Verein. ... Da fühlte die Regierung von Luzern die dringende
Pflicht, dem zerstörenden Geiste zu begegnen. ... Wie notwendig und
wohltätig jene Beschlüsse waren, hat seitdem die Erfahrung hinreichend
gelehrt ; sie haben der lange verhöhnten Staatsgewalt wieder jene
Waffen in die Hände gegeben, mit welchen unsere Vorfahren stets so
siegreich ihre Rechte behauptet haben. ... Der Zweck dieser Artikel
ist: teils die Wohlfahrt der Kirche zu fördern, soweit der Staat dazu
die Pflicht und Befugnis hat, teils die Grenzen der Kirchengewalt in
den wesentlichsten Punkten zu bestimmen. Die sämtlichen 14 Artikel
sprechen nur Rechte aus, welche 1. unveräußerlich jedem wohlgeordneten
Staate zukommen ; welche 2. von den ältesten Zeiten her von unsern
Vorfahren ausgeübt wurden und welche 3. endlich auch von allen
andern Staaten gehandhabt werden. » Die folgenden Seiten verteidigen
das liberale Staatskirchentum, wie wir es in der allgemeinen Einleitung
gezeichnet haben, aus den Schriften Pithous, Van Espens, Rieggers,
Eichhorns und aus der geschichtlichen Vergangenheit. Bei der Erklärung
der einzelnen Artikel werden neben den geschichtlichen Beispielen auch
andere Staaten angeführt, um mit diesen einseitig staatlichen Maß-
nahmen einen Rechtsboden zu konstruieren. Der päpstlichen und
bischöflichen Verwerfung stellte der «katholische Schweizer » den Satz
entgegen : « Diejenigen, welche vorgeben, als würde die kanonische
Ordnung und die Glaubenslehre der katholischen Kirche durch die
Badener Konferenzartikel nur im mindesten gefährdet, befinden sich in
einem bedauernswerten Irrtum», und er schloß mit der kecken
Behauptung : ohne die kirchliche Selbständigkeit des Vaterlandes gebe
es keine wahre politische Freiheit.
Wie sich die liberale Geistlichkeit zu diesen beiden Verteidigungs-
schriften stellte, zeigt das folgende Urteil P. Gregoire Girards — des
32 276° —
bekannten Freiburger Pädagogen und früheren Professors in Luzem —
in einem Briefe an Amrhyn: «... Die Erklärung der Luzemer
Regierung ans Volk ist wahr und klar, und ich als alter Theolog
genehmige ihren Inhalt durch und durch ; doch aus Schonung für das
in der religiösen Aufklärung noch nieder stehende Volk, sowie aus Scheu
vor einer Geistlichkeit, die gerne mit und durch Rom herrschen
möchte, hätte ich einiges in dieser Erklärung ausgelassen und anderes
im Ausdruck gemildert. Ich glaube zwar nicht, daß darum die römische
Verdammung vermieden worden wäre ; denn es gibt Wahrheiten, die
Rom gar nicht hören mag, weil sie seinen Interessen zuwiderlaufen.
Ich stehe übrigens in der Überzeugung ...: die Artikel der
Badener Konferenz hätten noch lange nicht vor das Volk gebracht
werden sollen, sondern vorläufig in der Stille von den Regierungen
soviel möglich verwirklichet werden sollen. ... Die Schrift, welche
Ihre Excellenz über die Artikel der Badener Konferenz verfaßt hat,
war sehr umsichtig auf die Fassungskraft und das Bedürfnis der
lesenden Volksmenge berechnet. ... »!
Als die Blätter die Meldung brachten, der Papst habe am
23. September die « Bekanntmachung und Beleuchtung » als ein freches,
beschimpfendes, ketzerisches Libell verurteilt und unter Strafandrohung
auf den Index gesetzt, reichte der radikale Staatsrat Dr. J. R. Steiger
am 23. Oktober 1835 folgenden Antrag ein: a... So wenig Nach-
teiliges dieser erneuerte Bannfluch von Rom in unserm Kanton hervor-
rufen wird, so kränkend hingegen ist ein solches Dekret gegen die
Schlußnahme der Regierung eines freien Staates, in dessen Mitte der
Gesandte des römischen Hofes seinen Sitz in der Eidgenossenschaft
aufgeschlagen hat ; ja es enthielt dasselbe eine förmliche Aufruhrs-
erklärung, indem dadurch die Bürger des Kantons Luzern zum
Ungehorsam gegen die durch Verfassung und Gesetz aufgestellten
obersten Staatsbehörden aufgefordert werden ; es ist ein schmähliches
Attentat gegen die Rechte des Staats, welches nicht geduldet, noch
durch Stillschweigen sanktioniert werden darf, wenn sich die Staats-
behörden nicht der öffentlichen Verachtung preisgeben und demütig
dem ausländischen Übermut sich unterwerfen wollen. Mein Antrag
geht also dahin, der Kleine Rat des Kantons Luzern soll sich vorerst
über das Vorhandensein oder Nichtsein eines solchen päpstlichen Dekrets
vergewissern und zu diesem Behuf von dem päpstlichen Gesandten
1 13. Jan. 1836 ; St.-A. L. Fach 9, Fasz. 2ı.
in hier eine bestimmte und unumwundene Antwort verlangen. Je
nachdem diese Antwort ausfallen wird, behalte ich mir vor, die weitern
Anträge zu stellen. »! Dieser Antrag ist wiederum bezeichnend für
eine Staatsleitung, die sich ganz auf die unbedingte Macht des Staates
stützte und Aussprüche der kirchlichen Autorität als rein politischen
Akt, als Einmischung des Auslandes betrachtete.
In diesem Geiste trat die Luzerner Regierung auch den Mahnungen
des Mitstandes Schwyz schroff entgegen. Landammann und Regierungs-
kommission des Kantons Schwyz gaben nämlich am 28. März 1836
ihrer Beunruhigung wegen der Badener Artikel kräftigen Ausdruck,
indem sie an den Schultheiß und Kleinen Rat von Luzern schrieben :
«Wenn ein katholisches Volk die Ansichten der katholischen Kirche
in solch unzweideutigem, jeder andern Auslegung unmöglichem Sinne
ausgesprochen weiß, und diese ihm dennoch aufgedrungen werden
wollen, liegt es wohl nicht in seiner Pflicht, allem aufzubieten, um seine
Anhänglichkeit an die Grundsätze jener Religion an [den] Tag zu
legen, welcher es zugetan ist ? Und ist es nicht im Gewissen verpflichtet,
gegen Einführung einer Lehre seinen Abscheu zu erkennen [zu] geben,
durch welche es seine Religion selbst so offenbar als gefährdet erblickt ?
Mit Annahme dieser Artikel ist die Absicht unverkennbar, daß die
Herde von ihrem Hirten getrennt werden solle. ...» Der Kleine Rat
antwortete auf dieses Schreiben am 20. April in scharfem Tone. Er
verwahrte sich gegen die « vorgreifenden, unberufenen Beschuldigungen »
und verteidigte die geschichtliche Berechtigung der Badener Artikel.
«Von einem Ausspruche der katholischen Kirche gegen die Badener
und Luzerner Konferenzbeschlüsse — wie und wann einen solchen
die allgemein anerkannten Kirchensatzungen zulassen — wissen wir
nichts », erklärten die Luzerner Regenten wider alle Wahrheit. « Solltet
Ihr aber die Behauptung des Vorhandenseins eines solchen Ausspruches
auf eine vorgebliche daherige päpstliche Verdammungsbulle — die
ohnehin in keinem Falle nach jenen Kirchenvorschriften als eine Ent-
scheidung der katholischen Kirche anzusehen ist — Anspielung machen
wollen, welche Bulle die Regierung übrigens nicht kennt ... ; solltet
I Das Original im St.-A. L. Fach 9, Fasz. 21. — Amrhyn an seinen Sohn,
14. Okt. 1835 : « Heute las ich das jüngste Breve des Heiligen Vaters, welcher die
von der Regierung ausgegangene « Beleuchtung und Verteidigung der Badener
Konferenzbeschlüsse » in — die Regierung höchst beleidigenden — Ausdrücken
feierlich verdammt und auf das Register der verbotenen Bücher zu setzen
verordnet.» — Luzerner Zeitung 1835, Nr. 94.
— 27383 —
Ihr versucht sein, diesem Euerer Stellung in jeder Beziehung fremden
Akt das Wort zu führen, so verhehlen wir Euch ebensowenig den
tiefen Schmerz ..., wenn der Heilige Vater sich wirklich, auf ein-
seitige, unlautere und feindliche Angaben hin, ohne weiteren Unter-
such, ohne zuvor die Regierungen angehört zu haben, zu einem
Verdammungsurteil gegen dieselben hätte verleiten lassen können. ...
Übrigens weisen wir Euere, weder durch den alten, noch durch den
neuen mit uns geschwornen Bund gerechtfertigte, zudem unbrüderliche
Einmischung in die innern Angelegenheiten anderer Kantone mit
gleicher Eifersucht und Entschiedenheit zurück, die Ihr selbst unter
allen Umständen in den Euern Kanton betroffenen Angelegenheiten
auch der wohlwollenden, vermittelnden Dazwischenkunft Euerer
Bundesbrüder immerfort entgegengestellt habt. .... »! Gleichzeitig
protestierte der Kleine Rat von Luzern beim Vorort Bern gegen das
«anmaßliche » Kreisschreiben von Schwyz und teilte ihm seine Antwort
mit. Die Schwyzer Regierung replizierte im Auftrag des Großen Rates:
Luzern sei der einzige ganz katholische Stand, der die Badener Artikel
angenommen habe. Das Vorgehen Berns im Jura bestätige die Ansicht,
daß «rein kirchliche Dinge den kompetenten kirchlichen Behörden
zu überlassen, gemischte aber im Einverständnis mit denselben zu
behandeln » seien. Die alten Verträge und Protokolle beweisen nicht
das, was Luzern damit beweisen wolle, sondern gerade das Gegenteil.
«Wenn irgend eine Tatsache historisch erwiesen vorliegt, so ist es die,
daß unsere Väter die Beschlüsse des Conciliums von Trient angenommen
haben. ...» Die angebliche Unkenntnis der päpstlichen und bischöf-
lichen Verwerfung sei ein Beweis für die Wirkung des Plazets, eines
Grundsatzes, «durch dessen Aufstellung die weltlichen Behörden Epis-
kopalrechte über die Gläubigen sich anmaßen und durch dessen
Anerkennung die Bischöfe derselben sich gleichsam entäußern würden. »
Die Entscheidung des Papstes sci auch die der Kirche. ?
I Schweiz. Kirchenzeitung 1836, Nr. 16, ı8 ; Eidgenosse, Nr. 30, 34 ; Allg.
Kirchenzeitung, Nr. 19. — St.-A. L. Fach 9, Fasz. 2ı (auch gedruckt). Beilage
von Amrhyns Hand : « Zergliederung des Zirkularschreibens des Standes Schwyz »,
ebenso von Auszügen aus Zeitungen. Der « Volksfreund » in Burgdorf (Nr. 34.
28. April 1836), z. B. redet in einer Luzerner Korrespondenz von der « Schwyzer
Pfaffenjunta ». Der « Waldstätterbote » (Nr. 37) aber bezeichnet die Antwort
Luzerns als «vom radikalsten Hochmut bis zum Zerplatzen aufgeblasen, von
Ergicßungen der niedrigsten Leidenschaft angefüllt. »
® 24. Juli 1836. — Kas. Pfyffer an Amrhyn ; Bern, 8. April : Das diplomatische
Departement Berns habe eine scharfe Antwort an Schwyz entworfen.
IV. Weitere Konflikte
als Ursache der Luzerner Konferenz (1835).
Die päpstliche und bischöfliche Verurteilung der Badener Artikel,
die schweren Anstände der kirchlichen Behörden mit den Regierungen
— besonders von Aargau, Solothurn, Luzern und St. Gallen — und
die Aufregung des Volkes darüber, veranlaßten im Sommer 1835 die
Berufung einer neuen kirchenpolitischen Konferenz nach Luzern. Wir
müssen aber, bevor wir die Konferenz selber betrachten, ihre Veran-
lassung noch eingehender darlegen ; zunächst den Kamödf der radikalen
Aargauer Regierung mit dem Bischof und der strengkirchlichen Geistlich-
keit. — Bischof Salzmann hat später einmal vom Aargauer Großen
Rate gesagt: « Allemal bangt mir vor seinen Dekreten. Wo es nur
heißt : Sic volo, sic jubeo, stat pro ratione voluntas, da muß in der
Tat alles befürchtet werden.» Und ein anderes Mal: «Der Kanton
Aargau macht mir mehr Mühe als die übrigen sechs Kantone mit-
einander. »! Die schon durch den Wohlenschwilerhandel geschaffene
Spannung zwischen Staat und Kirche im Aargau wurde durch die
Badener Artikel, durch das nachher erlassene Plazetgesetz und die
Verurteilung durch den Bischof rasch verschärft. Der Große Rat
beschloß am 5. Mai, Salzmann sein Protestschreiben, das «selbst auf
Aufregung des Volkes» tendiere, mit dem Hinweis «auf seine
beschwornen Pflichten » zurückzusenden, ihm «das hohe Mißfallen der
Landesbehörde darüber ausdrücken und zugleich verdeuten zu lassen,
daß er für alle Folgen seiner rechtswidrigen Handlungen persönlich
verantwortlich gemacht werde ». Eine Proklamation wollte die Artikel,
das Plazetgesetz und das neue Schulgesetz rechtfertigen und den Bischof
in den Augen des Volkes verdächtigen. Diese einseitige und scharfe
Kundgebung sollte am 1y. Mai — einem Sonntag — während des
Gottesdienstes auf den Kanzeln verlesen werden. Auf die Anfrage von
Geistlichen erwiderte der Bischof : er wolle die Verkündigung weder
gebieten noch verbieten. Dreizehn Geistliche, die diese Antwort noch
I 17. März 1838, an Kaplan Meyer (Schweiz. Kirchenzeitung 1923, Nr. 18 ff.).
— Vgl. für das folgende: Hurter, S. 604 fl. ; Henne, S. ı57 fi. ; E. Heer, S. 39 ff. ;
G. J. Baumgariner, II 166 fl.; E. Zschokke, Geschichte des Aargaus, S. 25ı fl.;
Tillier, Gesch. der Eidgenossenschaft während der Zeit des sog. Fortschrittes I
325 .; J. K. Bluntschli, Der Sieg des Radikalismus, S. ıı2 ff., 141 fl. ; Siegwart-
Müller, Der Kampf zwischen Recht und Gewalt, S. 180 fl. ; Vautrey, II 540 f. —
Akten in der Schweiz. Kirchenzeitung 1835, Nr. 30 ff. ; Waldstätterbote, Nr. 33 fl. ;
Allg. Kirchenzeitung, Nr. 36 fi.
— 25 —
nicht kannten, verschoben die Verlesung auf den folgenden Sonntag.
Die Dekane Rohner in Kirchdorf und Dosenbach in Bremgarten
verteidigten ihren Standpunkt in schriftlichen Eingaben an die welt-
lichen Behörden. Diese aber schritten mit rücksichtsloser Schärfe gegen
Geistliche und Laien ein, ließen sie gerichtlich verurteilen, verhaften,
mit schweren Geldbußen belegen, im Aktivbürgerrecht einstellen usw.
Besonders hart war das Verfahren gegen Dekan Groth von Meren-
schwand, der die Weisung des Bischofs persönlich eingeholt, aber am
vorgeschriebenen Tage die Proklamation verlesen hatte.
Voll tiefster Besorgnis schrieb der Bischof am 29. Mai an Amrhn:
a Meine Lage wird mit jedem Tag schwieriger ; die Proklamation des
h. aargauischen Rates, welche durch die Geistlichkeit selbst von der
Kanzel herab verlesen werden mußte, hat mich noch vollends nieder-
gedrückt. Was konnte der Bischof, wenn er über das Verlesen oder
Nichtverlesen angefragt wurde, antworten ? Einerseits der Staat:
andrerseits die Kirche. Ich glaubte, keine Weisung geben zu können
— und das Verlesen weder befehlen noch verbieten zu sollen, dennoch
aber durch Raten einzuwirken, daß die Verlesung erfolge. Nun geht
die Sage, man habe mehrere Priester mit bedeutender Geldstrafe belegt ;
auch sollen etliche — von denen einer, wie ich gewiß weiß, dem Gebot
der Verlesung sich unterzogen hat — im Arreste sein. Man erwartete
von mir eine Gegenproklamation an das Volk. Ich lasse sie nicht
ergehen, sondern schweige. Was geschieht nun ? Jetzt wird unfehlbar
durch Katholiken mein Verhalten beim Heiligen Stuhl angeklagt und
angeschwärzt. Andrerseits hat die Verhörkommission eines aargauischen
Bezirkes an das hiesige Oberamt sich gewendet, mit dem Begehren.
man solle mich verhören wegen Personen, die zu mir gekommen seien,
und was sie mit mir geredet haben usw., gegen welche unerhörte
Zumutung ich aber die h. Regierung von Solothum um ihren Schutz
ansprach.» ... In einer Nachschrift fügte Salzmann bei: «Nur fünf
Mitgliedern des Kapitels Regensberg bei Baden, welche nicht verlasen
und hernach, um den nächsten Sonntag verlesen zu können, schriftlich
an mich gelangten, gab ich einen schriftlichen Erlaubnisakt zum
Verlesen, welchen Akt ich aber, um meine Person in bezug auf Rom
sicherzustellen, also stilisierte : Unter Vorbehalt, daß aus gegenwärtige!
Erlaubnis nichts gegen die Kirche und die kirchliche Hierarchie
gefolgert werden solle, im Drange der Umstände, zur Abwendung
unglücklicher Folgen für Pfarrer, Pfarrangehörige, Kirche und Staat
— um des allgemeinen Friedens willen — erlaube ich, nachzugeb&
— 231 —
der höhern Macht und die Proklamation zu verlesen. Worauf die
wörtliche Verlesung der Proklamation durch alle fünf Mitglieder erfolgte.
— Diesen Augenblick lese ich im «Schweizerboten », die Geistlichen,
deren ich oben in meinem Briefe als im Arreste befindlicher erwähnte,
seien die Herren Dekan Groth, Pfarrer Beutler in Auw und Kaplan
Wey in Mühlau. In der Pfarrkirche des Hrn. Groth war doch die Ver-
lesung der Proklamation sogleich erfolgt ; von den zwei andern Herren
aber, von denen einer ein Konventual von Engelberg ist, habe ich keine
Nachricht erhalten. — O, wie gut wäre es, wenn die h. Regierung
Milde eintreten ließe! Ich leide sehr und seufze nach Erlösung. »!
Amrhyn antwortete dem Bischof: «... Es mußte dahin kommen,
nachdem die einen sich die Freiheit [der Kirche ?], die andern die
Freiheit und Unabhängigkeit der Schweiz zum trugvollen Schild
ihrer bloß persönlichen Bestrebungen gewählt haben. ... Der Kampf
jener beiden Extreme ist nun einmal in die vollen Schranken getreten
und wird ... auf Leben und Tod geführt. Nicht in der Schweiz allein
waltet diese sinnlose Narrheit. ... Unter solchen Umständen ... muß
es noch als ein Glück betrachtet werden, wenn durch Untersuch die
Möglichkeit angewandt werden kann, Licht ins wüste Dunkel zu
bringen, wenn schon auf schmerzlichem Wege. Dahin werden die ...
Verhaftungen im Kanton Aargau führen. ... »?
Kurz bevor die Regierung vom Bischof verlangte, daß er für die
in ihren Amtsverrichtungen eingestellten Pfarrer Verweser bestelle und
neue Dekane wählen lasse, schrieb dieser in solcher Voraussicht : «...
Offenbar suchen einige den ganzen Diözesanverband aufzulösen. Was
bleibt unter diesen Umständen dem Bischof zu tun ? Entweder muß er
diese Depositionen abweisen, zu keiner Pfarrer- und Dekanatswahl
mithelfen und nicht einmal einen provisorischen Verweser gedulden, weil
der rechtmäßige Pfarrer (wiewohl unter polizeiliche Aufsicht gestellt)
dennoch in seiner Pfarrei wohnt ; oder, wenn er solche Depositionen
dulden und einen neuerwählten Pfarrer instituieren wollte, muß er
gewärtigen, daß ihm selbst als einem pflichtvergessenen Bischof der
geistliche Prozeß gemacht und er kirchlich deponiert wird ; wenigstens
würde er die Verachtung des ganzen katholischen Volkes auf sich laden ;
oder er muß jetzt, da er noch mit Ehren abtreten kann, freiwillig
resignieren. ... » 3
1 St.-A. L. Fach 9, Fasz. ı2.
2 31. Mai 1835. — St.-A. L. Fach 9, Fasz. ı2.
®? An Amrhyn, 9. Juli 1835 ; St.-A. L. Fach 9, Fasz. ı2.
— 282 —
Die Vermittlungsvorschläge des Bischofs und der Ausgleichsversuch
des katholischen Vorortes waren erfolglos, da führende Radikale wie
Augustin Keller, Bruggisser und Dr. Wieland, unerfüllbare Bedingungen
stellten. So blieb dem Bischof pflichtgemäß nichts anderes übng,
als in aller Form gegen die Absetzung und Suspension der Pfarrer und
Dekane Dosenbach und Rohner und anderer zu protestieren und zu
erklären, daB er keine Neuwahlen oder Stellvertretungen gestatter.
könne (14. Juli). « Allerdings », schrieb er Amrhyn, « haben die erwähnten
zwei Herren, besonders ersterer, es um mich nicht verdient, daß ich
mich für sie aufopfere ; allein Recht und Pflicht gehen all’ anderm
vor, und Amtespflicht gebot mir, also zu schreiben. Übrigens ist mein
Entschluß gefaßt. Wenn der h. Stand Aargau auf seinen Beschlüssen
zu verharren für gut findet (obschon der h. Große Rat einen Akt der
Großmut tun könnte), wird er es auch nicht verüblen können, wenn
der Bischof dasjenige tut, was das allgemeine Kirchenrecht ihm zu
tun auferlegt. Bei den andern h. Diözesanständen kann Aargau dann
unmöglich Anklang finden. Sollte aber das Unmögliche dennoch
geschehen, in solchem Falle glaube ich, nicht gegen das Gewissen zu
handeln, wenn ich dann meine Demission augenblicklich in Rom ein-
gebe. Rom, dessen Gesinnungen hinsichtlich meiner Person Ihnen
bekannt sind, wird gewiß keine Einwendungen dagegen machen. Die
allfälligen Folgen werde ich hoffentlich umsoweniger zu verantworten
haben, je länger ich nur um des Vaterlandes willen zwischen den
Schlägen zweier Extreme aushielt und erst alsdann abtrat, da ich nichts
Gutes ferner in dieser Stellung hätte wirken können. In den Privat-
stand zurückgetreten, werde ich mit Gottes Gnade allezeit ein guter
Bürger und Priester zu bleiben mir angelegen sein lassen. » ?
Während die Aargauer Regierung in scharfem Tone antwortete und
I Prot. des Staatsrats von Luzern, 25. Juni 1835: «Hr. Statthalter
F. L. Schnyder berichtet, er habe im Aargau mit einigen der einflußreichsten
Mitglieder der Regierung und des Großen Rates über das vom Bischof von Basel
angebotene Vergleichsmittel gesprochen und sie geneigt gefunden, auf dasselbe
einzugehen. Jedoch verlangen namentlich die Herren Dr. Wieland, Seminardırektor
A. Keller und Gerichtsschreiber Bruggisser in Bremgarten von dem Bischof eine
unumwundene Erklärung, daß er auf die Immunität verzichte und das Recht des
Staates in den obwaltenden Zerwürfnissen anerkenne. Vermittelst einer solchen
Erklärung werde der Zwist beseitigt, und die betreffenden Geistlichen werden vom
Großen Rate des Kantons Aargau Begnadigung erhalten.» — Der Staatsrat
beauftragte Schnyder und Amrhyn, mit dem Bischof und der Aargauer Gesandt-
schaft an der Tagsatzung Rücksprache zu nehmen.
% 21. Juli 1835.
— 283 —
mit Maßnahmen gegen « vermessene Zumutungen und feindliche Ein-
mischungen » drohte, schrieb Amrhyn dem Bischof, er werde auf eine
. «beruhigende » Versammlung der Badener Konferenzstände hinarbeiten.
‘ aVorderhand verzeihen mir E. H. u. Gn. diese Offenheit, daß der Staat
‘ die verweigerte Verlesung der Regierungspublikation als Gehorsams-
aufkündigung nicht nur ansehen, sondern als solche ahnden muß, damit
nicht allgemein Ungehorsam und der alle Schranken überschreitende
Empörungsgeist einreiße. Allein die Art und das edlere Maß, nach
welchem dieses Platz finden sollte, bleibt der ruhigen Besonnenheit vor-
behalten, die leider ! unter aufgährenden Leidenschaften nur zu bald
verloren geht. Alles dessen, was in unserm Vaterlande unter feind-
seligem fremdem Einflusse geschehen, ungeachtet, bleibt doch mein
Glaube an den billigen bessern Sinn unseres Volkes, an eine hierdurch
hervorgerufene Großmut bei den Regierungen fest. Dazu bedarf es aber
der edlen Selbstverleugnung, des ermunternden Vorbildes von Seite[n]
des Bischofs. Ich bitte, ich beschwöre E. Gn. aufs neue: stehen Sie
von Ihrem Entschlusse der Entlassungseinreichung als Bischof ab. Sie
dürfen einen solchen Schritt nach den bestimmten Beschlüssen der im
Jahre 1830 in Solothurn abgehaltenen Konferenz ohne Vorwissen der
Diözesanstände nicht tun, und diese werden und müssen gegen ein
solches Vorhaben protestierend einschreiten. Auch werden E. b. Gn.
durch einen solchen Schritt nichts Förderliches weder für Kirche noch
Staat bewirken, sondern beider Starrsinn nur noch mehr hervorrufen
und den Feinden des billig freien Vaterlandes nur noch mehr Vorschub
leisten, als Ihr vaterländisches, wenn schon tief religiöses Herz
wünschen kann. ... »!
(Fortsetzung folgt.)
U 24. Juli 1835. — St.-A. L. Fach 9, Fasz. ı2. — Schweiz. Kirchenzeitung,
Nr. 31, 32, 36 ; Eidgenosse, Nr. 81 ff.
Die Quellen
zur Biographie der seligen Rachild.
Von E. SCHLUMPF, St. Gallen.
Leider hat die geistige Tochter der hl. Wiborada, die sel. Rachild,
keinen eigentlichen Biographen gefunden. Was wir über sie wissen,
sind mehr oder weniger zufällige Angaben, die sich zerstreut in den
beiden Werken der Wiboradabiographen, in der St. Galler Kloster-
chronik und in der Annalistik finden.
I.
Annalistische Aufzeichnungen.
I. Die Annales Sangallenses majores. !
920. Rachilt in nativitate sanctae Mariae inclusa est.
946. Rachilt reclusa defuncta est.
2. Das Chronicon Herimanni. ?
920. Apud Sanctum Gallum Rachildis virgo inclusa est.
925. Ungariis item Alamanniam vastando pervagantibus ei ad
coenobium quoque Sancli Galli pervenientibus, Wiborada virgo inclusa,
fracta cella, a guodam ex eis perempla et martyrio coronala, Rachildisque,
conteclalis erus, inlaesa divinilus conservata est.
946. Apud Sanctum Gallum Rachildis virgo inclusa migravit ad
Dominum.
3. Das St. Galler Totenbuch. ?
November 23 VIIII Kal. Dec. Beata Rachilda piae memorae
veclusa saeculum mulando vicit.
t St. Galler Mitteilungen XIX, p. 282 u. 285.
2 M. G. Script. V, p. 112, 113 u. 114.
® St. Galler Mitteilungen XI, p. 59.
—_— 285 —
Unter diesen Angaben fällt in erster Linie jene der St. Galler
Totenbücher auf, die Rachild mit besonderer Auszeichnung erwähnen ;
ferner jene des Chronisten von Reichenau, der zum Jahre 946 den
Tod der sel. Rachild in St. Gallen als die einzige Meldung verzeichnet.
Daraus ergibt sich ohne weiteres, daß die Tote bei ihrer Nachwelt
eine außerordentliche Ehrenstellung einnahm, was hinwieder auf ein
ebenso hohes Ansehen Rachilds bei ihrer Mitwelt zurückzuführen ist.
Dieser Auffassung ist auch die spätere st. gallische Geschichtsschreibung.
So sagt Jod. Metzler in seinem Werke: De viris illustribus Monasterii
S. Galli 1606 : De B. Rachilde virgine. Inter beatas Wiboradae martyris
Alumnas omnium illustrissima bealta Rachildis, cuius virtutem uno ore
Patres omnes commendavere. Pez, Thes., An. Nov. 1721. Cap. ult. —
Im übrigen bilden diese annalistischen Angaben die einzigen chrono-
logischen Nachrichten für das Leben der sel. Rachild. Sie sind daher
wertvoll, zumal sie aus durchaus zuverlässigen Quellen stammen,
obwohl es sich, wie die Quellenkritik überzeugend nachgewiesen hat,
gerade hier um einen Verschrieb handelt. Die Angaben unter den
Jahren 920 bis 925 müssen zu den Jahren 921 bis 926 gereiht werden.
Vergl. Zeitschrift für Schweizerische Kirchengeschichte, 21. J. 2. H.
1927, S. 230 ff. Darnach fällt die hier in Frage kommende Ein-
schließung der Rachild in das Jahr 921 und der Überfall von St. Gallen
durch die Ungarn in das Jahr 926.
II.
Biographische Angaben.
1. Hartmannus, mon. Sangall. in Vita s. Wiboradae. '
a) Cap. III. 22.
Non post multum autem comperto ad monasterium eiusdem ducis
(sc. Burkhardi) adventu, .... ilico ut advenit, ad se accersiri Precepit.
Quem advenientem dure suscipiens, asperis verbis .... valde increpavit
(sc. Wiborada) ..... At ille promissis promissa adjiciens, benedictione
dercepla, ad domicilium sanctae Rachildae processit. Quae a spirituali
malre praemonita, illis verbis similia promittentem humiliter suscepit ac
dimisil.
Die Erzählung von dem Besuche Herzog Burkhards in St. Gallen,
die Hartmann sehr ausführlich bringt, hat Hepidan, der spätere
IA. SS. 2. Maji, I, p. 284 ss.
— 286 —
Biograph Wiboradas, stark gekürzt. Die obige Bemerkung Hartmann
über den Besuch des Herzogs bei Rachild hat er sogar gänzlich unter-
drückt. Dagegen bemerkt auch er mit Hartmann, daß der Herzog
bald nach dem Besuche in St. Gallen einen Kriegszug nach Italien
unternommen, in dem er den Tod gefunden habe. Da nun der Tod
‘des Herzogs nach vielfach verbürgten Quellen in das Frühjahr 9%
fällt, so darf dessen Besuch in St. Gallen mit höchster Wahrscheinlich-
keit in den Sommer 925 verlegt werden. Damals nun lebte Rachild
bereits schon 4 Jahre als Inklusin in St. Gallen. Aus den ganzen
Lebensabschnitte also, der diesem Zusammentreffen Rachilds mit
Herzog Burkhard in St. Gallen vorausgeht, erfahren wir aus Hartmann,
dem ursprünglichen und zuverlässigeren Biograpben Wiboradas nichts.
Aus der obigen kurzen Bemerkung aber ersehen wir, daß Rachild zu
Wiborada im Verhältnis einer geistigen Tochter zur geistigen Mutter
stund, die den Anordnungen ihrer Vorgesetzten bis ins Kleinste
hinein nachkam. Der Umstand ferner, daß der Herzog nicht bloß
Wiborada, sondern auch Rachild mit seinem Besuche beehrte,
sagt deutlicher als Worte es können, daß auch Rachild aus hohem
Stande und von großem Ansehen gewesen.
b) Cap. III. 27.
Venerunt etiam parentes dominae Rachildae, tractantes cum B. Wı-
borada, quatenus filiam suam de clausula sumptam ad tutiora loca secum
servandam deducerent. Qwibus ipsa ait, nolite solliciti esse de filia mea.
Omnipotentis enim Dei et Sanclorum eius munimine, vobis ad con-
solationem multisque aliis, per multa tempora salvabitur. Ite ad hos-
pPitium vestrum, et malurius surgenles, venite ad nos, ul
benedictione Dei Sanctigue Magnidemanibusnostrispercepta,
gaudentes redeatis ad propria. Illucescente itaque altera die
proßınqui B. Rachildae, sicut erani religiosi, verbis &
consolationibus sanclae virginis fidem adhibentes, omni solli-
citudine postposita pro filia swa, venerunt et gratias
reddentes pro omnibus bonis semper sibimet tanta benign!
tate ostensis, licentiam abeundi postulaverunt. Quibus illa,
accipite, ait, benedictionem Domini de manibus meis
paululum gustantes ite cum Pace. Cumgque hoc jactum fwissd,
illius sanctis orationibus muniti et Dei gratiae Sanctorumgque orationsbus
commendali, salutata filia swa, redierunt ad propria.
— 297 —
Hepidan gibt auch dieses Kapitel wieder, aber wiederum in
gekürzter Form. Den von uns sperrgedruckten Teil hat er sogar völlig
weggelassen, aber offenbar nur deshalb, weil er denselben schon für
einen analogen Vorfall, den er in einem früheren Kapitel erzählte,
entlehnt hatte.
(Vergleiche unten, Hep. b. Cap. V. p. 19, den sperrgedruckten
Teil.) Das Verhältnis Rachilds zu Wiborada erhält in diesem Kapitel
eine neue Betonung, indem sie von Wiborada «filla mea» genannt
wird. Mehr aber erfahren wir über die Beziehungen dieser beiden
heiligen Jungfrauen zu Lebzeiten Wiboradas durch Hartmann nicht ;
er verrät uns nichts von ihrer Herkunft und nichts von ihrer Ein-
schließung und ihrem Schicksale zur Zeit des Ungarneinfalles. Aus
dem Umstande aber, daß die Eltern die Nacht nach ihrer Ankunft
ın St. Gallen in der Herberge verbrachten, um erst andern Tages
wieder nach Hause zu gehen, dürfen wir schließen, daß ihre Heimat
nicht in der Nähe von St. Gallen, sondern in weiter Ferne gelegen war.
c) Cap. IV. 33.
Aestate vero sui transitus finiente, et autumnali tempore inslante,
venerabilis Presbyter et monachus Hilto, viridis foeniculi germen circa
lumulum eius fixit : quod dispensante gratia divina radicem figens terrae,
der tolam hiemem floruit, et veluti in modum coronae se sibimelt intexens,
totum sepulcrum hoc sepsit ornamiıne, et adeo crevit in altum, ut multi,
gu advenerant, mirarentur, dicenles, se in hortis vernali tempore sub
dio eiusmodi herbam nunguam tam nobilibus foliis infloruisse. De hoc
eliam germine mullis postea infirmitate laborantibus subvenitur : sed et
B. Rachildae jugiter aegrotanti exinde sorbitiuncula facta illico se medelam
recedisse sensit in corbore. O flos virgineus, semper viridis et pulcher,
quanta dignitatle splendebis coram Domino in perennilate, qui tanto
honore in mundi peregrinatione !
Hepidan bringt auch dieses Kapitel, aber wiederum in gekürzter
Form ; den Abschnitt über Rachild unterdrückt er vollständig. Diese
Verkürzung kommt hier geradezu einer Verstümmelung gleich ; denn
über der Erzählung vom Fenchelzweig, der auf dem Grabe Wiboradas
Wurzeln schlug, Blüten trieb, zur Krone sich formte und der immer
kränkelnden Rachild den Heiltrunk spendete, schwebt ein Hauch
reiner Poesie, der auch denjenigen ergreift, der in der Erzählung nicht
eine historische Tatsache, sondern eine Legende erblickt, die das zarte
Verhältnis der geistigen Tochter zu ihrer geistigen Mutter wider-
—_— 28 —
spiegeln will. — Etwas Ähnliches muß auch vom folgenden Kapit«:
gesagt werden.
d) Cap. IV. 34.
Eisdem diebus post passionem S. Wiboradae, sıcuti Ppanlo an:
enarrivimus, B. Rachilda, magna corporis infirmitate detenta, ommium
membrorum viribus destituta vacebat, nihil gustans, Praeter si sacre-
sancti corporis el sanguinis Domini vivificamine sit recreata. Hacg::
infirmitate diu perdurante contigit, ut tribus continuis diebus ita immobtl's
et desperata vaceret, ul hi, qui excubiis inlerfuerant, mortuwa esse ar
viveret penitus nescirent : quibus etiam ante fenestram aediculae inter
fwit venerabilis magister et monachus Notkerus Medicus.! Illa etiam
fidelis ministra * ambarum quondam virginum, in angulo ipsius cellulac,
barvo lectuli stramine, ob cautelam sanctae virginis quiescebat. Tanden
sancta virgo, quae desperata iacebat, tertia nocie circa Pullorum cantum.
baululum resumpto spiritu, aiebat : Ora mater, si voluntas Dei, alıque
iuvamen magna infirmitate mihi laborantı praestare digneris. Nec mora.
tllico divina affuit miseratio : ipsa namque custode vigilante et aspiciente,
sancla ac beala et gloriosa Martyr, cum magna luminis clarılale &
swavissimi odoris suwavilate, apparuit et capul suum capili infirmantıs
reclinans, salubri etiam taclu manus, ut es visum est din inibi morala,
substitit.
At ministra fidelis tremefacta haec cermens, ait intra se: (uam
dulchra et decora splendes, mea Domina ! Moxque cum ıpsa luminıs
apparitione, visibus humanis sublata, martyr gloriosa recessit, suavissimi
I Der hier erwähnte Mönch Notker ist ohne Zweifel jener Notker, dessen
Tod die Annales St. Gall. maiores zum Jahre 975 melden mit den Worten:
. secuta est mors .... Notkeri medici (St. Galler Mitt., Heft IX, p. 293).
Auch das Totenbuch erwähnt ihn mit Auszeichnung : Obitus Notkeri benignis-
simi doctoris et medici (Heft XT. p. 58), ebenso die Cont. cas. S. Galli, c. ı ; vor
allem aber hat ihm Ekkehard IV. in den Casus ein Denkmal gesetzt. Er zählt
ihn zu den Säulen des Klosters, die das Interesse desselben gegen äußere Feinde mit
Erfolg zu wahren wußten. Er feiert ihn als Lehrer, der pro severitate disciplinanım
Piperis-Granum genannt wird, was zwar zur oben genannten Auszeichnung im
Totenbuch wenig stimmt. Er feiert ihn als Maler, dessen Gemälde Kirche und
Bücher des hl. Gallus schmücken. Er nennt ihn den Dichter schöner Hymnen,
Antiphonen und Empfangsgedichte. Vor allem aber rühmt er dessen unver-
gleichliche Kunst als Arzt (vergl. a. a. O. p. 263, 337, 352, 368, 398-401, 400,
417 und 450).
2 Unter dieser « ministra » ist eine jener beiden Schwestern zu verstehe,
die Wiborada schon im Elternhause dienten, die sie nach Konstanz, St. Georgen
und St. Mangen begleiteten und die von Hartmann Kebeni und Pertherada
genannt werden. Über Kebeni vergl. unten f. lib. II. 14 und ı5 und Anm. 1, p. 28.
— 289
odoris dulcedine ad lucem imibi usque berdurante : Sancla etiam virgo,
post discessum piae malrıs infirmitate recedente, resumpblis viribus
convaluit.!
e) Cap. IV. 35.
Quidam iuvenis monachus in venerandi patris nostri S. Galli con-
gregatione, Oudalricus nomine, .... longum tempus graviter laboravil. ....
Hic cum morti proximus esse cerneretur, condiscipulorum sublevamıne
ductus, ante sepulcrum beatae Martyrıs (sc. Wiboradae) provolvitur. Cum-
que .... se meritis illius aliguod medicamentum percipere deplorasset, ob-
dormivit. Moxque .... evigilans rogat sıbr aliquid ad manducandum
donari. Hocque cum B. Rachildae nuntiatum fuisset, misit ei panem
et Piscem.....
Nach Hep. lib. II. 14. wurde Wiborada ursprünglich in ihrer
eigenen Zelle begraben. Der Umstand, daß es nun Rachild ist, die
dem Kranken, der am Grabe der hl. Wiborada zu essen verlangt, das
Verlangte überbringen läßt, führt zum Schlusse, daß die Zelle der
sel. Rachild in unmittelbarer Nähe jener Wiboradas gestanden.
Hepidan hat auch diese Erzählung gebracht, ohne den Namen
Rachilds dabei zu erwähnen.
f) Cap. IV. 37.
In pago Frichgowe (Hepidan hat Erigowe) nuncupalo, quem Araris
fuvius uno latere praeterfluit, et ex altera parte nobilissimus fluviorum,
Alemanniam penelrans Rhenus inundat, fuit quaedam mater jamilias,
laudabilem vitam seculariter ducens, nomine Hiltruda (Hepidan hat
Pliddruda), B. Rachildae Reclusae germana. ....
Auf diesen Passus, den wir auch bei Hepidan finden, stützt
Meyer v. Knonau die Behauptung, Hartmann sage, Rachild stamme
aus dem Frickgau. (Ekk. cas. cap. 79. n. 940, p. 278.) Dem gegen-
über darf hier darauf hingewiesen werden, daß Hartmann dort nur
sagt, im Frickgau sei eine Familienmutter namens Hiltruda, der seligen
Rachild leibliche Schwester gewesen. Daraus folgt aber noch nicht,
daß sie aus dem Frickgau stammte. Wir können hier Meyer v. Knonau
! Das ganze Kapitel wird von Hepidan stark gekürzt und zwar so, daß
dabei die charakteristischen Einzelheiten, die den Zeitgenossen verraten, wie
die Erwähnung von Notker und der Dienerin Kebeni, ausfallen. Dadurch verliert
die Wiedergabe den Reiz des Ursprünglichen und den Hauch der Poesie, der die
Erzählung Hartmanns durchweht.
REVUE D HISTOIRE ECCLESIASTIQUF 19
— 290 —
nicht folgen, nehmen vielmehr an, Rachilds Heimat sei jene Wiboradis
gewesen. Diese aber stammte aus Klingen im Thurgau (vergl. Zeitschrift
für Schweiz. Kirchengeschichte, ı. H. 1927, S. 72). Für unsere
Annahme haben wir allerdings auch keine Beweise, wohl aber Wahr-
scheinlichkeitsgründe. (Vergl. unten Hep. c. V.n. 3. p. 18.)
Ergebnis : Aus der älteren Vita der hl. \Wiborada, geschrieben von
Ekkehart I. und vollendet von Hartmann, einem jüngeren Mitbruder,
nach 973, ergibt sich für das Leben der sel. Rachild folgendes: Sie
bewohnte eine Zelle neben der Klause der hl. Wiborada und wurd:
dort einst, wie Wiborada, von Herzog Burkhart mit einem Besuche
geehrt. Zur Zeit des Ungarneinfalles wurde sie von ihren Eltern, die
weit weg wohnten, aufgesucht ; denn diese bangten für ihr Leben
und wollten sie in eine sichere Zufluchtsstätte verbringen. Auf die
Zusicherungen Wiboradas hin, daß ihrer Tochter kein Leid geschehe,
daß sie vielmehr noch lange am Leben bleiben werde, ließen die Eltem
Rachild in St. Mangen und gingen getröstet wieder nach Hau«.
Rachild aber wurde oft von einer langwierigen Krankheit geplagt.
Oft aber fand sie auch Erleichterung in ihrer Beschwerde durch den
Heiltrank, welcher ihr aus den Blättern eines Fenchelzweiges gebraut
wurde, der das Grab der hl. Wiborada schmückte. Einmal aber, da
die Krankheit ihren Höhepunkt erreichte, wurde sie durch Wiborada
auf wunderbare Weise geheilt. Sie sah die heilige Mutter (im Gesichte),
wie sie auf ihr Krankenlager herniederschwebte, ihr Haupt gegn
sie neigte, mit der Hand sie berührte und so lange bei ihr verweeilte.
dann wieder verschwand, um sie, die eben noch mit dem Tode ranf,
im Zustande der Besserung zurückzulassen. Der Arzt aber, der zur
Zeit dieser Erkrankung Rachild zur Seite stund, war der von
Ekkehard IV. viel besungene Notker, das Pfefferkorn. Das Verhältnis,
in welchem diese beiden heiligen Jungfrauen zueinander stunden, war
dasjenige einer geistigen Mutter zu ihrer geistigen Tochter, welche
letztere die Anordnungen und Ratschläge der ersteren aufs peinlichste
befolgte. Im übrigen aber hat der Biograph für Rachild die gleichen
Attribute, wie für Wiborada ; er nennt sie bald «sancta » und bald
«beata». Schließlich erfahren wir noch, daß Rachild eine Schwester,
namens Hiltrude besaß, die als fromme Familienmutter im Frickgau
drunten lebte und im Falle einer schweren Erkrankung durch die
! Vergl., Die Biographen der hl. Wiborada in Zeitschrift für Schweiz. Kirchen-
geschichte III. H. 1926.
Fürbitte der Märtyrin Wiborada auf ähnliche Weise geheilt wurde,
wie einstens sie selber in der Zelle bei St. Mangen.
Mehr aber verrät uns Hartmann über das Leben Rachilds nicht.
Und auch das, was er über sie berichtet, ist nur gelegentlich und
zufällig in die Wiborada-Biographie hineingestreut. Er will von
Rachild überhaupt nicht reden, es sei denn, daß es seine Aufgabe,
d. h. die Verherrlichung der hl. Wiborada verlangt. Der Umstand,
daß Hepidan, der spätere Biograph der hl. Wiborada, aus dem Leben
der sel. Rachild Episoden erzählt, die wir bei Hartmann nicht finden,
darf daher kein Grund sein, in die Glaubwürdigkeit Hepidans Zweifel
zu setzen. Zu diesem Schlusse führt auch ein Vergleich Hepidans mit
Hartmann. Von den sechs Episoden, die Hartmann aus dem Leben
Rachilds erzählt, gibt Hepidan deren drei, und auch diese nur in
gekürzter Form wieder. Aber die Wiedergabe Hepidans stimmt gleich-
wohl inhaltlich mit jener Hartmanns voll und ganz überein. Aber
Hepidan schöpfte nicht bloß aus Hartmann, ihm stunden noch andere
Quellen zur Verfügung. Daß er auch diese durchaus getreu verwertete,
dürfen wir mit Zuversicht glauben. Im folgenden führen wir daher
jene Züge aus dem Leben Rachilds an, die sich nur bei Hepidan finden,
nicht aber bei Hartmann. |
2. Hepidannus, mon. Sangall. in Vita s. Wiboradae. '!
a) Cap. V. 27. p. 302.
Quaedam igitur pracnobilis puella, nomine Rachilda, quae etiam
virgimilale sua Deo dicala in eius obsequio jugitur Derdurabat, [rigoretico
morbo ? non modice vexabatur. Quam cum parentes eius Romam deferre
vellent spe recipiendae sospilatis, demandavit ei B. Wiborada, ut si vellet
sanılalem recuperare, quantocius ad eam venirel. ....
At illa hac legatione gavisa implevit sibi demandata. Postquam
autem ventum est ad oscula, S. Wiborada inquit : Benedictus Dominus,
qui te diu desideratam huc transmisit sibi ad servitium et nobis ad solatium.
Postea inibi morata infra paucos dies non ex parte sanitatem recepit,
alque cuncta, quae spiritualis mater eam docuit, non solum in tabulıs
cordis notavit, sed etiam, ut ita dicam, supra suum posse omnia perfecit.
ı A. SS. 2. Maji, I, p. 302. — Über Hepidan vergl. Zeitschrift für Schweiz.
Kirchengeschichte, Heft 3, 1926, Die Biographen der hl. Wiborada.
2 frigores-febres, quae faciunt homines frigere. Du Cange, Glossar. p. 609 IV.
Hepidan nennt die Krankheit in seinem Kommentar zur Vita s. Wib. Kaltwee,
Al. Rer. Script. T. I, 256.
Wenn dieses Kapitel, dem wir allein einigen Aufschluß über
Rachilds Vorleben entnehmen, überhaupt einen historischen Wert
haben soll, so kann der Inhalt desselben, nämlich der heiße Wunsch
Wiboradas, Rachild um des gegenseitigen Trostes willen in ihrer Nähe
zu haben, ferner das Aufgeben der geplanten Romreise von Seiten
Rachilds um ihrer Wiborada willen und schließlich die herzlichste
Freudenbezeugung der beiden anläßlich ihres Wiedersehens in St. Gallen,
nichts anderes bedeuten, als den Ausdruck einer schon längst bestehen-
den und innigen Freundschaft unter den beiden Jungfrauen. Sie müssen
Jugendfreundinnen gewesen sein, was uns hinwieder Grund gibt, zu
vermuten, daß die Heimat Rachilds jene Wiboradas, d. h. der
Thurgau gewesen. |
b) Cap. V. 28. p. 302.
Iisdem diebus Burkhardo Duce Alamannorum bella gerenie, populs
etiam inter se dissidentibus propter Saxonicum Heinricum Regem factum.
cum militaris populatio gravem Penuriam terris inferrei, parenles
B. Rachildae meluentes cam ıbi jame cruciari volueruni eam repalratt.
Cumque se presentarent B. Wiboradae causa petendae licentiae dixit es.
suder hac re non tum sibi esse respondendum, sed irent ad hospitia
et in crastinum convenirent eam. Fecerant ergo iuxta verbum
eius et dictum est illis, ut cum gaudio ad suwa remearent, Dei
praedestinationem esse filliam eorum inibi subsistere —
Monstrabatur illis etiam locus, qui ei a Domino ad clausulam deputatus
esse dicebatur. Igitur illius praesagio non discredentes ser arrıpium.
Nec longum tempus evolutum est inter parentum abscessionem et filsa:
inclusionem in eodem locello, quo sancta virgo praemonstraverat.
Der oben geschilderte Versuch der Eltern Rachilds, diese der
schlimmen Zeitläufe wegen nach Hause zu nehmen, was am Widerstande
Wiboradas scheiterte, fällt in das Jahr 919, denn Hepidan sagt,
zwischen dem Abschiede der Eltern und der Einschließung ihrer
Tochter sei nicht lange Zeit verstrichen. Rachild aber wurde nach
den Annalen im Frühjahr 920 eingeschlossen. Also fällt der Besuch
der Eltern Rachilds in St. Gallen in das Jahr 919, in welches Jahr
Hepidan auch kriegerische Unternehmungen des Herzogs Burkhart von
Alemannien, die Entzweiung der Völkerstämme wegen der Wahl
Heinrichs I., die « militaris populatio » und « gravem penuriam » versetzt.
Diese Darstellung aber stimmt sowohl inhaltlich als der Zeit nach
durchaus mit den andern uns überlieferten Quellen überein (vergleiche
Waitz, Jahrbuch des Deutschen Reiches unter König Heinrich I.
45 und fl.). |
Auffallend ist an dem Berichte Hepidans gleichwohl, daß ein
Teil desselben, und zwar der von uns gesperrt gedruckte, eine Ent-
lehnung aus einem Kapitel Hartmanns ist, das einen analogen Fall
aus dem Jahre 926 wiedergibt (vergl. oben Hartmann, cap. III, p. 6).
Hepidan bringt zwar jenen zweiten Vorfall aus dem Jahre 926 auch,
aber mit dem Unterschiede, daß er eben jenen bereits entlehnten Teil
darin unterdrückt (vergl. unten Hepidan, d. cap. V, p. 24). Das führte
Meyer von Knonau zur Auffassung, Hepidan habe hier aus einem
Faktum zwei gemacht, und da das zweite durch das erste, d. h. das
Faktum Hartmanns durch jenes Hepidans verständlich und glaub-
würdig gemacht werden soll, so kommt Hepidan in den Verdacht,
zum Verständnisse eines sonst schwer zu verstehenden Faktums ein
anderes gemacht, respektiv erfunden zu haben. Wir können hier
Meyer von Knonau nicht folgen. Das Kapitel Hepidans, welches das
fragliche Faktum enthält, ist, wie wir oben darlegten, durchaus zu-
verlässig und steht in Übereinstimmung mit andern Quellen. Die darin
vorkommende Entlehnung aber, die ein Faktum in Frage zieht, läßt
sich ohne Schwierigkeit erklären. Hepidan hat zwei analoge Vorfälle
zu berichten, den einen zum Jahre 921, den andern zum Jahre 926. —
Hartmann, seine Hauptquelle aber, berichtet nur den zweiten Fall
aus dem Jahre 926. Den Wortlaut desselben hatte FHepidan vor Augen,
da er den analogen ersten Fall zum Jahre 921 niederschrieb. Diesen
Wortlaut hat Hepidan entlehnt, soweit er ihn verwenden konnte. Als
er aber daran ging, den zweiten analogen Fall niederzuschreiben, dem
er die Entlehnung bereits entnommen hatte, wiederholte er das Entlehnte
nicht mehr, kürzte vielmehr die Erzählung nach seiner Gewohnheit
ab, zumal er das konnte, ohne den Inhalt derselben wesentlich zu
tangieren. Hepidan hat also nicht aus einem Faktum zwei gemacht,
sondern für ein Faktum den Wortlaut eines andern benutzt, soweit
es zulässig war. Eine solche Arbeitsweise ist in jenen Zeiten primitiver
Geschichtsschreibung nichts Besonderes gewesen. — Meyer von Knonau
bemerkt zwar, um seine Auffassung glaubwürdiger zu gestalten, Hepidan
liebe es, aus einem Faktum zwei zeitlich getrennte zu machen (n. 995,
P. 300). Zum Beweise dafür weist er auf Hepidans Bericht über die
Krankheitsfälle Rachilds hin. Hartmann, sagt er, setzt dieses Siechtum
erst nach Wiboradas Tod. Hepidan aber läßt es vor wie nach 926
eintreten. Das letztere ist richtig, ersteres dagegen muß berichtigt
werden. Hartmann setzt nicht das Siechtum Rachilds nach 926, wohl
aber redet er erst in dieser Zeit von ihm, und zwar sagt er dort aus-
drücklich, Rachild sei jugiter, d. h. beständig krank gewesen (Hartmann,
cap. IV, 33, oben p. 6). Das deutet doch wohl deutlich genug darauf
hin, daß Rachild schon früher, d. h. vor dem Tode Wiboradas krank
war.
c) Cab. V. 29.
Saede memorata Virgo Rachilda quodam tempore acgrotabat, et ex
nimia infirmilalte in desperatione vilae praesentis iacuit. S. vero Wiborada,
corrogata una ex domesticis, tradidit ei baculum suum, et huwiuscemodi
mandala : Defer illum spirituali filiae meae et dic ei, ut Iripedem imilans
senectutem venialt ad me. Cumgque ministra exequeretur praecepta Dominaz,
B. Rachilda exiensa manu suscepit baculum atque in ipsa swsceplione
convaluıt, confestimque surgens Beat. Wiboradae se praesentavit ....
.... Wiborada autem benedictione praemissa salutavit amice venten-
tem Rachildam, edocens illam, quod fides eins et oboedientia eam all-
varent. Postquam vero multa spiritualia locutae sunt, coepit B. Rachtilda
flagitare eundem baculum sibi condonnari a matre, qualinus pro eis
amore eum servarel quoad usque viverct. Quo impelrato, nec non usgit
ad finem vilae conservalo post obitum suum sepulcro piae matris eum
restitur disposuil.
Hepidan reißt diese Erzählung durch Einschaltung einer Ab-
handlung über das gewirkte Wunder, die dreimal so viel Raum
beansprucht, als die Erzählung selber, auseinander. Unschwer läßt
sich die eigene Arbeit des Autors von derjenigen seines Gewährsmannes
trennen.
d) Cap. V. 32.
Supervenerunt etiam parentes B. Rachildae, volentes eam ad tuliora
deducere loca. Ouos B. Wiborada sic allocuta est: Nolite sollicıtı esse
de filia mea, giiia tempus eius nondum advcnit, sed adhuc per mulla
tempora vobis alüsque multis ad solatium reservabitur. Qui nihil
haesitantes in eius promissionibus (nempe illos creduliores redaidil,
quod viderunt priorem propheliam in filia eorum impletam : qua Se
gquentium rerum certitudo est praeterilarum exhibitio) ad sua cum gandıo
reversi sunt, non parum admirantes de nobili consiantia virginis.
Ouomodo ista retentio beatae Rachildae placuisset, haeremus : guia
fertur postea extimuisse martyrium, alque spiritwalis matris ne patereiw
implorasse auxilium, illamque quoddam membranum, Dominica sw
— 2095 —
bensione depictum, ei dedisse, ut illud ibi exdanderet, ubi infirmanti
addiıtus fuerat introeunti ad illam ancıllae; atque hoc munimine ab
hostibus esse protecta.
Dieser Abschnitt ist zum Teil die wörtliche, zum Teil die inhalt-
liche Wiedergabe des Kapitels III. 33 bei Hartmann (siehe oben, p. 6
und 7). Was aber Hepidan hier unterdrückt, hat er für ein analoges
Faktum in Kapitel V. 28 verwendet (siehe oben, p. 19-22) ; auch leitet
hier Hepidan ausnahmsweise einmal einen Bericht mit «fertur » ein.
Daraus schließen wir, daß er im übrigen auch jene Berichte, die er
nicht Hartmann entnahm, aus schriftlichen Quellen schöpfte. Aller-
dings muß angenommen werden, daß eine starke mündliche Tradition
vorhanden war. Aber auch im Vergleich Hepidans mit Hartmann,
soweit der erstere letzteren ausschrieb, führt zum nämlichen Schlusse.
Denn statt die Erzählung Hartmanns durch überlieferte Berichte
zu ändern oder zu erweitern, wie man es erwarten würde, kürzt Hepidan
diese regelmäßig. Wo aber eine Weiterung erfolgt, ist es nur eine
Betrachtung des Theologen oder Moralisten Hepidan über das Erzählte,
nach Art des im Kapitel V. 29, p. 23 und 24 Erwähnten.
e) Cap. VI. 36.
Beata igitur Wiborada .... non eadem hora emisit spiritum, sed
VIvens usque in sequens mane, in sinum Abrahae expdiravit. Venit itaque
bonae memoriae frater eius, qui nescio ubi inter frutecila latens totum
consbdexerat, volens pretiosum Ihesaurum terrae commendare; .... Sed
huius re voluntate a B. Rachilda spoliatus, donec Abbate cum omni clero
adveniente honorifice sepulturae daretur involutum sacro velamine, ad
castellum Pproficiscitur. ....
Wiborada erlitt ihre tötliche Verwundung durch die Ungarn, am
I. Mai 926 (vergl. Zeitschrift für Schweiz. Kirchengesch. XIX. Jahrg.,
3. Heft, p. 230 und ff.). Nach dem obigen Berichte ist sie erst am
folgenden Morgen, also am 2. Mai, den Wunden erlegen. Am Abende
jenes Tages sind die Ungarn von St. Gallen abgezogen (Ekk. cas.
c. 56). Am Morgen des folgenden Tages, also am 3. Mai, wird es
gewesen sein, daß Hitto als erster das Häuschen seiner Schwester
betrat, um den Leidenstod derselben festzustellen.
f) Lib. II. 14.
Nec hoc silentio praetereundum pielatem virtus divina ostendere
dignatus est ob merita virginis atque Martyris suae planius declaranda
— 206 ge
super fidelem servam eius Kebininam.! Post transitum igitur B. Wibo-
radae, commissione et praecepto illius B. Rachildae fideliter serviendo
adhaerebat. Ipsa vero Rachilda crebra infirmitate fere per omme tempus
vitae suae cruciabalur. Haec aulem quam Praedixi serva quoddam
botirium miscere edocta a Wiborada .... quod cum quadam die ın
testula igni apponere voluisset, ul se inchnavit Diabolus .... quadam
invisibili impulsione trusit eam in ignem, in quo cum diu huc illucgue
volutata miserabiliter cremaretur.
Igitur dolore huius ustionis in lectum decidens .... accidil, u
quadam vespera resolutis membris frigido corpore ıta omnium oficiorum
jaceret effoeta, ut a cunclis circumstantibus morlua nunliaretur ....
At virgo Rachilda .... vocans ad se praediclam servam dedit ei cilıcıum
B. Wiboradae, eamque super defletae corpus expandere jussit, sed &
baculum eius addens supponi praecepil, quod cum factum fuisset, exemplo
recalefacto convaluit, resedit, visum apperuit, omnibusquwe quinque per-
tentis oficiis ad plenum rvecuperata est.
g) Lib. II. 15.
Operae pretium esse diximus et hoc baginae commendare, qualıter
omnipolens Deus has sanctas Virgines prius in ergastulis, in quibus se
dro eins amore incluserant, tumulatas basilicae S. Magni_ intromill
revelare dignatus est. ....
Unter den beiden heiligen Jungfrauen, von denen hier die Rede
ist, sind unzweifelhaft Wiborada und Rachild zu verstehen. Letzterer
wurde also die gleiche Ehre zuteil wie ersterer, indem auch ihre
Überreste nach dem Zeugnisse Hepidans aus dem ursprünglichen
Grabe in der Klause in die Kirche des hl. Magnus übertragen wurden.
Das geschah, wie der Biograph im nämlichen Kapitel und in legend-
hafter Ausschmückung betont, unter Abt Cralo, qui id temporis
coenobio Sanct. Galli praeerat.
Ergebnis : Nach dem bisher Gesagten bestehen die Erweiterungen
Hartmanns durch Hepidan, den zweiten Biographen, der zirka
Ioo Jahre später schrieb, im folgenden : Rachild stammt von vor-
! Convenit (sc. Ekkehardus) Kebeni, quae B. Virgini ab ipsis cunabulis usqu®
ad mortis articulum obsecundavit. Vgl. Hep. Prolog., p. 294. — Comitantibus
duabus ancillis pedes Constantiam pervenit. — Vgl. Hepidan, c. II, 13, p- 298.
At illa statim ingenti perfusa gaudio cum duabus ancillis ad navim propera!,
Hepidan, c. III, 16, p. 299.
nehmen Eltern ab. Sie ist von sehr frommer Gesinnungsart und hat
ihre Jungfräulichkeit schon in zarter Jugend dem Herrn geweiht.
Ihr Vorbild ist Wiborada, der sie allen Ernstes nacheifert. Aber
Rachild ist einer Fieberkrankheit unterworfen. Ihre Eltern beschließen
deshalb eine Pilgerfahrt nach Rom, wo sie für die vielfach heim-
gesuchte Tochter an den Gräbern der Martyrer die Genesung zu
erflehen hoffen. Wiborada hört davon und äußert den Wunsch, ihre
Freundin vor der Ausführung des Planes in St. Gallen noch einmal
zu sehen. Rachild erscheint, bleibt einige Tage bei Wiborada, in
St. Mangen, erhält dort ihre Gesundheit wieder und entschließt sich,
in St. Gallen zu bleiben, um nach der Anleitung ihres verehrten
Vorbildes Klausnerin zu werden.
Da kommt der Krieg, entfacht durch Burkhard, den Herzog von
Alamannien, und in St. Gallen entsteht Teuerung und Hungersnot.
Die Eltern der Rachild fürchten für das Wohlbefinden ihrer Tochter.
Sie kommen nach St. Mangen, um diese nach Hause zu nehmen. Aber
Wiborada ist nicht einverstanden damit, und so bleibt Rachild in
St. Gallen und erhält bald nachher die abgeschlossene Klause.
In der Folgezeit aber wird Rachild von ihrer Krankheit wieder
befallen. Da schickt ihr Wiborada ihren Wanderstab ans Kranken-
lager mit der Aufforderung, mittelst desselben zu ihr zu kommen.
Rachild erhebt sich, greift nach dem Stabe und wird im Augenblicke,
da sie ihn erfaßt, gesund. — Vor den Ungarn flieht auch Rachild nicht.
Im Vertrauen auf die Zusage Wiboradas, es werde ihr kein Leid
geschehen, bleibt sie in der Zelle, wird aber beim Herannahen der
Gefahr mit solcher Angst erfüllt, daß sie Wiborada darüber klagt.
Diese übergibt ihr ein Bild vom Gekreuzigten, das Rachild über dem
Eingange ihrer Zelle befestigt. Die Ungarn kommen und entdecken
sie nicht. — Den heiligen Leichnam aber läßt Rachild nicht durch
Hitto allein bestatten. Auf ihr Verlangen wird die tote Mutter erst
im Beisein des Abtes und des gesamten Konventes in feierlicher Weise
der geweihten Erde übergeben. Den Pilgerstab und das Bußkleid
der Heiligen hütet Rachild bis zu ihrem Tode. Kebenina, die treueste
Dienerin Wiboradas, darf nach der ausdrücklichen Anordnung Wibora-
das, nach dem Tode ihrer Herrin bei Rachild in den Dienst treten.
Der mit dem Tode ringenden Dienerin aber läßt Rachild Bußkleid
und ‘Wanderstab der Märtyrin auflegen, und sie wird gesund. —
Schließlich wird, nach Hepidan, der sterblichen Hülle Rachilds
die nämliche Ehre zuteil wie jener Wiboradas. Auch sie wird
= 208 Be
aus dem ursprünglichen Grabe in der Zelle in die Kirche des
hl. Magnus gebracht.
Aus dem Gesagten ergibt sich, daß das Bild der sel. Rachild durch
Hepidan bedeutend vervollständigt wird, ja daß Hepidan der eigent-
liche Biograph Rachilds genannt werden darf. Allerdings muß auch
bemerkt werden, daß seinen Ausführungen nicht der gleiche Glauben
geschenkt werden kann, wie jenen Hartmanns, nicht bloß deshalb,
weil Hepidan bedeutend später schrieb als Hartmann, sondern auch
vor allem deshalb, weil sozusagen alle seine Erzählungen einen legenden-
haften Charakter tragen.
3. Ekkehartus IV. in casibus s. Galli. '
Cap. 83.
Laicali in tantum exuta est animo (sc. Wendilgarth) ut virlutibus
cum inclusis assuefacta post Rachildam, quae Passım in corpore d
maxime mamillis ulcerosa cottidie emori visa est, includi optaverit.’
Et quia vere et ibsam quidem martyrem incidimus, levius ei erat, cum
magistra semel cerebrum dispergendum oplulisse quam XXÄI® post
illam annis testa saniem cum sancto Job * inclusam rasisse, cum lamen
interea jejunare ei orare — vigtlias enim dolores dabant — et elemosinas
dare non tederet, ut de illa Ekkeharth, qui supra, consobrinus® es
cecinit :
Hanc Satan, hanc lesıt; cum Job saniem sibi rasıt;
jejunans flevit; tormenta dolens vigilavit.
Neque enim vilam vel passionem votivas martyris lucidius succingere
potuit; ad cuius sedulerum in repentinis angustiarum motibus — experio
credite — multum valet orasse.
I St. Galler Mitteilungen XV/XVI, p. 300 und 301.
2 Über Wendelgard und ihren Aufenthalt in St. Gallen, vergl. Zeitschnit
für Schweiz. Kirchengeschichte. XXII. J. I. H.
8 Da das Todesdatum Rachilds der 23. November 946, jenes Wiboradas
der 2. Mai 926 ist und somit Rachild im 21. Jahre nach Wiboradas Tod gestorben
ist, stimmt Ekkeharts Angabe hier wirklich mit den Quellen überein.
4 Die Verse, aus denen Ekkehart hier schöpfte, lauten : Egressus igitur Satal
a facie Domini, percussit Job ulcere pessimo, a planta pedis usque ad verticem
eius, qui testa saniem radebat, sedens in sterquilinio. (Vergl. Job II, v. 7 und 8.)
5 Darnach darf angenommen werden, Ekkeharts erste Mutter sei die
Schwester der Mutter Rachilds gewesen. (Vergl. die von J. v. Arz gegebene
Stammtafel, M.G. SS. II, p. 118, n. 95, und Ekkehart, cas. c. 79, p. 278, n. 940 a. E.)
In diesem Umstande liegt auch eine Erklärung für das außerordentlich warm®
Interesse, das Ekkehart IV. für die Lebensschicksale Rachilds zeigt.
4. Ekkehartus IV. in Libro Benedictionum. !
a) ÄXLIV. Item de aliis sincellitis amborum (sc. S. Galli et Otmari)
v. 12.-I4.
12. Efert virgo duas martyr Wiborada coronas.
13. Subpeditante (Gl. adjuvante) sua cum virginitate (Gl. secum inclusa)
Rachilda.
14. Carcere (Gl. sibi) coniuncta varia cruce (Gl. ut Job annis plus XXX.) ?
corpore functa (Gl. afflicta).?
b) Epitaphium sanciae Rachildae virginis reclusae. *
In cruce confregit dosiquam victorque subegit
Leviathan hamo ° virgine natus homo,
Annis nongentis denis seplemque volutis ®
Orbe peragrato astat item domino :?
Job sibi femineum viuvenili floreque mactum
Expetit, ut temptet virgineum cruciet.
Nec mora concessam premit ille dolore Rachildam
Vel sexu suberei Job sibi suficeret.
Vertice cum planta vacet ulcere virgo cruenta ®,
Voce minus poterat, corde deum memorat.
I St. Galler Mitteilungen XXXI, p. 224.
? Da Rachild am 8. September 921 eingeschlossen wurde und am 23. November
946 in der Klause starb, stimmt die obige Glosse mit den Angaben der Quellen
nicht überein, es sei denn, daß Rachild vor ihrer Einschließung noch einige Jahre
der Probezeit als Klausnerin in St. Gallen verbrachte, und daß diese Zeit hier
vom Schreiber miteinbezogen wurde.
? Ekkehart hat in c. 43 Gallus und Othmar besungen ; in c. 44 nun nennt
er andere hervorragende Persönlichkeiten St. Gallens. Es sind Ulrich, Magnus,
Theodor, Marcus, Marzellus, Clemens und Eusebius. Diesen reiht er Wiborada
und Rachild an. Wie Ulrich und die nach ihm genannten würdige Söhne von
Gallus und Othmar gewesen, so glänzt Rachild als würdige Tochter an der Seite
ihrer Mutter Wiborada. die eine Doppelkrone schmückt, die der Jungfräulichkeit
und jene des Martyriums.
@ St. Galler Mitteilungen XXXTI, p. 399 und 400. — Vgl. auch E. Dümmler,
Ekkehart IV. von St. Gallen (Zeitschrift für deutsches Altertum, Bd. 2, p. 47);
ferner das Buch Job (c. 1-3 und c. 40 bis Schluß), welches der Dichter bei
Abfassung seiner Grabschrift vor Augen hatte. Daß diese aber je einmal ihre
Bestimmung erfüllt habe, ist kaum annehmbar.
$ vergl. Job, c. 40, 20: an extrahere poteris Leviathan hamo ?
_ _* Der Dichter denkt hier wohl an den Beginn von Rachilds Klausnerleben
An St. Gallen, das diese ohne Zweifel einige Jahre vor ihrer Einschließung (921)
in St. Mangen begann.
’ vergl. Job, ı, 6 und 7.
® vergl. die zu c. 83, n. 4, p. 34 zitierten Verse aus Job, 2, 7 und 8.
— 30 —
Talıs at ingreditur tamen hoc specus, hic sepelitur
Viva, vigil sponso, sufficiens oleo.!
Nulla ut lucivomum valet arte restinguere Iyknum
Liquit item nostram Job Satan emerilam. ?
Martyris imperio Wiboradae docta propinguo
His crucibus Palmam emeruit sociam. ®
Quae datur in nonis decimi sibi darta Kalendıs',
His anımam coelo, ossa dat hic tumulo, finitur.
Ergebnis : Rachild ist nach Ekkehart IV. eine Verwandte Ekke
hards I., des Dekans. Sie ist neben Wendelgard, der Gemahlin ds
Grafen Ulrich von Buchhorn, Klausnerin in St. Mangen. Sie wird
von langwieriger Krankheit gequält, und zwar leidet sie darunte
dermaßen, daß ihr 21 Jahre dauerndes Leben in der Klause einen
größeren Martyrium gleichkommt als jener plötzliche Tod durch
Feindeshand, den sie einst geflohen. Auch sie schmückt ein doppelter
Kranz, der der Jungfräulichkeit und der des Martyriums. Auch se
ist eine Heilige. Ihre Macht am Throne Gottes hat Eckkehart selber
schon an ihrem Grabe erfahren. Auch sie darf daher mit Wiborada
unter die Namen derjenigen Persönlichkeiten gezählt werden, die
Gallus und Othmar in besonders hervorragender Weise nachgeeifert
haben. — So weit Ekkehart.
Allerdings muß gesagt werden, daß Ekkeharts Berichte noch
größere Vorsicht verlangen als jene seiner Vorgänger. Er schreibt
zwar etwa 30 Jahre früher als Hepidan ; aber im Gegensatze zu seinen
beiden Vorgängern, Hartmann und Hepidan, will er nicht schriftlich
fixierte Quellen übermitteln, sondern nur das, was er aus dem Mun&
der Väter, aus der mündlichen Tradition erfahren hat. Deshalb dad
auch hier nur der Kern des Ekkehartschen Berichtes als historisch
gelten, da letzterer eben nicht anderweitig bezeugt wird.
ı Eine Anspielung auf die Parabel von den klugen und törichten Jungfraue?.
Matth. 1-13.
2 Der Satan vermag das Licht ihrer Tugend nicht auszulöschen und stellt
daher seine Verfolgungen ein. J. Egli, a. a. O. p. 400, Anmerkungen.
® palma socia ist der Lohn für ihr jungfräuliches Leben und das dauernde
Martyrium in der Zelle. Vergl. XLIV. v. 12-14, p. 35.
* vergl. das oben p. ı zitierte St. Galler Totenbuch.
as”
Etudiants du Pays de Vaud
a l’Universite de Montpellier en 1378
Par P. AEBISCHER.
Il est inutile m&äme de noter l’importance qu’eut, au moyen äge,
!’Universite de Montpellier : c’est un fait trop connu. L’etude du droit
y avait fleuri des le XIIme siecle, et, des le XIIme siecle aussi, l’Ecole
de medecine Etait fameuse !, de sorte que la bulle du pape Nicolas IV,
du 26 octobre 1289, qui Erigeait en Universite les Ecoles de Montpellier,
n’etait que la consecration d’un &tat de fait, qu’une regularisation,
en les plagant toutes sous la main de l’autorit& ecclesiastique, d’insti-
tutions qui existaient deja et qui deja etaient celebres. L’Universite,
d’apres la bulle de 1289, comprenait trois Facultes : la plus importante,
celle de droit, qui se subdivisait en deux branches, droit canon et droit
civil ; puis la Faculte de medecine et celle des arts : on sait que la
theologie, & la fin du XIIIme siöcle encore, n’etait enseignee, a Mont-
pellier, que dans les cloitres ?.
Au moment ou les Etudiants originaires de ce qui fera plus tard
la Suisse romande, dont je donnerai les nums plus bas, s’instruisaient
a Montpellier, les etudes y &taient poussees avec une vigueur extr&me,
et les examens etaient d’une severite a laquelle nous ne sommes peut-
etre plus habitues. D’apres les statuts de 1339, A la Faculte de droit,
quatre heures &taient affectees A l’enseignement ?, et il n’y avait guere
qu’un mois et demi de vacances, du 8 septembre au Id octobre, avec,
en plus — il est vrai que ce n’etait pas peu — toutes les f&tes chömees
par l’Eglise au cours de l’annee. Quant aux examens et & la duree
des &tudes, le savant historien de l’Universite de Montpellier, M. A. Ger-
main, dit que, pour la Faculte de droit, « tout aspirant au baccalaureat
en droit civil... doit avoir etudie six ans, avant de commencer & lıre.
De m&me le bachelier qui se presente au doctorat doit avoir lu cinq
ı A. German, Histoire de l’UniversitE de Montpellier, in Cartulaire de !Uni-
versilE de Montpellier, t. 1, Montpellier 1890, pp. get ıı.
ı A. GERMAIN, 0p. cit., P. >.
A. GERMAIN, Op. cit., P. 41.
ans, hormis le cas ol l’ev&que jugerait convenable, avec le con«ü
des docteurs, d’abreger la durde de ses Epreuves ; encore ne peut-i
l’abreger que de deux ans. Il faut donc, de plus, trois ans au bachelır
en droit civil pour se faire recevoir bachelier en droit canonique, et
douze ans pour arriver au double doctorat, pour obtenir le titre d:
Doctor ın utroque Jure, — douze ans avec dispense !. »
Pour la medecine, la longueur des &tudes et la difficulte des exa-
mens n’etaient pas moins grandes. Suivant M. A. Germain toujours, s on
n’avait pas moins de seize €preuves & subir avant d’ötre proclamt
docteur en medecine, independamment de celle de maitre &s arts,
garantie obligatoire d’etudes litteraires et scientifiques prealable:.
L’epreuve du baccalaureat, A laquelle on ne pouvait aspirer qu’apre
trois ans d’immatriculation, durait quatre heures, & elle seule.
candidat qui s’en acquittait d’une maniere satisfaisante recevait &
ses juges une des baies du laurier doctoral. Quand, ensuite, amve
au terme du delai prescrit pour l’obtention de la licence, le bachelier
voulait, apres les trois cours publics qui lui etaient imposes & titr
de stage, prendre ce second grade, on l’admettait A se presenter aux
quatre examens per intentionem, — ainsi qualifies parce qu'on ks
subissait avec l’intention de parvenir & la licence, der intentioncm
consequendi hicentiam.
« Il lui fallait soutenir quatre the&ses successivement, de deux
jours en deux jours, sur un sujet assigne la veille, en parlant, a prop®
de chacune d’elles, au moins une heure ; et, outre cela, deux these
sur une maladie quelconque et sur un aphorisme d’Hippocrate, tires
au sort vingt-quatre heures avant la soutenance. Ces deux thess,
separees des quatre premieres par un intervalle de huit jours, &taient
dites Points rigoureux. On les discutait ordinairement de midi a quaffe
heures, dans la chapelle de Saint-Michel de l’eglise Notre-Dame-des
Tables. Le candidat avait a repondre, pendant ces quatre heures,
& toutes les questions qui s’y rattachaient. Une fois admis, il allait,
dans la huitaine, recevoir la licence de la main de l’ev&que, ou de san
vicaire general, en presence de deux professeurs delegues par la Faculte.
« Puis venaient les iriduanes, nouveaux examens qui avaient lieu.
comme le mot l’indique, durant trois jours, matin et soir, une heuf
au moins chaque fois. Le doctorat n’etait possible qu’apres cette longue
1 A. GERMAIN, Op. cit., Pp. 41-42. Sur les ceremonies et les diverses &preu\e
qui prec&daient et accompagnaient le doctorat en droit, cf. pp. 42-43.
serie d’eEpreuves. On le nommait « l’Acte de triomphe » ( Actus trium-
phalis), et son ceremonial avait pour theätre l’Eglise paroissiale Saint-
Firmin, ol on l’annongait, des la veille, au son de la cloche. L’Ecole
y conduisait le recipiendaire, musique en tete, et la, aA la suite de
harangues en latin plus ou moins Elegant, on lui delivrait les insignes
du grade supr&me, devant une assemblee ordinairement nombreuse
et choisie. Ces insignes consistaient en un bonnet de drap noir, sur-
monte d’une houppe de soie cramoisie, avec une bague d’or et une
ceinture doree ; a quoi s’ajoutait la remise symbolique du livre d’Hip-
pocrate. Le president, apres la delivrance de ces insignes, faisait asseoir
a son cöte le nouveau docteur, qui lui donnait l’accolade et la bene-
dietion !. »
Longueur des e&tudes et difficulte des examens n’empächaient
du reste pas les etudiants de venir a Montpellier de fort loin : et il est
particulierement interessant de voir combien 1’Universite de Mont-
pellier etait internationale, quant au public d’etudiants qui la fre-
quentait. L’Universite etait compos£e de trois nations : les Provengaux,
les Bourguignons et les Catalans ? — notons que sous cette derniere
rubrique on rangeait « non seulement les &etudiants de la Catalogne
proprement dite, mais encore ceux du Roussillon et du royaume de
Majorque ? ». — Mais cette division ne rend de loin pas la physionomie
internationale, le coup d’cil bariole de la gent estudiantine de Mont-
pellier, dans le quatrieme quart du XIVme siecle tout au moins : dans
les mömes röles qui nous ont laisse les noms des &tudiants du Pays
de Vaud qui nous interessent, nous trouvons, & la Faculte de droit,
des etudiants originaires de divers dioceses de France (plutöt de la
moitie meridionale, d’ailleurs), soit de Langres, Besangon, Lyon, Mäcon,
Grenoble, Angoul&me, Clermont, Vienne, St-Flour, Frejus, Avignon,
Rodez, Viviers, Beziers, Arles, Nimes, Agde, Mende;; les Catalans,
des dioceses de Vich, Urgel, Tortosa, Valence, Majorque, Girone et
Barcelone, &taient nombreux. On trouve le nom d’un certain Gingonetus
Broherii, bachelier en droit, et celui de Johannes Broherii, originaires
du diocese de Geneve. Mais il convient de noter specialement la pre-
sence & Montpellier de nombreux e&tudiants allemands, des dioceses
de Strasbourg — c’etaient, en 1378, Martinus de Lampertheim, Gosso
"A. German, op. cit., pp. 65-66.
"A. GERMAIn, op. cit., P. 33.
"A. German, Op. cit., p. 33, note 3.
de Rosheim, Radolphus Mathei, Johannes dictus de Hacgenowe,
Guillelmus de Kolbeczhenet [?], Johannes Elembach, Henricus dictus
Heller de Lierheim — et de Mayence : soit Hartimanus et Bertoldus
Pirgwi de Francfort ; et aussi de nombreux Flamands et Wallons :
un certain Johannes de Yghen, bachelier en decrets et maitre &s arts
de l’Universite de Paris, ainsi qu’un Henricus de Beesde, &taient res
sortissants du diocese d’Utrecht. Et les etudiants venus du dioces
de Liege etaient une dizaine : Johannes Guillon, Guillelmus Reguli.
maitre &s arts, Vincentius Gileti, Johannes Reguli, Walterius Tylle.
Jacobus de Sijes, Leonius de Behe, Arnaldus dictus Boeris, Johannes
Vingon, Geraldus Michaelis de Saint-Hubert. Il y en avait m&me l’un
ou l’autre qui venaient de plus loin encore : tels Alvarus Egidii, clerc
de Coimbre, et Johannes Alfonsi, clerc de Lisbonne.
La Facult€ de medecine qui, bien que reputee, n’avait peut-etre
pas, malgr& tout, l’&Eclatante renommee de la Faculte de droit, avait,
elle aussi, des etudiants venus de pays divers : en 1378, nous y trouvons
entre autres un Petrus Chartresii, maitre &s arts et licencie en mede-
cine, chanoine de Geneve ; Arnaldus dicetus Beys et Mauricius de
Liefkemrode, tous deux maitres &s arts de l’Universite de Paris et
tous deux originaires du diocese de Liege ; Johannes de Inghen, du
diocese d’Utrecht ; Johannes Eckerberti, du dioc&se de Mayence;
Johannes Frankenfurt, ‘du dioc&se de Strasbourg, ainsi que d’autres
etudiants des dioceses de Worms, de Constance, de Spire. Il y avait
aussi un Majorquin et trois Portugais : Egidius Dominici, bachelier
en medccine et sous-diacre, Laurentius Gomecii, maitre es arts et
bachelier en medecine, Gonsalvus Johannis enfin.
C’est dans ce milieu studieux et international, dans lequel les
etudiants des pays les plus divers apprenaient & se connaitre — €!
il est presque impossible que, quelquefois au moins, ces relations ne
sc soient point continuces bien apres le temps des Etudes — que nous
trouvons, en 1378, une serie d’etudiants du Pays de Vaud. Un rouleau
de suppliques adressees en Cour de Rome, par les membres de la Faculte
de droit, fut signe, entre autres, par
Cononi Pudralli de Paterniaco, Lausanensis diocesis, subdiacono,
bacallario in Legibus !...
Johanni Anglici de Viviaco ?, Lausanensis diocesis, clerico, qul
ı Cartulaire de l’Universite de Montpellier, t. I, Montpellier 1890, p. 532-
? L’editeur du Cartulaire a errondement lu et imprime Viniaco.
Ei nn EEE EEE tun TE BE
quatuor annis studuit in Jure canonico et nunc est in secundo anno
in Jure civili !...
Petro Pudralli de Paterniaco, Lausanensis diocesis, clerico, studenti
in Legibus in tertio anno ?...
Andree de Curtilia, diocesis Lausanensis, qui per III annos Jura
civilia studuit ?...
Guillelmo Macri de Rotondomontfe], * subdiacono, Lausanensis
diocesis, studenti in Jure civili®...
Petro Jenceraudi, clerico Lausanensis diocesis, studenti in Jure
civili ®...
Enfin, un röle analogue de suppliques emanant des membres
de la Faculte de medecine fut sign&, entre autres, par Petro de Monte-
molendini, clerico diocesis Lausanensis, scolari in Medicina ?.
On pourrait penser que tous ces &tudiants du Pays de Vaud —
seul, en effet, Petrus de Montemolendini &tait de Neuchätel — clercs
pour la plupart, ont eu des situations importantes une fois rentres chez
eux. Or, fait bizarre, il n’en est rien : seul, comme nous allons le voir,
Johannes Anglici, qui, d’ailleurs, appartenait A une famille consi-
deree, perga et devint official de Lausanne et juge dans le Chablais.
Quant aux autres, ou ils n’eurent que des charges assez banales, ou
meme l’on ne sait rien sur leur compte : ce qui laisserait supposer,
etant donnes les renseignements relativement abondants que l’on
possede pour la fin du XIVme siecle et le cımmencement du siecle
suivant, qu’ils ne sortirent pas d’une mediocrite qui, sans doute, n’avait
rien de dore.
Sur Cono Pudralli et Petrus Pudralli, de Payerne, le premier
bachelier &s lois et le second &tudiant en droit de troisitme annde,
tout ce que l’on peut dire, c’est qu’ils appartenaient A une famille
Payernoise, a une famille qui a donne, ä cette &poque precisement,
un notaire en tout cas. M. Maxime Reymond a bien voulu me faire
connaitre l’existence, a Payerne, en 137I, d’un Ulrich Pudraul. Par
! Cartulaire, p. 591. » Cartulaire, p. 592. s Cartulaire, ibid.
* L’editeur du Cartulaire a lu erron&ment Matri et Rocordemont.
® Cartulaire, p. 508. ® Cartulaire, p. 599. ' Cartulaire, p. 605.
REVUE D'HIISTOIRE ECCLESIASTIQUE 20
ailleurs, deux actes, l’un du 9 mai 1404 ! et l’autre du Io avril de la
m&me annee ?, ont et& dresses par Henricus Pudraul, clerc : et je trouve
mentionne un Henricus Pudraul, qui est sans doute le m&me person-
nage, dans un document de 1417 ?. Mais je ne sais quels sont les liens
de parente qui l’unissaient a nos deux etudiants montpellierains, que
je ne trouve mentionnes nulle part dans des documents payemois ou
fribourgeois.
Johannes Anglici, au contraire, est plus connu. Il &tait licencie
en droit, et, selon M. Maxime Reymond *, est mentionne comme ofhcial
de Lausanne de 1383 A 1392, parait en I395 et 1396 comme juge dans
le Chablais, et vivait encore en I420.
Andreas de Curtilia, qui, d’ailleurs, n’etait pas clerc, n’est pas un
inconnu non plus : il appartenait & cette famille de Curtilles ou de
Courtilles, nom latinise en de Curtillia, de Curtillis, dont on n’a la filiation
suivie que depuis la seconde moitie du XIVme si&cle precisement. Il
fut notaire et conseiller a Vevey, et est mentionne de 1365 & 1410°.
Il &pousa Marguerite de Moudon ® et en eut deux fils, Jean et Piert,
tous deux docteurs &s-lois.
Guillelmus Macri de Rotondomonte — l’editeur du Cartulaır:,
comme je l’ai note, a lu et imprime Matri et Rocordemont : il est inutile
d’expliquer cette erreur de lecture, le c, a ce moment, ayant la meme
forme que le £, le e se rapprochant fort du o, et l’abreviation pour le
y pouvant aisement &tre prise pour l’abreviation du » — doit £tre
certainement originaire de Romont : d’abord, parce qu’aucun autre
nom de lieu du diocese de Lausanne ne ressemble plus & Rocordemon:
que Rotondomont[e], soit Romont ; ensuite, parce qu’& Romont vivait
precisement une famille dont le nom, Ecrit en general Maigro, Maygro,
Meigroz, Meygrou, dans les documents, &tait rendu en latin par Mar.
Un Johannodus Maygro apparait dans un acte de janvier 1339 deja ',
1 Alrchives de I’) Eftat de] F[ribourg], Titre de Payerne, n* 19.
’AEF, Titre de Payerne, n’ 20.
sAEF, id., n’ 2ı.
“M. Reymon, Les dignitaires de l’Eglise Notre-Dame de Lausanne jusquer
1536, Me&moires et Documents de la Societe d’histoire de la Suisse romande,
2” serie, t. VIIl, Lausanne ıgı2, p. 258.
5 D. Marticnier, Vevey et ses environs dans le moyen-äge, Lausanne !$%.
P- 77-
8 Repertoire des familles vaudoises qualifiees de l’an 1000 A l’an 1800, Lau
sanne 1883, p. 80.
TJ. Gumy, Regeste de l’abbave de Hauterive, Fribourg 1923, n* 1237, p. 632.
presque en m&me temps qu’un Aymo Maigro (avril 1338) !, sur lequel
je n’ai aucun autre renseignement ; Johannodus mourut avant 1353
et eut au moins un fils, Humbertus, mentionn en 1353 ?, et qui &tait
deja mort en 1364, puisqu’a cette date sa veuve Johanneta fait une
reconnaissance pour des terres qu’elle possede, en son nom et en celui
de ses deux fils Johannes et Mermetus?. Johanneta vivait encore
en 1404 *, ainsi que Mermetus?, qui possedait alors, entre autres,
une maison dans la rue du Bourg. Il mourut avant 1433 : A cette date,
c'est son fils Aymo qui est mentionne ®, et on le retrouve en 1446.
A cöte de cette famille, dont on peut £tablir la filiation, il y a encore,
ca et lä, trois ou quatre individus portant le m@me nom que !’on ne
peut rattacher au tron- principal : un Perretus, cite en 1343® et
en 1349 ®, albergataire du couvent d’Hauterive, un Perrodus — qu’il
faut peut-&tre identifier avec Perretus — mentionne en 1335 !9, une
Mermeta, fille de feu Jaquetus Meigroz en 1364 !!. Mais, parmi tous
ces personnages portant le nom de Meigroz, on ne Tetrouve pas un
ecclesiastique denomme& Guillelmus Macri. Impossible, en effet, bien
quil ait eu m&me prenom et möme surnom, de l’identifier avec Mer-
metus — on sait que Mermetus est un hypocoristique courant de
Guillelmus au moyen äge chez nous — fils de Humbertus Maygro, puis-
que ce Mermetus a &t& marie et qu’il a eu un fils. Je croirais plutöt
— sans que je puisse preciser quelle etait la parente de Guillelmus
Macri avec les differents membres de la famille Maygro, dont je viens
de parler — que notre sous-diacre, etudiant A Montpellier en 1378,
doit &tre le m&me qu’un chapelain de l’eglise de Romont mentionne
dans un acte du ıı fevrier 1374, cite par le P. Dellion !?. Il est vrai que
ce dernier l’appelle Guillaume Marc : mais c’est la, sans doute, une
fausse lecture de l’erudit capucin, qui, alors que l’original doit avoir
"J. Gumy, op. cit., n’ 1229, P. 449.
’J. Gumv, op. cit., n’ 1412, p. 514.
’AEF, Terrier de Romont, n’ 107, fe XIII”.
"AEF, Terrier de Romont, n* 104, fe Il’, XXVI.
®AEF, ibid., ff III", XV.
*J. Gumy, op. cit.,n* ı905, p. 686.
’J. Gum, op. cit., n’ 2172, P. 770.
®J. Gumy, op. cit., n* 1295, P. 472.
°J. Gumy, op. cit., n’ 1393, p. 508.
“J. Gumv, op. cit., n’ 1191, p. 436.
"AEF, Terrier de Romont, ne 107, f XIII“.
"P. Ap. Deıuion, Dictionnaire historique et statistique des paroisses du
canton de Fribourg, vol. X, Fribourg, 1899, P. 420.
— 308 —
Macri, aura lu Marci le nom qu’il aura ensuite francise en Marc. Guil-
laume Maygro aura deja eu un benefice a Romont avant d’avoir acheve
ses etudes : rien d’ailleurs n’etait plus courant.
Quant a Petrus Yenceraudi, etudiant en droit civil, il est pour
moi un inconnu. Je soupconne dans la mention du Cartulaire de !’Uni-
versitö de Montpellier, une erreur de lecture pour Jauterandi : je crois
bien qu’il y a eu une famille de ce nom & Rolle.
Reste enfin Petrus de Montemolendini, clerc, etudiant en mede
cine : il porte, a n’en pas douter, le mäme nom d’origine que la famille
neuchäteloise de Montmollin, sans qu’on puisse l’attribuer de fagon
süre a cette famille. Ce peut n’ätre, en effet, qu’un simple surnom
indiquant l’origine. Quartier-la-Tente, en tout cas, ne connait pas notre
personnage : il ne cite, pour les alentours de 1350, que Jean dit de
Montmolens, qui possedait un terrain avec les donzels de Cormondreche,
en 1347, un Henri de Montmollin, en 1359, et un Wuillermin de Mont-
mollin, qui eut un fils appele Jean, et qui acheta une vigne & Cormon-
dreche, en 1347.
Voila les quelques renscignements que j ai pu reunir sur nos spt
etudiants a Montpellier ou sur leurs familles. Il est etonnant, r&petons-
le, que, sauf Johannes Anglici et Andreas de Curtilles — qui etait
un laic — aucun autre n’ait fait parler de lui par la suite, et n’ait occupe
de fonctions importantes. Est-ce un hasard ? Est-ce que, peut-£tre,
bien que nos personnages aient fait des e&tudes de droit plus ou moins
compl£tes, plus ou moins longues, ces etudes-lA ne constituaient pas
des titres particulierement rares, et que les clercs qui avaient des titres
d’etudes d’egale importance ou d’importance plus grande encore,
conquis dans d’autres universites, etaient nombreux et auraient fait
prime ? Cela ne serait pas impossible non plus. Il est plus sür, toutefois,
etant donne le peu d’elements que nous avons pour tenter de resoudre
ce probl&me, de nous contenter de dire que, selon toute vraisemblanct,
nos sept etudiants, sauf Yun ou l’autre, n’ont gu£re laisse de trace,
sans vouloir expliquer pourquoi ils sont restes si inconnus.
ı Ed. QuUARTIER-LA-TENTE, Les familles bourgeoises de Neuchatel, Neuchätel,
1903, p. 155.
KLEINERE BEITRÄGE. — MELANGES.
Gaben aus Uri an das Jesuitenkolleg in Schwyz.
Der Bau eines Jesuitenkollegs in Schwyz wurde nicht bloß als eine
örtliche oder kantonale Angelegenheit betrachtet, sondern schon von
Anfang an als ein Unternehmen bezeichnet und angesehen, das die ganze
katholische Schweiz lebhaft mitinteressieren müsse. Darum gelangte die
Kollegiumsgesellschaft auch an die katholischen Nachbarkantone und Nach-
bargemeinden und bat um Geldbeiträge oder Baumaterialien. Das kleine
Bauen am Urnersee verkannte die Wichtigkeit und allgemeine Bedeutung
der großen Idee nicht und beteiligte sich gemäß einem im dortigen
Gemeindearchiv liegenden Dankesschreiben recht wacker. Der unter-
zeichnete erste Rektor, P. Johann Baptist Drach, ist identisch mit jenem
Jesuiten, dessen Leiche nach dem Fall des Sonderbundes von den eidge-
nössischen Soldaten aus Haß gegen den damals vielgeschmähten Orden
am 27. und 28. November 1847 noch im Grabe geschändet wurde. Alles
übrige sagt der Brief selbst.
Hochwürdiger Herr Pfarrer !
Hochzuverehrender Herr und Gönner !
Schon längst würde ich den Empfang der uns gütigst überschickten
Bäume mit höflichstem Danke erwiedert haben, wenn ich davon Kenntnisse
gehabt hätte; allein Herr Seckelmeister Fischlin empfing sie und vergaß
es mir anzuzeigen ; doch da er wegen den bevorstehenden Landsgemeinden
sehr beschäftigt war, ist es kein Wunder, daß er es vergessen hat.
Nun bitte ich Euer Hochwürden, den Hochgeehrten H.H. Vorstehern
der löblichen Gemeinde von Bauen meine herzliche Dankbarkeit für diese
schöne Gabe auszudrücken ; ich habe dieselbe in das Verzeichnis unserer
Wohltäter eingeschrieben. Es freut mich ungemein, daß darin auch eine
Gemeinde vom Kanton Uri figuriert ; unsere Nachkommen werden es einstens
mit Vergnügen sehen.
Euer Hochwürden verlangten schon mehreremal die Ansicht des neuen
Kollegiums ; allein ich wollte Ihnen selbe noch nicht zuschicken, weil
die Zeichnung noch mehrere Änderungen erhielt und deswegen abwarten,
bis das Ganze festgesetzt, und wie es vorgezeichnet ist, auch in der Sache
vollführt werde. Dieses ist nun geschehen, und bald wird diese Ansicht
lithographiert werden, wo Sie dann gewiß, was Sie wünschen, erhalten
werden. !
1 Wir kennen ein lithographiertes Bild mit den beiden Mythen und dem
Flecken Schwyz im Hintergrunde. Auf dem Bauplatz im Vordergrunde ist nur
der flache Bauriß des geplanten Jesuitenkollegs mit den numerierten drei Gebäuden
— 3I0 —
Indem ich meinen Dank besonders Euer Hochwürden erneuere, durch
deren Einfluß die Gabe erfolgt ist, geharre ich mit ehrfurchtsvoller
Ergebenheit
Euer Hochwürden verpflichteter Diener
J. B. Drack 5. ].
Schwyeg, den 25. Mai 1842.
Adresse: Seiner Hochwürden Hochgelehrten Herrn Herr Antor
Amgewerd, Pfarrer zu Bauen, Kanton Uri.
frei.
Nebst der schönen Vergabung an Bauholz leistete Bauen auch noch
einen Geldbeitrag, der ebenfalls ganz ansehnlich ausfiel. Es geschah dies
einige Jahre früher bei Anlaß einer vom urnerischen Landrate mittelst
Beschluß vom 20. September 1837 angeordneten Landeskollekte, wobei
Bauen und Seelisberg, dank der Beredsamkeit und des Eifers ihrer Pfarr-
herren Anton Gwerder und Alois Fuster aus dem Kanton Schwyz, manche
viel größere und reichere Gemeinden überflügelten. Wir teilen hier geme
neben dem Ergebnis von Bauen auch die Opfer der übrigen Gemeinden
mit. Die ungeraden Schillinge und Angster lassen wir jedoch erst im
Gesamtresultate zur Geltung kommen. Altdorf sammelte in der Pfarı-
kirche 124 Gulden. Die Bruderschaften der Herren Amtsleute, der Pfister
und Müller, der barmherzigen Brüder und des hl. Altarssakramentes stifteten
je 13 Gl. oder einen Louisd’or. Die Jungfrauen-Kongregation schenkte
6 Gl., 20 Sch. oder 2 Neutaler und die St. Jakobsbruderschaft dekretierte
sogar 39 Gl. Bürglen brachte 22 Gl. zusammen, Silenen 54, seine Filiale
Gurtnellen 21, Schattdorf 30, Spiringen 13, Erstfeld 40, Wassen ohne
Göschenen und Göscheneralp 14 Gl., die Filiale Meien 3, Seelisberg 213,
Seedorf 19, Sisikon 13, Isenthal 4, Flüelen 13, Unterschächen 56, Bauen 40,
Andermalit mit Realp 38, die Filiale Hospental ıo, also total 832 Gulden.
Am wenigsten Verständnis und freundnachbarliche Gesinnung offenbarte
Attinghausen, das nur 26 Schillinge und zwei Angster aufbrachte, während
die Anstrengung von Seelisberg geradezu Bewunderung einflößt. So konnte
die Kollegiumsgesellschaft von Schwyz mit einer ofäziellen Quittung vom
4. Mai 1838 dem Landammann und Rat von Uri den schönen Barbetrag
von 1024 alten Schweizerfranken bescheinigen. Sie versprach dabei, die®
zu sehen. In der Höhe schwebt das Gnadenbild Maria Hilf, von dem ein Segens-
strahl auf den Bauplatz herniederfällt. Die Überschrift lautet : « Somvenir ei
Reconnaissance aux Fondateurs et aux Bienfaiteurs du nouvel &tablissement &
Schwyz.» Unter dem Bilde steht die Signierung : J. Tschümperlin fec. — Lithe
graphie au Freyenhof & Lucerne. Am Fusse liest man in größern Lettern: A la
plus grande gloire de Dicu, und in kleinern Buchstaben : ı. Eglise, 2. habitatio
des RR. PP. 3. Gymnase et Pensionnat. Es scheint mir, daß Rektor Drach ein
anderes und nicht das eben beschriebene Bild vor Augen hatte und zu liefern
versprach.
— 3II —
Summe wiederum zurückzuerstatten, wenn der Bau nicht zustande kommen
oder das Kollegium seinem ursprünglichen Zwecke jemals entfremdet
werden sollte. Glücklicherweise lag für eine solche Rückforderung bis
zum heutigen Tage kein Grund vor.
BEILAGE
Fronfasten-Landrat vom 20. Herbstmonat 1837. — Nach dem Antrage
der w. w. Instruktionskommission soll zur nachgesuchten Unterstützung
des in Schwyz zu errichtenden Kollegiums unter der Leitung der Väter
der Gesellschaft Jesu in sämtlichen Pfarrkirchen und Filialen des Kantons
eine Kollekte veranstaltet und die hochwürdige Geistlichkeit eingeladen
werden, dieses wohltätige Unternehmen sowohl im allgemeinen als auch
den vermöglicheren Korporationen und Bruderschaften zu empfehlen.
Die Kollekte soll bis Ende Wintermonat geschlossen, der Ertrag der
l. Kanzlei eingehändigt und dann durch die h. Regierung der zur
Begründung dieses Kollegiums bestehenden Gesellschaft in Schwyz mit dem
Vorbehalte übermacht werden, daß diese Gabe, die einzig zu besagtem
Zwecke gegeben werde, wieder zurückgestellt werden müßte, wenn früher
oder später diese wohltätige Stiftung aufgehoben werden sollte.
Landrat vom 8. Hornung 1838. — Die für das in Schwyz zu stiftende
Jesuiten-Kollegium eingegangene Kollekte, bestehend in Gl. 775, Sch. 4,
ohne die noch von der Gemeinde Schattdorf einzufordernde Beisteuer, soll
der Stiftungsgesellschaft zur Verfügung gestellt und ihr das Bedauern
ausgedrückt werden, daß wir bei unsern beschränkten Verhältnissen nicht
Größeres zu leisten im Falle sind. Was zur Ergänzung der Summe von
Fr. 1000 noch fehlen sollte, soll von dem 1. Säckelamte beigelegt werden.
Eduard Wymann.
REZENSIONEN. — COMPTES RENDUS.
Jeanne Anoelet-Hustache. La Vie mystique d’un monastere de Domi-
nicaines au moyen äge, d’aprös la chronique de Töss. Un volume in-ı6°.
Prix : ı2 fr. Perrin et Cle, Eediteurs, 35, Quai des Grands-Augustins,
Paris VIme,
Ferdinand Vetter a publie, en 1906, la chronique du monastere de
Dominicaines de Töss, pres de Winterthur, redigee, au XIVme siecle, par
une des religieuses de ce couvent, Elsbet Stagel. (Das Leben der Schwestern
zu Töss beschrieben von Elsbet Stagel samt der Vorrede von Johannes Meier
und das Leben der Prinzessin Elisabet von Ungarn, Berlin ; Deutsche Text
des Mittelalters... VI.) C’est cette publication, soit les 37 petites biographies
dont elle se compose, que Mme Ancelet-Hustache, auteur d’une these jus
tement appreciee sur Melchtilde de Magdebourg, a prise comme base du
volume qu’elle a consacre & decrire la vie mystique d’un monastere de
Dominicaines au moyen äge. Elle a group les renseignements qu’elle en a
extraits en chapitres qui nous entretiennent, tour & tour, de la vocation,
de la priere, du travail, de la mortification, de la charite a l’&gard des pau-
vres, de la vie mystique et, enfin, de la mort des moniales de Töss. Le cha-
pitre sur la vie mystique — celui qui a fourni le titre de l’ouvrage — est,
de tous, le plus developpe, ainsi qu’il fallait s’y attendre, Elsbet Stagel
ayant &te l’une des disciples prefer&es de Henri Suso, et le monastere de
Töss se ressentant vivement de la doctrine des grands mystiques domi-
nicains et de ce maitre en particulier. Le livre se termine par la traduction
d’un autre ouvrage d’Elsbet Stagel : la vie d’Elisabeth de Hongrie (1294 ’
— 1336), fille du roi Andre III, petite-niece de sainte Elisabeth de Thuringe
et cousine de sainte Marguerite de Hongrie, princesse & l’äme extraordinal-
rement sensible et qui supporta avec une resignation admirable non seu-
lement les duretes dont fit preuve & son &gard sa marätre, Agnes, file
d’Albert d’Autriche, mais surtout les &pouvantables douleurs physiques
qu’elle eut & endurer.
Le livre de Mme Ancelet se lit fort agreablement. Elle nous donn?
un tableau tr&s vivant du monastere de Töss et des religieuses qui ont
contribue le plus & &tablir sa celebrite. Tres au courant des sources et des
travaux, presque tous en langue allemande, qu’elles ont provoques ou
qui ont EtE consacres aux mystiques allemands du moyen äge, elle se montre,
en outre, dans ses appreciations, d’unerigoureuse orthodoxie. Elle a, d’ailleurs,
tenu & demander pour son livre l’imprimatur, qui lui a &t& accord&, sur le
tcmoignage favorable des Peres No&l et Folghera. Ce volume, en meme
temps qu’il fournira au lecteur un r&el aliment spirituel, lui donnera un
tableau tres attachant de la vie interieure qui animait chez nous, AU
XIVme siecle, une maison de religieuses aussi prospere que le monastefe
des Dominicaines de Töss. L. Waeber.
ng a 1
Angelus M. Walz, O. P. De devotione oordi Jesu in ordine Praedicato-
rum a saeculo XIII ad saeculum XVII exhibita notulae. Rome, A. Manu-
tio, 1926; tirage & part des Analecta Ord. Praed. An. 34 (1926), fasc. III.
Qu’il nous soit permis, & propos du livre de Mme Ancelet-Hustache,
de signaler l’eEtude que le Pere Walz, dominicain, a consacree au deve-
loppement du culte du Sacr&-Coeur dans l’Ordre des Pr&cheurs, du XIIIme au
XVlIlIme siecle. Dans le chapitre de son travail reserve & la province de
Germanie, sont enum£r&es les attestations que fournissent & ce sujet les
couvents de Dominicaines d’Ottenbach, dans le canton de Zurich, de Sankt
Katharinenthal, pres de Diessenhofen et de Töss. L’auteur cite, en outre,
ce mot du Zuricois Jean Meyer (1422-85), historien des maisons domi-
nicaines de l’observance en Suisse, en Älsace et dans le Brisgau, celui-lä
meme qui a Ecrit la preface de la chronique d’Elsbet Stagel, dont il a ete
question tout & l’heure et qui invite ses lecteurs A s’adresser, pour enflammer
leur propre amour, « au doux caur de Notre bien-aim& Seigneur Je&sus-
Christ ». La these du P. Walz vient confirmer, par des attestations de detail,
ce que dit le P. Hamon, dans son Aube de la d£votion au Sacre-Caeur, sur
la part qu’ont eue, dans la periode de formation de ce culte, les deux grands
Ordres franciscain et dominicain. L. W.
Denzinger, Henr., et Clem. Bannwart, S. J., Enchiridion Symbolorum,
Definitionum et Declarationum de rebus fidei et morum. Editio decima
sexta et septima quam paravit Joannes Bapt. Umberg, $.]J. 8° (XXX u. 612,
28* u. [58] S.) Freiburg im Breisgau 1928, Herder. 6M. ; in Leinwand 7.50M,
L’Enchiridion de Denzinger n’a, evidemment, que des attaches bien
lointaines avec l’histoire ecclesiastique suisse, et le livre est trop connu
pour qu’il soit n&ecessaire de le presenter ;, mais on nous saura gr& peut-
etre de signaler cette nouvelle Edition et de dire en quoi elle differe des
precedentes. On sait que, apres la mort du P. Bannwart, qui avait publie
les editions Io et suivantes, ce fut le P.Umberg qui fit paraitre la ızme-ıs5me,
C'est lui encore qui nous donne aujourd’hui la Iı6Me-17me. Comme prec6-
demment, les anciens numeros sont maintenus, en petits caracteres, en
dessous des nouveaux. Le corps du volume s’est enrichi de quatre extraits
tıres de l’encyclique de S. S. Pie XI Ubi arcano, du 23 decembre 1922,
sur les relations entre l’Eglise et l’Etat, de celle du 29 juin 1923 sur la
maniere de suivre la doctrine de saint Thomas d’Aquin, de celle du ıı decem-
bre 1925, sur le Christ-Roi, et de la Bulle du Jubile (29 mai 1924), et enfin
de deux decrets du Saint-Office, du 2 juin et du 8 juillet 1927, sur le comma
johanneum et sur les moyens r&eprouves par Rome de travailler & la r&union
des Eglises, soit une augmentation totale de six pages. Dans l’appendice,
introduit par le P. Umberg, des l’edition precedente, on nous donne un
texte corrige du deuxieme concile d’Orange. Le prix de l’ouvrage le rend
abordable aux &tudiants en theologie, auxquels il est, depuis longtemps,
indispensable. Souhaitons qu’il puisse en &tre bientöt de m&me de son
pendant : P’Enchiridion des sources de l’Histoire ecclösiastique de Kirch.
L. W,
— 314 —
Arthur Piaget. Les Actes de la Dispute de Lausanne, 1536. (Memoires
de l’Universit& de Neuchätel, t. VI, XXIX et 551 p.). Neuchätel, Secre-
tarıiat de l’Universite, 1928 (20 fr.).
La dispute ou conference religieuse qui eut lieu, & la cathedrale de
Lausanne, du Ier au 8 octobre 1536, fut, comme on le sait, le prelude de
Yintroduction ofhcielle de la Reforme dans le Pays de Vaud. Or, si sur-
prenant que cela puisse paraitre, les actes de cette dispute, rediges en
francais et conserves & la bibliothäque de Berne, n’avaient jamais £te
publies. On se contentait, generalement, du resume qu’en avait donne,
en 1728, le pasteur Ruchat, dans son Histoire de la R£forme en Suisse,
resume d’ailleurs fidele, bien que l’auteur ait cru devoir intervenir, et
m&öme violemment, dans la discussion dont il se faisait le rapporteur. On
comprend, des lors, que M. Piaget, archiviste cantonal et professeur &
l’Universite de Neuchätel, se soit decideE & publier integralement l’impor-
tant manuscrit.
Dans un avant-propos, il nous en raconte l’origine. Lors de la dispute,
quatre secretaires — des notaires lausannois — avaient &t& charges de
prendre des notes. Ils se seraient bornes vraisemblablement & con:igner
des faits d’ordre purement materiel, se gardant bien de resumer des dir
cussions theologiques, qui devaient leur Etre Etrangeres, et le dossier cons
titue par leurs soins eüt ainsi &et& tout & fait insuffsant, si la plupart des
orateurs n’avaient pris la peine de leur remettre le texte m&me de leur
discours. Restait & rediger le tout. Berne y tenait, desireuse quelle £tait
de donner & ces Actes une large publicite. Le travail fut confi@ ä Pierre
Viret, le principal: porte-parole des reformes, avec Farel, & la dispute de
Lausanne, et qui avait lui-m&me pris &galement des notes. Mais, tre&s occupt.
et de sante de@licate, Viret ne put consacrer & cette täche que de rares loisirs,
si bien qu’il mit plus de vingt ans & la terminer. Un jeune th&ologien, Louis
Mercier, fut charge de relever ce travail de 600 pages, et le manuscrit fut
enfin envoy&, en 1548, & Messeigneurs de Berne. Ceux-ci ordonnerent alors
aux trois presidents de la dispute — le quatrieme, le chanoine Fabri, etait
deja mort — de collationner cette redaction avec la minute de Pierre Viret.
C'est ce qui explique les notes marginales que l’on rencontre sur un certai
nombre de feuillets du manuscrit de Berne.
Le texte m&me de la dispute occupe plus de 400 pages du volume de
M. Piaget. On y trouve, successivement expos£es et discutees, sous formt
de dix conclusions, la plupart des theses fondamentales de la Reforme :
la justification par la foi seule, la suppression de la Papaute, de la messe,
du sacerdoce, de la confession, des images, du celibat ecclesiastique, du
jeüne et de l’abstinence, la reconnaissance du seul pouvoir civil, efc.
Le nom meme de M. Piaget dit suflisamment avec quelle competence et
quel soin le texte a &t& publie. L’auteur s’est contente de mettre, au b3s
des pages, quelques notes pour signaler les rares endroits oü il s’est &carte
du manuscrit, la oü celui-ci etait manifestement defectueux.
Il a fait suivre enfin son edition d’une table analytique, qui ne coM-
prend pas moins de 90 pages. C'est dire qu’elle est extr&ämement com
plete, meme trop ä notre avis. Ce qui a contribue & l’allonger, c’est le fait
“s
d’avoir rapproche certaines opinions &mises A Lausanne d’idees analogues
ou meme d’expressions identiques, puisees principalement dans les oauvres
de Pierre Viret. Pour nous, ces rapprochements sont singulierement sugges-
tifs, et l’orn peut regretter, en se placant au point de vue des lecteurs d’autre
confession, que l’on en ait pas fait autant pour les theses formuldes par
les orateurs catholiques. Il n’aurait pas &te inutile, par exemple, de donner
un mot d’explication sur une idee, absolument fausse, du jacobin (domi-
nicain), qui intervient dans la discussion de la premiere conclusion : il
croit devoir soutenir, pour expliquer certains passages du Nouveau Testa-
ment, que les apötres, abandonnant la formule baptismale trinitaire,
ont baptis6 au nom du seul Jesus. Nous aurions desire &galement
une notice sur le developpement de cette fable, dont notre dominicain
se fait l’echo, que Trajan aurait &te delivre de l’enfer. (Cf. entre autres,
Franz, Die Messe im deutschen Mittelalter, p. 229.) La table aurait pu &tre
allegee, d’autre part, de plusieurs remarques d’ordre liturgique inutiles
ou partiellement inexactes (le renvoi au Lauda Sion, p. 475; la note sur
la recitation du psaume Credidi, p. 477 ; celle sur les Quatre-Temps, p. 524 ;
sur le Sursum corda, p. 530, etc.). Au sujet de toutes les inepties que les
Reformes, apres d’autres, reprochaient & Hildebrand (Gregoire VII), une
mention des importants travaux de l’abb& Fliche eüt &t& la bienvenue,
et quant au cardinal Humbert, plutöt que l’Etude vieillie de Francke (1882),
il eüt fallu citer le livre recent de Michel (Humbert u. Kerullarios, Paderborn,
1924), et au sujet de Pierre Girod, le livre de Sulser (Der Stadischreiber
Peter Cyro, Berne, 1922) et les &tudes de J. Jordan (Annales fribourgeoises,
1923, p. 16-27) et de Büchi (Revue d’Histoire ecclesiastique suisse,
1924, p. I-2I et 305-23). On nous permettra une derniere remarque : dans
cette table, qui est davantage un repertoire des propositions soutenues
& la dispute de Lausanne qu’une simple liste de mots, les th&ses enoncees
par les novateurs et leurs adversaires se succ&dent, p&@le-m&le, au hasard
de l’ordre dans lequel elles apparaissent au cours de la discussion. C’est
dire que l’on y rencontre, cöte & cöte, des opinions fort divergentes, voire
meme nettement contradictoires ; et alors, du moins & l’adresse de certains
lecteurs, n’aurait-il pas &t& bien de marquer d’un signe celles qui Ema-
naient, par exemple, des orateurs catholiques ?
Ces remarques, on le voit, ne concernent en rien l’edition m&me des
Actes, soit l’essentiel de la täche de M. Piaget, mais uniquement la table
qu’'il y a ajoutee, et que, par scrupule scientifique, et avec le desir aussi
quelle puisse, dans une certaine mesure, servir de commentaire au texte
publie, il a voulue plus complete qu’on n’etait en droit de le lui demander.
L. Waeber.
Papsttum und Kaisertum. Forschungen zur politischen Geschichte und
Geisteskultur des Mittelalters. Paul Kehr zum 65. Geburtstag dargebracht.
Herausgegeben von Albert Brackmann. München 1926.
Wir kommen mit der Anzeige dieses Buches ziemlich lange post festum ;
denn Kehr feierte seinen 65. Geburtstag am 28. Dezember 1925, und das
— 316 —
Buch erschien 1926. Aber wir hatten keine Gelegenheit, es vorher genauer
durchzusehen, und es hat ja seither an Wert noch nichts verloren. Die
Sitte, daß Schüler und Freunde eines großen Gelehrten zu seinem 6o.,
65. oder 70. Geburtstag eine Festschrift mit wissenschaftlichen Beiträgen
herausgeben, gefällt mir sehr gut, besonders wenn es eine Schrift ıst,
wie sie hier für Paul Kehr vorliegt. Sie ist nämlich ein dickes Buch von
mehr als 700 Seiten, und manche der Verfasser der 36 Beiträge sınd
Gelehrte von Weltruf ; wir führen hier nur die Namen Bruno Krusch,
Angelo Mercati und Harry BreßBlau an. Auch zwei Schweizer sind unter
den Mitarbeitern zu finden : Prof. Dr. Nabholz von Zürich und Stifts
archivar Dr. Müller von St. Gallen.
Hans Nabholz behandelt die neueste Forschung über die Entstehung
der schweizerischen Eidgenossenschaft. Es ist eine kurze, klare Dar-
stellung der genannten Forschungen von Eutych Kopp bis heute, wobei
selbstverständlich der größere Teil den Arbeiten Karl Meyers gewidmet
ist. Nabholz steht den Gedankengängen Meyers im allgemeinen mit großen
Bedenken gegenüber, anerkennt aber doch das tatsächlich Positive an
dessen Forschungen, so vor allem sein tieferes Studium der Chroniken,
während die bisherige kritische Schule einseitig auf die urkundliche Über-
lieferung abgestellt hat. Nabholz weist dann seinerseits an Hand neuere!
Forschungen von Glitsch und Hirsch über die mittelalterliche Gerichts
barkeit darauf hin, daß die drei Länder Uri, Schwyz und Unterwalden
unter Rudolf von Habsburg durchaus nicht darauf ausgingen, Neues zu
erreichen auf Kosten des Landesherrn, sondern nur den bisherigen Bestz-
stand mit allen Kräften zu verteidigen. Diesem Ziel diente auch der
Bundesbrief von 1291.
Joseph Müller berichtet von Neugarts Briefwechsel mit St. Gallen.
P. Trudbert Neugart O.S.B., der gelehrte Mönch von St. Blasien im
Schwarzwald wollte als Vorarbeit zu einer von seinem Abt Gerber
geplanten Germania sacra eine Geschichte des Bistums Konstanz schreiben.
Auf der Suche nach Material zu diesem Werk war er auch nach St. Gallen
gekommen und hatte dort ohne Wissen des damaligen Abtes Beda Angehm
— der Abt war für einige Zeit vom Kloster abwesend — eine wertvolle
Urkundensammlung zur Durchsicht mit nach St. Blasien bekommen.
Es war ein Exemplar eines Privatdruckes der St. Galler Klosteroffizin,
ein sehr wichtiges Buch, das er dann unter dem Namen Codex TraditionuM
monasterii S. Galli bekannt machte. Im Jahre 1789 versandte Neugart
die Einladung zur Subskription auf den Codex diplomaticus Alemanniäe
et Burgundiae Trans-Juranae intra fines dioecesis Constantiensis und
machte darauf aufmerksam, daß er dabei den ganzen St. Galler Codex
Traditionum herausgeben werde, der manche bisher ganz unbekam!®
Urkunden enthalte.
Nun hatte aber Neugart in St. Gallen keine Erlaubnis eingeholt zU
vollständigen Veröffentlichung der Urkunden. Die St. Galler jedoch
fürchteten einerseits, es könnten ihnen durch Bekanntgabe einzein®
Urkunden Unannehmlichkeiten erwachsen, anderseits hatte St. Gale
bereits selbst an eine wohlgesichtete Herausgabe der Traditionsurkund®
KILL ms hm er en Simmmii une
gedacht. Als nun der Plan Neugarts bekannt wurde, entrüsteten sich die
St. Galler Kapitulare darüber, und es entspann sich ein Briefwechsel
zwischen St. Gallen und St. Blasien, dessen Ursprung und Verlauf Müller
in klarer, anregender Form entwirft. Der Streit endete damit, daß zuerst
Neugart nachgab und dann die St. Galler von ihren Forderungen ab-
standen und dem Gelehrten im Schwarzwald den Weg zur Veröffentlichung
frei ließen. Allerdings konnte der St. Galler Historiker P. von Arx dies
nie ganz verschmerzen ; denn er wäre zur Edition der Urkunden ebenso
berechtigt und befähigt gewesen wie Neugart, und Pertz bemerkte noch
1823, daß das vollständige Exemplar des Codex Traditionum, «durch
Herrn von Arx aus den Urkunden selbst verbessert, von niemandem besser
herausgegeben werden könnte». Es ging dann indes noch manches Jahr-
zehnt, bis diese Urkunden erstmals nach den Originalien herauskamen.,
Die Ehre dieser Ausgabe blieb aber doch einem St. Galler vorbehalten,
dem verdienten Hermann Wartmann.
Von den übrigen Arbeiten der Festschrift Kehr wollen wir einige
wenige erwähnen, die vielleicht allgemeines Interesse verdienen : Erich
Caspar, Die älteste römische Bischofsliste; Edmund Stengel, Über den
Ursprung der Ministerialität ; Albert Brackmann, Die Anfänge von Hirsau ;
Karl Wenck, Die römischen Päpste zwischen Alexander III. und Inno-
zenz III.; Johannes Haller, Innozenz III. und Otto IV.; Karl Schellhaß,
Wissenschaftliche Forschungen unter Gregor XIII. für die Neuausgabe
des Gratianischen Dekrets.
Es berührt sehr angenehm, daß Vertreter verschiedener Nationen und
verschiedener Religionen so einträchtig mit großem Eifer und nicht minder
großer Objektivität zusammenarbeiten. Deutsche und Welsche, Welfen
und Ghibellinen dienen hier nur der Wissenschaft.
Paul Hildebrand.
Pastor Ludwig Freiherr v. Geschichte der Päpste im Zeitalter der
katholischen Restauration und des 30-jährigen Krieges. XII. Band (Leo XI.
und Paul V. 1605-21). Herder, Freiburg i. Br. 1927.
Im XII. Bande seiner monumentalen Papstgeschichte schildert Pastor
die beiden Pontifikate Leos XI. und Pauls V. Leo XI., dem Freunde
Philippo Neris, war nur eine kurze Regierung von 26 Tagen beschieden.
Nach heißem Wahlkampfe folgte ihm ganz unerwartet Cardinal Camillo
Borghese als Paul V.
Die Hauptsorge des neuen Papstes war ganz auf das kirchliche Gebiet
gerichtet. Er war kein Politiker, und dennoch wurde er in den großen
und bekannten kirchenpolitischen Streit mit der Republik Venedig ver-
Wickelt. Übergriffe der Markus-Republik auf geistliches Gebiet zwangen
den Papst zu Gegenmaßregeln. Als er gegen die Republik das Interdikt
verhängte, entstand ein Federkrieg, wie man ihn noch selten erlebt hatte.
Im Vordergrund der venezianischen Partei stand der Staatstheologe Sarpi,
der alle Vermittlungsversuche längere Zeit unmöglich machte; denn er
hegte die Absicht, Venedig ins Lager der Protestanten zu ziehen, um dann
— 318 —
in einem Weltkrieg den Sturz des Papsttumes herbeizuführen. Schon
rüstete man auf beiden Seiten zum Kriege, der unvermeidlich zu sein
schien, als es Heinrich IV. von Frankreich (durch Vermittlung des
Cardinals Joyeux) gelang, einen Vergleich zwischen Paul V. und Venedig
herbeizuführen.
Dieser Streit Pauls V. mit Venedig wurde bisher als das Hauptereignis
im Pontifikate dieses Papstes angesehen. Pastor weist nun nach, dab
dem nicht so ist, sondern, daß die Hauptziele Pauls V.: Herstellung des
Friedens in Europa, Ordnung der religiösen Zustände, sowie Fürsorge für
die Missionen waren.
Der Papst entwickelte eine eifrige Reformtätigkeit auf innerkirch-
lichem Gebiete ; er beendete den thomistisch- molinistischen Gnaden-Streit,
nahm mehrere Heiligsprechungen vor und förderte alte und neue Orden.
Auch der Inquisition wandte er seine Aufmerksamkeit zu, und unter seinem
Pontifikate kam Galileo Galilei mit dieser Institution in Konflikt. Als
Galilei, aufbauend auf die Erfahrungen von Kopernikus, die neue Lehre ver-
kündete, daß die Sonne stillstehe und das ganze Planetensystem sich um
sie drehe, fragten sich viele, wie sich dies mit der Heiligen Schrift reime,
die doch umgekehrte Verhältnisse annahm. Hätten sich Galilei und seine
Schüler damit begnügt, ihre wissenschaftlichen Ergebnisse als rein solche
darzulegen, ohne die große Kontroverse: Bibel und Wissenschaft auf-
zurollen, so wären sie und ihre Schriften niemals mit der kirchlichen
Zensur in Zusammenstoß geraten. Als Galilei’s Schriften auf den Index
gesetzt worden waren, tröstete der Papst den Gelehrten über sein Miß-
geschick. Sein wissenschaftliches Forschen anerkannte man nämlich nach
wie vor; nur seiner theologischen Schriftstellerei sollte durch die Ver-
urteilung ein Ende bereitet werden.
Eifrig tätig war der Papst für die Missionen. In Japan, China und
Indien wurden schöne Erfolge errungen. Gesandte aus Persien, Armenien,
Chaldäa und Congo erschienen in Rom, um Beziehungen mit dem Ober-
haupte der Christenheit anzuknüpfen.
In Frankreich machte die katholische Restauration große Fortschritte.
Berulle gründete sein Oratorium. Die Ursulinerinnen wurden in Frankreich
eingeführt, und der Genfer Bischof Franz von Sales gründete den Orden
von der Heimsuchung Mariae. Die Hauptwirksamkeit des hl. Franz von
Sales fällt in diesen Pontifikat.
In Deutschland, Holland und besonders England hatten die Katholiken
schwere Zeiten durchzumachen. Die sogenannte Pulververschwörung
England wurde von der englischen Regierung ganz gegen die Katholiken
ausgenützt. Das Verfolgungsgesetz vom 27. Mai 1606, sowie der neue
Treueid, den die Regierung verlangte, waren gefährliche und furchtbare
Waffen gegen die Katholiken. Jakob I. heuchelte längere Zeit katholiken-
freundliche Gesinnung. Der Papst mußte jedoch bald einsehen, daß auf
diesen König keine Hoffnungen zu setzen waren. Unter ihm brach die
Katholikenverfolgung in England, Irland und Schottland aus.
Im Osten erwies sich Demetrius als falscher russischer Thronprätendeit.
Sein despotisches Wesen machte ihn unmöglich, sodaß er von sein
Gegnern ermordet wurde. Zudem hatte er es mit seinem dem Papste
gegebenen Versprechen gar ungenau genommen. Die Hoffnung, das alte
Zarenreich durch Demetrius an die römische Kirche zu fesseln, hatte sich
als schöner Traum enthüllt.
Trostvollere Nachrichten erhielt der Papst aus Polen, wo König
Sigismund III. eifrig für die katholische Restauration eintrat.
Im Deutschen Reiche regierte Kaiser Rudolf II. Er war seines Amtes
ganz unfähig, und der Papst bemühte sich, den kinderlosen Greis
wenigstens zur Regelung der Nachfolgefrage zu bewegen. Die Lage war
heikel, da die Habsburger unter sıch nicht einmal einig waren. Rudolf II.
starb 1612, und Erzherzog Matthias wurde dessen Nachfolger. Unter ihm und
Ferdinand II. zeitigte die katholische Restauration in Deutschland schöne
Früchte. Doch bald sollte es anders kommen. Paul V. mußte die böhmische
Revolution noch erleben, die den Auftakt zum großen Religionskrieg,
zum 30-jährigen Kriege bildete.
Den Schweizerhistoriker interessiert besonders das Kapitel über die
religiösen Zustände der Schweiz und die Wirren in Graubünden. Der
Nuntius Giovanni della Torre, der volle 10 Jahre in Luzern residiert hatte,
ward zum Kardinal ernannt worden und wurde 1606 durch Fabrizio Verallo,
Bischof von San Severo ersetzt. Auf ihn folgte Ladislao d’Aquino, der
am Schlusse seiner Amtstätigkeit zur Information seines Nachfolgers eine
aufsührliche Denkschrift über die kirchlichen Zustände unseres Landes
verfaßte. Darin schildert er die geographisch wichtige Lage der Schweiz
als Bindeglied zwischen Deutschland und Italien. Er legte das große
Interesse dar, das Papst und Kirche an diesem Lande haben müssen, in
dem sich Katholiken und Protestanten ziemlich das Gleichgewicht hielten.
Das Zeugnis, das der scheidende Nuntius den Schweizern ausstellte, ist
so ehrenvoll wie denkbar. Seinem Berichte fügte Aquino noch eine ganze
Reihe von Vorschlägen bei, wie die Schweizer am besten zu gewinnen
wären. Nuntius Aquino übte eine rege Reformtätigkeit aus. Im Wallis
griff er besonders ein, wo er dem herrschenden Priestermangel durch die
Berufung der Jesuiten und Kapuziner abzuhelfen hoffte.
Ganz traurige Verhältnisse herrschten in der Republik gemeiner
III Bünde in alt fry Raetien. Der größte Teil des Landes hing der neuen
Lehre an. Zur konfessionellen Verschiedenheit kamen die politischen
Parteien, die das Land in Gruppen unversöhnlicher Feinde teilten. Spanien
und Österreich einerseits und Frankreich mit Venedig anderseits rangen
um die politische Vormachtstellung in Graubünden, das seiner Alpenpässe
halber so große Bedeutung im internationalen Leben gewonnen hatte.
Auf Seiten der einen standen die Katholiken, auf Seiten der andern die
Protestanten. Außerst schwierig war die Lage des Bischofs Johannes V.,
Flugi v. Aspermont, der eifrig bestrebt war, die Trienter Konzilsbeschlüsse
durchzuführen. Die Prädikanten verdächtigten und beschuldigten ihn als
Anhänger Spaniens. Mehrmals mußte er das Land verlassen. Das Thusner
Strafgericht, das den Erzpriester Nikolaus Rusca zu Tode martern ließ,
verurteilte den Bischof von Chur zur Absetzung und zum Tode. Das
Strafgericht zu Davos, das bezeichnenderweise mit dem böhmischen
—- 320 —
Revolutionskönig Friedrich V. in briefliche Verbindung trat, verhängte
weitere Geldstrafen und verfügte die Austreibung aller Kapuziner und
fremden Geistlichen aus dem Veltlin.e Doch bald kam der Rückschlag
zum Schreckensregiment der Prädikanten. Im Veltlin, wo man die
Ermordung des Erzpriesters Rusca von Sondrio nicht verschmerzen konnte,
brach unter Ritter Jakob Robustelli die Empörung aus, die vom 19. bis
23. Juli 1620 zum « Veltlinermord » führte. Die Religion diente auch hiezu
als Deckmäntelchen, während politische Ziele der Spanier und Veltliner
die wahren Beweggründe des Handels waren: der Bündner Herrschaft
im Veltlin sollte ein Ende bereitet werden. Von allen Seiten wurde Paul \.
bestürmt, sich in die Veltliner-Angelegenheit einzumischen. Klug lehnte
er es ab, und die Entwicklung der Verhältnisse, die er nicht mehr erlebte,
sollte ihm später recht geben.
Unter Paul V. spielte sich also ein großer Teil jener Ereignisse in
Graubünden ab, die mit vollem Rechte in der Geschichte als « Bündner-
wirren » bekannt sind. Pastor schildert dieses Ringen und Kämpfen ın
kurzer, aber treffender Darstellung.
Pastor schildert am Schlusse seines Buches noch Paul V. als Kunst-
mäzenat. Unter ihm wurde der Petersdom vollendet. Er setzte den Bau
der Quirinals fort, versah Rom mit neuen Plätzen und Straßen und schuf
die Aqua Paolina mit den prächtigen Brunnen auf dem Gianicolo. Ein
besonderer Förderer der Kunst war auch Kardinal Scipione Borghese, der
Beschützer Guido Reni’s. Er wurde der Begründer der Villa Borghese auf
dem Pincio.
Das sind kurze Streiflichter durch das inhaltsschwere Buch des
bekannten Erforschers der Papstgeschichte. Reiches, bisher unbenütztes
Material belegt und ergänzt die Ausführungen, sodaß sich auch Band XII
würdig an die frühern Bände der Geschichte der Päpste anreiht.
Ant. v. Castelmur.
Ber —
Fribourg. — Imp. de l’CEuvre de Saint-Paul. 28.
Hans von hen Verlag, ‚Stans.
mn La u zw
en Dr. Joseph Hürbin
Handbuch der Schweizergeschichte.
OR eleg. Halbleinen- Bände.
' Preis Fr. 26.40
In. der « Schweizerischen Rundschau » schreibt Untvershäts Professor
Dr. Büchi von Freiburg über Hürbins Handbuch der Schweizergeschichte : a
«Wir haben nun ein Buch für alle gebildeten Katholiken jeden Standes, das
einem längst empfundenen Bedürfnisse abhilft ‚und in keiner gebildeten
katholischen Familie fehlen sollte. An wissenschaftlichem ehalt und
gejälliger Darstellung braucht es den Vergleich mit andern Handbüchern der
chweizergeschichte ‚nicht zu scheuen. "Es unterscheidet sich von den bis-
herigen Bearbeitungen durch besondere Betonung des religiösen und kultur-
eschichtlichen Momentes ; in dieser Hinsicht wird es von keinem anderen
erks erreicht, geschweige übertroffen»...
w
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